Leitsatz (redaktionell)

Die Versorgungsverwaltung überschreitet mit der Ablehnung eines Zugunstenbescheides ihr Ermessen nicht, wenn sie zwar unter Verstoß gegen SGG § 77 einen Leidenszustand als Schädigungsfolge aberkennt, der ablehnende Bescheid vom Beschädigten jedoch nicht angefochten wird und sich bei erneuter Prüfung nach KOV-VfG § 40 ergibt, daß der Leidenszustand nach BVG § 1 Abs 3 schon gar nicht hätte anerkannt werden dürfen. Denn KOV-VfG § 40 dient nur in dem Sinn der materiellen Gerechtigkeit, daß die im Ergebnis gesetzwidrig erlassenen, aber bindend gewordenen Bescheide ihre Wirkung behalten, wenn bei erstmaliger Entscheidung das Ergebnis materiell dasselbe gewesen wäre.

 

Normenkette

KOVVfG § 40 Fassung: 1960-06-27; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; BVG § 1 Abs. 3 Fassung: 1964-02-21

 

Tenor

Die Urteile des Sozialgerichts Hannover vom 12. September 1963 und des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Juli 1964 werden dahin abgeändert, daß die Klage wegen des noch streitigen Rechtsanspruchs auf Anerkennung des organischen Nervenleidens abgewiesen wird. Zur Entscheidung über die Gewährung eines Härteausgleichs wird die Sache an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Die Revisionsbeklagten sind die Rechtsnachfolger des am 19. Januar 1965 verstorbenen Lehrers F St (St.). Bei St. waren zunächst Ischiadicuslähmung , Muskelatrophie und Gehstörungen nach Splitterverletzung am rechten Oberschenkel als Schädigungsfolgen nach früheren Versorgungsvorschriften und nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. anerkannt. 1953 stellte St. einen Verschlimmerungsantrag, worauf mit Bescheid vom 16. Februar 1954

1. Schwäche des rechten Beines mit Kniegelenksveränderungen rechts und Fehlstellung des rechten Fußes, trophischen und entzündlichen Veränderungen im rechten Fußgelenksbereich nach Splitterverletzung des rechten Oberschenkels mit Schädigung des rechten Ischiasnerven und

2. geringfügige Resterscheinungen einer Nervenentzündung der oberen Gliedmaßen

bei einer MdE um 60 v. H. anerkannt wurden. Auf einen weiteren Verschlimmerungsantrag von 1955 wurde eine Polysklerose = Multiple Sklerose (M. S.) diagnostiziert, worauf mit Bescheid vom 15. September 1956 der Verschlimmerungsantrag abgelehnt und die geringfügigen Resterscheinungen einer Nervenentzündung der oberen Gliedmaßen nicht mehr als Schädigungsfolge in die Leidensbezeichnung aufgenommen wurden. Die MdE wurde wie bisher mit 60 v. H. beurteilt und festgestellt, daß die M. S. durch den Wehrdienst weder hervorgerufen noch verschlimmert worden sei. St. legte hiergegen keinen Widerspruch ein. Er wandte sich erst am 9./10. Mai 1958 wieder an das Versorgungsamt (VersorgA) und begehrte durch Zugunstenbescheid die geringfügigen Resterscheinungen einer Nervenentzündung der oberen Gliedmaßen, die Erstsymptome der M. S. darstellten, wieder sowie die M. S. selbst zusätzlich als Schädigungsfolgen anzuerkennen. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 20. Mai 1959 abgelehnt. Der Widerspruch blieb erfolglos. Im Klageverfahren wurde ein für St. ungünstiges Gutachten von Prof. Dr. D/Dr. P eingeholt, worauf der Beklagte mit Bescheid vom 17. Mai 1963 auch einen Härteausgleich nach § 89 Abs. 2 BVG ablehnte. Der weiter gehörte Landesmedizinaldirektor Dr. K schloß sich dem Gutachten des Prof. Dr. D an. Das Sozialgericht (SG) verpflichtete den Beklagten mit Urteil vom 12. September 1963, geringfügige Resterscheinungen einer Nervenentzündung der oberen Gliedmaßen und zusätzlich organisches Nervenleiden als Schädigungsfolgen anzuerkennen. Das Landessozialgericht (LSG) hob mit Urteil vom 16. Juli 1964 das Urteil des SG insoweit auf, als der Beklagte verpflichtet wurde, noch geringfügige Resterscheinungen einer Nervenentzündung der oberen Gliedmaßen als Versorgungsschaden anzuerkennen; insoweit wies es die Klage als unzulässig ab und im übrigen die Berufung des Beklagten zurück. Da es sich bei den geringfügigen Resterscheinungen einer Nervenentzündung um Symptome der M. S. handele, habe kein Rechtsschutzinteresse bestanden, diese - neben der M. S. - noch besonders anzuerkennen. Mit der früheren Anerkennung dieser Resterscheinungen durch den Bescheid vom 16. Februar 1954 sei das Grundleiden, nämlich die M. S., anerkannt und durch den Bescheid vom 15. September 1956 eine rechtmäßige andere Regelung nicht getroffen worden. Der Beklagte sei gemäß § 62 Abs. 1 BVG nicht berechtigt gewesen, die geringfügigen Resterscheinungen einer Nervenentzündung in der Leidensbezeichnung wegzulassen. Zwar sei im Februar 1956 in der Universitätsklinik eine Schwäche des rechten Armes nicht mehr beschrieben worden; es komme aber darauf an, ob sich das Ausmaß der Beeinträchtigung im ganzen gebessert habe, das sei nicht der Fall, weil als Folge der M. S. eine spastische Lähmung beider Beine aufgetreten sei. Daß keine wesentliche Besserung eingetreten sei, ergebe sich auch daraus, daß der Beklagte die MdE mit 60 v. H. unverändert gelassen habe. Eine Umdeutung des Bescheides vom 15. September 1956 in einen Berichtigungsbescheid nach § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) scheitere schon daran, daß es an der vorherigen Zustimmung des Landesversorgungsamts fehle. Stelle sich erst später heraus, um welches Leiden es sich in Wirklichkeit handele, so werde dieses nur dann von der Anerkennung einzelner Symptome dieses Leidens nicht mit erfaßt, wenn dem Bescheid eine Einschränkung zu entnehmen sei. Das sei hier - auch unter Berücksichtigung des Gutachtens des Dr. Sch - nicht der Fall, da im Bescheid vom 16. Februar 1954 der Zusatz: "nach Splitterverletzung des rechten Oberschenkels" nur unter Ziffer 1) aufgeführt sei und sich daher nicht auf die unter Ziffer 2) genannten Resterscheinungen beziehe. BSG 19, 286 stehe diesem Ergebnis nicht entgegen, da es sich dort um die Rechtsverbindlichkeit eines nach früherem Recht erteilten Bescheides gehandelt habe. Obwohl der Erlaß eines Zugunstenbescheides im Ermessen der Versorgungsverwaltung liege, habe die Verurteilung ausgesprochen werden müssen, weil die Sache in jeder Hinsicht spruchreif und eine andere Entscheidung ausgeschlossen sei. Der Beklagte habe die aus § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sich ergebende Rechtsfolge, nämlich die durch Bescheid vom 16. Februar 1954 bindend ausgesprochene Anerkennung des Grundleidens der M. S., durch den Bescheid vom 15. September 1956 beseitigt und damit das materielle Recht verletzt. St. handele auch nicht rechtsmißbräuchlich, wenn er sich auf die frühere Anerkennung berufe. Es sei belanglos, daß die M. S. wahrscheinlich nicht gemäß § 1 Abs. 3 BVG als Versorgungsleiden festgestellt werden müßte, wenn diese Frage erstmalig zu prüfen wäre. Im übrigen ergebe sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. D/Dr. P eindeutig, daß sich die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs der M. S. mit schädigenden Vorgängen hier nicht ausschließen lasse, weshalb eine Berichtigung nach § 41 VerwVG entfalle. Ob die Ablehnung des Zugunstenbescheides auch nach § 89 Abs. 2 BVG in der Fassung des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960, BGBl I 453 (1. NOG), rechtswidrig war, habe nicht mehr geprüft werden müssen.

Der Beklagte rügt mit der zugelassenen Revision, das LSG habe § 40 VerwVG verletzt und die Bindungswirkung eines nicht angefochtenen Bescheides nach §§ 66 Abs. 2, 77 SGG und 24 VerwVG verkannt sowie bei der Anwendung des § 62 BVG Tatsachen zugrunde gelegt, die dem Verfahrensergebnis nicht entsprächen. Der Inhalt des Bescheides vom 15. September 1956 sei materiell richtig. Abgesehen davon, daß die Ätiologie der M. S. nicht geklärt sei, fehlten hier der zeitliche Zusammenhang und irgendeine Einwirkung im Sinne des § 1 BVG, um auch nur zu einem Anerkenntnis im Wege des Härteausgleichs zu gelangen. Eine Anerkennung der M. S. sei an sich nur im Sinne der Verschlimmerung, nicht aber der Entstehung möglich. Das LSG habe auch zu Unrecht angenommen, daß Symptome einer M. S. anerkannt worden seien. Für den Verwaltungsakt sei die Erklärung des Gewollten unerläßlich. Dies sei im angefochtenen Urteil verkannt worden. Der Inhalt eines Verwaltungsaktes sei nicht allein aus der Entscheidungsformel, sondern aus den gesamten Umständen der Regelung zu entnehmen. Die Feststellungen, welche den bescheidmäßigen Ausspruch tragen, nähmen an der bindenden Wirkung teil, weil der Ausspruch nicht für sich allein, sondern durch den ihn tragenden erläuternden Sachverhalt bindend werde. Ursache der früheren Anerkennungen von 1947 und 1952 sei stets die Splitterverletzung am rechten Oberschenkel gewesen. Nur ihre Folgen seien in den Bescheiden anerkannt worden, nur sie könnten mangels eines anderen Ereignisses, das zu einer Anerkennung im Sinne des BVG führen könnte, weiterhin Grundlage für eine Entscheidung sein. Dr. S habe am Ende seines Gutachtens unter 1 a) die bereits im Bescheid vom 11. März 1952 anerkannten und unter 1 b) die in dem Bescheid vom 16. Februar 1954 neu anerkannten Schädigungsfolgen aufgeführt und unter 2 a) angegeben: "DB wahrscheinlich", sowie unter 2 b) "Das Leiden unter a) ist zumindest als wesentlich mitwirkende Teilursache dieses Leidens anzusehen". Dem habe sich der leitende Arzt des VersorgA angeschlossen, worauf der Bescheid vom 16. Februar 1954 ergangen sei. Daraus ergebe sich, daß das VersorgA nur die weiteren Auswirkungen der bereits anerkannten Schädigungsfolgen anerkennen wollte. Dies werde auch durch die weitere Behandlung des Falles mit dem abschließenden Vermerk des leitenden Arztes vom 4. Juni 1956 und durch den Bescheid vom 15. September 1956 bestätigt. Daß sich die geringfügigen Resterscheinungen zurückgebildet hätten, zeigten sowohl die eigenen Angaben des St. als auch die von den Ärzten getroffenen Feststellungen. Sonach sei der Bescheid vom 15. September 1956 zu Recht nach § 62 Abs. 1 BVG ergangen. Die Höhe der MdE sei nicht geändert worden, weil die Universitätsklinik sie mit 60 v. H. eingeschätzt habe. Die ausdrückliche Ablehnung der M. S. im Bescheid lasse keinen Zweifel darüber aufkommen, wovon die Versorgungsverwaltung ausgegangen sei. § 40 VerwVG könne nur zur Anwendung kommen, wenn die frühere Entscheidung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unrichtig sei. Er diene nach BSG 19, 286 nur der Beseitigung einwandfrei feststellbaren Unrechts. Der bindend gewordene Bescheid vom 15. September 1956 sei nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unrichtig, weshalb eine Zugunstenentscheidung ausgeschlossen sei. Der zeitliche Abstand zwischen der Verwundung im Jahre 1942 und den erstmaligen Erscheinungen einer M. S. im Jahre 1952 lasse eine Bejahung des Zusammenhangs auch nicht im Wege des Härteausgleichs zu. Das LSG habe auch nicht eine Verpflichtung durch Urteil aussprechen dürfen, da hier nicht jede andere Entscheidung notwendig eine Ermessenswidrigkeit im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG bedeuten würde. Der Beklagte beantragt, unter Aufhebung des Urteils des SG und Abänderung des Urteils des LSG die Klage in vollem Umfange abzuweisen. Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Dem LSG-Urteil sei zuzustimmen.

St. ist während des Revisionsverfahrens verstorben; seine Rechtsnachfolger haben das unterbrochene Verfahren fortgesetzt.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG). Sie ist auch sachlich im Sinne einer teilweisen Zurückverweisung an die Vorinstanz begründet.

Da die Kläger kein Rechtsmittel eingelegt haben, hat das Urteil, soweit es die Klage als unzulässig abgewiesen hat, Rechtskraft erlangt. Im übrigen rügt der Beklagte zutreffend, daß das LSG bei Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20. Mai 1959 die Bindungswirkung des Bescheides vom 15. September 1956 nicht hinreichend beachtet und damit § 40 VerwVG verletzt habe.

St. hat gegen den Bescheid vom 15. September 1956, in dem die geringfügigen Resterscheinungen einer Nervenentzündung der oberen Gliedmaßen nicht mehr als Schädigungsfolgen in die Leidensbezeichnung aufgenommen und damit nicht mehr anerkannt worden sind, nicht angefochten. Zwar enthält dieser Bescheid insofern eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung, als es heißt, die Widerspruchsschrift sei in doppelter Ausfertigung einzureichen (vgl. BSG 11, 213). St. hat jedoch den am 27. September 1956 mit Einschreibebrief zur Post gegebenen Bescheid auch nicht innerhalb der in diesem Falle gemäß § 66 Abs. 2 SGG laufenden Jahresfrist seit Zustellung des Bescheides angefochten. Damit stand gemäß § 77 SGG - ebenso § 24 VerwVG - für die Beteiligten bindend fest, daß diese Resterscheinungen - wie auch die M. S. - keine Schädigungsfolgen sind. Das LSG hat zwar zutreffend festgestellt, daß der Beklagte nicht berechtigt war, mit dem auf § 62 Abs. 1 BVG gestützten Bescheid vom 15. September 1956 die seither anerkannten Resterscheinungen einer Nervenentzündung der oberen Gliedmaßen in der Leidensbezeichnung wegzulassen, d. h. nicht mehr als Schädigungsfolgen anzuerkennen. Der Bescheid stellt nur fest, daß eine Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen nicht eingetreten sei, spricht aber nicht von einer Besserung , sondern verweist lediglich auf die Untersuchungen vom 25. April 1955 und 28. Februar 1956 und schweigt sich darüber aus, weshalb die fraglichen Resterscheinungen nicht mehr in der Leidensbezeichnung aufgeführt worden sind. Dem Bescheid läßt sich somit nicht zweifelsfrei entnehmen, daß, wie die Revision meint, diese Beschwerden deshalb nicht mehr erwähnt worden seien, weil sie sich zurückgebildet hätten. Er läßt auch nicht erkennen, daß sie möglichweise - nachträglich - als Symptome der M. S. gewertet und deshalb nicht mehr genannt wurden. Die Revision hat die Feststellung des LSG, daß es sich bei diesen Gesundheitsschäden um Symptome der bei St. nachgewiesenen M. S. handele, nicht mit Verfahrensrügen angegriffen. Daß bei St. eine M. S. (noch) besteht, ist im Bescheid vom 15. September 1956 ausdrücklich festgestellt. Außerdem ist auch noch in dem diesem Bescheid vorausgehenden Universitäts-Gutachten vom 28. Februar 1956 auf nachweisbare Sensibilitätsstörungen am Oberkörper und an den Händen , d. h. also an den oberen Gliedmaßen, hingewiesen. Geht man von der für den erkennenden Senat bindenden Feststellung des LSG (§ 163 SGG) aus, so ist der Inhalt des Bescheides vom 15. September 1956 mit dem LSG dahin auszulegen, daß die Resterscheinungen der Nervenentzündung offenbar deshalb nicht mehr als Schädigungsfolgen anerkannt werden sollten, weil die M. S. und damit auch diese früheren Zeichen einer M. S. durch den Wehrdienst weder hervorgerufen noch verschlimmert worden seien. Das LSG hat zutreffend angenommen, daß eine solche Aberkennung der früher anerkannten "Resterscheinungen" nur durch einen Berichtigungsbescheid nach § 41 VerwVG rechtmäßig hätte erfolgen können und daß der allein auf § 62 BVG gestützte Bescheid, indem er die bestehende Bindung unbeachtet ließ, rechtswidrig war.

Auch die weitere Feststellung des LSG, daß die Anerkennung der fraglichen Resterscheinungen im Bescheid vom 16. Februar 1954 nicht in dem Sinne eingeschränkt worden ist, daß damit etwa nur Folgen nach Splitterverletzung des rechten Oberschenkels anerkannt werden sollten, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere kann für die Auslegung des Bescheides von 1954 nicht der Vermerk des leitenden Arztes vom 4. Juni 1956 herangezogen werden. Dieser Bescheid hat unter Ziff. 1 nur die übrigen, hier nicht streitigen Gesundheitsstörungen als Folgen der Splitterverletzung bezeichnet, nicht jedoch die gesondert unter Ziff. 2 aufgeführten geringfügigen Resterscheinungen einer Nervenentzündung der oberen Gliedmaßen. Darüber hinaus sind auch die Worte: "einer Nervenentzündung" so unbestimmt gehalten, daß eine Einschränkung der Anerkennung in dem von der Revision angedeuteten Sinne ausscheidet. Da schließlich die Splitterverletzung den rechten Oberschenkel , die 1954 erstmals zusätzlich anerkannten Resterscheinungen hingegen die " oberen Gliedmaßen" betrafen, ergab es sich auch nicht von selbst, daß die unter Ziff. 1 gemachte Einschränkung auch für die unter Ziff. 2 genannten Resterscheinungen gelten sollte. Der Beklagte muß somit die im Bescheid von 1954 ausgesprochene und bindend gewordene Anerkennung der Resterscheinungen an den oberen Gliedmaßen als Zeichen einer M. S. ebenso gegen sich gelten lassen (vgl. BSG 11, 57) wie die Kläger dies hinsichtlich des bindend gewordenen Bescheides vom 15. September 1956 tun müssen. Die von der Revision nicht angegriffene Rechtsauffassung des LSG, daß durch die Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen nicht lediglich einzelne Symptome von Krankheiten, sondern die wirklichen (Grund-) Leiden erfaßt werden, auch wenn sich erst später herausstellt, um welche Leiden es sich in Wirklichkeit handelt (vgl. BSG in SozR Nr. 13 - Ca8 - zu § 38 BVG), ist zutreffend.

Steht sonach fest, daß der Beklagte die Anerkennung der Resterscheinungen einer Nervenentzündung der oberen Gliedmaßen nicht durch den auf § 62 BVG gestützten Bescheid vom 15. September 1956 hätte beseitigen dürfen, so erweist sich das angefochtene Urteil damit aber noch nicht als richtig. Denn diese "Aberkennung" ist zwischen den Beteiligten bindend geworden. Zwar konnte St. trotz dieser eingetretenen Bindung die Versorgungsbehörde um die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG bitten. Diese Behörde würde mit ihrem ablehnenden Bescheid das ihr eingeräumte Ermessen (vgl. BSG in SozR Nr. 3 zu § 40 VerwVG; BSG 19, 286) jedoch nur dann verletzt haben, wenn sich bei erneuter Prüfung herausgestellt hätte, daß diese Resterscheinungen einer Nervenentzündung und die M. S. mit Wahrscheinlichkeit auf eine Schädigung im Sinne des § 1 BVG ursächlich zurückzuführen sind. Denn nur unter dieser Voraussetzung hat der Beschädigte einen Anspruch auf Versorgung (§ 1 Abs. 3 BVG). Das LSG hat jedoch festgestellt, daß der Bescheid vom 16. Februar 1954 möglicherweise oder vielleicht sogar wahrscheinlich mit § 1 Abs. 3 BVG in Widerspruch stehe, ferner daß sich (nur) die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs der M. S. mit schädigenden Vorgängen nicht ausschließen lasse. Das LSG hat es als belanglos bezeichnet, "daß ... beim Kläger die Multiple Sklerose wahrscheinlich nicht gemäß § 1 Abs. 3 BVG als Versorgungsschaden festgestellt werden müßte, wenn diese Frage erstmalig zu prüfen wäre". Sonach fehlt es nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG an der Voraussetzung des § 1 Abs. 3 BVG, die allein einen Versorgungsanspruch des St. für die M. S. und ihre früheren Anzeichen hätte begründen können. Wie der erkennende Senat in BSG 19, 286 ausgeführt hat, begründet § 40 VerwVG keine Verpflichtung der Versorgungsbehörde, den Berechtigten grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Bindung aus einem früheren Bescheid so zu stellen, als ob er von seinem Anfechtungsrecht Gebrauch gemacht hätte; § 40 VerwVG dient nur der Beseitigung einwandfrei feststellbaren Unrechts. In der Regel genügt daher die Verwaltungsbehörde der Pflicht zur sachgemäßen Ausübung des Ermessens nach § 40 VerwVG, wenn sie zu dem durch die Überprüfung gerechtfertigten Ergebnis kommt, daß die beantragte Rechtsfolge auch abgelehnt werden müßte, wenn über sie erstmalig zu entscheiden wäre. Diese Voraussetzung hat das LSG aber verneint. Seiner Auffassung, es genüge bereits, daß der Beklagte mit dem bindend gewordenen Bescheid § 77 SGG verletzt hat, kann nicht zugestimmt werden. Zwar hat der erkennende Senat in BSG 19, 288 ausgesprochen, die Versorgungsbehörde dürfe an dem bindend gewordenen Bescheid nicht festhalten, wenn dieser erkennbar und zweifelsfrei gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoße, es wurde aber einschränkend hinzugefügt, daß sich der Bescheid nach erneuter Überprüfung im Zeitpunkt der Ermessensentscheidung als offensichtlich materiell unhaltbar erweisen müsse. Das ist nicht der Fall, wenn es an der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne des § 1 Abs. 3 BVG und damit an einer - grundsätzlich - unerläßlichen Voraussetzung für die Versorgung fehlt. Der Senat hat in dem in BSG 19, 286 entschiedenen Fall, bei dem die Bindung gemäß § 85 BVG im Umanerkennungsbescheid nicht beachtet worden war, darauf hingewiesen, daß sich der Berechtigte regelmäßig auf die Bindungswirkung mit der sich daraus ergebenden Erschwerung des Beweises über den Kausalzusammenhang verweisen lassen müsse, weil er durch Nichtanfechtung des Bescheides die ihm - nach § 85 BVG - eingeräumte Rechtsposition verloren hat. Gleiches muß auch dann gelten, wenn der Beklagte zwar unter Verstoß gegen § 77 SGG einen Leidenszustand als Schädigungsfolge aberkennt, der ablehnende Bescheid vom Beschädigten jedoch nicht angefochten wird und sich bei erneuter Prüfung nach § 40 VerwVG ergibt, daß der Leidenszustand nach § 1 Abs. 3 BVG schon gar nicht hätte anerkannt werden dürfen. Denn § 40 VerwVG dient nur in dem Sinne der materiellen Gerechtigkeit, daß die im Ergebnis gesetzwidrig erlassenen, aber bindend gewordenen Bescheide ihre Wirkung behalten, wenn bei erstmaliger Entscheidung das Ergebnis materiell dasselbe gewesen wäre. Durch die unterbliebene Anfechtung des Bescheides vom 15. September 1956 ist den Klägern die Rechtsposition verlorengegangen, die dem Beklagten nur dann die Rücknahme der Anerkennung gestattete, wenn der - vom LSG hier verneinte - Nachweis nach § 41 VerwVG geführt werden konnte. Wenn somit auch das Unterbleiben der Anfechtung des Bescheides zu einem Rechtsverlust in diesem Sinne führt, so ist trotzdem durch die Ablehnung eines Zugunstenbescheides die materielle Gerechtigkeit nicht verletzt, weil der Beschädigte so gestellt wird, als würde über seinen Antrag erstmalig entschieden.

Sonach ergibt sich, daß der Beklagte mit der Ablehnung eines Zugunstenbescheides das ihm eingeräumte Ermessen nicht überschritten hat, weshalb das zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangende Urteil des LSG - ebenso wie das SG-Urteil - insoweit abzuändern war.

Das LSG hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - nicht geprüft, ob auch die mit Bescheid vom 17. Mai 1963 erfolgte Ablehnung eines Härteausgleichs nach § 89 Abs. 2 BVG in der Fassung des 1. NOG rechtmäßig gewesen ist. Dieser Bescheid ist allerdings nicht, wie es in ihm heißt, nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Denn er betrifft eine " Kann "-Versorgung, während es im angefochtenen Bescheid vom 20. Mai 1959 darum ging, ob dem Kläger nach erneuter Überprüfung Versorgung als Rechtsanspruch zu gewähren ist. Der spätere Verwaltungsakt hat daher den früheren nicht abgeändert oder ersetzt, wie es in § 96 Abs. 1 SGG vorausgesetzt wird. Zwar besteht zwischen beiden Bescheiden ein Sachzusammenhang, dieser allein genügt jedoch nicht, der spätere Verwaltungsakt muß vielmehr denselben Streitgegenstand (§ 92 SGG) betreffen (vgl. BSG in SozR Nr. 12 zu § 96 SGG). Das ist hier nicht der Fall. Es genügt nicht, wenn der spätere Bescheid den früheren nur ergänzt oder erweitert (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Anm. 1 c zu § 96 SGG - S. II/33 -). Der Bescheid vom 17. Mai 1963 ist jedoch deshalb Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, weil er mit einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung versehen wurde und sich der Kläger vor dem SG mit Schriftsatz vom 3./5. Juli 1963 gegen diesen Bescheid gewandt hat. Er ist damit innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG mit der Klage, in der zugleich ein Widerspruch zu erblicken ist (vgl. BSG in SozR Nr. 11 zu § 79 SGG), vor dem SG angefochten und deshalb Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Da der Senat die zur Frage eines Härteausgleichs erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen konnte und bisher auch das Vorverfahren noch nicht durchgeführt ist, war der Rechtsstreit in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG wird zunächst das Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) nachholen bzw. zu Ende führen lassen müssen (vgl. BSG in SozR Nr. 11 zu § 79 SGG). Bei seiner neuen Entscheidung wird es zu erwägen haben, ob angesichts des Umstandes, daß St. bis zuletzt wegen trophischer und entzündlicher Veränderungen und einer Ischiasnervenschädigung die Rente eines Schwerbeschädigten erhielt, der Hinweis des Dr. K, daß die ersten Symptome der M. S. nicht drei Monate nach Beendigung der Dienstleistung 1946, sondern erst 1952 aufgetreten bzw. nachgewiesen seien, zur Ablehnung eines Härteausgleichs genügt. Das Universitätsgutachten vom 28. Februar 1956 hatte darauf hingewiesen, daß sich die trophischen Veränderungen u. a. in Durchblutungsstörungen äußern, wie sie bei St. gefunden wurden, und daß man auch bei der M. S. die Bedeutung exogener Faktoren nicht ganz vernachlässigen könne und daß sie jedenfalls bei schwerwiegenden Einwirkungen als wahrscheinliche Mitursachen in Betracht kämen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380312

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