Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluß der Berufung

 

Orientierungssatz

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist der Ausschluß der Berufung bei Anwendung des SGG in der vor dem 2. Änderungsgesetz geltenden Fassung nicht nach dem Streitgegenstand des Berufungsverfahrens, sondern nach dem Inhalt der erstinstanzlichen Entscheidung zu beurteilen (vgl BSG 1958-09-04 11/9 RV 1144/55 = BSGE 8, 135).

 

Normenkette

SGG § 148 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 11.01.1957)

SG Schleswig (Entscheidung vom 11.01.1956)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 11.Januar 1957 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Beschädigtenrente des Klägers, die bisher nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) von 60 v.H. berechnet worden war, wurde mit Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA.) S vom 15. Februar 1955 vom 1. April 1955 an auf eine Rente nach einer MdE. um 30 v.H. herabgesetzt. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Auf die Klage, mit welcher der Kläger die Weitergewährung der Rente nach einer MdE. von 60. v.H. erstrebte, hat das Sozialgericht (SG.) Schleswig mit Urteil vom 11. Januar 1956 die Bescheide der Versorgungsbehörde abgeändert und den Beklagten verurteilt, dem Kläger vom 1. April 1955 an Beschädigtenrente nach einer MdE. um 40 v.H. zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil hat nur der Beklagte Berufung eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das Landessozialgericht (LSG.) Schleswig hat die Berufung mit Urteil vom 11. Januar 1957 als unzulässig verworfen. Es hat ausgeführt: Für den Ausschluß der Berufung nach den §§ 144 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) komme es nur auf den Streitgegenstand im Berufungsverfahren an. Auch nach den früheren Verfahrensvorschriften sei die Zulässigkeit eines Rechtsmittels grundsätzlich nach dem Streitgegenstand in der Rechtsmittelinstanz zu beurteilen gewesen. Wenn sich auch der Wortlaut des § 148 Nr. 3 SGG von dem der früheren Vorschriften etwas unterscheide, so könne daraus doch nicht geschlossen werden, daß eine sachliche Änderung insoweit beabsichtigt gewesen sei. Bei Berücksichtigung des Sinnes und Zweckes der Vorschrift müsse das Wort "davon" in § 148 Nr. 3 auf das Wort "Berufung" im ersten Halbsatz des § 148 bezogen werden, nicht dagegen auf den Grad der MdE. oder die Neufeststellung der Versorgungsbezüge. Daher könne nur der Beteiligte Berufung einlegen, der durch die angefochtene Entscheidung in der Frage der Schwerbeschädigteneigenschaft oder der Grundrente beschwert sei. Für den Beklagten sei diese Voraussetzung nicht erfüllt, da er mit der Berufung lediglich die Herabsetzung der dem Kläger vom SG. zuerkannten Rente nach einer MdE. um 40 v.H. auf eine solche um 30 v.H. erstrebe.

Das LSG. hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat gegen das am 14. Februar 1957 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 27. Februar 1957, beim Bundessozialgericht (BSG.) eingegangen am 28. Februar 1957, Revision eingelegt und sie mit Schriftsatz vom 25. März 1957, beim BSG. eingegangen am 27. März 1957, begründet. In der mündlichen Verhandlung war er nicht vertreten. Nach seinen Ausführungen in den Schriftsätzen beantragt er,

das Urteil des LSG. Schleswig vom 11. Januar 1957 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen,

hilfsweise,

unter Aufhebung des Urteils des LSG. Schleswig vom 11. Januar 1957 und des Urteils des SG. Schleswig vom 11. Januar 1956 die Klage abzuweisen.

Der Beklagte rügt als Verfahrensmangel eine Verletzung des § 148 Nr. 3 SGG. Er ist der Ansicht, daß der Ausschluß der Berufung nach dieser Vorschrift nicht nach dem Streitgegenstand des Berufungsverfahrens, sondern nach dem Inhalt der Entscheidung des SG. zu beurteilen sei. Da in der ersten Instanz Streit über die Schwerbeschädigteneigenschaft des Klägers bestanden habe und der Beklagte wegen der teilweisen Aufhebung des Neufeststellungsbescheides durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei, sei die Berufung zulässig gewesen.

Der Kläger beantragt,

nach Lage der Akten zu entscheiden.

Die vom LSG. gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassene Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie mußte auch Erfolg haben.

Der Beklagte hat seine Berufung gegen das Urteil des SG. am 11. Februar 1956 eingelegt, mithin noch vor Inkrafttreten des Zweiten Änderungsgesetzes zum SGG (1.7.1958). Die Statthaftigkeit der Berufung richtet sich daher nach den Vorschriften der §§ 143 ff. SGG a.F. (vgl. BSG. 8 S. 135 ff.; BSG. in SozR. SGG § 143 Bl. Da 2 Nr. 3; BSG., Urteil vom 15.12.1959 - 11 RV 868/58 - und Beschlüsse vom 29.11.1958 - 5 RKn 29/57 -, 21.9.1959 - 11 RV 116/59 - und 22.10.1959 - 10 RV 879/57 -).

Bei Anwendung des § 148 Nr. 3 SGG a.F. war die Berufung des Beklagten aber nicht ausgeschlossen. Das BSG. hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß der Ausschluß der Berufung bei Anwendung des SGG in der vor dem Zweiten Änderungsgesetz geltenden Fassung nicht nach dem Streitgegenstand des Berufungsverfahrens, sondern nach dem Inhalt der erstinstanzlichen Entscheidung zu beurteilen ist (BSG. 1 S. 225 ff.; BSG. 3 S. 24, 217, 271; BSG. 6 S. 131; BSG. 8 S. 135 (136); BSG. in SozR. SGG § 143 Bl. Da 2 Nr. 3; § 148 Bl. Da 6 Nr. 16 und § 148 Bl. Da 8 Nr. 18). Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, besteht für den erkennenden Senat auch unter Berücksichtigung der Begründung des angefochtenen Urteils - soweit diese nicht bereits in den angeführten Entscheidungen des BSG. abgelehnt worden ist - kein Anlaß. Der Gebrauch des Wortes "abhängt" in § 148 Nr. 3 SGG a.F. zwingt nicht dazu, den Streitgegenstand des Berufungsverfahrens als maßgeblich für die Beurteilung der Statthaftigkeit der Berufung anzusehen. Das Wort "abhängt" steht weder zu dem Wort "Urteil" noch zu dem Wort "Berufung" im Vordersatz des § 148 SGG in Beziehung. Im übrigen gälte dasselbe, wenn an Stelle des Wortes "abhängt" dessen Vergangenheitsform "abhing" stünde. Der zweite Halbsatz in § 148 Nr. 3 SGG "soweit nicht ... davon abhängt" bezieht sich sowohl grammatikalisch wie auch seinem Sinngehalt nach auf den vorhergehenden ersten Halbsatz der Nr. 3 des § 148 SGG, der von der "Minderung der Erwerbsfähigkeit" und der "Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse" spricht. Der Gesetzgeber brachte damit zum Ausdruck, daß ein Urteil, das die MdE. oder die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse betrifft, ausnahmsweise dann berufungsfähig sein soll, wenn von der MdE. oder der Neufeststellung der Versorgungsbezüge gleichzeitig die Schwerbeschädigteneigenschaft oder die Gewährung der Grundrente abhängt. Selbst wenn aber die Fassung des zweiten Halbsatzes in § 148 Nr. 3 SGG mißverständlich wäre, dann könnte dieser Fassung keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden, weil die Eingangsworte im § 148 SGG, die gleichermaßen für die Nr. 1 bis Nr. 4 dieser Vorschrift gelten, eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Statthaftigkeit der Berufung vom Inhalt des angefochtenen Urteils abhängig ist.

War aber der Inhalt des angefochtenen Urteils maßgebend für die Statthaftigkeit der Berufung, dann war im vorliegenden Fall die Berufung des Beklagten gemäß § 148 Nr. 3 SGG. a.F. statthaft. Zwar betraf das Urteil des SG. die MdE. des Beschädigten, jedoch war dessen Begehren auf Gewährung einer Rente nach einer MdE. um 60 v.H. gerichtet, so daß damit gleichzeitig die Frage der Schwerbeschädigteneigenschaft Streitgegenstand war.

Das LSG. hat somit zu Unrecht die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben werden. In der Sache selbst konnte der Senat nicht entscheiden, da das LSG. die hierzu erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat. Die Sache mußte daher zur erneuten Entscheidung an das LSG. zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325798

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