Leitsatz (amtlich)
1. Auch durch Teilnahme an einem kurzfristigen Streik wird die versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des AVAVG § 99 Abs 1 S 3 aF jedenfalls dann unterbrochen, wenn infolge fehlender Arbeitsbereitschaft des Arbeitnehmers die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers aufgehoben ist (Ergänzung BSG 1955-08-30 7 RAr 40/55 = BSGE 1, 115-125 und BSG 1956-01-27 7 RAr 126/55 = BSGE 2, 164, 171-177).
2. Die Meldebestimmungen des RVO § 317 sind Ordnungsvorschriften. Die Unterlassung der Abmeldung bei der Krankenkasse ist allein kein Beweis dafür, daß bei Teilnahme an einem kurzfristigen Streik die versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des AVAVG § 99 Abs 1 S 3 aF fortbestanden hat.
Normenkette
AVAVG § 99 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1951-03-29; AVAVG 1927 § 99 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1951-03-29; RVO § 317 Abs. 2 Fassung: 1924-12-15
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 13. Dezember 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Die Klägerin arbeitete vom 2. September 1946 bis zum 14. April 1954 als Fachhilfsarbeiterin bei der Firma G S A.-G. in O. Sie wurde wegen Arbeitsmangels entlassen. Laut Bescheinigung der Allgemeinen Ortskrankenkasse O war sie vom 7. bis zum 12. Dezember 1952 bei ihr nicht gemeldet; in dieser Zeit hat sie an einem Streik im Druckereigewerbe teilgenommen.
Das Arbeitsamt (ArbA.) O bewilligte ihr nach Arbeitslosmeldung mit Verfügung vom 22. April 1954 Arbeitslosenunterstützung (Alu) für 156 Tage, ohne ihr einen besonderen Bescheid hierüber zu erteilen. Ihr Widerspruch wurde mit Entscheidung vom 28. Oktober 1954 zurückgewiesen, weil ihre versicherungspflichtige Beschäftigung dadurch unterbrochen worden sei, daß sie sich durch Teilnahme am Streik der Verfügungsmacht des Arbeitgebers entzogen habe.
II. In ihrer Klage hiergegen trug die Klägerin vor, das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis sei allein nach arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Auf die Verfügungsmacht des Arbeitgebers könne es nicht ankommen; denn diese fehle auch im Krankheitsfalle, obwohl hier eine Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses nicht angenommen werde. Arbeitsrechtlich gesehen unterbreche der Streik das Beschäftigungsverhältnis nicht, da die Arbeitnehmer eine Beendigung dieses Verhältnisses nicht wollten, sondern nur eine Änderung der Arbeitsbedingungen anstrebten. Der Streik sei verfassungsmäßig garantiert. Deshalb dürfe der Arbeitnehmer sozialrechtlich nicht benachteiligt werden.
Das Sozialgericht Oldenburg hob antragsgemäß mit Urteil vom 12. Mai 1955 die Verfügung des ArbA. vom 22. April 1954 auf und verurteilte die Beklagte, Alu nach den gesetzlichen Bestimmungen über 26 Wochen hinaus zu gewähren. Nach seiner Auffassung konnte der Streik "die Entstehung eines Anspruchs" auf Alu für mehr als 26 Wochen "nicht hindern". Es ließ die Berufung zu.
Dieses Urteil hob das Landessozialgericht Celle auf die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 13. Dezember 1955 auf und wies die Klage ab. Nach § 165 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei für das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis maßgebend, daß der Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt werde. Das sei bei der Klägerin während des Streiks nicht der Fall gewesen. Die Streikenden entzögen sich auch der Verfügungsmacht des Arbeitgebers. Deshalb sei das Beschäftigungsverhältnis unterbrochen worden. Auf die Dauer der Unterbrechung komme es nicht an.
Revision wurde zugelassen.
III. Gegen das am 6. März 1956 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. März 1956 Revision eingelegt und beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Die Revision hat sie am 24. April 1956 begründet und geltend gemacht, das Bundessozialgericht habe in seinen "Streik-Urteilen" vom 30. August 1955 und 27. Januar 1956 die Beurteilung der Rechtslage bei einem kurzfristigen Streik offen gelassen. Hier handele es sich um einen sechstägigen Streik. Durch Teilnahme daran könne das öffentlich-rechtliche Versicherungsverhältnis nicht erlöschen. Der Präsident der Beklagten habe durch Erlaß vom 26. Mai 1954 bestimmt, daß - vorbehaltlich der Entscheidung im Rechtszuge - bei einem Streik bis zu sieben Tagen die Verfügungsmacht des Arbeitgebers fortbestehe. Im übrigen hat sie ein für sie von Universitäts-Professor Dr. D gefertigtes Rechtsgutachten vom 15. Februar 1956 eingereicht und dessen Ausführungen zum Gegenstand ihres Revisionsvorbringens gemacht.
D vertritt darin die Auffassung, § 99 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) könne auf Grund der Fortentwicklung des Begriffs des Beschäftigungsverhältnisses und aus Reflexwirkungen zwischen Arbeitsrecht und Sozialrecht in einem für die Streikenden günstigen Sinne ausgelegt werden. Das Reichsversicherungsamt (RVA) sei bei der Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses zutreffend vom Tatsächlichen ausgegangen. Konstruktive Schwierigkeiten hätten sich aber schon ergeben, als es bei gewissen Unterbrechungen der tatsächlichen Beschäftigung - z.B. bei Krankheit und Urlaub - die Fortdauer des Beschäftigungsverhältnisses angenommen habe. Denn da das RVA. unverrückbar am Grundsatz der Arbeitsbereitschaft des Arbeitnehmers und der Verfügungsmacht des Arbeitgebers über dessen Arbeitskraft festgehalten habe, sei das Fortbestehen dieser Grundpfeiler einfach fingiert worden, obwohl sie in Wirklichkeit nicht einmal teilweise vorhanden seien.
Dersch versucht deshalb in seinem Gutachten eine Konstruktion zu finden, um der an sich zutreffenden Beurteilung, "daß die Beschäftigung im Sinne des Beschäftigungsverhältnisses nicht unbedingt gleichbedeutend mit wirklicher Arbeitsleistung sei", gerecht zu werden. Er sieht sie darin, "daß das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis ein echtes Rechtsverhältnis ist, das nicht auf zivilrechtlichem Vertrag, sondern auf tatsächlicher Grundlage beruht und durch zweiseitige, nicht rechtsgeschäftliche, sondern rein tatsächliche Willensübereinstimmung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer begründet wird". Damit müsse man ein "zeitweises Ruhen des Beschäftigungsverhältnisses anerkennen, während dessen Dauer das Beschäftigungsverhältnis selbst nicht abgebrochen ist, aber gewisse sonst normale Funktionen des Beschäftigungsverhältnisses, nämlich die tatsächliche Ausübung der Arbeit, vorübergehend ruhen".
Bei einem Streik sei deshalb der beiderseitige tatsächliche Wille, nämlich beim Arbeitnehmer der Wille zur tatsächlichen Arbeitsleistung und beim Arbeitgeber der Wille zur Ausübung der Verfügungsmacht über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers und die Möglichkeit zu seiner Verwirklichung nicht abgebrochen, sondern nur suspendiert. Daraus ergebe sich sozialversicherungsrechtlich die Fortdauer des Beschäftigungsverhältnisses. Seine Auffassung begründet er weiter noch mit arbeitsrechtlichen Reflexwirkungen.
Die Beklagte hat beantragt, die Revision zurückzuweisen, sie hat die Richtigkeit dieser Konstruktion bestritten, da ein Rechtsverhältnis nur durch Vertrag oder Gesetz entstehen könne. Der Wille der Beteiligten sei unerheblich. Bei Nichtleistung der Arbeit dauere das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis nur fort, wenn Dienstbereitschaft und Verfügungsmacht fortbeständen. Der Begriff der versicherungspflichtigen Beschäftigung könne in den §§ 95, 99 und 105 AVAVG nur einheitlich behandelt werden. Im übrigen bezieht sie sich auf die früheren Entscheidungen des erkennenden Senats.
In einem späteren Schriftsatz hat die Klägerin darauf hingewiesen, daß die Abmeldung bei der Krankenkasse durch den Arbeitgeber nach § 317 Abs. 2 RVO unterbleiben könne, wenn die Arbeit für kürzere Zeit als eine Woche unterbrochen werde und die Beiträge fortgezahlt würden. Darin komme "ein allgemeiner Rechtsgedanke zum Durchbruch." Innerhalb dieser einwöchigen "Überlegungsfrist" müsse das Versicherungsverhältnis als fortbestehend angesehen werden.
IV. Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, weil das Landessozialgericht sie zugelassen hat. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden und deshalb zulässig.
Auch die Berufung war statthaft und zulässig. Ihrer besonderen Zulassung hätte es nicht bedurft. Streitig war und ist ein Anspruch auf Alu nach § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG in der Fassung des Gesetzes vom 24. August 1953 (BGBl. I S. 1022), demnach, wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (BSG. 1 S. 129), ein einheitlicher Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für mehr als 13 Wochen. Der Klägerin war Alu für 26 Wochen bewilligt worden. Würde die Unterbrechung der Beschäftigung durch den Streik verneint, so hätte sie eine ununterbrochene versicherungspflichtige Beschäftigung von mehr als 260 Wochen nachweisen können und demgemäß Anspruch auf Alu für 52 Wochen gehabt.
V. In seinen Urteilen vom 30. August 1955 und 27. Januar 1956 (BSG. 1 S. 115; 2 S. 171) hat der erkennende Senat entschieden, daß Teilnahme am Streik die versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG a.F. jedenfalls dann unterbricht, wenn die Dauer des Streiks nicht absehbar ist. Das RVA. habe zwar, um den Versicherungsschutz dem Versicherten möglichst weitgehend zu gewährleisten, in seiner Rechtsprechung Unterbrechungen des Beschäftigungsverhältnisses als unschädlich erklärt, falls das Ende der Unterbrechung voraussehbar ist, die Beteiligten den Willen haben, das Beschäftigungsverhältnis nach Wegfall der Unterbrechung fortzusetzen, der Arbeitnehmer grundsätzlich dienstbereit ist und der Arbeitgeber grundsätzlich die Verfügungsmacht über dessen Arbeitskraft behält; nicht als unabdingbares Erfordernis habe es bezeichnet, daß während der Zeit der Unterbrechung Entgelt gezahlt wird, wohl aber, daß vor oder nach der Unterbrechung Lohnzahlungen erfolgen, aus denen die Versicherungsbeiträge geleistet werden können. Da aber bei Streik weder eine wirkliche Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers noch die Verfügungsmacht des Arbeitgebers besteht, kann, wie der Senat in den oben genannten Urteilen entschieden hat, bei Teilnahme an einem Streik von einer tatsächlich fortdauernden Beschäftigung nicht mehr gesprochen werden.
Auch nach erneuter Überprüfung der hiermit zusammenhängenden Rechtsfragen konnte sich der Senat der Auffassung Ds nicht anschließen.
Dersch hat sich schon früher wiederholt mit den Beziehungen zwischen Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnis befaßt (vgl. Arbeitsrechtspraxis 1930 S. 142; ferner Zentralblatt für Reichsversicherung und Reichsversorgung 1935 S. 387). Hier hat en das Beschäftigungsverhältnis der Sozialversicherung bereits dahin erläutert: "Das Beschäftigungsverhältnis ist ... zwar kein Arbeitsvertrag, aber ein Rechtsverhältnis, das durch übereinstimmende, nichtrechtsgeschäftliche, tatsächliche Willenserklärungen von Unternehmer und Beschäftigten über die Leistung abhängiger Arbeit zustande kommt. Das Beschäftigungsverhältnis hat die Verfügungsmacht des Unternehmers auf die Arbeitskraft des Beschäftigten zum Ziel und zur Voraussetzung" (vgl. weiter: Die Arbeiterversorgung 1938 S. 505 (506); Schriften der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft, Wilhelmshaven-Rüstersiel, "Gegenwartsfragen sozialer Versicherung" S. 33 ff. (38) sowie Recht der Arbeit 1950 S. 321 ff. (322)). In den letzten beiden Veröffentlichungen hat er die Auffassung vertreten, das Beschäftigungsverhältnis könne trotz vorübergehender Nichtausführung der Arbeit in einem ruhenden Zustand fortbestehen, ohne dadurch abgebrochen zu werden, solange für eine verhältnismäßig nicht allzu lange Dauer die Verfügungsmacht des Arbeitgebers nur gehemmt sei und grundsätzlich Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers vorliege. Bei Streik und infolgedessen vorgenommener Abmeldung des Arbeitnehmers von der Krankenkasse sei dagegen das Beschäftigungsverhältnis unterbrochen. Dies gelte, weil die Arbeitsbereitschaft fehle, obwohl durch Streik an sich der Arbeitsvertrag erst gehemmt werde.
D Gutachten für den Deutschen Gewerkschaftsbund hält also grundsätzlich seine frühere Meinung aufrecht, ist aber vom Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG.) vom 28. Januar 1955 (BAG. 1 S. 291 ff.) insofern beeinflußt worden, als er bei Teilnahme an einem Streik nicht mehr eine Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses annimmt.
Wenn er davon ausgeht, das Beschäftigungsverhältnis werde durch zweiseitige rein tatsächliche Willensübereinstimmung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer begründet, so brauchte sich der Senat nicht mit der Frage zu befassen, ob diese Auffassung zutrifft. Für die Entscheidung maßgebend ist hier, ob die versicherungspflichtige Beschäftigung durch Streik unterbrochen wird oder ob sie nur ruht und dadurch, wie Dersch annimmt, der beiderseitige tatsächliche Wille nur "suspendiert" wird.
In der jahrzehntelangen Rechtsprechung des RVA. ist immer als unabdingbar bezeichnet worden, daß bei zeitweiser Nichtleistung von Arbeit jedenfalls die Verfügungsmacht des Arbeitgebers über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers und die Arbeitsbereitschaft des Arbeitnehmers grundsätzlich fortbestehen müßten, wenn sie auch - je nach Lage des Falles - eingeschränkt oder sogar gehemmt seien. Ihr Fortbestand ist beim Streik verneint worden (vgl. Grunds. Entsch. Nr. 2799, AN. 1923 S.273). Zu dem gleichen Ergebnis aber müssen auch Derschs eigene Darlegungen führen. Wenn er das Beschäftigungsverhältnis von der "rein tatsächlichen Willensübereinstimmung" des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers abhängig macht, so kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese beiderseitige Willensübereinstimmung während des Streiks nicht mehr vorhanden ist. Der "tatsächliche" Wille ist nicht nur suspendiert. Der Streik ist, wie im Beschluß des Großen Senats des BAG. eingehend dargelegt ist, eine Kampfmaßnahme. Durch Stillegung der Produktion und die damit verbundenen Nachteile wollen die Arbeitnehmer den Arbeitgeber zwingen, ihre Forderungen zu erfüllen. Sie wollen zu den bisherigen Arbeitsbedingungen nicht mehr arbeiten. Daß in einem solchen Falle von der Arbeitsbereitschaft des Arbeitnehmers nicht mehr gesprochen werden kann, ist so zweifelsfrei, daß es dazu weiterer Erörterungen nicht mehr bedarf. Deshalb kann während der Arbeitsniederlegung der Arbeitgeber über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers nicht mehr verfügen und diesem keine Weisungen erteilen. Die tragenden Pfeiler des Beschäftigungsverhältnisses sind demnach weggefallen.
VI. Dersch meint weiter, auch die neue Entwicklung des Arbeitsrechts und der Sozialversicherung im Verhältnis zueinander und insbesondere die fortgeschrittene Entwicklung der arbeitsrechtlichen Betrachtungen des Streiks durch den Beschluß des Großen Senats des BAG. und ihre ausstrahlenden Wirkungen auf die Sozialversicherung müßten zu einer anderen Auffassung führen, als sie der erkennende Senat bisher vertreten habe. Auch diese Auffassung trifft nicht zu.
Bedenklich ist schon der Ausgangspunkt, Sozialversicherung und Arbeitsrecht seien Schwestergebiete, "die beide von Hause aus im Kernpunkt den Schutz des abhängigen Arbeitsverhältnisses bezwecken und nur auf verschiedenen Wegen diesem Ziel zustreben". Es handelt sich vielmehr um das der freien Vereinbarung der Beteiligten unterliegende privatrechtliche Arbeitsverhältnis und das der Einwirkung der Beteiligten weithin entzogene öffentlich-rechtliche Beschäftigungsverhältnis. Wenn man hier klar sehen will, muß vom Arbeitsvertrag, nicht vom tatsächlichen Arbeitsverhältnis, ausgegangen werden. Der Arbeitsvertrag bezweckt nicht allein den Schutz des abhängigen Arbeitsverhältnisses, sondern er grenzt die gegenseitigen Rechte und Pflichten ab und schützt damit die Interessen beider Teile. Aus der tatsächlichen Beschäftigung gegen Entgelt ergeben sich gemäß § 165 RVO der Versicherungszwang und die Zwangsversicherung und damit der Versicherungsschutz des Beschäftigten.
Der Senat vermag sich auch nicht der Folgerung anzuschließen, die Dersch aus dem Beschluß des Großen Senats des BAG, zieht. Dieser hatte sich mit der Frage zu befassen, wie die Arbeitsniederlegung einer Gruppe auf Grund der Ausrufung eines legitimen Streiks durch die Gewerkschaft zu beurteilen ist. Er ist zu dem Schluß gekommen, daß die streikweise Arbeitsniederlegung nicht individuell-rechtlich, sondern im kollektiven Zusammenhang zu sehen ist und nicht einen Vertragsbruch des einzelnen Arbeitnehmers darstellt. Daraus, daß insoweit arbeitsrechtlich kein widerrechtliches Verhalten anzunehmen ist, kann aber nicht, wie Dersch meint, unter dem Gesichtspunkt der Reflexwirkung gefolgert werden, daß durch die individuelle Arbeitsniederlegung das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis nicht unterbrochen werde. Denn diese Frage kann nur nach den Grundsätzen der Sozialversicherung entschieden werden, nämlich unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen und berechtigten Fortdauer des bereits erwähnten Versicherungsschutzes. Dafür ist aber kein Raum mehr, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr arbeitsbereit sein will und dadurch die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers nicht nur hemmt, sondern ausschaltet. Damit ist aber das Beschäftigungsverhältnis unterbrochen, so daß nach dem klaren Wortlaut des § 99 Abs. 1 Satz 3 a.a.O. als Folge die Verkürzung der Unterstützungsdauer eintreten muß.
Wenn Dersch daraus den Schluß zieht, dies würde im Endergebnis bedeuten, daß nach Art einer rechtswidrigen Handlung nachteilige Rechtsfolgen aus einem nicht gesetzwidrigen Streik in unzulässiger Weise zu Ungunsten der streikenden Arbeitnehmer gezogen würden, so ist dies jedenfalls kein Rechtsschluß. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat, bezweckt die besondere Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 3 a.a.O. eine Belohnung der pausenlosen Beitragszahler. Tritt eine Pause ein, durch die das Beschäftigungsverhältnis unterbrochen wird, dann verbietet § 99 diese Belohnung, auch wenn den Beschäftigten ein Verschulden nicht trifft. Deshalb hat der Senat schon in einem anderen Urteil vom 30. August 1955 (BSG. 1 S. 126) als maßgebend den Grundsatz aufgestellt, daß die versicherungspflichtige Beschäftigung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 3 a.a.O. zwar auch bei verschiedenen Arbeitgebern nacheinander zurückgelegt sein könne, die Beschäftigungen jedoch grundsätzlich kalendermäßig aneinander anschließen müssen. Als unschädlich hat er einen dazwischen liegenden Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder betriebsüblichen arbeitsfreien Sonnabend (Samstag) erklärt, aber weiter entschieden, daß eine Unterbrechung in aller Regel auch eintritt, wenn der Arbeitnehmer eine Lücke zwischen den Beschäftigungen nicht verschuldet hat. Von einer "Bestrafung" des Arbeitnehmers kann deshalb nicht gesprochen werden, sondern nur davon, daß sich eine klare gesetzliche Vorschrift im Einzelfalle für den Arbeitnehmer auch ungünstig auswirken kann, dies aber offensichtlich vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist. Deshalb hat der Senat in den früheren Entscheidungen die Auffassung vertreten, daß hier nicht im Wege der Auslegung, sondern nur durch Gesetzesänderung geholfen werden könne (ebenso insbesondere Bulla, AP 1956 H6 Bl. 261 zu § 99 AVAVG in der Besprechung des Streik-Urteils vom 30.8.1955).
Im übrigen hat sich Dersch in seinem Gutachten nicht zu der vom Senat in seinen beiden Streik-Urteilen angedeuteten Frage geäußert, wer die Sozialversicherungsbeiträge für die streikenden Arbeitnehmer zahlen solle, wenn die Beschäftigung als fortbestehend angenommen worden wäre. Denn sein Gutachten ist nicht ausdrücklich auf einen kurzfristigen Streik abgestellt, sondern auf den Streik allgemein.
An den für den Streik von nicht absehbarer Dauer aufgestellten Grundsätzen hält der Senat fest und nimmt ausdrücklich Bezug auf die Begründung der bereits erwähnten Urteile.
VII. Zu entscheiden hatte er im vorliegenden Fall nunmehr die in den früheren Urteilen offen gelassene Frage, ob diese Grundsätze auch dann anzuwenden sind, wenn es sich nur um eine kurzfristige Arbeitsniederlegung handelt. Der Senat hat dies nach eingehender Überprüfung seiner bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich bejaht. Dabei muß aber nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß die Dauer des Streiks als solche überhaupt nicht das allein ausschlaggebende Merkmal ist, sondern entscheidend ist, daß ein Streik in der Regel infolge fehlender Arbeitsbereitschaft des Streikteilnehmers zur Aufhebung der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers und damit zur Auflösung des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses führt. Wenn der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, daß sich jede Theorie im Interesse ihrer gerechten Durchführung Ausnahmen gefallen lassen müsse, so kann dies jedenfalls dann nicht gelten, wenn die eben dargelegten Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Es kann insoweit auch nicht allein davon ausgegangen werden, daß bei einem kurzfristigen Streik sich die beiden Partner noch nicht so "auseinandergelebt" haben wie bei einem langfristigen, da die Art, wie der Streik durchgeführt wird, nicht von der Dauer der Arbeitsniederlegung abzuhängen braucht. Es würde auch kein einleuchtender Grund dafür gegeben sein, etwa zu entscheiden, daß gerade ein Streik bis zu sieben Tagen das Beschäftigungsverhältnis nicht unterbreche, da dies dann eine ungleichmäßige Behandlung und damit willkürliche Schlechterstellung der Arbeitnehmer bedeuten würde, die acht oder wenig mehr Tage streiken. Das aber würde, da sich dies aus einer überzeugenden Erwägung nicht herleiten ließe, einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes bedeuten.
Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß auch das RVA. (AN 1923 S. 273) schon bei einem Streik von "nur kurzer Zeit" das Beschäftigungsverhältnis als beendet angesehen hat, ohne daß dies allerdings jetzt für den erkennenden Senat maßgebend gewesen wäre.
An den obenerwähnten Erlaß des Präsidenten der beklagten Bundesanstalt vom 26.Mai 1954 - IIa 2 7101/7311 - (Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt 1954 S. 396) in seiner Nr. 2 b ist das Gericht nicht gebunden, abgesehen davon, daß dieser von einem wesentlich anderen Sachverhalt ausgeht und die Entscheidung im Rechtszuge ausdrücklich vorbehält.
VIII. Die Klägerin hat weiter auf § 317 Abs. 2 RVO hingewiesen, wonach die Abmeldung des Arbeitnehmers bei der Krankenkasse unterbleiben kann, "wenn die Arbeit für kürzere Zeit als eine Woche unterbrochen wird und die Beiträge fortgezahlt werden". Sie will daraus einen allgemeinen Rechtsgedanken des Inhalts entnehmen, daß während dieser einwöchigen "Überlegungsfrist" die versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 3 a.a.O. fortbesteht. Dieser Auffassung konnte der Senat nicht folgen. § 317 RVO stellt eine Ordnungsvorschrift dar. Durch sie wird der Arbeitgeber verpflichtet, jeden von ihm Beschäftigten bei der Krankenkasse binnen drei Tagen nach Beginn und Ende der Beschäftigung zu melden. Auch Änderungen des Beschäftigungsverhältnisses, welche die Versicherungspflicht berühren, hat er binnen drei Tagen zu melden. Nur in dem Ausnahmefall des zuvor erwähnten Abs. 2 darf die Meldung unterbleiben. Durch diese Vorschriften soll die Durchführung der Krankenversicherung - über § 69 AVAVG a.F. auch die der Versicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit - gesichert werden. Diese Ordnungsvorschrift kann aber nicht einen allgemeinen Rechtsgedanken enthalten, sondern ist lediglich auf die praktische, möglichst einfache Gestaltung der Meldevorschriften abgestellt. Die Unterlassung der Abmeldung bei der Krankenkasse ist also allein kein Beweis für die Fortdauer der Beschäftigung bei Teilnahme an einem kurzfristigen Streik. Zutreffend hat auch schon das RVA. entschieden, daß An- und Abmeldung keine rechtsbegründende Wirkung haben (vgl. EuM. Bd. 8 S. 72).
IX. Aus diesen Erwägungen muß die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 926344 |
BSGE, 79 |