Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Sprungrevision ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter
Leitsatz (redaktionell)
Ein ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter zustande gekommener Beschluß über die Zulassung der Sprungrevision muß - da die Auslegung der Neuregelung in SGG § 161 Abs 1 S 1 nach ihrem Inkrafttreten (1975-01-01) zunächst ungewiß war - für eine Übergangszeit noch als wirksam angesehen werden.
Orientierungssatz
Bei Streitigkeiten über das Bestehen der Versicherungspflicht kann die Entscheidung gegenüber Arbeitgeber und Versicherten nur einheitlich ergehen. Der Versicherte ist daher notwendiger Streitgenosse und nach SGG § 75 Abs 2 beizuladen.
Normenkette
SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 161 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-07-30
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. August 1975 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für die bei ihm als Haushälterin und Pflegekraft für seine gelähmte Ehefrau beschäftigte Maria H (H.) Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und den Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung der Arbeiter an die Beklagte abzuführen hat.
Die am 22. Dezember 1907 geborene H. bezieht seit 1. Januar 1973 Altersruhegeld von der beigeladenen Landesversicherungsanstalt Baden und setzte über diesen Zeitpunkt hinaus ihre Beschäftigung beim Kläger fort. Die Beklagte forderte für sie vom Kläger Beiträge zur Krankenversicherung und den Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 21. Februar 1975 und 7. Mai 1975). Das Sozialgericht (SG) Freiburg hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. August 1975). Es hat ausgeführt, daß die Rentnerin H. zwar nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) pflichtversichert in der Krankenversicherung sei, für diese subsidiäre Versicherung sei jedoch Voraussetzung, daß keine Versicherung nach anderen gesetzlichen Vorschriften, insbesondere keine Versicherung nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO vorliege. Aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses der H. beim Kläger liege jedoch eine Pflichtversicherung als Arbeiterin nach dieser Vorschrift vor. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Versicherungsfreiheit seien nicht gegeben. Die Regelung des § 165 Abs. 6 RVO verstoße nicht gegen das Grundgesetz (GG). Sie sei aus sachgerechten Erwägungen getroffen worden. Durch sie habe die früher mögliche Doppelversicherung und außerdem die unnötige Belastung der für die Beiträge aufkommenden Rentenversicherungsträger vermieden werden sollen. Auch § 1386 RVO verstoße nicht gegen das GG, wie sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluß vom 16. Oktober 1962 - 2 BvL 27/60) zu dem gleichlautenden § 113 des Angestelltenversicherungsgesetzes ergebe.
Das SG hat auf den Antrag des Klägers, dem die schriftliche Zustimmung der Beklagten beigefügt war, durch Beschluß des Kammervorsitzenden vom 10. November 1975 gemäß § 161 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zugelassen.
Der Kläger hat Revision eingelegt. Er rügt sinngemäß eine Verletzung der §§ 165 Abs. 1 Nr. 1, 165 Abs. 6 und 1386 RVO und vertritt die Auffassung, daß diese Vorschriften jedenfalls insoweit mit Art. 3 Abs. 1 und 20 GG unvereinbar seien, als Pflegeleistungen vom Rentner erbracht werden.
Der Kläger beantragt,
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1. |
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das Urteil des SG aufzuheben, |
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a) |
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die von ihm beschäftigte H. in der Krankenversicherung nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht versicherungspflichtig ist, |
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b) |
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er nicht verpflichtet ist, nach § 1386 RVO den Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung der Arbeiter zu leisten, |
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3. |
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die Beklagte zu verurteilen, die seit 1. Januar 1973 geleisteten Beiträge ihm bzw. der Versicherten H. zurückzuerstatten. |
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sämtliche Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Sache an das Landessozialgericht (LSG) zurückzuverweisen.
Die Revision ist vom SG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluß des Kammervorsitzenden zugelassen worden. Diese Entscheidung ist fehlerhaft zustande gekommen, aber dennoch für das Revisionsgericht bindend. Der erkennende Senat schließt sich der zu dieser Frage ergangenen Rechtsprechung anderer Senate des Bundessozialgerichts an (Urteil des 2. Senats - SozR 1500 § 161 Nr. 4, des 8. Senats - SozR 1500 § 161 Nr. 6, des 11. Senats - SozR 1500 § 161 Nr. 7, des 10. Senats vom 10. März 1976 - 10 RV 193/75, des 4. Senats vom 30. September 1976 - 4 RJ 3/76 und des 3. Senats vom 14. Dezember 1976 - 3 RK 23/76), wonach eine ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zustande gekommene Zulassungsentscheidung jedenfalls noch für eine Übergangszeit als wirksam anzusehen ist. Die Entscheidung des SG im vorliegenden Fall ist aber noch innerhalb dieser Übergangszeit ergangen.
Die Revision ist insoweit begründet, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung führt. Das Verfahren des SG leidet an einem wesentlichen Mangel. Das hierauf beruhende Urteil kann keinen Bestand haben.
Bei Streitigkeiten über das Bestehen der Versicherungspflicht kann die Entscheidung gegenüber Arbeitgeber und Versicherten nur einheitlich ergehen. Der Versicherte ist daher notwendiger Streitgenosse und nach § 75 Abs. 2 SGG beizuladen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I/2, S. 234 w VI). Das Streitverhältnis, über das vom SG zu befinden war, betrifft nicht nur die von der Beklagten geltend gemachte Verpflichtung des Klägers, Beiträge für die bei ihm beschäftigte H. zur gesetzlichen Krankenversicherung und Rentenversicherung abzuführen, sondern auch und vorrangig die Frage, ob die H. selbst überhaupt als Arbeitnehmerin versicherungs- und beitragspflichtig in der Krankenversicherung ist. Die als Versicherte in Betracht kommende H. hätte sonach zwingend beigeladen werden müssen, was jedoch nicht geschehen ist. Das Unterlassen der notwendigen Beiladung ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrenfehler zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nr. 1).
Das angefochtene Urteil muß sonach aufgehoben und - da das Revisionsgericht die Beiladung nicht selbst vornehmen kann (§ 168 SGG) - der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Der erkennende Senat hält nach Lage des Falles die Zurückverweisung an das LSG, das für die Berufung zuständig gewesen wäre, für angemessen (§ 170 Abs. 4 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen