Orientierungssatz
Der durch das 1. NOG-KOV zum BVG neu eingeführte Berufsschadensausgleich (BVG § 30 Abs 3) ist als völlig selbständige neue Leistung neben die in BVG § 30 Abs 2 vorgesehene Möglichkeit der Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen besonderer beruflicher Betroffenheit getreten. Damit ist die Gewährung des Berufsschadensausgleichs nicht davon abhängig, daß die Voraussetzungen des BVG § 30 Abs 2 erfüllt sind (Anschluß an BSG 1969-03-21 9 RV 730/67 = SozR Nr 36 zu § 30 BVG).
Normenkette
BVG § 30 Abs. 2 Fassung: 1964-02-21, Abs. 3 Fassung: 1964-02-21
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Juli 1967 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Kläger, geboren am 19. Februar 1895, bezieht wegen "Verlust des rechten Beines im Oberschenkelbereich, Verkürzung und Bewegungseinschränkung der zweiten Zehe des linken Fußes, Narben über dem Grundgelenk der zweiten Zehe und am linken Kniegelenk" als Schädigungsfolgen (aus dem ersten Weltkrieg) eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 80 v.H.. Er war früher von Beruf Landwirt, Gutsverwalter, Rentmeister und Kreditrevisor.
Ein im Jahre 1961 gestellter Antrag des Klägers, ihm einen Berufsschadensausgleich zu gewähren, wurde abgelehnt, weil er nicht erwerbsunfähig sei.
Den erneuten Antrag des Klägers vom Mai 1964 lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) Köln mit Bescheid vom 25. November 1965 ab, weil "ärztlicherseits und von seiten der Verwaltung das Vorliegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins des Klägers verneint wird"; er könne trotz der Schädigungsfolgen seinen Beruf als leitender Beamter auf dem landwirtschaftlichen Sektor ausüben; außerdem sei bereits früher sein besonderes berufliches Betroffensein verneint worden.
Mit dem Widerspruch bestritt der Kläger, daß ein besonderes berufliches Betroffensein bereits rechtsverbindlich verneint worden sei; im übrigen sei die Gewährung eines Berufsschadensausgleiches nicht davon abhängig, daß die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erfüllt seien.
Das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Nordrhein stellte Ermittlungen über die Berufsausbildung, die frühere Berufstätigkeit und das frühere Einkommen des Klägers an; es holte auch Auskünfte des Trägers der Sozialversicherung ein. Darauf wies es den Widerspruch durch Bescheid vom 4. Mai 1966 zurück. Der Kläger sei in seinem Beruf als landwirtschaftlicher Verwalter nicht besonders betroffen; es bestehe kein Anlaß, auf die Bindungswirkung der früheren Entscheidungen zu verzichten; dies um so weniger, als die vorgenommene Überprüfung ergeben habe, daß die verhältnismäßig geringe Angestelltenversicherungs-Rente (AV-Rente) des Klägers nicht auf etwaige berufliche Behinderungen zurückzuführen sei, sondern darauf, daß er viele Jahre bei Verwandten gearbeitet habe (Vater) und in dieser Zeit nicht versichert worden sei, oder sich später von der Versicherungspflicht habe befreien lassen. Zwar sei die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs gemäß Nr. 7 Satz 2 der Verwaltungsvorschrift zu § 30 BVG nicht davon abhängig, daß die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BVG erfüllt seien; im Falle des Klägers lasse sich aber für den jetzt interessierenden Zeitraum ab 1. Januar 1964 kein durch die Art der Schädigungsfolgen verursachter Minderverdienst (vermindertes Renteneinkommen) nachweisen oder auch nur wahrscheinlich machen. Damit entfalle schon rein begrifflich jede Voraussetzung für die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs.
Mit der Klage hat der Kläger beantragt, ihm einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG auf der Grundlage eines Vergleichseinkommens nach der Besoldungsgruppe A 14 zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Klage mit Urteil vom 16. September 1966 abgewiesen. In dem Urteil heißt es, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Schädigungsfolgen und einem besonderen beruflichen Betroffensein mit Einkommensverlust im Beruf liege nicht vor; der Kläger habe mindestens bis zu seinem 64. Lebensjahr trotz der Schädigungsfolgen seinen Beruf ausüben können; seine geringe Altersversorgung beruhe nicht auf den Schädigungsfolgen.
Mit der Berufung hat der Kläger noch geltend gemacht, ihm sei wegen seiner Kriegsleiden vorzeitig die Rente aus der Angestelltenversicherung bewilligt worden.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 14. Juli 1967 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, aufgrund früherer Bescheide stehe rechtsverbindlich fest, daß der Kläger nicht im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG besonders beruflich betroffen sei; damit entfalle der Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG. Bei dieser Rechtslage sei nicht mehr zu prüfen, ob er bis zu seiner Pensionierung in seinem Beruf als leitender landwirtschaftlicher Angestellter tätig gewesen sei und ob nicht die Schädigungsfolgen, sondern nichtschädigungsbedingte Leiden dafür verantwortlich zu machen seien, daß er seinen Beruf nicht mehr habe ausüben können.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat fristgemäß und formgerecht Revision eingelegt.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16. September 1966 sowie die Bescheide des Beklagten vom 25. November 1965 und 4. Mai 1966 aufzuheben und diesen zu verurteilen, dem Kläger Berufsschadensausgleich auf der Grundlage eines Vergleichseinkommens der Besoldungsgruppe A 11 zu gewähren; hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger rügt, das LSG habe die Vorschriften der §§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), 30 Abs. 3 und 4 BVG verletzt. Die Annahme des LSG, es stehe rechtsverbindlich fest, daß der Kläger nicht besonders beruflich betroffen sei im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG, begegne rechtlichen Bedenken. Im übrigen treffe aber die Auffassung des LSG nicht zu, daß das Vorliegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG und die Erhöhung des MdE-Grades nach dieser Vorschrift Voraussetzung für den Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG sei.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er führt aus, das Urteil des LSG sei jedenfalls im Ergebnis zutreffend. Die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs scheitere nämlich daran, daß eine schädigungsbedingte Einkommensminderung des Klägers nicht festzustellen sei.
Die Revision des Klägers ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sie hatte auch insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Das LSG hat zutreffend angenommen, der Beklagte habe die Höherbewertung der MdE des Klägers wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG in Bescheiden, die (insoweit) bindend geworden sind, abgelehnt.
Unzutreffend ist jedoch die Auffassung des LSG, schon damit entfalle ein Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG, weil dieser Anspruch voraussetze, daß ein besonderes berufliches Betroffensein im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG festgestellt, d.h. eine Erhöhung der MdE nach dieser Vorschrift vorausgegangen ist. Der Anspruch auf Berufsschadensausgleich - seit Inkrafttreten des 1. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (1. NOG) unter der Geltung des 1., 2. und 3. NOG - ist nicht davon abhängig, daß die MdE nach § 30 Abs. 2 BVG erhöht worden ist. Diese Auffassung hat der 9. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem (zur Veröffentlichung bestimmten) Urteil vom 21. März 1969 - 9 RV 730/67 - vertreten. Der erkennende Senat folgt dieser Ansicht. Sie beruht hauptsächlich auf folgenden Erwägungen:
Mit dem durch das 1. NOG (§ 30 Abs. 3) eingeführten Berufsschadensausgleich trat neben die Erhöhung der MdE (§ 30 Abs. 2 BVG) und von dieser unabhängig eine (neue) selbständige Leistung zur Abgeltung schädigungsbedingten Berufsschadens. Das 1. NOG sah einen Berufsschadensausgleich nur für Erwerbsunfähige vor. Die weitaus überwiegende Zahl dieser Beschädigten erreichte eine MdE von 100 v.H. bereits aufgrund der körperlichen Beeinträchtigung. Es ist nicht anzunehmen, daß nur der kleinere Teil der Erwerbsunfähigen, bei denen noch eine Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG (auf 100 v.H.) möglich ist, den Berufsschadensausgleich erhalten soll, während die überwiegende Zahl mit schwererem körperlichem Schaden davon ausgeschlossen sein sollte. Es entspricht daher nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes (des.1. NOG), die Erhöhung der MdE nach § 30 Abs.2 BVG als Anspruchsvoraussetzung für den Berufsschadensausgleich anzusehen.
Das 2. NOG brachte Verbesserungen des Berufsschadensausgleichs, insbesondere die Erweiterung der Anspruchsberechtigung auf alle Schwerbeschädigte, änderte aber nichts an der Grundauffassung, daß es sich bei dem Berufsschadensausgleich um einen gegenüber der Höherbewertung der MdE nach Abs. 2 BVG selbständigen und andersartigen Anspruch auf Ausgleich eines(rein) wirtschaftlichen Berufsschadens handelt. Dem Wortlaut des § 30 in der Fassung des 2. NOG ist nicht zu entnehmen, daß (nunmehr) die Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG "Ausgangstatbestand" und damit Anspruchsvoraussetzung für den Berufsschadensausgleich sein soll. Die Worte "beruflich insoweit besonders betroffen als" in § 30 Abs. 3 BVG in Verbindung mit einem zahlenmäßig bestimmten Einkommensverlust, sind nicht so aufzufassen, daß auch für Absatz 3 ein dem Absatz 2 gleichbedeutendes besonderes berufliches Betroffensein vorliegen müsse; sie lassen vielmehr erkennen, daß dem Berufsschadensausgleich ein eigenständiger Begriff des beruflichen Schadens zugrunde liegt.
Durch Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 30 BVG in der Fassung des 3. NOG wird eindeutig "bestätigt", daß der Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG von einem besonderen beruflichen Betroffensein im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG unabhängig ist. Diese Vorschrift läßt erkennen, daß der Gesetzgeber auch den Berufsschadensausgleich nach dem 1. und 2. NOG im Sinne des klarstellenden neuen Wortlauts als eine von Voraussetzungen des besonderen Betroffenseins nach § 30 Nr. 2 BVG unabhängige Leistung aufgefaßt hat.
Die Formulierung "nach Anwendung des Abs. 2" in § 30 Abs. 3 (im 2. und 3.NOG) rechtfertigt kein anderes Ergebnis; sie soll nur gewährleisten, daß die Verwaltung (vorrangig) von einer (noch gegebenen) Möglichkeit, den Berufsschaden durch eine Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG auszugleichen, Gebrauch macht, weil sich diese Art der Abgeltung des Berufsschadens günstiger auswirken kann.
Auch der Anrechnungsvorschrift (§ 30 Abs. 4 letzter Satz des 1. NOG; § 30 Abs. 5 des 2. und 3 NOG) ist zu entnehmen, daß der Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nicht eine Erhöhung der MdE nach Abs. 2 vorausgegangen sein muß.
Ist eine Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 (bindend) abgelehnt worden, weil ein durch Schädigungsfolgen verursachter Berufsschaden nicht vorliege, so ist damit keine bindende Feststellung über eine Voraussetzung des selbständigen und andersartigen Anspruchs auf den Berufsschadensausgleich getroffen worden.
Die Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG (idF vom 23.1.65 - Bundesanzeiger Nr. 19 vom 29.1.1965), in denen es unter Nr. 7 heißt: "Bei Anwendung von § 30 Abs. 3 ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 gegeben sind; die Gewährung des Berufsschadensausgleichs ist jedoch nicht davon abhängig, daß die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 erfüllt sind", stehen daher mit dem Gesetz in Einklang.
Der 9. Senat hat in seinem Urteil vom 21. März 1969 die hier zusammengefaßten Darlegungen im einzelnen noch näher begründet; er hat hierbei auch zu den teilweise abweichenden Meinungen in Rechtsprechung und Schrifttum Stellung genommen und diese widerlegt. Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen des 9. Senats an.
Da das LSG von seiner abweichenden Rechtsauffassung aus die Voraussetzung eines Anspruchs auf einen Berufsschadensausgleich nicht geprüft, insbesondere keine Feststellung zur Frage eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes des Klägers getroffen hat, war - entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers - das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen