Leitsatz (redaktionell)

Durch Fahrlässigkeit eines Dritten wird die Rechtserheblichkeit des Gefahrenbereichs nicht ohne weiteres ausgeschlossen; ein gewisses Maß an zivil- oder strafrechtlicher Schuld des Dritten an dem von ihm mitverursachten Vorgang reicht nicht aus, um den Tatbestand des BVG § 5 Abs 1 Buchst e zu verneinen.

 

Normenkette

BVG § 5 Abs. 1 Buchst. e Fassung: 1953-08-07

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 7. Februar 1963 und des Sozialgerichts Hannover vom 13. September 1961 sowie die Bescheide der Beklagten vom 15. Juli 1959, 27. Oktober 1959 und 25. November 1959 aufgehoben.

Der Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, die Gesundheitsstörungen, die der Kläger durch die Explosion vom 6. Oktober 1945 erlitten hat, als Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes anzuerkennen und dem Kläger hierwegen ab 1. Juni 1960 Versorgung zu gewähren.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten sämtlicher Rechtszüge zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger erlitt 1945 als 7 1/2-jähriger Junge durch einen Sprengkörper eine schwere Schädelverletzung mit Verlust des rechten Auges. Versorgungsansprüche nach § 5 Abs. 1 Buchst. e des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) wurden mit Bescheid vom 15. Juli 1959 abgelehnt und Leistungen im Wege des Härteausgleichs versagt. Durch weiteren Bescheid vom 27. Oktober 1959 wurde dieser Bescheid, soweit über den Härteausgleich entschieden worden war, aufgehoben. Das Versorgungsamt berief sich außerdem auf die Versäumung der Anmeldefrist. Widerspruch (Bescheid vom 25. November 1959) und Klage (Urt. des Sozialgerichts - SG - vom 13. September 1961) blieben erfolglos. Die Berufung des Klägers wurde durch Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 7. Februar 1963 zurückgewiesen. Der Kläger habe die Frist des § 56 BVG nicht eingehalten. Die Voraussetzungen des § 57 BVG seien nicht erfüllt, da sich die Beschwerden nicht verschlechtert hätten und der Kläger den Antrag nicht binnen sechs Monaten nach seiner Übersiedlung in das Bundesgebiet (10.9.1957) gestellt habe. Für die Zeit ab 1. Juni 1960 sei der Versorgungsanspruch nicht begründet. Das LSG stellte fest, daß der Arbeiter J (J.) am 6. Oktober 1945 auf dem Gut P einen Sprengkörper, wahrscheinlich eine liegengebliebene russische Panzergranate, aufgefunden habe, diesen aufgenommen und daran mit einer Feile hantiert habe, um den herumstehenden Kindern, zu denen auch der Kläger gehörte, den Sprengkörper zu demonstrieren. Die Behauptung, die Explosion sei beim Verladen von Munition durch russische Soldaten eingetreten, sei nicht erwiesen. Für die Beurteilung des Unfalls als Versorgungstatbestand im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG kämen einerseits der kriegseigentümliche Gefahrenbereich, der durch das Herumliegen des Sprengkörpers bedingt war, andererseits das Hantieren des J. an ihm in Betracht; schließlich auch die Tatsache, daß der Kläger sich nicht aus dem Gefahrenbereich entfernt hatte. Der letztgenannte Umstand müsse allerdings von vornherein als Ursache zurücktreten, weil das Verhalten des damals 7 1/2-jährigen Klägers im Hinblick auf Alter und geistige Entwicklung nicht als rechtserheblich angesehen werden könne. Es entspreche der Lebenserfahrung, daß ein 7 1/2-jähriges Kind die Gefahr, die das Hantieren an einem Sprengkörper auch für Umstehende birgt, nicht zu erkennen vermöge. Entscheidend sei daher, ob das Herumliegen des Sprengkörpers und das Hantieren daran durch J. die wesentlichen Ursachen für die Verletzung des Klägers gebildet haben. Die Gefährlichkeit eines Sprengkörpers, der im letzten Weltkrieg für militärische Zwecke bestimmt war, könne nach der vom LSG gebilligten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht mehr als "kriegseigentümlich" angesehen werden, wenn außerhalb des Kampfgeschehens eine verantwortliche Person einen solchen Sprengkörper an sich bringe und an ihm in Kenntnis seiner Gefährlichkeit hantiere. Das sei hier der Fall. J. sei zur Zeit des Unfalles über 30 Jahre alt und ehemaliger Soldat gewesen. Man dürfe davon ausgehen, daß ihm als früherem Angehörigen einer Infanterieeinheit Sprengkörper dieser Art, gleichgültig ob es sich um eine Panzergranate oder um eine Mine handelte, bekannt waren und daß er auch die Gefährlichkeit des Hantierens mit einem solchen Sprengkörper erkannt habe. Dafür spreche vor allem die eidesstattliche Versicherung des Zeugen ..., die dieser im August 1960 dem SG gegenüber abgegeben habe. Hiernach sei der Senat davon überzeugt, daß die Explosion sich nur deshalb ereignet habe, weil J. in außerordentlich leichtsinniger Weise mit dem Sprengkörper umgegangen sei, insbesondere, ihn mit einer Feile bearbeitet habe. Die gesamten Umstände sprächen dafür, daß J. die Gefahr erkannt und die Explosion in Kauf genommen habe. Sein Verhalten überrage den durch das Herumliegen des Sprengkörpers begründeten kriegseigentümlichen Gefahrenbereich derart an Bedeutung, daß es allein die wesentliche Bedingung für die Explosion und die Verletzung des Klägers darstelle.

Mit der nicht zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung der Sachaufklärungspflicht und Verstöße gegen § 128 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -. Den Bekundungen des Zeugen L sei eine zu große Bedeutung beigemessen worden. Aus seiner Darstellung müsse gefolgert werden, daß er in den Handlungen des J. keine Gefahr gesehen habe; denn er habe nichts getan, um die mehreren Jungen in einen ausreichend sicheren Abstand von J. zu bringen oder J. von seinem Tun abzuhalten. Diese Schlußfolgerung sei von den Vorinstanzen nicht gezogen worden. Wenn schon L keinerlei Gefahren befürchtet habe, so könne dem Kläger das Verhalten des J. nicht zugerechnet werden. Es stehe nicht einmal fest, daß J. den von ihm gefundenen Gegenstand als Sprengkörper erkannt habe. Dagegen spreche, daß kein erwachsener Mensch ohne Grund sich wie ein Selbstmörder verhalte; erst recht könne nicht davon ausgegangen werden, daß ein Erwachsener Kinder absichtlich in Lebensgefahr bringe. Man müsse daher entgegen der Ansicht der Instanzgerichte zu dem Ergebnis kommen, daß J. die Gefährlichkeit des von ihm gefundenen Gegenstandes nicht erkannt habe. Es könne auch nicht angenommen werden, daß J. bei Anwendung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt die Gefährlichkeit des Gegenstandes erkennen mußte. Dazu bedürfte es einer heute nicht mehr möglichen Aufklärung, welcher Art der Gegenstand gewesen sei. Die im letzten Krieg zum Einsatz gelangten vielen Arten von Sprengkörpern wiesen sehr verschiedene Gefahrenstufen einer Explosionsgefährdung auf. Wenn sich die Art des Sprengkörpers und auch dessen Gefährlichkeit nicht aufklären lasse, müsse zugunsten des Klägers davon ausgegangen werden, daß J. die Gefährlichkeit nicht erkannt hat. Es stehe ferner nicht fest, ob die angebliche Warnung des Russen von J. als solche verstanden wurde. - In rechtlicher Hinsicht müsse bei einer absichtlich herbeigeführten Schädigung auf das Verhalten des Beschädigten - und nicht des J. - abgestellt werden. Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG abzuändern und entsprechend den Schlußanträgen des Klägers in der Berufungsinstanz zu erkennen. Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise sie als unbegründet zurückzuweisen. Verfahrensmängel nach den §§ 103 und 128 SGG seien nicht ersichtlich.

Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Die nicht vom Kläger, sondern von G D unterzeichnete Vollmacht auf den Prozeßbevollmächtigten des Klägers ist mit Rücksicht auf die vom Kläger im Berufungsverfahren erteilte allgemeine Vollmacht auf D vom 7. Februar 1963 nicht zu beanstanden. Die Revision ist auch statthaft, da der Kläger einen wesentlichen Verfahrensmangel gerügt hat, der vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG).

Zutreffend rügt die Revision, die Bekundungen des Zeugen L seien nicht zutreffend gewürdigt worden. Das Tatsachengericht hätte aus dessen Verhalten und aus der Erwägung, daß ein erwachsener Mensch sich nicht ohne Grund wie ein Selbstmörder verhalte und kleine Kinder nicht absichtlich in Lebensgefahr bringe, schließen müssen, daß J. den von ihm gefundenen Gegenstand nicht als Sprengkörper erkannt habe. Angesichts der heute nicht mehr aufzuklärenden Ungewißheit über die Art des Gegenstandes sei auch die Feststellung nicht möglich, daß J. bei Anwendung der zu erwartenden Sorgfalt dessen Gefährlichkeit erkennen mußte.

Damit hat die Revision in noch ausreichender Form eine Verletzung des § 128 SGG gerügt. Bei Prüfung der Frage, ob das Verfahren des LSG an einem wesentlichen Mangel leidet, ist von dessen sachlich-rechtlichem Standpunkt auszugehen (BSG 2, 87). Das LSG hat den Anspruch des Klägers verneint, weil die durch den Sprengkörper bedingte Gefahr ihre Kriegseigentümlichkeit dadurch verloren habe, daß J. an ihm in Kenntnis seiner Gefährlichkeit hantiert habe. Es hat angenommen, daß J. als früherem Angehörigen einer Infanterieeinheit "Sprengkörper dieser Art" bekannt gewesen seien und daß er auch die Gefährlichkeit des Hantierens mit einem solchen Sprengkörper erkannt habe. Dadurch, daß er ihn in außerordentlich leichtsinniger Weise mit einer Feile bearbeitet habe, habe er die wesentliche Bedingung für die Explosion und die Verletzung geschaffen. Die hiernach für die Entscheidung des LSG wesentliche Feststellung, J. sei der Sprengkörper bekannt gewesen, er habe die Explosionsgefahr erkannt und die Explosion in Kauf genommen, ist nicht in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise und demnach unter Verstoß gegen § 128 SGG zustande gekommen.

Das LSG hat nicht festzustellen vermocht, um welche Art von Sprengkörper es sich gehandelt hat. Es spricht einmal von einem Sprengkörper, wahrscheinlich einer russischen Panzergranate, und läßt es an anderer Stelle offen, ob es eine "Panzergranate oder eine Mine" gewesen ist. Wenn das LSG die Feststellung treffen wollte, daß J. ein Sprengkörper dieser Art bekannt gewesen sei, so hätte es dartun müssen, weshalb J. in dem gefundenen Gegenstand einen gefährlichen Sprengkörper erkennen mußte, etwa weil seine Form oder sein Aussehen auf einen ihm bekannten Sprengkörper eindeutig schließen ließ. Hierzu hat das LSG aber nichts festgestellt. Seine allgemeine Bezugnahme auf die Bekundung des Zeugen L vom August 1960 kann diese fehlende Feststellung nicht ersetzen. Aus den Angaben dieses Zeugen ergab sich zwar, daß J. "einen Sprengkörper gefunden" hatte und daß er den um ihn stehenden Jungen zeigen wollte, was darin enthalten war. Da nähere Angaben über die Erkennbarkeit der Gefahr des Gegenstandes fehlen, muß angenommen werden, daß L den Ausdruck Sprengkörper im wesentlichen nur verwendet hat, weil er sich später durch die Explosion als ein solcher erwiesen hat. Nur so ist es auch erklärlich, daß nähere Angaben über die Art des Sprengkörpers fehlen; hier heißt es nur, es habe sich um einen Gegenstand gehandelt, der ungefähr so groß wie eine Männerfaust, an einem Ende flach und nach oben hin zugespitzt gewesen sei. Da der Körper somit weder granaten- noch minenähnlich war, läßt das Urteil des LSG nicht hinreichend erkennen, inwiefern der Gegenstand wegen seiner Form in dem vom LSG angenommenen Sinne verdächtig war und woran der nach der Explosion verstorbene J. ihn als Sprengkörper erkennen mußte. Bereits hierin liegt ein Verstoß gegen § 128 SGG. Andererseits sind aber auch, wie die Revision zutreffend vorträgt, Umstände ersichtlich, die zwingend gegen die Annahme sprechen, J. habe die Gefährlichkeit des Sprengkörpers erkannt und die Explosion in Kauf genommen. Wäre sich J. über die Gefahr im klaren gewesen, so hätte er nach der Lebenserfahrung nicht mehrere Jungen um sich herumstehen lassen und ihnen gesagt, jetzt kämen Spielsachen vom Weihnachtsmann zum Vorschein. Er hätte auch nicht mit der Feile daran hantiert, und zwar, wie der Zeuge L bekundete, etwa zehn Minuten lang. Wäre ihm die Gefahr bewußt gewesen, so hätte er sich absichtlich während dieser verhältnismäßig langen Zeit einer sicheren Todesgefahr ausgesetzt. Ein solches Verhalten könnte nur dann als einigermaßen der Lebenserfahrung entsprechend angenommen werden, wenn J. sich selbst hätte töten oder schwer verletzen wollen. Eine solche Absicht hat das LSG nicht festgestellt. Die vom LSG gezogene Schlußfolgerung wäre vielleicht noch gerechtfertigt gewesen, wenn J. aus gehörigem Abstand oder durch Einhaltung eines Mindestmaßes an Vorsicht auf den Gegenstand eingewirkt hätte oder wenn in anderer Weise seine Erwartung, es könne eine Explosion auftreten, zum Ausdruck gekommen wäre. An solchen Anhaltspunkten fehlt es. Somit wird die Feststellung des LSG, J. habe die Gefährlichkeit des Sprengkörpers gekannt und die Explosion in Kauf genommen, durch die von ihm ermittelten tatsächlichen Umstände nicht ausreichend gestützt; sie ist deshalb unter Verletzung des § 128 SGG zustande gekommen. Damit ist auch der Feststellung, J. habe sich außerordentlich leichtsinnig verhalten, die Grundlage entzogen.

Dieser Verfahrensverstoß macht die Revision statthaft; sie ist auch begründet, da nicht auszuschließen ist, daß das LSG bei verfahrensrechtlich einwandfreier Würdigung des gesamten Verfahrensergebnisses zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Daher waren das angefochtene Urteil und seine Feststellungen, soweit sie mit Erfolg beanstandet wurden, aufzuheben.

Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden, da die übrigen tatsächlichen Feststellungen des LSG ausreichen, um über den Anspruch des Klägers eine Entscheidung zu treffen und eine weitere Sachaufklärung nicht in Betracht kommt. Nachdem die Feststellungen des LSG über das Fehlen der Voraussetzungen des § 57 BVG von der Revision nicht angegriffen und daher für das BSG bindend sind (§ 163 SGG), war nur zu prüfen, ob der Anspruch des Klägers vom Zeitpunkt des Wegfalls der Fristvorschriften der §§ 56, 57 BVG an, d. h. ab 1. Juni 1960, begründet ist. Dies war zu bejahen.

Nach § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG gelten als unmittelbare Kriegseinwirkungen i. S. des § 1 Abs. 2 Buchst. a BVG nachträgliche Auswirkungen kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben. Das LSG hat zutreffend das Verhalten des 7 1/2-jährigen Klägers, der noch der Lebenserfahrung die besonderen Gefahren, die das hantieren mit einem Sprengkörper mit sich bringt, nicht zu erkennen vermag, als rechtsunerheblich ausgeschieden. Es hat ferner in dem Herumliegen des Sprengkörpers zutreffend einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich i. S. dieser Vorschrift erblickt (vgl. BSG in SozR BVG § 5 Ca 1 Nr. 1), diese Gefahr aber deshalb nicht als wesentliche Bedingung für die Explosion und ihre Folgen angesehen, weil J. außerhalb des Kampfgeschehens als verantwortliche Person an dem Sprengkörper in Kenntnis seiner Gefährlichkeit hantiert habe und sein Verhalten daher den kriegseigentümlichen Gefahrenbereich derart an Bedeutung überrage, daß es allein die wesentliche Bedingung für die Explosion und die Verletzung des Klägers gewesen sei. Diese letzten Erwägungen sind nicht frei von Rechtsirrtum; sie sind insbesondere nicht geeignet, den kriegseigentümlichen Gefahrenbereich als wesentliche Ursache oder Mitursache des Unfalls auszuscheiden. Nach der in der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm sind bei der Prüfung des ursächlichen Zusammenhangs als Ursachen im Rechtssinne diejenigen Einzelbedingungen zu erachten, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. BSG 1, 151). Haben mehrere Umstände (hier die kriegseigentümliche Gefahr und das Hantieren des J. an dem Sprengkörper) zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie dann rechtlich nebeneinanderstehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs annähernd gleichwertig sind. Nur wenn einem der Umstände gegenüber dem anderen eine überragende Bedeutung zukommt, ist dieser allein Ursache im Rechtssinne (BSG 1, 157). Zu Unrecht hat das LSG in dem Hantieren des J. an dem Sprengkörper einen überragenden Umstand und die alleinige Ursache der schweren Verletzung des Klägers erblickt.

Wie das BSG bereits entschieden hat, bleibt das Herumliegen eines Sprengkörpers auch dann noch ein kriegseigentümlicher Gefahrenbereich i. S. des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG, wenn zB ein Jugendlicher dessen Gefährlichkeit nicht erkennt und so mit ihm umgeht, daß er explodiert und einen anderen verletzt. Bei der Prüfung, ob der kriegseigentümliche Gefahrenbereich als Ursache - oder Mitursache - des schädigenden Ereignisses anzusehen ist, sind alle Umstände des Einzelfalls abzuwägen. Durch Fahrlässigkeit des Handelnden wird die Rechtserheblichkeit des Gefahrenbereichs nicht ohne weiteres ausgeschlossen (BSG 6, 188). Das LSG hat diese Entscheidung zwar berücksichtigt, ihren Inhalt aber nicht vollständig gewürdigt. Seine Ausführungen, daß die Gefährlichkeit eines Sprengkörpers nicht mehr als "kriegseigentümlich" angesehen werden kann, wenn außerhalb des Kampfgeschehens eine verantwortliche Person einen solchen Sprengkörper an sich bringt und an ihm in Kenntnis seiner Gefährlichkeit hantiert, stehen bis dahin im Einklang mit dieser BSG-Entscheidung; den sehr wesentlichen Schluß des Satzes: "und in der Absicht verwendet, durch seine Sprengwirkung Schaden anzurichten" hat das LSG jedoch weggelassen und nicht berücksichtigt (vgl. BSG 6, 191). Daß bei J. eine solche Absicht bestanden hätte, hat weder das LSG festgestellt, noch ist ein Anhalt dafür gegeben. Das LSG hat ferner den am Schluß der BSG-Entscheidung erörterten wesentlichen Gesichtspunkt übergangen: daß nämlich ein gewisses Maß von Schuld des Dritten an dem von ihm mitverursachten Vorgang nicht ausreicht, um den Tatbestand des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG zu verneinen (aaO 6, 192). In dem dort entschiedenen Falle hatte der Jugendliche ein granatähnliches Geschoß einige Meter in Richtung auf einen anderen geworfen, wobei es explodierte und diesen tötete; der Jugendliche war hierwegen der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden worden. Das BSG hat trotz strafrechtlicher Ahndung die Schuld des Dritten als "gering" angesehen, d. h. als ein Verhalten gewertet, das die kriegseigentümliche Gefahr des Sprengkörpers nicht beseitigt hat. Das LSG konnte sich bei gebührender Würdigung dieses Urteils zur Verneinung des Versorgungsanspruchs des Klägers nicht auf diese BSG-Entscheidung berufen. Dasselbe gilt für die weitere, vom LSG zitierte Entscheidung des BSG in SozR BVG § 5 Ca 15 Nr. 29. Denn hier ist entschieden, daß der kriegseigentümliche Gefahrenbereich bei Abwägung der Bedingungen für den Eintritt des Erfolgs im Einzelfall auch dann, wenn der Beschädigte zivil- oder strafrechtlich schuldhaft gehandelt hat, an Bedeutung derart überwiegen könne, daß allein dieser Gefahrenbereich die wesentliche Bedingung und damit die Ursache i. S. des Versorgungsrechts darstellt.

Nach diesen vom LSG nicht hinreichend beachteten Grundsätzen war im vorliegenden Fall die kriegseigentümliche Gefahr des Sprengkörpers als wesentliche Bedingung des Unfalls zu werten; das Verhalten des J. war demgegenüber nicht von so überragender Bedeutung, daß es allein als Ursache im Rechtssinne zu gelten hätte. Zwar waren die Personen, die in den beiden zitierten BSG-Entscheidungen mit Sprengkörpern hantiert hatten, jüngeren Alters (16 bzw. 14 1/2 Jahre) gewesen. Damit ist jedoch nicht zum Ausdruck gebracht worden, daß das mitwirkende Verschulden eines Erwachsenen stets genüge, um den kriegseigentümlichen Gefahrenbereich als rechtlich wesentliche Bedingung auszuschalten; vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalles abzuwägen (vgl. BSG 6, 188). Der Umstand, daß J. nach den Feststellungen des LSG damals über 30 Jahre alt und früher Soldat war, genügte somit noch nicht, um wegen seines Verhaltens bereits den Tatbestand des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG zu verneinen. Aus den festgestellten Umständen des Unfalls ergibt sich zwar die Möglichkeit eines unvorsichtigen Verhaltens, aber nicht der Nachweis eines derart schwerwiegenden Verschuldens des J., daß hierin die alleinige bzw. rechtlich wesentliche Ursache der Schädigung erblickt werden müßte. Da sich der Unfall zudem verhältnismäßig kurze Zeit nach dem Zusammenbruch, noch im Jahre 1945, ereignet hat und kein Anhalt dafür besteht, daß die Bevölkerung durch frühere vergleichbare Unfälle gewarnt worden war oder die Polizei sich zu Schutzmaßnahmen veranlaßt gesehen hätte, muß die in dem nicht eindeutig seiner Art nach festgestellten Gegenstand verborgene kriegseigentümliche Gefährlichkeit des Sprengkörpers als überragende, zumindest aber als wesentlich mitwirkende Bedingung für den Eintritt des Erfolgs gewertet werden. Sonach ist die Verletzung des Klägers durch die nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben, zumindest wesentlich mitverursacht worden, weshalb der Tatbestand des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG erfüllt ist.

Demgemäß war der Beklagte dem Grunde nach (vgl. § 130 SGG) zu verurteilen, die Gesundheitsstörungen, die der Kläger durch die Explosion vom 6. Oktober 1945 erlitten hat, als Schädigungsfolgen i. S. des § 1 BVG anzuerkennen und dem Kläger hierwegen ab 1. Juni 1960 Versorgung zu gewähren. Eine weitergehende Entscheidung konnte noch nicht getroffen Werden, da die Versorgungsbehörde zunächst die Möglichkeit erhalten muß, die durch die Explosion verursachten Gesundheitsstörungen festzustellen und hiernach das Maß der zu gewährenden Versorgung zu bestimmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325579

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