Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirkung der Rentenabfindung
Leitsatz (amtlich)
1. Rechtsgrundlage für die Aufhebung oder Abänderung eines Verwaltungsaktes wegen Änderung der Verhältnisse ist SGB 10 § 48 Abs 1 auch dann, wenn die Verwaltungsbehörde die Aufhebung oder Abänderung vor dem 1981-01-01 abgelehnt hat, diese jedoch in einem nachfolgenden Rechtsstreit ausgesprochen wird und die ihn abschließende Entscheidung nach dem 1980-12-31 ergeht.
2. Ist eine Hinterbliebenenrente gemäß RVO § 1268 Abs 4 zwischen zwei Berechtigten aufgeteilt worden, so ist nach Wegfall des Anspruchs des einen Berechtigten dem anderen Berechtigten die ungekürzte Hinterbliebenenrente auch dann zu zahlen, wenn dem ersten Berechtigten eine Rentenabfindung gewährt worden ist.
Orientierungssatz
1. Die Rentenabfindung kann ihrem Rechtsgrund und ihrer Zweckrichtung nach nicht mit der vorher gezahlten Rente gleichgesetzt und somit kann eine bisherige Rentenbezieherin nicht auch noch für die Dauer des fünfjährigen Berechnungszeitraums (§ 1302 Abs 1 RVO) als Berechtigte iS des § 1268 Abs 4 RVO angesehen werden.
2. Bei der Witwenrentenabfindung handelt es sich weder um eine Rentenkapitalisierung noch um eine Rentenvorauszahlung, sondern um eine selbständige Leistung ohne Unterhaltsersatzfunktion.
Normenkette
SGB 10 § 48 Abs 1 Fassung: 1980-08-18; SGB 10 Art 2 § 40 Abs 2 Fassung: 1980-08-18; RVO § 1268 Abs 4 Fassung: 1957-02-23, § 1291 Abs 1 Fassung: 1957-02-23, § 1291 Abs 3 Fassung: 1957-02-23, § 1302 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 08.05.1980; Aktenzeichen L 4 J 208/79) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 19.09.1979; Aktenzeichen S 11 J 14/79) |
Tatbestand
Im Streit ist ein Anspruch auf die Gewährung einer ungekürzten sogen. "Geschiedenen-Witwenrente".
Die Revisionsklägerinnen sind die Rechtsnachfolgerinnen ihrer während des Revisionsverfahrens verstorbenen Mutter (im folgenden: Klägerin). Diese war mit ... (im folgenden: Versicherter) verheiratet. Die Ehe wurde im Dezember 1954 geschieden. Der Versicherte ging im November 1956 eine zweite Ehe ein. Er verstarb am 15. Juni 1972.
Die Beklagte bewilligte nach dem Tode des Versicherten dessen Witwe eine Witwenrente und der Klägerin die sogen "Geschiedenen-Witwenrente" unter Aufteilung des Gesamtbetrages der Hinterbliebenenrente entsprechend der Dauer der jeweiligen Ehe. Am 17. September 1976 schloß die Witwe des Versicherten eine neue Ehe. Die Beklagte gewährte ihr eine Abfindung in Höhe des fünffachen Jahresbetrages der mit Ablauf des Monats September 1976 wegfallenden Witwenrente. Den Antrag der Klägerin, ihr nunmehr ungekürzte Geschiedenen-Witwenrente zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Dezember 1978 ab.
Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die Beklagte unter Aufhebung dieses Bescheides verurteilt, der Klägerin ab 1. Oktober 1976 ungekürzte Geschiedenen-Hinterbliebenenrente zu zahlen (Urteil vom 19. September 1979). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Mai 1980). Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Klägerin könne weder aufgrund einer Zusage noch aufgrund einer Selbstbindung der Beklagten eine ungekürzte Geschiedenen-Witwenrente beanspruchen. Nach dem Gesetz stehe ihr ein solcher Anspruch ebenfalls nicht zu. Bis zum Ende des fünfjährigen Abfindungszeitraums müsse die wiederverheiratete Witwe noch als "Berechtigte" iS des § 1268 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gelten. Hinsichtlich der Auswirkungen einer Witwenrentenabfindung auf eine weitere oder auf weitere Witwenrenten sei das Gesetz unbeabsichtigt lückenhaft. Die Witwenrentenabfindung stelle zwar weder einen Ersatz für eine weggefallene Rente noch eine Vorauszahlung kapitalisierter Rentenbezüge dar. Vielmehr handele es sich um eine Regelleistung eigener Art. Von daher könne die abgefundene Witwe im Wortsinne möglicherweise nicht mehr als Berechtigte angesehen werden. Sinn und Zweck des § 1268 Abs 4 RVO und sein gesetzessystematischer Zusammenhang mit den übrigen für die Gewährung einer Hinterbliebenenrente maßgebenden Vorschriften erforderten jedoch eine andere Auslegung. § 1268 Abs 4 RVO solle dem das gesamte öffentliche Leistungs- und Versorgungsrecht beherrschenden Grundsatz Rechnung tragen, daß die Hinterbliebenen insgesamt keine höheren Leistungen erhalten sollten, als sie dem verstorbenen Versicherten im Zeitpunkt seines Todes oder im Leistungsfalle zugestanden hätten. Einerseits solle der Tod des Ernährers nicht zu einer wirtschaftlichen Besserstellung seiner Hinterbliebenen führen; andererseits sollten der Versicherungsträger und damit die Versichertengemeinschaft nach dem Tode eines Versicherten, der wiederholt verheiratet gewesen sei, insgesamt nur durch eine einzige Witwenrente an hinterbliebene ehemalige Ehegatten belastet werden. Mit diesem Grundsatz wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die abgefundene Witwe nicht als "Berechtigte" iS des § 1268 Abs 4 RVO gelten und einerseits ihr der fünffache Jahresbetrag der zuletzt bezogenen Rente, andererseits der geschiedenen Ehefrau für denselben Zeitraum die ungekürzte Rente gewährt würde. Das würde zu Lasten der Versichertengemeinschaft zu einer nicht gerechtfertigten und nicht gewollten Doppelleistung führen. Das Ergebnis der Auslegung widerspreche nicht dem insbesondere in § 1265 Satz 2 RVO zum Ausdruck gebrachten Ziel des Gesetzgebers, einerseits die Rechtsstellung der früheren Ehefrau des Versicherten zu verbessern, andererseits diese Verbesserung aber nicht auf Kosten der Witwe des Versicherten gehen zu lassen. Die Abfindung und damit der Wegfall der Witwenrente führten im Ergebnis zu einer Anspruchserweiterung zugunsten der früheren Ehefrau. Dann sei es aber nicht unbillig, diese Anspruchserweiterung erst nach Ablauf des fünfjährigen Abfindungszeitraums eintreten zu lassen. Eine andere Auslegung sei auch nicht unter Hinweis auf einige andere Vorschriften zu rechtfertigen, in denen der Gesetzgeber mögliche Doppelleistungen für gewisse Zeiträume in Kauf genommen habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision hat die Klägerin eine Verletzung der §§ 1265 ff und speziell des § 1268 Abs 4 RVO gerügt. Die Auslegung letzterer Vorschrift durch das LSG sei unzutreffend. Es habe dem Gesetzgeber zu Unrecht unterstellt, er habe die Auswirkung der Witwenrentenabfindung auf die weitere oder weiteren Witwenrenten ebensowenig vorhergesehen wie den Wegfall einer Berechtigten überhaupt. Insoweit sei eine präzise Regelung im Gesetz getroffen worden. Die Rentenabfindung sei nach ihrem Sinn und Zweck eine zusätzliche Leistung der Versicherung und keine Rentenzahlung. Dann aber könne die Witwe nicht mehr als "Berechtigte" angesehen werden.
Die Revisionsklägerinnen beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 8. Mai 1980 aufzuheben und
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des
Sozialgerichts Dortmund vom 19. September 1979 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und die darin vorgenommene Auslegung des § 1268 Abs 4 RVO dahingehend, daß die wiederverheiratete frühere Witwe des Versicherten bis zum Ende des fünfjährigen Abfindungszeitraums noch als "Berechtigte" anzusehen sei, für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision der Klägerin und nunmehr der Revisionsklägerinnen als Rechtsnachfolgerinnen der Klägerin ist zulässig und begründet.
Die Revisionsklägerinnen als Rechtsnachfolgerinnen ihrer verstorbenen Mutter haben einen Anspruch auf Gewährung der ungekürzten Geschiedenen-Witwenrente ab 1. Oktober 1976 bis zum Ablauf des Monats des Todestages der Klägerin (§ 1294 RVO).
Sie begehren im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einmal die Aufhebung des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 20. Dezember 1978 und zum anderen die Zahlung einer ungekürzten Geschiedenen-Witwenrente unter Abänderung des der Klägerin erteilten bindenden Bescheides vom 25. September 1973 über die Gewährung einer gem § 1268 Abs 4 RVO gekürzten Hinterbliebenenrente. Verwaltungsverfahrensrechtliche Rechtsgrundlage für eine solche Abänderung ist § 48 Abs 1 des Sozialgesetzbuchs, Zehntes Buch, Verwaltungsverfahren (SGB 10) vom 18. August 1980 (BGBl I S 1469). Hiernach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB 10). Er soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit ua die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB 10).
§ 48 Abs 1 SGB 10 ist im vorliegenden Rechtsstreit anwendbar. Das ergibt sich aus Art II § 40 Abs 2 SGB 10. Danach ist § 48 SGB 10 erstmals anzuwenden, wenn nach dem 31. Dezember 1980 ein Verwaltungsakt aufgehoben wird. Dies gilt auch dann, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist. Ausgenommen sind lediglich solche Verwaltungsakte in der Sozialversicherung, die bereits bestandskräftig waren und bei denen auch nach § 1744 RVO in der vor dem 1. Januar 1981 geltenden Fassung eine neue Prüfung nicht vorgenommen werden konnte.
Die Voraussetzungen des Art II § 40 Abs 2 Sätze 1 und 2 SGB 10 für eine Anwendung des § 48 SGB 10 auf den vorliegenden Sachverhalt sind erfüllt. Die Revisionsklägerinnen begehren die Gewährung einer ungekürzten Geschiedenen-Witwenrente ab 1. Oktober 1976 und damit die (teilweise) Aufhebung des dem entgegenstehenden Bescheides vom 25. September 1973. Dieser ist vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden. Er wird jedoch iS des Art II § 40 Abs 2 Satz 1 SGB 10 erst nach dem 31. Dezember 1980 aufgehoben. Zwar hat die Beklagte eine (teilweise) Aufhebung des Bescheides vom 25. September 1973 zugunsten der Klägerin gerade abgelehnt und hierüber bereits vor dem 1. Januar 1981 den angefochtenen Bescheid vom 20. Dezember 1978 erteilt. Das ist jedoch unerheblich. Ausschlaggebend für die Anwendung des neuen Verwaltungsverfahrensrechts ist, daß die Revisionsklägerinnen einen Anspruch auf (teilweise) Aufhebung des Bescheides vom 25. September 1973 auch noch nach dem 31. Dezember 1980 weiterverfolgen. Art II § 40 Abs 2 Satz 1 SGB 10 ist nicht in dem eingeschränkten Sinne zu verstehen, daß die Aufhebung des Verwaltungsaktes nach dem 31. Dezember 1980 durch die Verwaltungsbehörde erfolgt sein muß. Vielmehr erfaßt die Übergangsvorschrift alle Verfahren, in denen nach dem 31. Dezember 1980 ein Verwaltungsakt zur Aufhebung ansteht. Sie ist so zu lesen, als seien dem Wort "wird" die Worte "oder werden soll" angefügt (Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren und Schutz der Sozialdaten, Stand 1. September 1981, K § 44, Anm 41). Damit erfaßt sie auch die Fälle, in denen die Verwaltungsbehörde zwar vor dem 1. Januar 1981 die Aufhebung eines Verwaltungsaktes abgelehnt hat, es deswegen jedoch zu einem Rechtsstreit kommt und die ihn abschließende gerichtliche Entscheidung erst nach dem 31. Dezember 1980 ergeht (vgl auch Wolfgang Meyer, SGb 1981, 501, 503). Diese Auslegung findet in Art II § 37 Abs 1 SGB 10 eine zusätzliche Stütze. Hiernach sind bei Inkrafttreten des SGB 10 bereits begonnene Verfahren nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu Ende zu führen. Nach dem Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. September 1981 - 4 RJ 107/78 - ist das "Verfahren" im Sinne dieser Überleitungsvorschrift nicht schon mit dem Erlaß des Verwaltungsaktes (Bescheides, Widerspruchsbescheides), sondern erst mit dem Eintritt der Bindungswirkung (§ 77 SGG) abgeschlossen. Damit erfaßt die Regelung des Art II § 37 Abs 1 SGB 10 alle Verfahren, die noch nicht bindend (rechtskräftig) abgeschlossen sind, mit Einschluß derjenigen Verfahren, welche noch vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängig sind. Auch von daher rechtfertigt sich im vorliegenden Streitfalle die Anwendung des § 48 SGB 10. Die Ausnahmeregelung des Art II § 40 Abs 2 Satz 3 SGB 10 steht dem nicht entgegen. Zwar ist der (teilweise) aufzuhebende Bescheid vom 25. September 1973 vor dem Inkrafttreten des SGB 10 bestandskräftig geworden. Jedoch ist die weitere Voraussetzung nicht erfüllt, daß auch nach § 1744 RVO in der vor dem 1. Januar 1981 geltenden Fassung eine neue Prüfung nicht hat vorgenommen werden können. Mit diesem Erfordernis hat der Gesetzgeber ersichtlich diejenigen Verwaltungsakte von der Aufhebung (Widerruf oder Rücknahme) nach neuem Verwaltungsverfahrensrecht (zur dann fortbestehenden Überprüfungsmöglichkeit nach altem Recht vgl BSGE 51, 209, 212 = SozR 2200 § 627 Nr 8 S 22; Urteil vom 10. September 1981 - 5a/5 RKn 4/80 -) ausnehmen wollen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts in Bindungswirkung erwachsen (§ 77 SGG) und dann nach bisherigem Recht unabänderbar gewesen sind. Leistungsbescheide auf dem Gebiet der Sozialversicherung haben nicht zu diesen Bescheiden gehört. Vielmehr hat das BSG wiederholt entschieden, daß in Verallgemeinerung eines in §§ 622, 1286 RVO, § 63 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), § 86 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG), § 151 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), § 62 des Bundesversorgungsgesetzes -BVG- (in ihren vor dem 1. Januar 1981 geltenden Fassungen) zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken die durch Bescheid festgestellte Leistung ungeachtet der Bindungswirkung des Bescheides dann neu festzustellen ist, wenn sich die für seinen Erlaß maßgebend gewesenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse nachträglich wesentlich geändert haben (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 22. September 1981 - 1 RJ 112/80 - mwN). Zu den danach ungeachtet ihrer Bindungswirkung bei einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse abänderbaren Leistungsbescheiden gehört auch der der Klägerin erteilte Bescheid über die Gewährung einer gekürzten Geschiedenen-Witwenrente vom 25. September 1973. Er unterfällt nicht der Ausnahmeregelung des Art II § 40 Abs 2 Satz 3 SGB 10. Damit richten sich die Voraussetzungen seiner von den Revisionsklägerinnen begehrten (teilweisen) Aufhebung seit dem 1. Januar 1981 nach § 48 Abs 1 SGB 10.
Der von den Revisionsklägerinnen weiterverfolgte Anspruch ist nicht auf eine vollständige Aufhebung des Bescheides vom 25. September 1973 gerichtet. Vielmehr begehren sie lediglich dessen teilweise Aufhebung (Abänderung) hinsichtlich seines die Klägerin belastenden Teils - Kürzung der Geschiedenen-Witwenrente nach § 1268 Abs 4 RVO - für die Zeit ab 1. Oktober 1976. Auch dies ist ein Anwendungsfall des § 48 Abs 1 SGB 10. Zwar ist nach dem Wortlaut der Vorschrift unter den dort genannten Voraussetzungen der Verwaltungsakt "aufzuheben". Das bedeutet jedoch nicht, daß § 48 Abs 1 SGB 10 die Rechtsgrundlage nur für eine völlige Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bietet. Vielmehr ermöglicht die Vorschrift auch die Abänderung (teilweise Aufhebung) eines Verwaltungsaktes entsprechend dem Ausmaß der Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse. Der Begriff der "Aufhebung" ist der umfassendere und schließt die Abänderung als lediglich partielle Aufhebung in sich ein (vgl auch Schroeder-Printzen/Engelmann/Wiesner/von Wulfen, Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren, 1981, § 48, Anm 1: "Angleichung" an wesentlich veränderte tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse; Wolfgang Meyer, aaO, S 517: Aufhebung, "wie dies der Änderung der Verhältnisse entspricht").
Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 SGB 10 für eine Abänderung des der Klägerin erteilten Rentenbescheides vom 25. September 1973 im Sinne des Antrages der Revisionsklägerinnen sind erfüllt. In den bei Erlaß dieses Bescheides gegebenen tatsächlichen und damit auch rechtlichen Verhältnissen ist nachträglich eine wesentliche Änderung eingetreten. Für die Berechnung der Höhe der der Klägerin bewilligten Geschiedenen-Witwenrente ist maßgebend gewesen, daß mit der Witwe des Versicherten eine weitere Hinterbliebenenrentenberechtigte vorhanden gewesen ist. Demzufolge ist die Hinterbliebenenrente gem § 1268 Abs 4 RVO zwischen der Witwe und der Klägerin entsprechend der Dauer ihrer jeweiligen Ehen mit dem Versicherten aufgeteilt worden. Dieser Aufteilung ist mit Wirkung ab 1. Oktober 1976 die Rechtsgrundlage entzogen worden. Die Witwe des Versicherten hat am 17. September 1976 eine neue Ehe geschlossen. Dadurch ist ihr Witwenrentenanspruch mit Ablauf des Monats September 1976 weggefallen (§ 1291 Abs 1 RVO). Vom 1. Oktober 1976 an ist neben der Klägerin eine weitere Hinterbliebenenrentenberechtigte nicht mehr vorhanden gewesen. Damit ist von diesem Zeitpunkt an für eine Aufteilung der Hinterbliebenenrente kein Raum mehr und der Klägerin bzw nunmehr ihren Rechtsnachfolgerinnen bis zum Ablauf des Monats des Todes der Klägerin (§ 1294 RVO) eine ungekürzte Geschiedenen-Witwenrente zu gewähren.
Dem steht nicht entgegen, daß der Witwe des Versicherten aus Anlaß ihrer erneuten Eheschließung eine Abfindung in Höhe des fünffachen Jahresbetrages der bisher bezogenen Rente gewährt worden ist (§ 1302 Abs 1 RVO). Entgegen der Auffassung der Beklagten und des LSG berechtigt dieser Umstand nicht zu der Schlußfolgerung, daß die Witwe auch noch während der fünf Jahre nach ihrer erneuten Eheschließung und der deswegen erfolgten Kapitalabfindung als Berechtigte iS des § 1268 Abs 4 RVO anzusehen ist. Eine solche Schlußfolgerung widerspricht zunächst dem § 1291 Abs 1 RVO. Hiernach fällt die Witwenrente mit Ablauf des Monats der Wiederheirat der Berechtigten weg. Wegfall der Rente ist gleichbedeutend mit dem Untergang des Rentenanspruchs. Die bisherige Rentenbezieherin ist nicht mehr Berechtigte iS des § 1268 Abs 4 RVO. Die Ansicht der Beklagten und des LSG ist weiterhin unvereinbar mit dem Wesen und Rechtscharakter der Witwenrentenabfindung iS des § 1302 Abs 1 RVO.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG stellt die sogen "Abfindung" weder eine der Kapitalabfindung nach §§ 603 ff RVO oder nach §§ 72 ff BVG vergleichbare Leistung noch eine Rentenvorauszahlung dar. Vielmehr handelt es sich um eine einmalige Leistung besonderer Art (§ 1235 Nr 3 RVO) mit dem Zweck, zur Vermeidung unerwünschter Rentenkonkubinate eine neue Eheschließung der Berechtigten durch Gewährung einer "Starthilfe" zu erleichtern (vgl mit eingehenden weiteren Nachweisen das Urteil des Senats in BSG SozR 2200 § 1291 Nr 15 S 40 sowie die weiteren Urteile in SozR 1500 § 146 Nr 5 S 10 und 2200 § 1291 Nr 17 S 54). Die Abfindung ist kein Ersatz für die durch die zweite Eheschließung weggefallene Witwenrente und hat somit im Gegensatz zu dieser keine Unterhaltsersatzfunktion (BSG SozR 2200 § 1291 Nr 17 S 54 f mwN). Sie ist Gegenstand eines selbständigen Anspruchs; der hierfür maßgebende Versicherungsfall ist die Wiederheirat der bisher Rentenberechtigten und nicht wie bei der Rentengewährung der Tod des Versicherten (vgl BSGE 41, 294, 296 = SozR 2200 § 1302 Nr 2 S 5). Allerdings fehlt es gleichwohl nicht an jeglichem Zusammenhang zwischen der Rentenabfindung und der zuvor gezahlten Hinterbliebenenrente. Deren Höhe ist nach § 1302 Abs 1 RVO auch für die Höhe des Abfindungsbetrages maßgebend. Dieser kann nicht unabhängig von der bisher gezahlten Witwenrente geprüft und festgestellt werden. Vielmehr wirkt die Bindung des Witwenrentenbescheides insofern auch für den Abfindungsanspruch fort (BSGE 41, 294, 295 = SozR 2200 § 1302 Nr 2 S 4). Über diese rein rechnerische Verbindung hinaus besteht auch ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen der Abfindung und der vorher bezogenen Witwenrente. Die Abfindung ist eine Fortwirkung der gezahlten Witwenrente und bildet regelmäßig den Abschluß der aus der Versicherung des verstorbenen Ehemannes erwachsenen Hinterbliebenenleistungen für die Witwe (BSGE 41, 294, 296 = SozR 2200 § 1302 Nr 2 S 5; vgl auch Urteil des BSG vom 25. November 1981 - 5a/5 RKn 1/80 - zur Gleichstellung einer abgefundenen mit einer laufenden Unfallrente im Rahmen des § 60 RKG). Dies ändert jedoch nichts daran, daß die Rentenabfindung ihrem Rechtsgrund und ihrer Zweckrichtung nach nicht mit der vorher gezahlten Rente gleichgesetzt und somit die bisherige Rentenbezieherin nicht auch noch für die Dauer des fünfjährigen Berechnungszeitraums (§ 1302 Abs 1 RVO) als Berechtigte iS des § 1268 Abs 4 RVO angesehen werden kann.
Zu seiner gegenteiligen Auffassung ist das LSG im wesentlich aus der Erwägung gelangt, daß § 1268 Abs 4 RVO hinsichtlich der hier zu entscheidenden Rechtsfrage unbeabsichtigt lückenhaft sei, deshalb der Auslegung bedürfe und diese Auslegung sich vor allem an dem Grundsatz zu orientieren habe, daß die Hinterbliebenen insgesamt keine höheren Leistungen erhalten sollten, als sie dem verstorbenen Versicherten im Zeitpunkt seines Todes zugestanden hätten oder im Leistungsfall zugestanden haben würden. Schon dem Ausgangspunkt dieser Überlegungen kann der Senat nicht uneingeschränkt folgen. Wenn einerseits § 1268 Abs 4 RVO als Voraussetzung für die Aufteilung der Hinterbliebenenrente notwendigerweise das Vorhandensein mehrerer Berechtigter erfordert, andererseits nach § 1291 Abs 1 und 3 RVO im Falle der neuen Eheschließung eines Berechtigten sein Rentenanspruch wegfällt, so kann dem der Wille des Gesetzgebers entnommen werden, nach dem Wegfall des einen Berechtigten die Hinterbliebenenrente dem anderen Berechtigten wieder in voller Höhe zukommen zu lassen. Demgemäß entspricht es allgemeiner Auffassung, daß jedenfalls nach dem Tode eines der Berechtigten die Rentenaufteilung endet bzw bei Verbleiben mehrerer Berechtigter neu vorzunehmen ist (Zweng-Scheerer, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Aufl, Stand November 1981, § 1268, Anm III 2; Verbandskommentar zur Reichsversicherungsordnung, Viertes und Fünftes Buch, Stand Juli 1981, § 1268, Anm 11). Allerdings ist in einem solchen Fall anders als im vorliegenden Sachverhalt dem wegfallenden Berechtigten eine Abfindung nicht zu zahlen. Das ändert jedoch an der Tatsache des Wegfalles seiner Rentenberechtigung nichts. Im übrigen kann den Ausführungen des LSG zu den Grundsätzen der Rentengewährung bei Vorhandensein mehrerer berechtigter Hinterbliebener im wesentlichen gefolgt werden. Die daraus gezogenen rechtlichen Schlußfolgerungen teilt der Senat indes nicht. Zielsetzung der Neuregelung der Hinterbliebenenrentenberechtigung bei Vorhandensein mehrerer Berechtigter anläßlich der Rentenreform des Jahres 1957 ist gewesen, daß der Tod eines Versicherten - abgesehen von den sich aus § 1268 Abs 4, § 1290 Abs 1 und 4 RVO ergebenen zeitlichen Überschneidungen - betragsmäßig nur eine Hinterbliebenenrente für die Witwe und etwaige frühere Ehefrauen auslösen soll. Zur Vermeidung einer erheblichen Erhöhung des Versicherungsrisikos und einer unzumutbaren Belastung der Solidargemeinschaft der Versicherten hat der Gesetzgeber den Weg gewählt, daß der Versicherungsträger unabhängig von der Zahl der anspruchsberechtigten hinterbliebenen Ehegatten als Gesamtbetrag nur so viel zu leisten hat, wie er bei Vorhandensein nur einer hinterbliebenen Ehefrau zu leisten hätte. Die Versichertengemeinschaft soll somit nicht mit der Vermehrung des dadurch, daß der Versicherte mehr als einmal verheiratet gewesen ist, entstehenden Risikos belastet werden (vgl BSG 29, 169, 171 = SozR Nr 14 zu § 1268 RVO; BSGE 33, 7, 8 = SozR Nr 20 zu § 1268 RVO; BSGE 51, 1, 2 f = SozR 2200 § 1268 Nr 18 S 64 f). In rechtlicher Hinsicht besteht dieses Risiko dann, wenn von zwei Hinterbliebenenrentenberechtigten der eine wegfällt und zugunsten des anderen Berechtigten die bis dahin vorgenommene Rentenaufteilung aufgehoben wird, nicht. Auch in diesem Falle hat der Versicherungsträger an den verbleibenden Berechtigten nicht mehr als eine Hinterbliebenenrente zu zahlen. Allerdings kommt es dann, wenn dem ausscheidenden Berechtigten gem § 1302 Abs 1 RVO eine Rentenabfindung gewährt wird, im rechnerisch-wirtschaftlichen Endergebnis zu einer doppelten Belastung der Versichertengemeinschaft einmal durch die Abfindung und zum anderen durch die dem nunmehr allein Berechtigten zu zahlende ungekürzte Hinterbliebenenrente. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine doppelte Rentenbelastung. Aus den bereits dargelegten Gründen stellt die Abfindung nach § 1302 Abs 1 RVO gerade keine kapitalisierte oder vorausgezahlte Rente dar. Angesichts dessen ist es nicht zulässig, unter Außerachtlassung der zwingenden Regelung des § 1291 Abs 1 RVO den Empfänger der Abfindung im Wege der Fiktion bis zum Ende des Abfindungszeitraumes noch als Berechtigten iS des § 1268 Abs 4 RVO anzusehen und mit dieser Begründung die Rente des verbliebenen Berechtigten anteilig zu kürzen. Dies würde zu dem vom gesetzgeberischen Zweck her nicht erlaubten Ergebnis führen, daß der Versicherungsträger an Rentenleistungen weniger als eine volle Witwenrente zu zahlen hat (vgl BSGE 33, 7, 8 = SozR Nr 20 zu § 1268 RVO). Nach alledem ist dann, wenn zwischen zwei Berechtigten eine Hinterbliebenenrente gem § 1268 Abs 4 RVO aufgeteilt worden ist und nunmehr der Anspruch des einen Berechtigten wegfällt, dem anderen Berechtigten die ungekürzte Hinterbliebenenrente auch dann zu zahlen, wenn dem ersten Berechtigten eine Rentenabfindung gewährt worden ist (wie hier Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 6. Aufl 1978, § 1268, Anm 9).
Ob dieses sozialpolitisch nicht völlig befriedigende Ergebnis im Rahmen der an sich systemfremden und verfassungsrechtlich nicht gebotenen Regelung der Heiratsabfindung (vgl BVerfGE 55, 114, 127, 131 = SozR 2200 § 1302 Nr 4 S 19, 21) korrigiert werden kann, ist weder im vorliegenden Rechtsstreit noch angesichts des eindeutigen Wortlautes des § 1302 Abs 1 RVO überhaupt von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden.
Die Beklagte hat somit für die Zeit ab 1. Oktober 1976 (vgl § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB 10 und dazu Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 10. April 1981, abgedruckt in Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung 1981, 263) in Abänderung des Bescheides vom 25. September 1973 die Hinterbliebenenrente der Klägerin ohne Berücksichtigung der Witwe des Versicherten als weiterer Berechtigter neu festzustellen und den Revisionsklägerinnen die Differenz zwischen der entsprechend erhöhten und der bisher gewährten Rente zu zahlen. Das muß unter Aufhebung des mit der Revision angefochtenen Urteils zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung nach näherer Maßgabe der aus der Urteilsformel ersichtlichen Einschränkung führen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen