Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Gewährung der Waisenrente über das siebenundzwanzigste Lebensjahr hinaus
Normenkette
SGG § 77; VerwVG § 24; BVG § 45 Abs. 3
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Januar 1975 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Der am 17. Februar 1943 geborene Kläger ist Kriegswaise. Sein Vater, gefallen am 31. Oktober 1942, war selbständiger Bäcker und Posthalter in Brüggen-Born; seine Mutter betreibt dort seit 1947 ein Lebensmittelgeschäft. Der Kläger besuchte von 1949 bis März 1957 die Volksschule und anschließend zwei Jahre die Handelsschule. Nach deren Abschluß trat er 1959 als Angestellter in die Dienste der Finanzverwaltung. 1962 wurde er in den Vorbereitungsdienst für die mittlere Beamtenlaufbahn übernommen, 1963 zum Steuerassistenten z.A., 1964 zum Steuerassistenten und 1965 zum Steuersekretär ernannt. Am 31. Dezember 1965 schied er aus den Diensten der Finanzverwaltung aus.
Von Herbst 1963 bis Herbst 1967 besuchte der Kläger ein Abendgymnasium; am 3. Oktober 1967 wurde ihm das Reifezeugnis erteilt. Der Kläger studierte anschließend (vom Wintersemester 1967/68 an) Rechtswissenschaften; am 9. Dezember 1972 bestand er die erste juristische Staatsprüfung. Seit dem 1. März 1973 befindet er sich im juristischen Vorbereitungsdienst (Referendarzeit).
Der Kläger hatte bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Waisenrente bezogen. Diese Rente wurde ihm auf seinen Antrag vom 5. März 1966 erneut ab Antragsmonat gezahlt. Nachdem die Zahlung der Waisenrente Ende Februar 1970 wegen Vollendung des 27. Lebensjahres eingestellt worden war ("Benachrichtigung" vom 19. Januar 1970), wurde ihm vom 1. März 1970 an Waisenrente im Wege des Härteausgleichs gewährt, und zwar längstens bis zum Ende des Wintersemesters 1971/72 (Bescheid vom 10.4.1970 und 21.1.1972). Mit Teilabhilfebescheid vom 7. April 1972 wurde dem Kläger Waisenrente noch für den Monat März 1972 gewährt; eine Gewährung über diesen Zeitpunkt hinaus wurde abgelehnt, da die Förderungsdauer für das Studium einschließlich der Prüfungszeit auf 9 Semester festgesetzt worden sei.
Diese Bescheide wurden bindend.
Am 1. Februar 1973 beantragte der Kläger die Wiedergewährung der Waisenrente: Sein Studium habe er am 9. Dezember 1972 erfolgreich abgeschlossen; nunmehr beginne für ihn am 1. März 1973 - zum frühestmöglichen Zeitpunkt - ein neuer Ausbildungsabschnitt. Das Versorgungsamt lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 23. Februar 1973/Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 1973 ab. Zur Begründung ist angegeben, die Verzögerung in der Ausbildung sei im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß der Kläger vom 1. August 1959 bis 31. Dezember 1965 - also mehr als 6 Jahre - im Dienst der Finanzverwaltung gestanden habe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 11. Juli 1974 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 9. Januar 1975 das Urteil des SG aufgehoben und das beklagte Land verurteilt, dem Kläger einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, die Berufung sei zulässig, da die laufende Gewährung von Waisenrente streitig sei. Die Benachrichtigung vom 19. Januar 1970 über die Ablehnung eines Rechtsanspruchs auf Zahlung von Waisenrente stelle einen Verwaltungsakt dar; dieser sei bindend geworden. Bei dem angefochtenen Bescheid vom 23. Februar 1973 handele es sich daher um einen ablehnenden Zugunstenbescheid gemäß § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG). Dieser Verwaltungsakt sei rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Kläger habe sich vom 17. Februar 1970 an (Vollendung des 27. Lebensjahres) ununterbrochen in einer Schul- oder Berufsausbildung befunden, die seine Arbeitskraft überwiegend in Anspruch genommen habe und noch nehme. Die Schul- oder Berufsausbildung des Klägers habe sich aus einem von diesem nicht zu vertretenden Grund verzögert. Eine einengende Gesetzesauslegung werde den bildungspolitischen Zielen nicht gerecht. Der Besuch des Abendgymnasiums sei erst nach Abschluß einer Berufsausbildung und nach Vollendung des 20. Lebensjahres zugelassen werden. Zwingende Gründe, vor allem wirtschaftlicher Art, evtl. Fehlentscheidung des Erziehungsberechtigten hätten die Ausbildung des Klägers von März 1957 bis Herbst 1963 verzögert. Der Kläger sei seinerzeit dem Erziehungsrecht seiner Mutter unterworfen gewesen. Diese habe außer ihm noch seine 1941 geborene Schwester unterhalten müssen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Dieses Urteil wurde dem Beklagten am 21. Februar 1975 zugestellt, der dagegen am 19. März Revision eingelegt und diese innerhalb der bis zum 21. Mai 1975 verlängerten Revisionsbegründungsfrist begründet hat.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Januar 1975 die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
In seiner Revisionsbegründung rügt er eine Verletzung der §§ 40 Verwaltungsverfahrensgesetz (VerwVG), 45 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und trägt dazu vor, die erste - zusammenhängende - Schul- und Berufsausbildung des Klägers sei mit dem Bestehen der Steuerassistentenprüfung abgeschlossen gewesen. Mit der Aufnahme in das Abendgymnasium habe der Kläger eine zweite, nach dem angestrebten Ziel selbständige Berufsausbildung begonnen. Diese Ausbildung sei kontinuierlich verlaufen. Die Ausbildung des Klägers am Abendgymnasium habe auf keinen Fall vor Vollendung des 20. Lebensjahres und vor Abschluß der ersten Berufsausbildung beginnen können. Das LSG habe sich in erster Linie von bildungspolitischen Erwägungen leiten lassen. Diese Auffassung treffe jedoch nicht zu. Die Waisenrente nach dem BVG habe Unterhaltsersatzfunktion. Die in § 45 BVG gezogenen Altersgrenzen trügen dem Umstand Rechnung, daß auch von den Angehörigen Unterhaltsleistungen üblicherweise nicht zeitlich unbegrenzt erbracht würden. In der Gewährung eines Unterhaltszuschusses liege eine wesentliche Förderung der Referendarausbildung im zweiten Bildungsweg.
Der Kläger beantragt,
- die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen;
- den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Er trägt vor, das LSG habe die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für die verlängerte Waisenrente rechtmäßig bejaht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hätten als Verzögerungsgründe Finanzschwierigkeiten und Fehlentscheidungen des Erziehungsberechtigten vorgelegen. Hierdurch sei er unvertretbar gehindert gewesen, rechtzeitig auf das Gymnasium überzugehen und ohne Verzögerung seine Ausbildung zum Juristen anzustreben.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
II.
Die vom LSG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision (§ 160 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 SGG) ist vom Beklagten frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 des SGG); sie ist daher zulässig. Der Beklagte kann mit seinem Rechtsmittel keinen Erfolg haben.
Das LSG hat die Zulässigkeit der Berufung zu Recht bejaht. Streitig ist nicht Beginn oder Ende der Versorgung (§ 148 Nr. 4 SGG), sondern die Frage, ob dem Kläger Über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus überhaupt ein Rechtsanspruch auf die Gewährung der Waisenrente zusteht. Die Berufung betraf auch nicht "nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume", da der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses des Berufungsurteils seine Referendar zeit noch nicht beendet hatte.
Das LSG ist weiter zutreffend davon ausgegangen, daß die "Benachrichtigung" vom 19. Januar 1970 als Verwaltungsakt (Bescheid) anzusehen ist. Dieser Verwaltungsakt, in dem festgestellt wird, daß dem Kläger über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus, d.h. mit Wirkung vom 1. März 1970 an, kein Rechtsanspruch auf Waisenrente mehr zusteht, ist gemäß §§ 77 SGG, 24 VerwVG für die Beteiligten in der Sache bindend geworden. Die Bindungswirkung wird auch nicht dadurch beseitigt, daß dem Kläger anschließend Waisenrente im Wege des Härteausgleichs (§ 89 Abs. 1 BVG) bis einschließlich März 1972 gewährt worden ist. Der angefochtene Bescheid von 23. Februar 1973 über die Ablehnung eines Rechtsanspruchs ist daher ein ablehnender ("negativer") Zugunstenbescheid im Sinne des § 40 Abs. 1 VerwVG (vgl. BSG 29, 278).
Nach § 45 Abs. 3 Buchst. a BVG ist Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres ("verlängerte Waisenrente") für eine Waise zu gewähren, die sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die ihre Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nimmt und nicht mit der Zahlung von Dienstbezügen, Arbeitsentgelt oder sonstigen Zuwendungen in entsprechender Höhe verbunden ist, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Weiterhin bestimmt § 45 Abs. 3 letzter Satz: Verzögert sich die Schul- oder Berufsausbildung aus einem Grunde, den die Waise nicht zu vertreten hat, so wird die Waisenrente entsprechend dem Zeitraum der nachgewiesenen Verzögerung länger gewährt.
Der Beklagte hat durch die Wiedergewährung der Waisenrente vom März 1966 an und die spätere Weitergewährung dieser Rente anerkannt, daß sich der Kläger in Schul- oder Berufsausbildung befunden hat. Diese Ausbildung umfaßte nicht nur den Besuch des Abendgymnasiums - jedenfalls nach Beendigung der Tätigkeit beim Finanzamt, vgl. Urteil Bundessozialgericht (BSG) vom 12. Februar 1975, 12 RJ 236/74 -, sondern auch das Studium der Rechtswissenschaften und den anschließenden Vorbereitungsdienst (Referendarzeit) bis zum Abschluß der zweiten juristischen Staatsprüfung (vgl. BSG 11, 278; 17, 206; 20, 244; s. auch SozR BVG § 45 Nr. 2, RVO § 1267 Nr. 52). Der Wiedergewährung der Waisenrente stand nicht entgegen, daß der Kläger nach Beendigung seiner Schulausbildung (Volks- oder Handelsschule) zunächst in den Dienst der Finanzverwaltung eingetreten war, dort den Vorbereitungsdienst für die mittlere Beamtenlaufbahn mit Erfolg durchlaufen hatte und schließlich zum Steuersekretär ernannt worden war. "Verlängerte" Waisenrente ist grundsätzlich auch dann zu gewahren, wenn die Waise nach abgeschlossener Berufsausbildung für einen weiteren (zweiten) Beruf ausgebildet wird (vgl. BSG 23, 166 = SozR RVO § 1267 Nr. 17). Weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des Gesetzes (§ 45 Abs. 3 BVG) ist zu entnehmen, daß die Gewährung der Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres auf das erste Ausbildungsverhältnis beschränkt ist. Das Grundgesetz (GG) garantiert in Art. 2 das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. Art. 12 GG verbürgt weiterhin das Recht der freien Berufswahl. Ferner wird nach heutiger Auffassung aus dem in Art. 20 GG verankerten Rechts- und Sozialstaatsprinzip ein Rechtsanspruch auf individuelle Ausbildungsförderung abgeleitet (vgl. Bundesausbildungsförderungsgesetz vom 26.8.1971, BGBl I S. 1409 - BAföG -; s. Anmerkung von Stoll zu dem Urteil des BSG vom 17.10.1974 - 9 RV 64/74 - in SGb 1975, 176, 180; vgl. auch Rundschreiben BMA vom 10.3.1971, BVBl 1971 S. 31, insbesondere Abs. 3). Kann aber eine Weise - wie jedermann - ihren Beruf frei wählen, dann muß ihr auch das Recht zugestanden werden, einen Berufswechsel anzustreben und eine weitere Ausbildung zu durchlaufen, wenn sie nach Eintritt in das Berufsleben erkennt, daß der von dem Erziehungsberechtigten gewählte (erste) Beruf und Ausbildungsweg nicht ihren Neigungen und Fähigkeiten entspricht.
Die Auffassung des Beklagten, die zweite Ausbildung habe mit der Aufnahme in das Abendgymnasium begonnen, diese Ausbildung habe der Kläger normal durchlaufen, sie sei also nicht "verzögert" worden, kann nicht geteilt werden. Der Beklagte verkennt insoweit, daß auch der zweite Bildungsweg, wenn er erfolgreich durchlaufen werden soll, nicht nur berufliche, sondern auch schulische Vorkenntnisse (Hauptschulabschluß, Mittel-(Real-)Schulabschluß oder vergleichbare Schulausbildung) voraussetzt. Die gesamte Schul-, Hochschul- und Berufsausbildung, die schließlich zum erfolgreichen Abschluß über der zweiten Bildungsweg führt, muß deshalb als Einheit angesehen werden. Andernfalls würde eine Waise, die auf "normalem Wege" Grundschule, Gymnasium und Hochschule durchläuft und deren endgültiger Ausbildungsabschluß sich etwa durch Krankheit verzögert, in ungerechtfertigter Weise gegenüber einer Waise bevorzugt, die den für sie angemessenen Schul- und Bildungsweg infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten oder sonstiger Maßnahmen des Erziehungsberechtigten erst auf "Umwegen" und aus eigener Kraft erreicht. So liegt der Fall aber hier.
Nach den Feststellungen des LSG, die vom Beklagten nicht angegriffen und daher für des Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG), sind es gerade der Kriegstod des Vaters des Klägers und die dadurch bedingten wirtschaftlichen Schwierigkeiten seiner Mutter gewesen, - die neben dem Kläger noch eine kleine Tochter zu erziehen hatte -, die für seine erste Schul- und Berufswahl verantwortlich gewesen sind und den "normalen" Besuch des Gymnasiums im Anschluß an die Grundschule verhindert haben. Nach dem bei den Anteil befindlichen Schulabschlußzeugnis des Klägers von 27. März 1957 (zwei Fächer sehr gut, sonst überall gut, Beteiligung am Unterricht sehr gut) kann der Besuch eines Gymnasiums keinesfalls als aussichtslos angesehen werden. Seine Fähigkeiten und seinen Ausbildungswillen (s. auch § 30 Abs. 4 BVG) hat der Kläger im Rahmen des zweiten Bildungsweges unter Beweis gestellt. Wenn die Mutter des Klägers als Erziehungsberechtigte gleichwohl die wirtschaftlichen und persönlichen Schwierigkeiten als unüberwindbar angesehen und einen möglichst raschen Eintritt in das Erwerbsleben für ihren Sohn angestrebt hat, so kann die (erste) Schul- und Berufsausbildung dem Kläger nicht angelastet werden.
Eine von dem Kläger zu vertretende Verzögerung liegt auch nicht darin, daß er noch bis Ende Dezember 1965 als Beamter bei der Finanzverwaltung tätig gewesen ist. Nach den Ausbildungsrichtlinien ist die Aufnahme in ein Abendgymnasium - was der Beklagte ausdrücklich bestätigt - erst nach Abschluß einer Berufsausbildung und nach Vollendung des 20. Lebensjahres möglich gewesen. Der Kläger hat also im Herbst 1963 den frühestmöglichen Termin für den Besuch des Abendgymnasiums genutzt. Das LSG hat keine Feststellungen darüber getroffen und der Beklagte auch nichts darüber vorgetragen, daß die Schulausbildung durch die gleichzeitig (von Oktober 1963 bis Dezember 1965) ausgeübte Berufstätigkeit verlängert worden ist. Abgesehen davon, daß für den Besuch des Abendgymnasiums - jedenfalls in den ersten Ausbildungsabschnitten - regelmäßig eine Berufstätigkeit vorgeschrieben ist (vgl. BSG SozR RVO § 1267 Nr. 19), und der Kläger auf die Gehaltszahlungen zur Bestreitung seines Lebensunterhalts angewiesen war, kann ein Zeitraum von 4 Jahren vom Hauptschulabschluß mit anschließender Handelsschule bis zum Abitur keinesfalls als zu lang angesehen werden (vgl. auch BSG 38, 168, 172).
Die Gesamtausbildung des Klägers über den zweiten Bildungsweg ist also tatsächlich durch Umstände, die der Kläger nicht zu vertreten hat und die wesentlich aus dem Kriegstod seines Vaters resultierten, verzögert worden. Die frühere Entscheidung des Beklagten vom 19. Januar 1970 über die Ablehnung eines Rechtsanspruchs auf Waisenrente nach vollendetem 27. Lebensjahr erweist sich demnach aus tatsächlichen und aus Rechtsgründen als unrichtig (vgl. BSG 29, 278, 282). Der angefochtene Bescheid vom 23. Februar 1973, durch den der Erlaß eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG abgelehnt worden ist, kann daher in der vorliegenden Gestalt und mit der gegebenen Begründung (vgl. Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 1973) nicht aufrechterhalten werden. Da die Erteilung eines Zugunstenbescheides in das Ermessen der Versorgungsverwaltung gestellt ist ("kann"), und dieses Ermessen nur im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG gerichtlich nachgeprüft werden kann, hat das LSG zu Recht von einer Verurteilung zur Leistungsgewährung abgesehen und eine Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung eines neuen Bescheides unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ausgesprochen (vgl. § 54 Abs. 1 i.V.m. § 131 Abs. 3 bzw. Abs. 2 SGG).
Bei der neuen Bescheiderteilung wird der Beklagte zu beachten haben, daß die Verzögerung nicht, wie er in dem Widerspruchsbescheid zum Ausdruck gebracht hat, "mehr als 6 Jahre" - nämlich die Zeit vom 1. August 1959 bis 31. Dezember 1965 - beträgt, sondern zunächst nur die Zeit nach Beendigung der Handelsschule bis zum Beginn des Besuches des Abendgymnasiums. Hinzu kommt eine Verzögerung in der reinen Schulausbildung, die beim Kläger - ohne Verzögerung durch "Sitzenbleiben" - insgesamt 14 Jahre beträgt (Grundschule, Handelsschule, Abendgymnasium) gegenüber einer "normalen" Schulzeit von 13 Jahren (4 Jahre Grundschule, 9 Jahre Gymnasium). Dagegen erscheint es nicht angemessen, die gesamte Zeit der Handelsschule als "Verzögerung" anzusehen - so das LSG -, da auch der Besuch der Handelsschule für die weitere schulische und berufliche Ausbildung des Klägers von Wert gewesen ist. Kürzere Überbrückungszeiten, die sich notwendigerweise beim Wechsel von einem Ausbildungsabschnitt zum anderen ergeben, sind nach der Rechtsprechung nicht zu berücksichtigen und dürfen dem Berechtigten nicht angelastet werden (vgl. BSG SozR RVO § 1267 Nr. 38 und 42).
Das Urteil des LSG erweist sich daher als zutreffend; die Revision des Beklagten ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Sonnenberg
Petersen
Dr. Burdenski
Fundstellen