Leitsatz (amtlich)
Ist die Arbeitsfähigkeit einer Teilzeitarbeitskraft auf dem allgemeinen Arbeitsfeld (leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen, im Stehen und im Umhergehen in geschlossenen Räumen und im Freien) aus gesundheitlichen Gründen insofern eingeschränkt, als diese nicht mehr im Umhergehen tätig sein kann, so ist das Arbeitsfeld iS des Abschn C 5 2b) bb) des Beschlusses des GrS vom 1969-12-11 - GS 4/69 - nicht stark eingeschränkt und der Teilzeitarbeitskraft daher der Arbeitsmarkt nicht verschlossen.
Leitsatz (redaktionell)
Starke Einschränkung: 1. Der Umstand, daß ein Versicherter nur insofern in seinem Einsatz auf dem allgemeinen Arbeitsfeld eingeschränkt ist, daß er nicht mehr im Umhergehen tätig sein kann, stellt offensichtlich keine starke Einschränkung iS des Abschn C V 2 b) bb) des Beschlusses des Großen Senats vom 1969-12-11 - GS 4/69 = BSGE 30, 167 dar.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Mai 1967 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente.
Der im Jahre 1913 geborene Kläger war von Beruf Hilfsarbeiter. Er beantragte, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) bzw. Berufsunfähigkeit (BU) zu gewähren.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Juli 1965 ab.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und beantragt, ihm Rente wegen BU ab 1. Mai 1965 zu bewilligen.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 6. Oktober 1966 die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung durch Urteil vom 19. Mai 1967 mit der Begründung zurückgewiesen, daß der Kläger nicht berufsunfähig sei.
Nach Ansicht des LSG kann der Kläger, da sein bisheriger Beruf der eines Hilfsarbeiters sei, auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden. Nach seinem Gesundheitszustand könne er noch mehr als die Hälfte eines vergleichbaren gesunden Versicherten erwerben; er sei fähig, alle leichten bis mittelschweren Männerarbeiten im Stehen und Sitzen, im Freien und in geschlossenen Räumen täglich etwa sechs Stunden zu verrichten.
Der Kläger könne nicht mit Erfolg geltend machen, daß das Arbeitsamt ihn nicht in eine Stelle vermitteln könne, die seinem Leistungsvermögen entspreche. Entscheidend sei ausschließlich, ob es Arbeitsplätze gibt, seien sie frei oder besetzt, die ihrer Art nach für den Kläger in Betracht kommen. Das sei der Fall. Es brauche daher nicht geprüft zu werden, ob und in welchem Umfange es derartige Arbeitsplätze gibt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er ist - sinngemäß - der Auffassung, daß er berufsunfähig sei. Abgesehen davon, daß er gesundheitlich nicht in der Lage sei, die vom LSG angegebenen Tätigkeiten zu verrichten, könne ihm das Arbeitsamt solche Arbeitsplätze tatsächlich auch nicht vermitteln.
Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Mai 1967 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Mai 1965 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die zulässige Revision ist unbegründet.
Zu Recht hat das LSG entschieden, daß dem Kläger die Berufsunfähigkeitsrente nicht zusteht, weil er nicht berufsunfähig ist.
Die gegen die Feststellung des Berufungsgerichts gerichtete Rüge des Klägers, dieses habe auf Grund der vorliegenden Gutachten nicht zu dem Ergebnis kommen dürfen, daß er noch in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsfeld alle leichten bis mittelschweren Männerarbeiten im Stehen und Sitzen, im Freien und in geschlossenen Räumen täglich etwa sechs Stunden zu verrichten, entspricht nicht den Erfordernissen, die § 164 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an Verfahrensrügen stellt. Diese Verfahrensrüge greift daher nicht durch, so daß der Senat an diese Feststellung gebunden ist.
Allein entscheidend ist somit, ob der Auffassung des Berufungsgerichts, daß es unerheblich sei, ob es für die genannten Teilzeittätigkeiten Arbeitsplätze in einem gewissen Umfang gibt, zutreffend ist. Dies ist zu verneinen.
Nach dem Beschluß des Großen Senats des Bundessozialgerichts (Beschluß vom 11. Dezember 1969 in Sachen M ./. LVA B - GS 4/69 -) ist diese Rechtsfrage dahingehend entschieden worden, daß es bei Anwendung des § 1247 Abs. 2 RVO erheblich ist, daß Arbeitsplätze, die der Versicherte mit der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausüben kann, seien sie frei oder besetzt, vorhanden sind, und daß der Versicherte auf solche Tätigkeiten nur verwiesen werden kann, wenn ihm das Arbeitsfeld praktisch nicht verschlossen ist, d.h. wenn das Verhältnis der im Verweisungsgebiet vorhandenen, für den Versicherten in Betracht kommenden Teilzeitarbeitsplätze zur Zahl der Interessenten für solche Beschäftigungen nicht ungünstiger ist als 75 zu 100.
Da der bisherige Beruf des Klägers im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO eine ungelernte Tätigkeit ist, kann er auf das allgemeine Arbeitsfeld, d.h. auf alle leichten bis mittelschweren Tätigkeiten im Sitzen, im Stehen und im Umhergehen in geschlossenen Räumen und im Freien verwiesen werden. Das LSG hat praktisch festgestellt, daß der Kläger täglich noch etwa sechs Stunden leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen und Stehen in geschlossenen Räumen und im Freien verrichten kann. Es spricht vieles für die Annahme, daß das LSG die weitere Feststellung, daß der Kläger darüber hinaus auch noch Tätigkeiten im Umhergehen verrichten kann, nicht bewußt, sondern lediglich irrtümlich unterlassen hat. Doch kann dies dahinstehen. Selbst wenn man hier eine bewußte Einschränkung des allgemeinen Arbeitsfeldes unterstellen wollte, würde das Ergebnis nicht anders sein können. Auch in diesem Falle würde das Arbeitsfeld praktisch nicht verschlossen sein. Nach den Grundsätzen, die der Große Senat in dem Beschluß in Sachen M ./. LVA B - GS 4/69 - in Abschnitt C V 2 gegeben hat und die der Senat sich zu eigen macht, kann bisher ausnahmsweise schon ohne die im allgemeinen allerdings erforderliche Kenntnis der zahlenmäßigen Größe dieser eingeschränkten Gruppe des allgemeinen Arbeitsfeldes entschieden werden, daß dem Kläger das Arbeitsfeld wegen dieser Einschränkung nicht verschlossen ist. Denn der Umstand, daß ein Versicherter nur insofern in seinem Einsatz auf dem allgemeinen Arbeitsfeld eingeschränkt ist, daß er nicht mehr im Umhergehen tätig sein kann, stellt offensichtlich keine starke Einschränkung im Sinne des Abschnittes C V 2b) bb) des oben eingeführten Beschlusses dar.
Danach ist dem angefochtenen Urteil im Ergebnis zuzustimmen, so daß die Revision als unbegründet zurückzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen