Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Versicherter hat für seine Ehefrau, die als höhere Beamtin einen über der Versicherungspflichtgrenze liegenden Verdienst erzielt, keinen Anspruch auf Leistungen der Familienhilfe.
2. Angestellte, die wegen Überschreitens der Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung (RVO § 165 Abs 1 Nr 2) versicherungsfrei sind, können nicht auf dem Weg der Familienhilfe nach RVO § 205 Abs 1 aF aus dem Versicherungsverhältnis ihres Ehegatten in den Schutz der Krankenversicherung einbezogen werden.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1970-12-21, § 169 Abs. 1 Fassung: 1945-03-17, § 205 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1969-07-27
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. Juni 1976 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob der bei der beklagten Ersatzkasse freiwillig weiterversicherte Kläger Anspruch auf Familienhilfe für seine Ehefrau hat, die Beamtin des höheren Dienstes ist und deren Gehalt die für Angestellte geltende Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung übersteigt.
Das Sozialgericht (SG) hat die gegen die ablehnenden Bescheide der Beklagten (vom 17. September 1975 und 28. Oktober 1975) gerichtete Klage abgewiesen. Der Familienhilfeanspruch des Klägers scheitere schon daran, daß der Kläger, weil er nur geringfügig mehr verdiene als seine Frau, dieser gegenüber nicht unterhaltsverpflichtet sei, wie dies § 20 der im wesentlichen mit § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) übereinstimmenden Versicherungsbedingungen der Beklagten ausdrücklich voraussetze. Der Kläger habe aber auch deshalb keinen Anspruch, weil § 205 RVO (ebenso § 20 der Versicherungsbedingungen) unausgesprochen voraussetze, daß das unterhaltsberechtigte Familienmitglied mit seinem Arbeitseinkommen nicht über der Versicherungspflichtgrenze liege. Das habe der erkennende Senat (BSG 32, 13) im Hinblick auf eine Ehefrau entschieden, die als Angestellte wegen Überschreitens der Versicherungspflichtgrenze versicherungsfrei geworden sei; dasselbe müsse aber auch gelten, wenn - wie hier - jemand als höherverdienende Beamtin nie versicherungspflichtig gewesen sei.
Der Kläger hat mit Zustimmung der Beklagten die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt. Er meint, die Auffassung des SG bezüglich der Unterhaltsverpflichtung von Ehegatten untereinander widerspreche § 1360 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Die Unterhaltsberechtigung der Ehefrau des Klägers könne auch im Hinblick auf den durch das Grundgesetz (GG) gewährten Schutz von Ehe und Familie nicht bestritten werden. Es könne aber auch nicht der von dem SG zusätzlich angeführten Auffassung des erkennenden Senats gefolgt werden. Besonders nach den explosionsartig gestiegenen Kosten im Gesundheitswesen sei es sehr zweifelhaft, ob die Feststellung gerechtfertigt sei, die mit ihrem Einkommen die Versicherungspflichtgrenze überschreitenden Angestellten würden auf den Weg der Selbstvorsorge verwiesen. Jedenfalls rechtfertige der Hinweis auf die Selbstvorsorge nicht die von dem Gesetzgeber bisher nicht durchgeführte Korrektur des Wortlauts des § 205 RVO. Der Ausschluß von höherverdienenden Ehepartnern aus dem Bereich der Familienhilfe verstoße auch gegen Grundsätze des Vertrauensschutzes, wenn jemand im Hinblick auf § 205 RVO eine später nicht mehr nachzuholende freiwillige Weiterversicherung unterlassen habe. Insoweit sei im Ergebnis das im GG abgesicherte Rückwirkungsverbot verletzt. Schließlich werde durch die beanstandete Auslegung des § 205 RVO auch Art. 14 GG verletzt. Insoweit werde auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juni 1975 (in NJW 1976, 31 = SozR 2200 Nr. 4 zu § 205) verwiesen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil des SG und die Bescheide des Beklagten vom 17. September und 28. Oktober 1975 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm für seine Ehefrau Leistungen im Rahmen der Familienhilfe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, der Familienhilfeanspruch sei nicht schon wegen fehlender Unterhaltspflicht ausgeschlossen, wie das SG gemeint habe; die Ausführungen des SG zu der einengenden Auslegung des § 205 RVO seien aber zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Der Senat hält daran fest, daß diejenigen Angestellten, die wegen Überschreitens der Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO) versicherungsfrei sind, nicht auf dem Weg der Familienhilfe (§ 205 RVO) aus dem Versicherungsverhältnis ihres Ehegatten in den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung einzubeziehen sind. Die dagegen vorgebrachten Bedenken überzeugen nicht.
Es ist zwar richtig, daß die einschränkende Auslegung des § 205 RVO, wie sie der Senat in seinem Urteil vom 2. Oktober 1970 (BSGE 32, 13) - und im Anschluß hieran auch der 5. Senat in seinem Urteil vom 29. September 1976 (Betriebskrankenkasse 1976, 325 = Leistungen 1977, 121 = Betriebsberater 1977, 247 und Anmerkung von Gumpert = USK 76142) vertritt, im Wortlaut dieser Vorschrift keine feste Stütze hat. Die sich aus der Bedeutung der Familienhilfe im System der sozialen Krankenversicherung ergebende Auslegung ist aber entgegen der Meinung des Klägers durch die dieser Entscheidung nachfolgende wirtschaftliche und rechtliche Entwicklung der Krankenversicherung nicht infrage gestellt worden. Im Gegenteil: Gerade angesichts der außerordentlich gestiegenen Kosten im Gesundheitswesen ist es nicht vertretbar, einer besonderen Gruppe aus dem Kreis der höherverdienenden Angestellten - nämlich den Ehegatten von Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung - eine Krankenversorgung auf Kosten der Versichertengemeinschaft unentgeltlich zu gewähren. Infolge des Anstiegs der Kosten der Gesundheitspflege und damit auch einer Krankenvorsorge ist es allerdings fraglich geworden, ob den höherverdienenden Angestellten allein wegen ihres Einkommens zuzumuten ist, ihre Krankenversicherung auf eigene Kosten voll zu finanzieren. Diesen Bedenken hat der Gesetzgeber - unmittelbar nach der beanstandeten Entscheidung des Senats vom 2. Oktober 1970 aaO - Rechnung getragen: er hat mit Wirkung vom 1. Januar 1971 den wegen der Höhe ihres Arbeitsverdienstes versicherungsfreien Angestellten einen unabdingbaren gesetzlichen Anspruch gegen ihren Arbeitgeber auf einen Zuschuß zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag zuerkannt (vgl. § 405 idF des Art. 1 Nr. 24 des 2. Krankenversicherungsänderungsgesetzes - 2. KVÄG - vom 21. Dezember 1970 - BGBl I 1770). Dieser Anspruch kommt auch denjenigen Angestellten zugute, für die - fehlerhafterweise - bisher Leistungen nach § 205 RVO gewährt worden sind. Der Gesetzgeber hat auch der Erkenntnis Rechnung getragen, daß der Abschluß einer privaten Versicherung nicht immer - besonders auch nicht im höheren Lebensalter - zu einer ausreichenden Sicherung im Krankheitsfall führt. Er hat es deshalb denjenigen Angestellten, die in ihrem ersten Beschäftigungsverhältnis nach dem 1. Januar 1971 die Versicherungspflichtgrenze überschreiten, ermöglicht, der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig beizutreten (vgl. § 176 a idF des Art. 1 Nr. 4 des 2. KVÄG). Ferner konnten nach Art. 4 § 1 des 2. KVÄG bis zum 31. März 1971 auch Angestellte der gesetzlichen Krankenversicherung beitreten, die in ihrem bisherigen Beschäftigungsverhältnis schon die Versicherungspflichtgrenze überschritten hatten.
Diejenigen Personen, die sich nach der früheren fehlerhaften Verwaltungspraxis bei Anwendung des § 205 RVO trotz Überschreitens der Versicherungspflichtgrenze durch die Versicherung ihres Ehegatten gesichert fühlten, werden somit nicht gezwungen, ihren Versicherungsschutz voll aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Entgegen der Meinung des Klägers folgt aus der von dem Senat vertretenen einengenden Auslegung des § 205 RVO auch keine besondere Belastung für diejenigen Angestellten, die es etwa im Vertrauen auf die frühere Verwaltungspraxis unterlassen haben, sich freiwillig weiterzuversichern (§ 313 RVO). Sie sind weder auf eine private Versicherung angewiesen, noch haben sie die bei freiwilligem Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung sonst möglichen Beschränkungen zu befürchten (vgl. § 176a Abs. 1 Satz 3 RVO sowie auch Art. 4 § 1 Abs. 1 Satz 2 des 2. KVÄG).
Im Falle der Versicherungsfreiheit, die nicht nur wegen Überschreitens der Versicherungspflichtgrenze, sondern auch wegen der Beamteneigenschaft (§ 169 RVO) gegeben ist, kann nicht anders entschieden werden. Zwar stehen diesen Personen weder der Anspruch auf Beitragszuschuß nach § 405 RVO noch das besondere Beitrittsrecht nach § 176a RVO zu. Dies rechtfertigt aber nicht, sie hinsichtlich der Anwendung des § 205 RVO besser zu stellen als Angestellte. Die sozialen Sicherungen, die mit dem Beamtenverhältnis insbesondere auf der Grundlage der Fürsorgepflicht des Dienstherren verbunden sind, führen zur Versicherungsfreiheit auch der Beamten, deren Besoldung unterhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt. Jedenfalls solange ihnen im Krankheitsfall mindestens die Hälfte der angemessenen Aufwendungen im Wege der Beihilfeansprüche zu erstatten ist (vgl. Nrn. 3 und 13 der Beihilfevorschriften des Bundes vom 15. Februar 1975 in GMBl S. 109 geändert am 18. Dezember 1975 in GMBl S. 830 und §§ 4 und 13 der Hessischen Beihilfeverordnung idF vom 21. Juni 1976 - GVBl I 253), kann ihnen zugemutet werden, sich für die von ihnen selbst zu tragenden Krankheitskosten privat zu versichern, auch wenn dies im Einzelfall wegen Alters oder wegen Vorerkrankungen mit Schwierigkeiten verbunden ist. Dies erscheint insbesondere deshalb zumutbar, weil der Bemessungssatz für die Beihilfe erhöht wird, wenn ein Leistungsausschluß seitens der privaten Krankenversicherung in Kauf genommen werden muß (vgl. Nr. 13 Abs. 6 der Beihilfevorschriften des Bundes und § 13 Abs. 7 der Hessischen Beihilfeverordnung. Mit dieser Überlegung ist zwar nicht entschieden, daß die sozialen Sicherungen der Beamten in jedem Fall ausreichen, um den Ausschluß aus der Familienhilfe nach § 205 RVO zu rechtfertigen. Gerechtfertigt ist dieser Ausschluß aber dann, wenn es sich, wie hier, um Beamte handelt, deren Besoldung über der Versicherungspflichtgrenze liegt.
Die auf Gründe des Vertrauensschutzes und des Rückwirkungsverbots gestützten weiteren Überlegungen des Klägers sind schon deshalb nicht überzeugend, weil ihm - wie aus den Feststellungen des SG entnommen werden muß - keine Leistungen nach § 205 RVO für seine Ehefrau gewährt worden sind. Die beanstandete Rechtsprechung hatte also nicht zur Folge, daß dem Kläger vermeintliche Ansprüche verloren gegangen sind. Abgesehen davon kann - wie der 5. Senat in dem vorerwähnten Urteil, das den Beteiligten im Wortlaut bekannt ist - ein Anspruch auf zukünftige Sicherung im Krankheitsfall nicht auf das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit einer fehlerhaften Verwaltungspraxis gestützt werden.
Das zutreffende Urteil des SG war daher zu bestätigen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen