Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. November 1962 aufgehoben, soweit es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. August 1960 zurückgewiesen hat.

Das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. August 1960 wird aufgehoben, soweit es die Klage abgewiesen hat.

Die von der Beklagten ausgestellten Bescheinigungen über die Zugehörigkeit der Beigeladenen Funk, Finger, Nagl und Jungwirth zur Beklagten werden aufgehoben.

Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die bei dem Beigeladenen zu 1), dem Landeskontrollverband Bayern e.V., beschäftigten Beigeladenen zu 2 – 5, nämlich Regina F., Franz F., Albert N. und Josef J. Mitglieder der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) München oder der beklagten Ersatzkasse sind und welche Wirkung den von der Beklagten gemäß § 518 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ausgestellten Bescheinigungen über die Zugehörigkeit der Beigeladenen zur Beklagten zukommt.

Der beigeladene Landeskontrollverband Bayern ist ein eingetragener Verein mit dem Sitz in München; Verbandsgebiet ist das Land Bayern. Der Verband hat nach § 2 seiner Satzung den ausschließlichen Zwecke die Milcherzeugung im Land Bayern im allgemeinen volkswirtschaftlichen Interesse nach Menge und Güte zu steigern und zu fördern. Er hat vor allem die Aufgabe, freiwillige Milchleistungsprüfungen unter der Aufsicht der obersten Landesbehörde durchzuführen und in allen Fragen der Milcherzeugung und Milchgewinnung zu beraten.

Beim Landeskontrollverband sind seit Jahren die Beigeladenen Regina F. und Franz F. als Verwaltungsangestellte, die Beigeladenen Albert N. und Josef J. als Zuchtwarte beschäftigt; J. ist am 31. März 1961 ausgeschieden. Die beigeladenen Arbeitnehmer waren ursprünglich Pflichtmitglieder der Klägerin; ab 1. März 1960 traten F. und F. und ab 1. April 1960 N. und J. der Beklagten bei.

Sie legten dem Arbeitgeber (dem Landeskontrollverband) jeweils eine Bescheinigung über ihre Zugehörigkeit zur beklagten Ersatzkasse (gemäß § 517 Abs. 2 RVO) vor, worauf der Arbeitgeber sie bei der Klägerin abmeldete.

Mit Schriftsatz vom 11. Mai 1960 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Klage erhoben mit dem Antrag festzustellen, daß die von der Beklagten nach § 518 RVO ausgestellten Bescheinigungen nichtig seien; hilfsweise hat die Klägerin festzustellen begehrt, daß die beigeladenen Arbeitnehmer nicht Mitglieder der Beklagten sind.

Das SG hat mit Urteil vom 2. August 1960 festgestellt, daß für die beigeladenen Zuchtwarte N. und J. die Klägerin die zuständige Kasse sei; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben die Klägerin und die Beklagte Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 7. November 1962 festgestellt, daß die vier beigeladenen Arbeitnehmer nicht Mitglieder der Beklagten geworden sind. Die weitergehende Berufung der Klägerin und die Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die Ausstellung der Bescheinigungen über die Zugehörigkeit zu einer Ersatzkasse gemäß § 518 RVO sei kein Verwaltungsakt, weil damit keine Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts verbunden sei. Durch diese Bescheinigungen werde nichts entschieden oder festgestellt, vielmehr sei diese Bescheinigung nur eine Beweisurkunde für den Versicherten über das Bestehen seiner Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse. Daran ändere auch nichts der Umstand, daß nach § 517 Abs. 2 RVO die Vorlage der Bescheinigung beim Arbeitgeber die Befreiung von der Mitgliedschaft bei der Zwangskasse zur Folge habe und der Arbeitgeber gemäß § 519 RVO den Versicherten abzumelden habe. Insoweit handele es sich nicht um Auswirkungen der Ausstellung der Bescheinigungen, sondern um die gesetzlichen Folgen des Gebrauchs dieser Bescheinigungen durch den Versicherten.

Nach §§ 434, 517 RVO könnten in der Landwirtschaft Beschäftigte nicht von der Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse nach § 225 RVO befreit werden. Maßgebend sei die Zugehörigkeit zu einem landwirtschaftlichen Betrieb, nicht aber die Art der von dem Versicherten verrichteten Tätigkeit. Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge somit davon ab, ob der Landeskontrollverband ein landwirtschaftlicher Betrieb sei. Der Landeskontrollverband Bayern sei unstreitig kein Unternehmen der Landwirtschaft im Sinne des § 915 Abs. 1 Buchst. a RVO a.F., weil er nicht die Bearbeitung von Grund und Boden zur Gewinnung organischer Erzeugnisse einschließlich der Erzeugnisse von Pflanzen und Tieren bezwecke (vgl. Grundsätzliche Entscheidung des Reichsversicherungsamts Nr. 5135 – Amtliche Nachrichten 1937 S. 301 –). Er sei auch kein landwirtschaftlicher Nebenbetrieb im Sinne des § 918 RVO a.F. weil er nicht von einem landwirtschaftlichen Unternehmer neben seiner Landwirtschaft betrieben werde. Der Landeskontrollverband gelte aber als landwirtschaftlicher Betrieb im Sinne der Unfallversicherung nach der vom Reichsversicherungsamt (RVA) auf Grund des § 915 Abs. 2 RVO a.F. erlassenen Bestimmung vom 22. März 1938 (AN 1938 S. 133), wonach „ab 1. Oktober 1937 Landeskontrollverbände (Milchkontrollvereine) als landwirtschaftliche Betriebe gelten”. Die vom RVA nach § 915 Abs. 2 aaO unmittelbar nur für die gesetzliche Unfallversicherung getroffene Bestimmung sei auch für die Krankenversicherung maßgebend, weil der Begriff Landwirtschaft in der RVO für alle Versicherungszweige in gleichem Sinne zu verstehen sei. Die Anwendung der Bestimmung des RVA vom 22. März 1938 auf den Landeskontrollverband Bayern könne nicht mit dem Hinweis verneint werden, der Verband sei nach seinen heutigen Aufgaben und Zielsetzungen dem früheren Verband nicht mehr gleichzustellen; denn entscheidend sei, daß der Verband von der Bestimmung des RVA unmittelbar erfaßt worden sei. Es könne auch nicht die Meinung vertreten werden, die Bestimmung des RVA erstrecke sich nur auf Milchkontrollvereine norddeutscher Art. Mit dem Klammerzusatz „Milchkontrollvereine” hinter dem Wort „Landeskontrollverbände” habe das RVA nicht ausdrücken wollen, seine Anwendung beziehe sich nur auf Milchkontrollvereine; vielmehr habe es nur dadurch klarstellen wollen, daß von seiner Bestimmung auch die Milchkontrollvereine miterfaßt worden seien. Weil sonach die beigeladenen Arbeitnehmer in der Landwirtschaft beschäftigt seien, hätten sie kein Recht auf Befreiung von der Mitgliedschaft bei der Klägerin und seien deshalb deren Mitglieder geblieben. Revision ist zugelassen worden.

Die Klägerin und die Beklagte haben gegen das Urteil Revision eingelegt.

Die Klägerin wendet sich insoweit gegen das Urteil, als dieses die Ausstellung der Bescheinigungen nach § 518 RVO nicht als Verwaltungsakt anerkennt und sie nicht für nichtig erklärt hat: Die Bescheinigungen hätten unmittelbare Wirkung für die Beteiligten. Von einem Verwaltungsakt brauchten nicht nur diejenigen betroffen zu sein, an die die Verwaltung den Verwaltungsakt ausdrücklich gerichtet habe. Auch wenn die Verwaltung ihren Akt nicht allen Beteiligten zur Kenntnis gebracht habe, so seien dennoch alle von diesem Verwaltungsakt Betroffenen im Sinne des § 75 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Beteiligte. In diesen Bescheinigungen seien verbindliche Regelungen eines Einzelfalls mit obrigkeitlicher Autorität vorgenommen worden, und zwar von der Beklagten als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts; durch diese Bescheinigungen seien die Arbeitgeber im Einzelfall gezwungen, die Vorschriften der §§ 519 ff RVO zu beachten.

Die Klägerin beantragt,

  • das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. November 1962 insoweit aufzuheben, als es ihre Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. August 1960 zurückgewiesen hat;
  • ferner: Die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte wendet sich gegen das angefochtene Urteil insoweit, als es festgestellt hat, daß die beigeladenen Arbeitnehmer nicht Mitglieder der Beklagten geworden seien: Der beigeladene Landeskontrollverband sei kein Milchkontrollverein, sondern ein Zuchtverband, auf den die Bekanntmachung der RVO keine Anwendung finden könne. Durch den Klammerzusatz „Milchkontrollverein” sei zum Ausdruck gekommen, daß von der Bestimmung nur die Milchkontrollverbände nicht aber sonstige Kontrollverbände erfaßt worden seien. Eine Ausdehnung auf Zuchtvereine sei nicht zulässig (BSG 17, 22). Das LSG hätte daher feststellen müssen, daß es sich um einen Züchterverband gehandelt hat, was schon rein äußerlich in der Beschäftigung von Zuchtwarten ersichtlich sei.

Die Beklagte beantragt,

  • das Urteil des Bayerischen LSG vom 7. November 1962 und das Urteil des SG München vom 2. August 1960 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
  • hilfsweise,

    die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuweisen;

  • ferner, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keine Erklärung abgegeben.

Denn nach seiner Satzung und nach seinem Mitgliederkreis ist der beigeladene Verband auf alle Fälle auch ein Milchkontrollverein. Die Bestimmung des RVA ist mithin auf ihn anzuwenden. Daß dieser Verein auch Zuchtwarte beschäftigt, ist unerheblich, denn es kommt nach BSG 10 S. 85 nicht auf die Tätigkeit des einzelnen Arbeitnehmers, sondern auf die Art des Betriebes als solchen an. Nach §§ 517, 434 RVO können daher die beigeladenen Arbeitnehmer nicht Mitglieder der Beklagten sein.

Die Revision der Beklagten muß daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

 

Unterschriften

Dr. Langkeit, Geyser, Dr. Krebs

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 27.04.1966 durch Schäfers Reg.Sekretär Schriftführer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI707749

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