Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 08.11.1990) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. November 1990 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerseite auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob das im November 1988 wiedergewährte Krankengeld mit Wirkung ab 1. Januar 1989 aufgrund des § 48 Abs 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) entzogen werden durfte.
Die jetzige Klägerin ist die Ehefrau und Rechtsnachfolgerin des am 7. Februar 1991 verstorbenen Jürgen L … (J. L.). Dieser war seit 1973 ununterbrochen – auch über den 31. Dezember 1988 hinaus – wegen derselben Krankheit (schwere Niereninsuffizienz) arbeitsunfähig krank gewesen. Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK), bei der er seit dem 1. August 1987 als freiwilliges Mitglied versichert war, bewilligte ihm für die Zeit ab 28. November 1988 im Rahmen eines neuen – des sechsten -Dreijahreszeitraumes erneut Krankengeld. Den Bewilligungsbescheid hob sie mit Wirkung ab 1. Januar 1989 mit der Begründung auf, daß J. L. wegen der Rechtsänderung in § 48 Abs 2 SGB V, der auch auf „laufende” Altfälle anzuwenden sei, kein Krankengeld mehr gewährt werden könne (Bescheid vom 28. Dezember 1988; Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 1989). Die von J. L.hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 2. Mai 1990); das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 8. November 1990).
Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, die bindend gewordene Krankengeldbewilligung für den sechsten Dreijahreszeitraum ab 28. November 1988 für die weitere Dauer der Arbeitsunfähigkeit habe nicht wegen einer wesentlichen Änderung der rechtlichen Verhältnisse nach § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) aufgehoben werden können, weil eine derartige Änderung nicht stattgefunden habe. Die am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Neuregelung des § 48 Abs 2 SGB V, deren verschärfte Voraussetzungen der Kläger nicht erfülle, erfasse nicht die Fälle, in denen – wie hier – der Krankengeldanspruch vor diesem Stichtag wiederaufgelebt sei. In diesem Falle richte sich der Anspruch nach bisherigem Recht. Das folge aus den zum zeitlichen Geltungsbereich einer Norm entwickelten allgemeinen Grundsätzen, wonach Entstehung und Fortbestand eines sozialrechtlichen Anspruchs sich nach dem bei Eintritt der anspruchsbegründenden Tatsachen geltenden Recht richteten, soweit nicht im Einzelfall ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt sei. § 48 Abs 2 SGB V selbst gebe für eine derart gravierende unechte Rückwirkung der Vorschrift nichts her. Im Gegenteil werde aus ihrem Wortlaut deutlich, daß diese Regelung allein das Wiederentstehen eines neuen Anspruchs in einem nach seinem Inkrafttreten beginnenden neuen Dreijahreszeitraum und nicht den Fortbestand eines bereits vor dem 1. Januar 1989 wiederaufgelebten Anspruchs regeln wolle. Insoweit hätte es daher einer dies ausdrücklich aussprechenden Übergangsvorschrift bedurft, die aber nicht existiere.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 48 Abs 2 SGB V und 48 Abs 1 SGB X. Die in der Auszahlung des Krankengeldes liegende Entscheidung sei jeweils zeitlich befristet gewesen, zuletzt bis zum 31. Dezember 1988. Diese Befristung sei gemäß § 32 SGB X als Nebenbestimmung zulässig gewesen. Insoweit enthalte der hier streitige Bescheid keinen Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes. Vielmehr sei sie, die Beklagte, zu Recht nach § 48 SGB X vorgegangen, den sie selbst dann hätte heranziehen dürfen, wenn sie Krankengeld nach altem Recht über den 31. Dezember 1988 hinaus bewilligt hätte. Danach habe dem Kläger ab 1. Januar 1989 das Krankengeld wegen einer wesentlichen Änderung der rechtlichen Verhältnisse entzogen werden dürfen. Das LSG habe verkannt, daß § 48 Abs 2 SGB V den vorliegenden Fall erfasse, weil eine anderslautende Übergangsvorschrift fehle. Seine auf allgemeine Rechtsgrundsätze gestützten Ausführungen zum zeitlichen Geltungsbereich von Normen hätten die gesetzliche Interessenabwägung unberücksichtigt gelassen, die § 48 SGB X selbst vorgenommen habe. Seit dessen Inkrafttreten finde geändertes Recht grundsätzlich auch auf Altfälle Anwendung, soweit nicht Übergangsregelungen etwas anderes vorsähen. Wegen des Fehlens einer Übergangsregelung habe deshalb in Fällen der vorliegenden Art die Krankengeldzahlung zum 1. Januar 1989 eingestellt werden müssen. Dies gelte um so mehr, als der Gesetzgeber in anderen Leistungsbereichen Übergangsregelungen geschaffen habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. November 1990 und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 2. Mai 1990 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben den angefochtenen Entziehungsbescheid zu Recht aufgehoben. Dieser Bescheid war rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 SGB X, der allein Grundlage für die Entziehung des Krankengeldes sein könnte, nicht vorliegen.
Die Beklagte kann im Revisionsverfahren nicht damit gehört werden, die Bewilligung des am 28. November 1988 wiederaufgelebten Krankengeldes mittels eines sog Zahlscheins (Auszahlungsquittung) sei jeweils zeitlich befristet gewesen (§ 32 SGB X), zuletzt vorsorglich bis zum 31. Dezember 1988. Daraus kann nicht hergeleitet werden, daß es sich für die anschließende Zeit nicht um eine Entziehung, sondern nur um die Ablehnung einer erneuten Bewilligung des Krankengeldes gehandelt haben könnte. Dem stehen die – insoweit nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden – Feststellungen des LSG entgegen, wonach die mit Beginn des neuen Dreijahreszeitraums bindend erfolgte Krankengeld-Bewilligung für die weitere, über den 31. Dezember 1988 hinausreichende Dauer der Arbeitsunfähigkeit erfolgt ist. Daß das LSG bei der Ermittlung des Inhalts der in der Auszahlung des Krankengeldes liegenden Verwaltungsentscheidung gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze verstoßen haben könnte, ist nicht ersichtlich. Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits mehrfach entschieden hat (vgl ua BSG SozR 2200 § 182 Nrn 103 und 104), kann in einer Krankengeldgewährung wegen Arbeitsunfähigkeit regelmäßig auch die Entscheidung gesehen werden, daß dem Versicherten ein Krankengeldanspruch für die laufende Zeit der vom Kassenarzt bestätigten Arbeitsunfähigkeit zusteht. Hat der Arzt den Versicherten für eine bestimmte Zeit arbeitsunfähig geschrieben – im vorliegenden Fall über den 31. Dezember 1988 hinaus bis 2. Januar 1989 – und gewährt die Krankenkasse aufgrund einer solchen Bescheinigung Krankengeld, so kann der Versicherte davon ausgehen, daß er für diese Zeit Anspruch auf Krankengeld hat, soweit die Kasse ihm gegenüber nichts anderes zum Ausdruck bringt. Mit der Krankengeldbewilligung ist demnach beim Kläger zwar auch über das – vorläufige – Ende der Krankengeldbezugszeit entschieden worden. Da diese jedoch über den 31. Dezember 1988 hinaus angedauert hat, konnte die Beklagte den Bewilligungsbescheid mit Wirkung ab 1. Januar 1989 nur unter den Voraussetzungen des § 48 SGB X aufheben.
Nach dieser Vorschrift darf ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft nur aufgehoben werden, wenn in den tatsächlichen oder – was hier allein in Betracht kommt – in den rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Daran fehlt es hier, weil die aufgrund des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) eingetretene Rechtsänderung den vorliegenden Fall nicht erfaßt.
Zwar sind durch das GRG die Voraussetzungen, unter denen nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums ein Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit wieder besteht, wesentlich verschärft worden, wie ein Vergleich der jetzt in § 48 Abs 2 SGB V enthaltenen Regelung mit der zum Wiederaufleben von Ansprüchen nach altem Recht – zu § 183 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) – ergangenen Rechtsprechung zeigt (vgl BSGE 45, 11 = SozR 2200 § 183 Nr 11; BSGE 49, 163 = SozR 2200 § 183 Nr 30; BSGE 51, 281 = SozR 2200 § 183 Nr 35; BSGE 51, 287 = SozR 2200 § 183 Nr 36; BSGE 52, 261 = SozR 2200 § 183 Nr 39). Danach genügte es nach altem Recht für das Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld wegen derselben Krankheit, für die in einem vorhergehenden Dreijahreszeitraum für 78 Wochen Krankengeld gewährt worden ist, daß bei Fortbestand bzw erneutem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in einem neuen Dreijahreszeitraum eine Mitgliedschaft ohne Krankengeldberechtigung bestanden hat und daß diese Mitgliedschaft oder die Arbeitsunfähigkeit nicht mehr als 26 Wochen unterbrochen gewesen ist. Demgegenüber verlangt das neue Recht in § 48 Abs 2 SGB V für das Wiederaufleben des Anspruchs, daß der Versicherte bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit in einem neuen Dreijahreszeitraum mit Anspruch auf Krankengeld versichert ist und in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig war (Nr 1) und entweder erwerbstätig war oder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden hat (Nr 2). Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, daß dem Kläger, der diese verschärften Voraussetzungen nicht erfüllt, kein Krankengeld zustünde, wenn es auf die Anwendung des neuen Rechts ankäme. Indessen werden, wie das LSG zu Recht entschieden hat, von der am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Neuregelung (Art 79 Abs 2 GRG) nicht Fälle der vorliegenden Art erfaßt, in denen der Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit bereits vor dem 1. Januar 1989 wiederaufgelebt war, die Krankenkasse also schon nach altem Recht wieder Krankengeld (bis zur Höchstbezugsdauer von 78 Wochen) in der neuen Blockfrist zu gewähren hatte. In diesen Fällen richtet sich der Fortbestand des wiederaufgelebten Anspruchs auch über den 31. Dezember 1988 hinaus nach bisherigem Recht. § 48 SGB X ist deshalb mangels einer wesentlichen Änderung der rechtlichen Verhältnisse nicht anwendbar, weil der zu entscheidende Fall dem zeitlichen Anwendungsbereich des § 48 Abs 2 SGB V nicht unterfällt.
Dies hat das LSG zutreffend dem Inhalt dieser Regelung und den zum zeitlichen Geltungsbereich von Normen entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätzen entnommen. Grundsätzlich ist ein Rechtssatz nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Spätere Änderungen eines Rechtssatzes sind daher für die Beurteilung von vor seinem Inkrafttreten entstandenen Lebensverhältnissen unerheblich, es sei denn, daß das Gesetz seine zeitliche Geltung auf solche Verhältnisse erstreckt (vgl hierzu Evers, „Die Zeit – Eine Dimension des Sozialrechts?”, in: Rechtsschutz im Sozialrecht, Beiträge zum ersten Jahrzehnt der Rechtsprechung des BSG, 1965, S 63 ff, 79 ff jeweils mwN, ferner BSGE 62, 191, 194/195 = SozR 3100 § 1 Nr 39 mwN). Dementsprechend hat das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß sich Entstehung und Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt (allgemeine Meinung, vgl aus der jüngeren Rechtsprechung des BSG BSGE 44, 231, 232 = SozR 2200 § 1236 Nr 3; BSGE 45, 212, 214 = SozR 2200 § 182 Nr 29; SozR aaO Nr 85 mwN; BSGE 57, 211, 213 = SozR 1200 Art 2 § 18 Nr 1; BSGE 58, 243, 244 = SozR 2200 § 182 Nr 98). Dieser Grundsatz der Maßgeblichkeit des Versicherungsfalles (hier: des erstmaligen Eintritts der Erkrankung) gilt allerdings für das Krankengeld nicht uneingeschränkt; vielmehr kommt dem Wiederauflebensfall – wie noch auszuführen sein wird – eine gewisse selbständige Bedeutung zu. Auch für ihn gilt aber, daß dann, wenn das Gesetz einen bereits wiederaufgelebten, dh vor seinem Inkrafttreten im Sinne eines neuen Erfüllungstatbestandes wieder entstandenen Anspruchs neu regeln will, sich dies eindeutig aus seinem Wortlaut oder jedenfalls schlüssig aus seinem Zweck ergeben muß.
Das Gesetz enthält weder in den Überleitungs- und Schlußvorschriften der Art 56 bis 79 des GRG eine Vorschrift, die den zeitlichen Anwendungsbereich des § 48 Abs 2 SGB V auf Wiederauflebensfälle vor seinem Inkrafttreten erstreckt, noch ist dem § 48 Abs 2 SGB V selbst eine derartige – unechte – Rückwirkung eindeutig zu entnehmen. Ob bereits – wovon das LSG ausgegangen ist – dem Wortlaut dieser Bestimmung entnommen werden kann, daß ihr Regelungsgegenstand allein das Wiederentstehen eines neuen Anspruchs auf Krankengeld in einem nach seinem Inkrafttreten beginnenden neuen Dreijahreszeitraum ist, mag bezweifelt werden. Daß jedenfalls Fälle der vorliegenden Art nicht erfaßt werden, ergibt sich aber schlüssig aus dem Zweck des § 48 Abs 2 SGB V, wie er in den Motiven des Gesetzes zum Ausdruck gekommen ist. Dort heißt es zu § 47 Abs 2, der dem heutigen § 48 Abs 2 SGB V entspricht: „Das Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld wegen derselben Krankheit nach Ablauf der dreijährigen Blockfrist wird eingeschränkt… Nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums besteht künftig ein Anspruch auf Krankengeld nur dann, wenn …” (vgl BT-Drucks 11/2237 S 181). Daraus wird klar ersichtlich, daß nur „das Wiederaufleben”, nicht aber der Fortbestand eines bereits – unter Geltung des alten Rechts – wiederaufgelebten Anspruchs auf Krankengeld wegen derselben Krankheit eingeschränkt werden soll. Der dort in Bezug genommene Begriff des „Wiederauflebens” bezeichnet nach dem in der Rechtsprechung bisher verstandenen Sinne nicht das (erstmalige) Entstehen eines Krankengeldanspruchs, sondern – als Erscheinungsform seines Weiterbestehens – das Wiederentstehen eines bereits in der Vergangenheit entstandenen, aber nach einer bestimmten Bezugszeit vorläufig erschöpften Anspruchs: Hat in der vorhergehenden Dreijahresfrist der Leistungsanspruch nach einer Höchstbezugsdauer von 78 Wochen vorläufig geendet, ist Krankengeld – bis zur Höchstdauer von erneut 78 Wochen – erst dann wieder zu gewähren, wenn in der neuen Blockfrist Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit (fort- oder wieder-) besteht, wenn dies ärztlich festgestellt, der Anspruch angemeldet ist, eine Mitgliedschaft besteht und diese Mitgliedschaft oder die Arbeitsunfähigkeit nicht für 26 Wochen unterbrochen gewesen ist. Der Versicherungsträger hat hierüber durch einen Verwaltungsakt ohne Bindung an die frühere Bewilligung erneut zu entscheiden (BSG SozR 2200 § 183 Nr 51). Damit ist der Wiederauflebenstatbestand dem Tatbestand des Entstehens eines neuen Anspruchs jedenfalls soweit angenähert, daß die Anwendung der genannten intertemporalen Auslegungsgrundsätze auch auf diesen – an sich nur die Fortdauer eines bereits entstandenen Anspruchs betreffenden -Teilabschnitt eines Dauersachverhalts gerechtfertigt ist. Sind – wie im vorliegenden Fall – sämtliche das Wiederaufleben begründenden Tatsachen unter der Geltung des alten Rechts eingetreten und von diesem bereits – im Sinne eines Wiederauflebens – „rechtlich bewertet” worden, findet auf die weitere Dauer des wiederaufgelebten Krankengeldanspruchs – bis zur Höchstbezugsdauer von 78 Wochen – das alte Recht Anwendung, weil nicht klar erkennbar ist, daß das neue Recht auch diesen vor seinem Inkrafttreten verwirklichten Sachverhalt einer neuen Bewertung unterwerfen will. Hat nämlich der Gesetzgeber den zeitlichen Geltungsbereich eines geänderten Rechtssatzes nicht eindeutig bestimmt, ist nach den zum zeitlichen Geltungsbereich von Normen geltenden Auslegungsregeln eine Interpretation unzulässig, die zu einer neuen Bewertung eines bereits vom früheren Recht bewerteten Sachverhalts führen würde. Nur wenn der Gesetzgeber den zeitlichen Geltungsbereich einer Norm eindeutig dahin bestimmt hat, daß – bei einem Dauersachverhalt wie dem vorliegenden – auch der vor ihrem Inkrafttreten liegende Teil dieses Sachverhalts, der durch das frühere Recht schon bewertet war, einer neuen Regelung unterworfen werden soll, findet das neue Recht rückwirkend Anwendung. Ist dies nicht der Fall, ist davon auszugehen, daß die geänderte Norm nur den nach ihrem Inkrafttreten eintretenden, noch nicht bewerteten Teil des Dauersachverhalts neu regeln will (vgl Evers, aaO, S 88/89). Deshalb findet § 48 Abs 2 SGB V hinsichtlich seiner zeitlichen Geltung Anwendung grundsätzlich nur auf die Fälle, in denen das Wiederaufleben eines Krankengeldanspruchs wegen derselben Krankheit innerhalb einer neuen Dreijahresfrist in die Zeit nach dem 31. Dezember 1988 fällt. Denn dem Gesetzgeber ging es – wie aus den Motiven des Gesetzes unschwer zu erkennen ist – nur darum, das Wiederaufleben des Anspruchs nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums „künftig” zu erschweren.
Im übrigen kann der Gesetzgeber, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, die übergangsrechtliche Problematik leistungskürzender Reformgesetze, zur Erfassung auch der laufenden Leistungsfälle entsprechende Übergangsvorschriften zu schaffen, nicht verkannt oder übersehen haben, zumal er auch im Rahmen des GRG in den Art 56 ff mehrere übergangsrechtliche Regelungen getroffen hat, ua auch solche im Sinne einer unechten Rückwirkung (vgl Art 60 GRG). Da ein übergangsloser Entzug von bereits laufenden Lohnersatzleistungen im Hinblick auf Art 14 GG verfassungsrechtliche Probleme aufwirft, liegt vielmehr die Annahme nahe, daß der Gesetzgeber bewußt eine Geltungserstreckung auf „laufende Altfälle” unterlassen hat.
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Revision auch nicht aus § 48 SGB X selbst. Aus dieser Regelung kann nicht – im Sinne einer Umkehrung der bisherigen Grundsätze über die zeitliche Geltung von Normen – hergeleitet werden, daß nunmehr geändertes Recht grundsätzlich auch Altfälle erfaßt, soweit nicht ausnahmsweise etwas anderes vorgesehen ist. Für eine derartige materiell-rechtliche Bedeutung des § 48 SGB X bieten weder sein Zweck noch die Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift einen Anhalt (vgl die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren –, BT-Drucks 8/2034, S 35 zu § 46). Diese Norm, die an frühere Regelungen des Sozialrechts anknüpft, regelt nicht selbst, wann eine Änderung „wesentlich” ist und ob sie auf einen gegebenen Sachverhalt Anwendung findet, sondern setzt dies voraus. Als reine Verfahrensvorschrift dient sie lediglich dazu, eine Rechtsänderung durch den Gesetzgeber auf bereits ergangene, also an sich bindende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung „umzusetzen”. Das setzt aber voraus, daß das geänderte Recht die Rechtslage in unechter Rückwirkung auch für sog Altfälle gestalten will, daß also insoweit überhaupt eine zeitliche Geltungserstreckung vorliegt. Durch § 48 SGB X wollte der Gesetzgeber also nicht die allgemeinen Rechtsgrundsätze zur zeitlichen Geltung von Normen beseitigen. Vielmehr sind nach Inkrafttreten des SGB X (1. Januar 1981) diese Grundsätze weiter anzuwenden, und die Rechtsprechung des BSG hat sie auch bisher weiterbeachtet (vgl zB BSGE 62, 191, 194 f = SozR 3100 § 1 Nr 39; SozR 1300 Art 2 § 40 Nr 7 S 6).
Davon weicht auch das Urteil des 9. Senats des BSG vom 4. Juli 1989 (BSGE 65, 185 = SozR 1300 § 48 Nr 57) nicht ab. Denn auch in dieser Entscheidung (aaO, S 186) wird klar zum Ausdruck gebracht, daß § 48 SGB X lediglich dazu dient, bei geänderter Rechtslage einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung der neuen Rechtslage anzupassen, und daß bei sog Altfällen die Anpassung nur möglich ist, wenn das geänderte Gesetz dies selbst vorsieht. Es heißt dazu (aaO, S 186 f) wörtlich: „Soweit Gesetze in sog unechter Rückwirkung die Rechtslage neu gestalten, soll dieses geänderte Recht grundsätzlich auch Auswirkungen auf Altfälle haben, um den Rechtsfrieden innerhalb der Gemeinschaft, also die Gleichbehandlung bei gleichem Sachverhalt für alle Betroffenen zu gewährleisten.” Der dieser Entscheidung vorangestellte Leitsatz ist allerdings irreführend; denn der 9. Senat hat – wie sich unschwer den Entscheidungsgründen entnehmen läßt – nicht entschieden, daß dann, wenn ein Sozialleistungsgesetz ohne Übergangsvorschrift geändert wird, die durch einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung geregelten Rechtsverhältnisse nach § 48 SGB X neu zu regeln seien.
Die Revision der Beklagten konnte nach allem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen