Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. August 1994 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Der im Jahre 1938 geborene Kläger begehrt für die Zeit ab 1. November 1989 Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente) anstelle der zugebilligten Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit.
Er hatte in der Zeit von Mai 1953 bis Juli 1973 im Steinkohlenbergbau die Berglehre absolviert, die Knappenprüfung bestanden und dann als Knappe im Gedinge, Hauer im Streb, Hauer in der Gewinnung und zuletzt als Maschinenhauer gearbeitet. Ab 1. April 1974 fand er einen Arbeitsplatz als Auslieferungsfahrer bei einer Speditionsfirma (Arbeitgeberin), den er bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 5. Mai 1989 innehatte. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 20. Oktober 1990 war er arbeitslos.
Die Arbeitgeberin war Subunternehmerin der Deutschen Bundesbahn. Sie setzte den Kläger, der nur den Führerschein der Klasse 3 besitzt, als Auslieferungsfahrer für Bahn-Stückgut auf LKWs mit einem zulässigen Gesamtgewicht unter 7,5 Tonnen ein. Zu seinen Aufgaben gehörte es ua, Touren in eigener Verantwortung zu disponieren und zu organisieren, Frachtkarten auszufüllen sowie das Inkasso für die Deutsche Bundesbahn vorzunehmen. Seine Entlohnung richtete sich nach der Lohngruppe 1 (Berufskraftfahrer und qualifizierte Handwerker) des Lohntarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer des Speditions-, Lagerei- und Transportgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 30. Juni 1988 (LTV).
Mit Bescheid vom 26. Februar 1990, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 1990, lehnte die Beklagte ua die Zahlung von BU-Rente ab, weil der Kläger trotz seiner Gesundheitsstörungen (Bluthochdruck, Störung der Nierenfunktion, Einschränkung der Lungenfunktion, chronische Entzündung der Magenschleimhaut und des Zwölffingerdarms, Leber-Parenchymschaden, chronisch-rezidivierender Reizzustand des linken Kniegelenks, Verschleißerscheinungen der Brust- und Lendenwirbelsäule sowie der Schultergelenke) noch vollschichtig und zumutbar als Hilfsarbeiter im Büro, Labor oder Magazin arbeiten könne.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 27. Februar 1992 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat der Berufung des Klägers mit Urteil vom 11. August 1994 teilweise stattgegeben und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger Leistungen wegen BU (BU-Rente oder Übergangsgeld wenigstens in gleicher Höhe) ab 1. November 1989 zu gewähren: Der bisherige Beruf des Klägers als Auslieferungsfahrer sei der Gruppe der Arbeiterberufe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen. Der Kläger habe zwar die zweijährige Ausbildung zum Berufskraftfahrer nicht absolviert und sei auch nicht im Besitz des Führerscheins der Klasse 2, so daß er die formalen Voraussetzungen für die Einordnung in die Lohngruppe 1 nach § 2 Nr 1 Buchst a des LTV nicht erfülle. Tatsächlich sei er aber aufgrund der festgestellten zusätzlichen qualitativen Merkmale nicht nur vergönnungsweise nach der Facharbeiterlohngruppe des LTV bezahlt worden. Die Entlohnung nach der Lohngruppe 1 des LTV sei ein widerlegbares, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch nicht widerlegtes Indiz für die Wertigkeit der zuletzt ausgeübten Tätigkeit. Auf die von der Beklagen angeführten Hilfsarbeitertätigkeiten könne er nicht verwiesen werden.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, § 46 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) sei verletzt. Der Kläger könne nicht einem Berufskraftfahrer mit abgeschlossener zweijähriger Ausbildung gleichgestellt werden. Diesen Beruf habe er bereits deshalb nicht vollwertig ausüben können, weil er weder den Führerschein der Klasse 2 besessen noch eine gleichwertige Berufspraxis habe. Die reine Kraftfahrertätigkeit des Klägers sei nur in zeitlich geringem Umfange mit qualifizierten Verwaltungstätigkeiten in Teilbereichen angereichert gewesen. Dies führe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (Hinweis auf Urteile vom 11. Juli 1985 und 27. April 1989, SozR 2200 § 1246 Nrn 129 und 165) auch dann nicht zum Berufsschutz als Facharbeiter, wenn die Entlohnung im Einzelfall der eines Facharbeiters entsprochen habe.
Auch die neuere Rechtsprechung des BSG zur sog tarifvertraglichen Einordnung einer Tätigkeit innerhalb eines nach Qualitätsstufen geordneten Tarifvertrags habe das LSG verkannt. Die Lohngruppe 1 des LTV sei bereits nach den Feststellungen des LSG nicht einschlägig, vielmehr hätte die Eingruppierung nach dem LTV in die Gruppe 2 erfolgen müssen. Die Bezahlung des Klägers nach der Gruppe 1, bzw die Zahlung eines Zuschlags zur Gruppe 2 in Höhe der Differenz zur Gruppe 1,
sei einzelvertraglich zugesichert und finde im LTV oder wenigstens in einer Betriebsvereinbarung keine Stütze. Zudem habe das LSG seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Es hätte sich aus seiner rechtlichen Sicht gedrängt fühlen müssen, dem Hinweis des BSG im Urteil vom 17. Juni 1993 (SozR 3-2200 § 1246 Nr 32) nachzugehen und zu untersuchen, ob die (einzelvertraglich) nach dem LTV gelernten Handwerkern in der Lohngruppe 1 zu gewährende Zulage in der Praxis zu einem solchen Lohnabstand zu qualifizierten Kraftfahrern geführt habe, daß damit in Wirklichkeit eine weitere übergeordnete Lohngruppe für gelernte Handwerker bestehe und deshalb nach dem LTV qualifizierte Kraftfahrer gelernten Handwerkern nicht gleichgestellt seien. Daran ändere auch der Wegfall der Zulage für qualifizierte Handwerker in späteren Tarifverträgen nichts. Die Verträge seien nicht vergleichbar, denn die Parteien des LTV hätten nunmehr eine entscheidende Änderung in der Struktur des LTV vorgenommen, indem Kraftfahrer ohne ausreichende LKW-Fahrpraxis auch nach der Gruppe L 2 (der früheren Lohngruppe 3) entlohnt werden könnten. Einschlägig sei allein der zur Zeit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses des Klägers gültige LTV.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. August 1994 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 27. Februar 1992 zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt – unter näherer Begründung –,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet.
Das LSG hat dem Kläger ohne Rechtsfehler den Berufsschutz eines Facharbeiters zuerkannt und mangels zumutbarer Verweisungstätigkeiten Leistungen wegen BU ab 1. November 1989 zugesprochen.
Über den Anspruch des Klägers auf Gewährung der Knappschaftsrente wegen BU ist noch nach den Vorschriften des RKG zu entscheiden, denn der Rentenantrag ist bereits im November 1989, also vor der Aufhebung des RKG, gestellt worden und bezieht sich auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫; vgl BSG vom 8. Oktober 1992, SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).
Berufsunfähig ist nach § 46 Abs 2 RKG ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen und geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Verweisungstätigkeiten).
„Bisheriger Beruf” als Ausgangspunkt der Beurteilung nach dieser Vorschrift ist in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn diese die qualitativ höchste ist (s BSG vom 29. März 1994, SozR 3-2200 § 1246 Nr 45 mwN). Eine zuletzt ausgeübte geringerwertige Tätigkeit ist dann unbeachtlich, wenn die vorangegangene höherwertige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben wurde (BSG vom 17. Juni 1993, SozR 3-2200 § 1246 Nr 32 und vom 25. Januar 1994, SozR 3-2200 § 1246 Nr 41). Es kann dahingestellt bleiben, ob die früher vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten im Bergbau, zB als Maschinenhauer, die qualitativ höchsten waren, denn er hat sich von ihnen gelöst,
ohne daß das LSG gesundheitliche Gründe festgestellt oder der Kläger solche vorgetragen hat (BSG vom 17. Juni 1993 aaO und vom 25. Januar 1994 aaO). Nach diesen Grundsätzen ist das LSG zutreffend vom bisherigen Beruf eines Auslieferungsfahrers für Stückgut an die Kunden der Deutschen Bundesbahn ausgegangen. Diesen Beruf kann der Kläger nach den für das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 163 SGG) nicht mehr ausüben.
Die zumutbare Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Für die Beantwortung der Frage, wie einerseits die bisherige Berufstätigkeit des Versicherten qualitativ zu bewerten ist und andererseits Berufstätigkeiten, die der Versicherte nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen ausüben kann, zu beurteilen sind, hat das BSG ein Mehrstufenschema entwickelt. Dieses gliedert die Arbeiterberufe in verschiedene „Leitberufe”, nämlich denjenigen des „Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion” bzw des besonders hochqualifizierten Facharbeiters, des „Facharbeiters” (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des „angelernten Arbeiters” (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des „ungelernten Arbeiters” (vgl zB BSG vom 12. September 1991, SozR 3-2200 § 1246 Nr 17 mwN). Zumutbar iS von § 46 Abs 2 RKG (= § 1246 Abs 2 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) sind Versicherten, die ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können, alle Tätigkeiten, die zur Gruppe mit einem Leitberuf gehören, der eine Stufe niedriger einzuordnen ist als der bisher ausgeübte Beruf.
Ausschlaggebendes Kriterium für die Einstufung in das Mehrstufenschema ist der qualitative Wert der verrichteten Arbeit für den Betrieb (BSG vom 12. Oktober 1993, SozR 3-2200 § 1246 Nr 38). Für die Ermittlung dieser Wertigkeit des bisherigen Berufs hat das BSG neben der Ausbildung auch anderen Merkmalen Bedeutung beigemessen (zB tarifliche Einstufung und damit Höhe der Entlohnung, Dauer der Berufsausübung, Anforderungen und Verantwortlichkeit sowie Bedeutung der bisherigen Tätigkeit für den Betrieb). Erst durch eine Gesamtschau aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte ist bei freier richterlicher Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) eine abschließende Beurteilung möglich (BSG vom 12. Oktober 1993, BSGE 73, 159, 161 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 37; vom 25. Januar 1994, SozR 3-2200 § 1246 Nr 41).
Gegen die Bewertung des hier zu beurteilenden bisherigen Berufs als Facharbeitertätigkeit spricht, daß der Kläger nach den Feststellungen des LSG in bezug auf seine zuletzt ausgeübte Beschäftigung keinen Ausbildungsabschluß hat. Ihm ist auch nicht die Fahrerlaubnis der Klasse 2 erteilt worden. Eine durch Prüfung abgeschlossene Ausbildung als Berufskraftfahrer, die eine Ausbildungszeit von nicht mehr als zwei Jahren voraussetzt (Verordnung über die Berufsausbildung zum Berufskraftfahrer vom 26. Oktober 1973, BGBl I 1518), reicht im allgemeinen nicht aus, um einem Kraftfahrer den Berufsschutz eines Facharbeiters zuzubilligen (Senatsurteil vom 7. April 1992 – 8 RKn 2/90 –; BSG Urteile vom 9. September 1986 und 7. Oktober 1987, SozR 2200 § 1246 Nrn 140 und 149). Zwar kann ein Versicherter auch dann der Gruppe der Facharbeiter zugeordnet werden, wenn er, ohne die erforderliche Ausbildung durchlaufen zu haben, einen anerkannten Ausbildungsberuf wettbewerbsfähig ausgeübt hat und entsprechend entlohnt worden ist (BSG vom 8. Oktober 1992, SozR 3-2200 § 1246 Nr 29 und vom 25. Januar 1994, SozR 3-2200 § 1246 Nr 41). In diesem Sinne muß aber eine Wettbewerbsfähigkeit im Verhältnis zum vollausgebildeten Facharbeiter bestehen. Er muß nicht nur eine seinem individuellen Arbeitsplatz entsprechende Leistung erbracht haben, sondern über die theoretischen Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten verfügen, die von einem Facharbeiter gemeinhin erwartet werden (BSG vom 28. August 1991, SozR 3-2200 § 1246 Nr 15 und vom 8. Oktober 1992 aaO). Die berufliche Position muß in voller Breite derjenigen des Facharbeiters entsprechen. Wie das LSG richtig erkannt hat, kann hier über eine Gleichstellung mit einem geprüften Berufskraftfahrer der Berufsschutz eines Facharbeiters nicht erlangt werden. Dies scheitert bereits daran, daß unter Beachtung der genannten Rechtsprechung als Minimalvoraussetzung der Besitz des Führerscheins der Klasse 2 gefordert werden muß und generell mit einer Gleichstellung allenfalls der Status eines Angelernten, gegebenenfalls im oberen Bereich, erlangt werden könnte. Die von der Revision angeführten Urteile des BSG vom 11. Juli 1985 und 27. April 1989 (SozR 2200 § 1246 Nrn 129 und 165) hat das LSG durchaus beachtet.
Dem stehen aber Tatsachen gegenüber, die eine Bewertung des bisherigen Berufs als Facharbeitertätigkeit rechtfertigen. Das LSG hat zu Recht den zur Zeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gültigen und einschlägigen Tarifvertrag, nämlich den LTV für die gewerblichen Arbeitnehmer des Speditions-, Lagerei- und Transportgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen idF vom 30. Juni 1988, herangezogen und unter Würdigung der tariflichen Einstufung des Klägers in das tarifvertragliche System eine Gleichstellung der letzten Tätigkeit des Klägers mit derjenigen eines Facharbeiters (mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren) innerhalb des Mehrstufenschemas festgestellt.
Es kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß die der Berufswelt besonders nahestehenden Tarifpartner bei der tariflichen Einstufung die Qualität des Berufs aufgrund seiner positiv zu bewertenden Merkmale und Anforderungen berücksichtigen (BSG vom 17. Juni 1993, SozR 3-2200 § 1246 Nr 32 S 114 und vom 12. September 1991, SozR 3-2200 § 1246 Nr 18 S 71). Die Rechtsprechung des BSG mißt tariflichen Regelungen unter zweierlei Gesichtspunkten Bedeutung zu. Einerseits im Sinne einer abstrakten „tarifvertraglichen”) Klassifizierung der Tätigkeit, dh der Beschreibung von Berufsbildern durch die Tarifpartner innerhalb eines nach Qualitätsstufen geordneten Tarifvertrags, woraus sich dann Rückschlüsse auf die Qualität des Berufs und die Eingruppierung in das Mehrstufenschema ziehen lassen. Andererseits im Sinne der konkreten Einstufung des Versicherten, dh die vom Arbeitgeber vorgenommene „tarifliche”) Zuordnung der konkreten Tätigkeit zu einer bestimmten Lohngruppe innerhalb des maßgeblichen Tarifvertrags (vgl mwN BSG vom 28. Mai 1991, SozR 3-2200 § 1246 Nr 14). Die Folgerungen für die Wertigkeit einer Tätigkeit sind jedoch verschieden:
Nach der Rechtsprechung des 5. und des 13. Senats des BSG kann, wenn die Tarifvertragsparteien einen bestimmten Beruf im Tarifvertrag aufführen und einer Tarifgruppe zuordnen, im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß die tarifvertragliche Einstufung der einzelnen, in der Tarifgruppe genannten Berufstätigkeiten auf deren Qualität beruht. Demgemäß läßt die abstrakte (tarifvertragliche) Einordnung einer bestimmten Berufstätigkeit in eine Tarifgruppe, in der auch Facharbeiter eingeordnet sind, im allgemeinen den Schluß zu, daß diese Berufstätigkeit im Geltungsbereich des Tarifvertrages als Facharbeitertätigkeit zu qualifizieren ist (vgl BSG vom 18. Januar 1995 – 5 RJ 18/94 – mwN und BSG vom 28. Mai 1991, aaO). Der Senat kann jedoch offenlassen, inwieweit er dieser Rechtsprechung des 5. und des 13. Senats folgt oder dabei bleibt, daß die abstrakte, tarifvertragliche Einstufung lediglich als „gutes Indiz” (so der Senat im Urteil vom 7. April 1992 – 8 RKn 2/90; s dazu in weiterer Abgrenzung BSG, 4. Senat, vom 25. Januar 1994, SozR 3-2200 § 1246 Nr 41) gewertet werden kann. Denn der 5. und der 13. Senat gehen davon aus, daß eine derartige Bindungswirkung nur dann bestehen kann, wenn die Tarifvertragsparteien bestimmte berufliche Tätigkeiten ausdrücklich in das Lohngruppengefüge eingeordnet haben.
Der LTV vom 30. Juni 1988 erwähnt, wovon auch das LSG ausgeht, in der Lohngruppeneinteilung des § 2 Nr 1 Kraftfahrer sowohl in der Lohngruppe 1 als auch in der Lohngruppe 2. Um der Lohngruppe 1 anzugehören, müssen sie jedoch alternativ weitere qualifizierende Kriterien erfüllen:
- abgeschlossene zweijährige Ausbildung als Berufskraftfahrer und anschließende zweijährige einschlägige Fahrpraxis mit Führerschein der Klasse 2
- oder staatlich anerkannte Prüfung als Berufskraftfahrer nach vorangegangener vierjähriger einschlägiger Fahrpraxis mit Führerschein der Klasse 2
- oder gleichwertige Kenntnisse und Fertigkeiten nach achtjähriger einschlägiger Fahrpraxis mit Führerschein der Klasse 2.
Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger allein schon wegen des Fehlens des Führerscheins der Klasse 2 keines der Eingruppierungskriterien für die Lohngruppe 1 erfüllt und deshalb seine spezielle Tätigkeit nicht tarifvertraglich von der Lohngruppe 1 erfaßt ist.
Das LSG hat jedoch in diesem Zusammenhang den LTV dahin ausgelegt, daß die Lohngruppe 1 innerhalb dieses nach Qualitätsstufen geordneten Tarifvertrags durch den Leitberuf des Facharbeiters geprägt ist, weil in der Lohngruppe 1 nach § 2 Nr 1 Buchst a und b des LTV Berufskraftfahrer (in der Regel mit erfolgreich abgeschlossener Ausbildung) Handwerkern (in der Regel mit erfolgreich abgeschlossener Ausbildung) gleichgestellt sind und dies nicht auf qualitätsfremden Gesichtspunkten beruht. Diese ohne Rechtsirrtum vorgenommene Auslegung des LTV führt dazu, daß die nach der Lohngruppe 1 entlohnten Berufskraftfahrer in Nordrhein-Westfalen den Berufsschutz eines Facharbeiters besitzen, obwohl sie bei genereller Betrachtung nur einen Anlernberuf mit einer Ausbildungszeit von bis zu zwei Jahren ausüben (dazu mwN BSG vom 27. Juni 1993, SozR 3-2200 § 1246 Nr 32).
Entgegen der Ansicht der Revision ist diese Feststellung in bezug auf den Kläger nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das LSG hat seine Aufklärungspflicht nicht dadurch verletzt, daß es den Hinweisen im Urteil des BSG vom 27. Juni 1993 (aaO) nicht nachgegangen ist. Das BSG hielt es für erforderlich, zu untersuchen, ob die nur Handwerkern mit erfolgreich abgeschlossener Lehre zu gewährende und einzelvertraglich zu vereinbarende Zulage (§ 2 Nr 2 Satz 3 und 4 LTV) dazu geführt haben könnte, daß von einer Gleichstellung der Berufskraftfahrer mit den Handwerkern (dh Facharbeitern) generell nicht mehr die Rede sein könne. Dies sei, so das BSG, regelmäßig der Fall, wenn die Zulage gelernten Handwerkern ohne weiteres zustehe und den Umfang der Differenz zur nächsten Lohngruppe habe. Dem hat das LSG ohne Verstoß gegen die Denkgesetze mit hinreichender Begründung entgegengehalten, weitere Ermittlungen seien nicht geboten, weil die Tarifvertragsparteien in den anschließenden Verträgen bei einer ansonsten im wesentlichen unveränderten Lohngruppenstruktur den Wegfall der Zulage vereinbart hätten. Würde man, so das LSG, in dieser Situation der Zulage nach alten Verträgen noch entscheidende Bedeutung beimessen, würde dies zu dem unhaltbaren Ergebnis führen, daß der Berufsschutz eines Kraftfahrers im nordrhein-westfälischen Speditionsgewerbe davon abhänge, unter Geltung welchen Tarifvertrags er seine Tätigkeit aufgegeben habe. Soweit dazu die Revision vorträgt, die Lohngruppenstruktur der späteren Tarifverträge habe sich geändert, ist das nicht nachvollziehbar. Der von der Beklagten herangezogene LTV vom 22. Mai 1992 enthält hinsichtlich der hier entscheidenden Lohngruppe 4 (früher 1) keinerlei erhebliche Änderungen in der Lohngruppeneinteilung. Die Aufnahme der „Kraftfahrer ohne ausreichende LKW-Fahrpraxis” in die Lohngruppe 2 (früher 3) steht in keinem Zusammenhang mit der Lohngruppe 4 (früher 1) und ist offensichtlich auch keine wesentliche Änderung, denn bereits nach dem LTV vom 30. Juni 1988 erhielten nach § 2 Nr 3 Satz 2 zweite Kraftfahrer, die in die Lohngruppe 2 eingruppiert sind, in den ersten drei Monaten ihrer Tätigkeit im Güterfernverkehr nur 95 % des Tariflohns dieser Lohngruppe. Dies entspricht dem Abstand der Lohngruppe 2 zur Lohngruppe 3 nach dem LTV vom 22. Mai 1992.
Zutreffend hat das LSG die Gleichstellung des Klägers mit einem Facharbeiter im wesentlichen darin gesehen, daß die Tätigkeit des Klägers durch seinen Arbeitgeber der als Facharbeiterlohngruppe zu qualifizierenden Lohngruppe 1 des LTV (vom 30. Juni 1988) zugeordnet wurde. Eine solche Zuordnung ist zwar nach der Rechtsprechung aller Senate des BSG nicht beweisend dafür, daß die vom Versicherten ausgeübte Tätigkeit in ihrer Wertigkeit der Berufs- oder Tarifgruppe entspricht, nach der sie bezahlt wird. Sie ist lediglich ein widerlegbares „Indiz” bzw ein „Anhalt” für eine zutreffende Eingruppierung (vgl BSG vom 28. Mai 1991, SozR 3-2200 § 1246 Nr 14 mwN). Der vorliegende Fall ist indessen, wovon auch das LSG ausgeht, dadurch gekennzeichnet, daß die Tätigkeit eines Auslieferungsfahrers mit zusätzlichem, qualitätssteigerndem Aufgabenprofil, der nur im Besitz des Führerscheins der Klasse 3 ist, nach dem nicht sehr differenzierten generellen Schema der Lohngruppeneinteilung des LTV keiner bestimmten Lohngruppe zugeordnet werden kann, und zwar – wie bereits ausgeführt – weder der Lohngruppe 1 noch der Lohngruppe 2. Bei letzterer finden nämlich besondere qualitätssteigernde Merkmale keine Berücksichtigung.
Eine überwertige Eingruppierung in das Lohngruppenschema des LTV durch einen Arbeitgeber kann Ursachen haben, die mit dem für die Rentenversicherung allein maßgeblichen Wert des Berufs im Arbeitsleben nichts zu tun haben (verwandtschaftliche Beziehungen, Arbeitskräftemangel, Abhängigkeiten usw). Eine solche Eingruppierung ist dann aber versicherungsrechtlich unerheblich. Denn es steht nicht im Belieben des Arbeitgebers, mit Wirkung für die Rentenversicherung durch die überwertige Zuordnung zu einer Facharbeiterlohngruppe dem Versicherten einen Berufsschutz zu verschaffen. Die Schlußfolgerung von der Einstufung durch den Arbeitgeber auf die Qualität der vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeit ist deshalb nur gerechtfertigt, wenn es sich bei den Gründen um Tatsachen handelt, die wirklich qualitativer Art sind. Zudem muß es sich bei diesen zusätzlichen Anforderungen, Fähigkeiten und Kenntnissen um solche handeln, die nicht bereits bei einer unteren Stufe des Tarifvertrags berücksichtigt sind, und es müssen solche „tariflicher Art” sein, dh nach den Wertungen des Tarifvertrags und in bezug auf die Eigenart der ausgeübten Tätigkeit eine qualitative Bedeutung haben (vgl BSG vom 18. Januar 1995 – 5 RJ 18/94 –).
Das Gericht hat in diesem Zusammenhang wegen der Manipulationsmöglichkeit eine besondere Aufklärungspflicht, der Frage nachzugehen, ob qualitätsbildende Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber berechtigten, seinen Arbeitnehmer höher zu gruppieren, als es bei Anwendung des generellen Schemas des LTV gerechtfertigt wäre. Dieser Aufklärungspflicht ist das LSG nachgekommen. Es hat nach umfassender Beweisaufnahme festgestellt, daß der Kläger deshalb nach der Lohngruppe 1 des LTV entlohnt wurde, weil er zusätzlich zur Fahrertätigkeit ua seine Auslieferungstouren selbst geplant, Frachtkarten ausgefüllt und das Inkasso für die Deutsche Bundesbahn vorgenommen hat. Begründete Revisionsrügen wurden gegen diese Feststellungen nicht erhoben. Sie sind deshalb für den Senat verbindlich.
Die abschließende Gesamtbewertung, womit das LSG dem Kläger den Berufsschutz eines Facharbeiters unter Berücksichtigung aller Umstände (auch von Persönlichkeitsmerkmalen, zB wegen der bereits im Bergbau erworbenen Facharbeiterqualifikation und des geradlinigen Berufsweges) zugebilligt hat, ist Ergebnis der freien richterlichen Beweiswürdigung, gegen die die Beklagte keine begründeten Verfahrensrügen vorgebracht hat.
Da der Kläger nach alledem rechtsfehlerfrei als Facharbeiter eingestuft werden konnte, sind ihm nur solche Tätigkeiten sozial zumutbar, die zumindest angelernten Tätigkeiten tarifvertraglich gleichgestellt sind. Insoweit hat das LSG unangefochten festgestellt, daß es solche Tätigkeiten, die einerseits dem eingeschränkten körperlichen Leistungsvermögen entsprechen, andererseits aber auch mit Rücksicht auf den Berufsschutz sozial zumutbar sind, nicht vorhanden sind. Dem Kläger stehen deshalb Leistungen wegen BU zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen