Leitsatz (redaktionell)
Bei einem selbständigen Landwirt ist der ermittelte Reingewinn um den Kapitalanteil und den der Mitarbeit der Ehefrau zuzurechnenden Anteil zu mindern und dann mit den Gehaltsbezügen und Deputaten zu vergleichen, die ein Gutsverwalter in der damaligen Zeit zu beanspruchen hatte, um ein Einkommen zu erhalten, das der eigenen Arbeitstätigkeit entspricht.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3 u 4 DV § 6 Abs. 2 Fassung: 1964-10-30
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 27. September 1966 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Klägerin ist die Frau des 1904 geborenen und seit 7. Januar 1945 vermißten Landwirts Klaus R. Dieser leistete seit 1. August 1939 Wehr- bzw. Kriegsdienst. Der Ehemann der Klägerin war gelernter und geprüfter Landwirt und seit 1933 Pächter eines 571 Hektar großen Gutshofes. Die Klägerin hat aus dem Pachthof folgende Gewinne nachgewiesen:
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Vom 1. Juli 1937 bis 30. Juni 1938 (Wirtschaftsjahr) |
20.386,99 RM |
im Wirtschaftsjahr 1938/39 |
16.105,27 RM |
im Wirtschaftsjahr 1939/40 |
45.010,08 RM. |
Die Verwaltung gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 7. Januar 1965 gemäß § 40 a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) idF des 2. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts - 2. Neuordnungsgesetz (NOG) - Schadensausgleich vom 1. Januar 1964 an, wobei sie gemäß § 5 Abs. 1 der Durchführungsverordnung - DVO - zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 - BGBl I 574 - das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 11 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) zugrunde legte. Der Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts - LVersorgA - Schleswig-Holstein vom 17. August 1965). Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Schleswig mit Urteil vom 9. Dezember 1965 den Beklagten verurteilt, Schadensausgleich unter Zugrundelegung eines für das Jahr 1942 bis 1944 nachgewiesenen Gewinnes von im Durchschnitt 26.364,- RM jährlich zu berechnen. Der nachgewiesene hohe Gewinn rechtfertige die Anwendung des § 6 DVO. Die eigene Arbeitsleistung des Ehemannes der Klägerin habe über den Zeitpunkt der Einberufung hinaus fortgewirkt. In dem nachgewiesenen Gewinn sei eine Vermögenskomponente nicht enthalten, da der Ehemann der Klägerin den Gutshof nur gepachtet habe.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Schleswig-Holstein mit Urteil vom 27. September 1966 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Da die Klägerin den Gewinn aus dem Gutshof für das Wirtschaftsjahr 1936/37 nicht nachweisen könne, könne sie mit ihrem Begehren keinen Erfolg haben. Während des Kriegsdienstes habe sich der Ehemann der Klägerin nur im Sommer 1940 3 Monate und während des jährlichen Urlaubs 3 Wochen der Arbeit auf dem Pachthof widmen können. Im übrigen sei der Pachthof von der Klägerin selbst geführt worden. Aus der Unternehmertätigkeit des Mannes sei dem Hof auch nach 1939 ein Gewinn zugeflossen, aber dem Wirtschaftsgut (totes und lebendes Inventar) wohne eine Vermögenskomponente inne, die bei der Beurteilung seiner Arbeitsleistung in Rechnung zu stellen sei. Die beratende Tätigkeit während des Krieges schlage nicht entscheidend zu Buche, weil die eigentliche Arbeitsleistung während des Krieges von anderen erbracht worden sei. Während der Jahre 1941 bis 1944 sei der Gewinn im wesentlichen der Klägerin zuzuschreiben. Aus diesem Grunde sei § 6 Abs. 2 DVO nicht anwendbar. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Mit der Revision rügt die Klägerin, das LSG habe § 30 Abs. 3 und 4 BVG sowie § 6 DVO verletzt, wonach Fälle mit nachgewiesenem Gewinn besonders zu behandeln seien. Das Berufungsgericht habe die Begriffe "Lebensverhältnisse, Kenntnisse und Fähigkeiten" nicht genügend berücksichtigt. Der Einkommensnachweis im Sinne des § 6 DVO sei erbracht, weil nur durch die persönliche Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin die im dritten Wirtschaftsjahr 1939/40 erzielten Erfolge erreicht worden seien; das Wirtschaftsjahr 1939/40 werde entscheidend durch den Ernteertrag im Sommer 1939 bestimmt. Auch die allgemeinen, vom Felde aus erteilten Weisungen des Ehemannes der Klägerin seien für den Ertrag im Wirtschaftsjahr 1939/40 von Bedeutung. Dies habe das LSG verkannt.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils ihr vom 1. Januar 1964 an einen höheren Schadensausgleich zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Klägerin habe nur den Gewinn aus zwei Jahren der Eigentätigkeit des Verstorbenen nachgewiesen. Seit 1. Juli 1939, also mit Beginn des 3. Wirtschaftsjahres, sei der Ehemann der Klägerin am Erfolg nicht mehr maßgeblich beteiligt gewesen. Die wesentliche Arbeitsleistung in dieser Zeit liege bei der Klägerin.
Der Senat hat der Klägerin mit Beschluß vom 30. August 1967 das Armenrecht bewilligt und mit Beschluß vom 27. September 1967 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Revision der Klägerin ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie gilt als form- und fristgerecht eingelegt, da der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden ist (§ 67 SGG).
Streitig ist, ob der Klägerin ein Schadensausgleich (§ 40 a BVG) unter Zugrundelegung eines Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 11 des BBesG oder ein höherer Schadensausgleich, insbesondere unter Anwendung des § 6 DVO vom 1. Januar 1964 an zu gewähren ist. Um einen Sonderfall nach § 6 der DVO annehmen zu können, ist zunächst zu prüfen, ob der nachgewiesene durchschnittliche Gewinn aus der Landwirtschaft in den letzten drei Jahren vor Beginn des militärischen Dienstes oder vor Eintritt der Schädigung des Ehemannes der Klägerin mit einer Einstufung nach der Besoldungsgruppe A 11 des BBesG ausreichend berücksichtigt ist (§ 6 Abs. 2 und 1 DVO). Soweit das Berufungsgericht den Gewinn in den letzten drei Jahren vor Eintritt der Schädigung, also in den Wirtschaftsjahren 1941-1944, nicht berücksichtigt hat, ist das Urteil des LSG nach seinen Gründen nicht zu beanstanden. Anders verhält es sich mit der Heranziehung der letzten drei Jahre vor Beginn des Wehrdienstes. Die Klägerin hat für das Wirtschaftsjahr 1937/1938 einen Gewinn von 20.386,99 RM und für das Wirtschaftsjahr 1938/39 einen Gewinn von 16.105,27 RM nachgewiesen, während der Nachweis für das dritte Jahr nach Auffassung des LSG von der Klägerin nicht erbracht worden ist. Entgegen der Ansicht der Revision kann zwar der Gewinn des Wirtschaftsjahres 1939/40, an dem der Ehemann der Klägerin nicht mehr vollständig beteiligt war, zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens nicht herangezogen werden. Denn der Gewinn des Wirtschaftsjahres 1939/40 beruhte nach den Feststellungen des LSG nur zum geringsten Teil auf der Arbeitsleistung des Ehemannes. Sicher war er an diesem Gewinn durch die Arbeit im Monat Juli 1939, möglicherweise auch während der drei Monate UK-Stellung im Sommer 1940 teilweise und mit drei Wochen Fronturlaub beteiligt. Die auf das Wirtschaftsjahr 1939/40 nachwirkende Arbeitsleistung des Ehemannes und seine beratende Tätigkeit während des Wirtschaftsjahres, die in der Hauptsache unternehmerische Initiative, Kalkulation und Planung betrafen, dürfen nicht für so entscheidend gehalten werden, um den Gewinn des Wirtschaftsjahres 1939/40 noch dem Eigenverdienst des Ehemannes der Klägerin zuzurechnen. Insoweit greift die Revision die Beweiswürdigung zu Unrecht als zu eng an. Das LSG hätte aber von sich aus versuchen müssen, den Gewinn für das Wirtschaftsjahr 1936/37 festzustellen. Nach der Rechtsprechung des Senats gilt der Grundsatz der Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 12 VerwVG, § 103 SGG) auch für den "Nachweis" in § 6 Abs. 2 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (Entscheidung vom 22. Juni 1966 - 8 RV 251/64 - (BVBl 1967, 6) sowie vom 30. Januar 1969 - 8 RV 275/68 - in SozR DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG, § 6 Nr. 6). Das Berufungsgericht hätte sich daher mit dem Hinweis "... Da die Klägerin den Gewinn für das Wirtschaftsjahr 1936/37 nicht nachweisen kann ..." nicht begnügen dürfen, sondern - wie bereits dargelegt - von sich aus weitere Ermittlungen anstellen müssen. § 6 DVO erfordert aus gutem Grund den Nachweis des Gewinns von drei aufeinanderfolgenden, dem Wehrdienst vorangegangenen Wirtschaftsjahren. Dieser Nachweis hat den Zweck, die Besonderheiten und Zufälligkeiten (Mißernte, überdurchschnittlicher Ernteertrag) eines einzelnen Jahres durch das arithmetische Mittel auszugleichen. Hinzu kommt, daß der Gewinn Folge der Unternehmertätigkeit und Arbeitsleistung des Verstorbenen sein muß. Diese Voraussetzung war im Wirtschaftsjahr 1936/37 gegeben. Da die Struktur des Betriebes sowie die Preis- und Wirtschaftslage im Jahre 1936/37 bekannt und da auch die Betriebsergebnisse aus den Jahren 1937/38 und 1938/39 einwandfrei festgestellt sind, wird das Berufungsgericht versuchen müssen, von Amts wegen zu einer ausreichenden Gewinnfeststellung für das Jahr 1936/37 zu kommen. Es wird dabei alle Beweis- und Erkenntnismittel (Zeugen, Sachverständige, Gutachten der Landwirtschaftskammer unter Heranziehung landwirtschaftlicher Fachleute aus der Provinz Westpreußen sowie der im Zuge des Lastenausgleichs gebildeten Heimatauskunftsstellen - s. dazu BMA vom 22. März 1966 in BVBl 66, 30 -) berücksichtigen müssen, um auf den Gewinn des Wirtschaftsjahres 1936/37 schließen zu können. Diese für das Jahr 1936/37 zu ermittelnde Zahl sowie die feststehenden Gewinne aus den Jahren 1937/38 sowie 1938/39 werden aber nicht in voller Höhe berücksichtigt werden können.
Mit Recht hat das LSG ausgeführt, daß dem Wirtschaftsgut (totes und lebendes Inventar), das dem Ehemann gehört hat, eine Vermögenskomponente innegewohnt hat, welche nicht der Arbeitsleistung des Ehemannes zugerechnet werden darf. Auch insoweit wird das Berufungsgericht festzustellen haben, welcher Gewinnbetrag auf diese Vermögenskomponente entfällt. Schließlich wird noch zu prüfen sein, ob der Klägerin als Ehefrau durch etwaige Mitarbeit ein Anteil an dem Gewinn zukommt. Ein solcher u.U. der Ehefrau zukommender Gewinnanteil würde die Eigenleistung des Ehemannes mindern.
Da dem Revisionsgericht eine Beweiswürdigung verwehrt ist und die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht ausreichen, um die Eigentätigkeit des Ehemannes der Klägerin erschöpfend mit einem Durchschnittsjahresgewinn zu bewerten, vermag der Senat nur eine unzutreffende Anwendung des § 6 der DVO vom 30. Oktober 1964 im angefochtenen Urteil festzustellen; er kann daher in der Sache nicht selbst entscheiden. Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Bei seiner neuen Entscheidung wird das LSG den ermittelten Reingewinn, der um den Kapitalanteil und den Anteil, der der Mitarbeit der Klägerin u.U. zuzurechnen ist, zu mindern ist, weiter mit den Gehaltsbezügen und Deputaten zu vergleichen haben, die ein Gutsverwalter (Gutsoberverwalter, Güterdirektor, Administrator) in den Jahren 1936/39 zu beanspruchen hatte, um ein Einkommen zu erhalten, das der eigenen Arbeitstätigkeit des Vermißten entspricht (§ 6 Abs. 2 letzter Satz der DVO). Da für diese bevorzugte Gruppe landwirtschaftlicher Angestellter Tarifordnungen aus der Zeit vor 1939 fehlen, wird sich nicht umgehen lassen, entsprechende Auskünfte von der Landwirtschaftskammer oder von ostpreußischen Heimatverbänden einzuholen. Das auf diese Weise gefundene Gehalt eines Gutsverwalters in der damaligen Zeit wird mit dem Gehalt zu vergleichen sein, das ein Staatsbeamter in der Zeit 1936/39 erhalten hat (BSG Urteil vom 19.Februar 1969 - 10 RV 249/67 -). Erst das Ergebnis dieses Vergleiches wird erkennen lassen, welche Besoldungsgruppe im Endgrundgehalt der Bundesbesoldungsordnung der Stellung des Ehemannes der Klägerin angemessen ist. Es ist nicht auszuschließen, daß eine höhere Besoldungsgruppe erreicht wird, als die Verwaltung mit der Einstufung in A 11 BBesG verfügt hat.
Der Ausspruch über die außergerichtlichen Kosten bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen