Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufskrankheit. Hepatitis. erhöhte Infektionsgefährdung
Orientierungssatz
Die Anerkennung einer Hepatitis als Berufskrankheit nach Nr 37 der Anlage 1 zur BKVO 7 setzt voraus, daß die Berufstätigkeit der Versicherten als Krankenschwester mit besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Gefahren verbunden war, an Hepatitis zu erkranken (vgl vom 15.12.1982 2 RU 32/82 = USK 82226).
Normenkette
RVO § 551 Abs 1 Fassung: 1963-04-30; BKVO 7 Anl 1 Nr 37 Fassung: 1968-06-20; BKVO Anl 1 Nr 3101 Fassung: 1976-12-08
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 17.01.1984; Aktenzeichen L 2 U 54/82) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 29.04.1982; Aktenzeichen S 3 U 18/78) |
Tatbestand
Die im Jahre 1937 geborene und während des Revisionsverfahrens am 2. Dezember 1984 verstorbene Klägerin war als Krankenpflegeschülerin im Städtischen Krankenhaus in L. an einer Hepatitis epidemica erkrankt (Berufskrankheit nach Nr 37 der Anlage zur Sechsten Berufskrankheitenverordnung -6. BKVO- vom 28. April 1961 - BGBl I 505). Durch Bescheid vom 26. Januar 1965 stellte der beigeladene Gemeindeunfallversicherungsverband (Beigeladener zu 2) als Zeitpunkt des Versicherungsfalles den 21. August 1963 fest und gewährte der Klägerin von dem Tage nach Wegfall der Arbeitsunfähigkeit am 28. Februar 1964 bis 13. September 1964 die Vollrente und vom 14. September 1964 bis 20. Dezember 1964 eine Teilrente von 50 vH der Vollrente. Ab 21. Dezember 1964 wurde keine Rente gewährt, da die durch die Berufskrankheit bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unter 20 vH lag.
Seit dem Jahre 1969 war die Klägerin als Krankenschwester in der Orthopädischen Universitätsklinik in H./S. tätig. Am 16. August 1974 zeigte Dr.B. von der Medizinischen Universitätsklinik und Poliklinik in H./S. der Beklagten an, daß bei der Klägerin eine Hepatitis als Berufskrankheit vorliege. Auf Ersuchen des Beklagten teilte die Orthopädische Universitätsklinik am 28. Juli 1975 mit, daß auf der Station, bei welcher die Klägerin beschäftigt gewesen sei, in den letzten drei Jahren kein Fall einer infektiösen Hepatitis aufgetreten sei. Der Staatliche Gewerbearzt des Saarlandes hielt in seiner Stellungnahme vom 5. Dezember 1975 eine Berufskrankheit nach Nr 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) nicht für genügend wahrscheinlich. In einer weiteren Stellungnahme vom 17. März 1976 vertrat er die Auffassung, daß es sich bei der Klägerin um Folgen der Erkrankung von 1963 handele. In dem für den Beklagten erstatteten Gutachten vom 27. April 1976 kam der Facharzt für innere Krankheiten Dr. B. zu dem Ergebnis, daß bei der Klägerin seit 1963 eine chronische Hepatitis vorliege, die 1974 zu einem akuten Schub geführt habe. Der Staatliche Gewerbearzt für Rheinland-Pfalz widersprach in seiner Stellungnahme vom 19. April 1977 der Beurteilung von Dr. B. Die Hepatitis aus dem Jahre 1963 sei abgeheilt gewesen. Die 1974 aufgetretene akute Hepatitis sei mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Neuerkrankung. In einem ergänzenden Gutachten vom 18. Juli 1977 hielt Dr. B. an seiner Auffassung fest. Durch Bescheid vom 2. Januar 1978 lehnte die Beklagte die Erkrankung vom August 1974 als Berufskrankheit ab. Die Klägerin sei bei ihrer Tätigkeit in den Universitätskliniken H. nicht einer erhöhten, über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen. Auch habe eine Infektionsquelle nicht nachgewiesen werden können.
Die Klage der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen einer Berufskrankheit nach Nr 3103 der Anlage 1 der BKVO hat das Sozialgericht (SG) für das Saarland abgewiesen (Urteil vom 29. April 1982). Zwar habe es sich bei der Erkrankung der Klägerin im Jahre 1974 um eine Neuerkrankung gehandelt, jedoch sei nicht wahrscheinlich, daß die Klägerin durch ihre berufliche Tätigkeit einer über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen sei. Eine Infektionsquelle habe nicht nachgewiesen werden können. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Abänderung des Bescheides des Beklagten festgestellt, daß die im August 1974 aufgetretene Hepatitis eine von dem Beklagten zu entschädigende Berufskrankheit ist (Urteil vom 17. Januar 1984). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Die Klägerin habe als Krankenschwester zu dem nach Nr 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO geschützten Personenkreis gehört. Für die Anerkennung einer Berufskrankheit genüge nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), daß eine Infektionskrankheit durch die berufliche Beschäftigung verursacht worden sei, ohne daß es der Feststellung einer konkreten Infektionsquelle bedürfe (BSG Urteil vom 15. Dezember 1982 - 2 RU 32/82 -). Aus dem im Berufungsverfahren erstatteten Gutachten des Prof. Dr. M. vom 25. November 1983 ergebe sich, daß eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden sei, daß sich die Klägerin die Hepatitis durch ihre Tätigkeit als Krankenschwester in der Orthopädischen Universitätsklinik in H./S. zugezogen habe. Die bei der Klägerin ab 1963 bestandene Hepatitis sei folgenlos abgeheilt gewesen. In der Orthopädischen Universitätsklinik vorhandene Infektionsquellen, insbesondere die im März/April 1974 dort behandelte Patientin, machten es wahrscheinlich, daß sich die Klägerin die Hepatitis durch berufliche Tätigkeit zugezogen habe. Das Gericht folge insofern den überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. M.
Auf die Beschwerde des Beklagten hat das BSG die Revision zugelassen (Beschluß vom 24. Mai 1984 - 2 BU 44/84).
Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Für die Anerkennung einer Infektionskrankheit als Berufskrankheit sei zwar nicht erforderlich, eine Infektionsquelle in der Klinik namhaft zu machen und den Nachweis zu erbringen, daß gerade diese Infektionsquelle die Erkrankung der versicherten Person herbeigeführt habe. Jedoch müsse festgestellt werden, daß und wodurch die versicherte Person durch ihre Tätigkeit einer erhöhten, über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen sei. Das LSG und der von ihm gehörte Sachverständige Prof. Dr. M. mißverstünden die Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 9. Dezember 1964 - 2 RU 230/61 - BG 1965, 447, vom 29. Januar 1974 - 8/7 RU 58/71 - und vom 15. Dezember 1982 - 2 RU 32/82 - USK 82226) dahingehend, daß praktisch jede Hepatitiserkrankung einer Person, die in irgendeiner Klinik tätig gewesen sei, als beruflich bedingt anzusehen sei. In medizinischen Fachkreisen werde hinsichtlich der Ansteckungsgefahr differenziert zwischen Personen, die in hepatitisgefährdeten Einrichtungen tätig seien, wie Dialyseabteilungen, Intensivpflegestationen, Stoffwechselkliniken, und solchen Personen, die in allgemeinen Krankenstationen und - wie im vorliegenden Fall - in der Orthopädie tätig seien. Bei letzteren werde der Nachweis der Pflege oder Betreuung hepatitiserkrankter Patienten gefordert (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 3. Aufl, S 585; Nauroth in Wildhirt, Hepatitis als Berufskrankheit im Gesundheitsdienst; Arbeitstagung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege Hamburg 1978, S 31 ff). Der Nachweis einer konkreten Ansteckungsgefahr für die Klägerin sei hier nicht erbracht. Die eine in der Orthopädischen Universitätsklinik im März/April 1974 behandelte Patientin mit erhöhten Transaminasen scheide als Infektionsquelle aus. An welcher Erkrankung diese Patientin gelitten habe, sei nicht festgestellt worden. Die von Prof. Dr. M. geäußerten allgemeinen Vermutungen über eine Ansteckung durch Händedruck oder durch Patienten anderer Stationen und durch Ablieferung von Patientenblut im Labor genügten nicht, um eine erhöhte Ansteckungsgefahr der Klägerin nachzuweisen. Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sei die Frage, ob die 1974 festgestellte Hepatitiserkrankung der Klägerin möglicherweise eine Folgeerkrankung nach der 1965 anerkannten Berufskrankheit darstelle.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des LSG für das Saarland vom 17. Januar 1984 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG für das Saarland vom 29. April 1982 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise das Urteil des LSG für das Saarland vom 17. Januar 1984 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Sie trägt vor, das LSG habe eindeutig festgestellt, daß sie durch ihre berufliche Tätigkeit erkrankt sei, wenn es unter Bezug auf das Gutachten des Prof. Dr. M. vom 25. November 1983 ausführe, daß eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden sei, daß sie sich die Hepatitis durch ihre Tätigkeit als Krankenschwester in der Orthopädischen Universitätsklinik H. zugezogen habe. Es habe auch ausdrücklich auf die in der Klinik im März/April 1974 behandelte Patientin als Infektionsquelle hingewiesen. Die Ausführungen des Beklagten richten sich im wesentlichen gegen das Ergebnis der verfahrensfehlerfreien Beweiswürdigung des LSG. Falls die tatsächlichen Feststellungen zur Ansteckungsgefahr nicht ausreichten, müsse die Sache an das LSG zurückverwiesen werden.
Die Beigeladene zu 1) beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Sie trägt vor, daß sie dem angefochtenen Urteil zustimme. Die Klägerin habe, wie sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. M. hervorgehe, häufig Blutentnahmen durchgeführt. Dies reiche nach der Rechtsprechung aus, um eine erhöhte Infektionsgefahr anzunehmen. Die Wahrscheinlichkeit der Infektion bei der beruflichen Arbeit der Klägerin sei geprüft und nachgewiesen worden.
Der Beigeladene zu 2) stellt keinen Antrag.
Er trägt vor, an der Feststellung des LSG im angefochtenen Urteil, daß die bei der Klägerin ab 1963 bestehende Hepatitis folgenlos abgeheilt sei und der Beklagte diese Feststellungen nicht angreife folge, daß ein Zusammenhang zwischen der von ihr als Berufskrankheit anerkannten Hepatitis im Jahre 1974 ein Zusammenhang ausgeschlossen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen ist.
Durch den während des Revisionsverfahrens eingetretenen Tod der Klägerin ist eine Unterbrechung des Verfahrens nicht eingetreten, da die Klägerin durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten war (s § 202 SGG iVm § 246 Abs 1 ZPO; BSG SozR 1750 § 246 Nr 1). Mangels eines Antrags war das Verfahren auch nicht auszusetzen.
Die Anerkennung der bei der Klägerin seit 1974 vorliegenden Hepatitis als Berufskrankheit nach Nr 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO setzt, abgesehen von der hier unzweifelhaft gegebenen Zugehörigkeit zum geschützten Personenkreis (Tätigkeit im Gesundheitsdienst) voraus, daß die Berufstätigkeit der Klägerin als Krankenschwester mit besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Gefahren verbunden war, an Hepatitis zu erkranken (vgl BSGE 6, 186, 188; BSG SozR Nr 1 zu Anl 37 6. BKVO vom 28. April 1961; BSG Urteil vom 28. September 1972 - 7 RU 34/72 - USK 72148, vom 29. Januar 1974 - 8/7 RU 58/71 -, vom 15. Dezember 1982 - 2 RU 30/82 - und vom 15. Dezember 1982 - 2 RU 32/82 - USK 82226).
Das angefochtene Urteil enthält keine tatsächlichen Feststellungen, aus denen zu entnehmen wäre, daß die Klägerin bei der Ausübung ihres Berufes über das im täglichen Leben bestehende Risiko hinaus, an einer Hepatitis zu erkranken, gefährdet war. Solche Feststellungen sind insbesondere auch deshalb unerläßlich, weil nach dem Anhang II Abs III zum Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu Nr 3101 der Anlage 1 zur BKVO (abgedruckt bei Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, Anhang Nr 2 S 84/8) die Virushepatitis weltweit verbreitet, eine der häufigsten Infektionskrankheiten überhaupt und die Bevölkerung hochgradig durchseucht ist (so schon betr Tuberkulose EuM 37, 433; 41, 7). Die Möglichkeit, sich außerhalb der beruflichen Tätigkeit mit Hepatitis zu infizieren, war demnach für die Klägerin jederzeit gegeben. Das LSG hat nicht festgestellt, daß die Klägerin durch ihr Aufgabengebiet einer Infektionsgefährdung besonders ausgesetzt war (s zB Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO und Nauroth aaO). Bei einer orthopädischen Klinik kann auch nicht schon wie zB bei einer Klinik für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten davon ausgegangen werden, daß ein gewisser Prozentsatz der Patienten unerkannt an Hepatitis erkrankt ist (BSG Urteile vom 15. Dezember 1982, aa0). Die Annahme, daß die Klägerin bei ihrer Tätigkeit in einer orthopädischen Klinik unabhängig von ihrem Aufgabenbereich einer Hepatitisexposition besonders ausgesetzt war, setzt unter Berücksichtigung des Beginns ihrer Erkrankung im Jahre 1974 den Nachweis eines unmittelbaren oder mittelbaren Kontaktes mit Personen im Klinikbereich voraus, die an Hepatitis erkrankt waren, wobei der Kreis der in Betracht kommenden Personen nicht auf Patienten der Orthopädischen Universitätsklinik beschränkt ist und eine bestimmte Infektionsquelle nicht nachgewiesen zu werden braucht.
Das angefochtene Urteil läßt nicht erkennen, daß das LSG diese Grundsätze seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat. Es zitiert zwar das Urteil des BSG vom 15. Dezember 1982 - 2 RU 32/82 - (aaO), verweist aber im übrigen nur auf das Gutachten des Prof. Dr. M. vom 25. November 1983. In diesem Gutachten enthaltene Tatsachen, die für eine erhöhte Infektionsgefährdung der Klägerin bei ihrer beruflichen Tätigkeit und den ursächlichen Zusammenhang mit dieser Tätigkeit sprechen könnten, hat das LSG - was unumgänglich ist - nicht festgestellt. Auch soweit das LSG als Infektionsquelle für die Hepatitis der Klägerin eine in den Monaten März/April 1974 in der Orthopädischen Universitätsklinik behandelte Patientin für wahrscheinlich ansieht, mangelt es an tatsächlichen Feststellungen, die diesen Schluß zulassen. Prof. Dr. M. hat in seinem Gutachten dargelegt, obwohl bei jener Patientin eine Hepatitisserologie nicht durchgeführt worden sei, könne sie als Infektionsquelle nicht ausgeschlossen werden. In der von dem Beklagten im sozialgerichtlichen Verfahren überreichten Stellungnahme des Dr. Z. vom 18. Januar 1980 findet sich der Hinweis, daß hohe Transaminasen, die bei jener Patientin festgestellt worden waren, auch bei zahlreichen anderen Erkrankungen auftreten könnten. Auch Prof. Dr. B. von der Orthopädischen Universitätsklinik äußerte in seiner Antwort vom 9. November 1981 auf eine Anfrage des SG Zweifel, ob bei jener Patientin eine Transaminasenerhöhung auf dem Boden einer infektiösen Serumhepatitis vorgelegen hat. Er nahm dann aber doch - nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" - eine infektiöse Serumhepatitis als vorliegend an. Der von Prof. Dr. B. zugrunde gelegte Grundsatz gilt jedoch im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht im Sinne eines "in dubio pro aegroto" (s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl S 480 m I).
Da die nach der angeführten Rechtsprechung erforderlichen Tatsächlichen Feststellungen vom Revisionsgericht nicht nachgeholt werden können, war das angefochtene Urteil nur aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen