Leitsatz (amtlich)

Ist ein Angestellter rechtswirksam Mitglied einer Ersatzkasse geworden, so kann er auch bei Aufnahme einer Beschäftigung in der Landwirtschaft Mitglied dieser Ersatzkasse bleiben. RVO § 434 gilt in diesem Falle nicht (Ergänzung zu BSG 1961-02-28 3 RK 64/56 = SozR Nr 2 zu § 434 RVO).

 

Normenkette

RVO § 434 Fassung: 1911-07-19; SVAufbauV 12 Art. 2 § 4 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1935-12-24

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Januar 1968 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1) die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin betreibt ein Weingut und eine Weinhandlung in Bad Dürkheim. Sie beschäftigt seit dem 1. April 1962 den Beigeladenen zu 1), der seit dem Jahre 1959 bei der beigeladenen Deutschen Angestellten-Krankenkasse krankenversichert ist, als kaufmännischen Angestellten. Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) N/Weinstraße beanstandete diese Ersatzkassenmitgliedschaft und forderte mit Bescheid vom 18. November 1963 die Klägerin auf, den Beigeladenen zu 1) ab 1. Dezember 1963 bei ihr anzumelden, weil dieser in der Landwirtschaft beschäftigt und deshalb gemäß § 434 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bei der Beklagten zu versichern sei.

Nach erfolglosem Widerspruch hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 4. Oktober 1966 festgestellt, daß der Beigeladene zu 1) der Angestelltenversicherungspflicht unterliege; er sei nicht in der Landwirtschaft, sondern im Weinhandel beschäftigt, so daß § 434 RVO keine Anwendung finde.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 24. Januar 1968 mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß für den Beigeladenen zu 1) die Beigeladene zu 2) als Krankenkasse zuständig sei: Es könne dahingestellt bleiben, ob der überwiegend als kaufmännischer Angestellter im Weinhandel der Klägerin tätige Beigeladene zu 1) in der Landwirtschaft beschäftigt sei. Denn auch wenn das zutreffen sollte, sei er nicht aufgrund des § 434 RVO gezwungen, Mitglied der Beklagten zu werden. Er könne vielmehr gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung (12. AufbVO) idF der 15. AufbVO Mitglied der Beigeladenen zu 2) bleiben, weil er schon vor Aufnahme seiner Beschäftigung bei der Klägerin Mitglied dieser Ersatzkasse geworden war. Zwar bestimme § 434 RVO, daß für die in der Landwirtschaft Beschäftigten die §§ 517 bis 523 RVO nicht gelten. Dieser Grundsatz habe aber durch das Gesetz über den Aufbau der Sozialversicherung vom 5. Juli 1934, den Erlaß des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 11. Mai 1942, durch § 15 des Gesetzes über die Erhöhung der Einkommensgrenzen in der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung vom 13. August 1952 (EEG) und insbesondere durch die 12. und 15. AufbVO eine Einschränkung insoweit erfahren, als die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der Ersatzkasse - Wohnort und Mitgliederkreis - nur im Zeitpunkt der Aufnahme in die Ersatzkasse erfüllt sein müßten. Versicherungspflichtige Mitglieder könnten deshalb selbst bei einem Verlust ihrer Eigenschaft als Angestellte oder Arbeiter oder bei einem Berufswechsel ihre Ersatzkassenmitgliedschaft nicht gegen ihren Willen verlieren. Diesem Grundgedanken, einmal begründete Versicherungsverhältnisse bestehen zu lassen, entspreche es, daß ein Ersatzkassenmitglied, das eine Arbeit in der Landwirtschaft annimmt, in seiner Kasse verbleiben darf.

Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die Beklagte mit der - vom LSG zugelassenen - Revision: Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 434 RVO. Die von dem Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin ausgeübte Tätigkeit sei eine "Beschäftigung in der Landwirtschaft", da der Weinhandel der Klägerin sich ausschließlich auf den Vertrieb eigener Erzeugnisse beschränke und somit mit dem Weingut der Klägerin - also mit der Urproduktionsstätte - eine Einheit bilde, zumindest der Verwertung der in Urproduktion gewonnenen Erzeugnisse der Klägerin diene. Wenn das LSG meine, der Anwendungsbereich des § 434 RVO sei durch die AufbVOen eingeschränkt worden, so sei dem entgegenzuhalten, daß § 4 Abs. 1 Satz 2 der 12. AufbVO idF der 15. AufbVO keinen Anhaltspunkt dafür biete, daß aufgrund dieser Bestimmung eine einmal begründete Mitgliedschaft bei einer Ersatzkasse auch dann fortbestehe, wenn das Mitglied eine Beschäftigung in der Landwirtschaft aufnimmt. Es lasse sich kein allgemeiner Rechtsgedanke des Inhalts aus § 4 Abs. 1 Satz 4 der 12. AufbVO idF der 15. AufbVO herleiten, daß eine einmal begründete Mitgliedschaft in einer Ersatzkasse stets erhalten bleiben müsse. Vielmehr enthalte § 4 Abs. 1 Satz 4 der 12. AufbVO eine Ausnahmeregelung, die als solche eng auszulegen sei. Auch § 15 EEG könne im Falle des Beigeladenen zu 1) weder direkt noch entsprechend angewendet werden, da der Gesetzgeber mit Einführung dieser Regelung nicht die Absicht verfolgt habe, § 434 RVO zu durchbrechen. Er habe lediglich ermöglichen wollen, daß diejenigen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, bei denen einer Befreiung nach § 517 RVO grundsätzlich nichts im Wege steht, auch bei dem Verlust des Angestellten- oder Arbeiterstatus Mitglied der Ersatzkasse bleiben können.

Die Beklagte beantragt,

1.

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 24. Januar 1968 wird in vollem Umfange und das Urteil des SG Speyer vom 4. Oktober 1966 in dem Umfange aufgehoben, als über den Versicherungsstatus des Beigeladenen zu 1) entschieden ist;

2.

im Umfange der Aufhebung wird die Klage abgewiesen; es wird festgestellt, daß der Beigeladene zu 1) Mitglied der Beklagten ist.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie hält die Revision für nicht begründet, da der Beigeladene zu 1) im Weinhandel und nicht in der Landwirtschaft tätig sei. Aber selbst wenn der Beigeladene unter den Geltungsbereich des § 434 RVO fiele, so wäre er dennoch nicht bei der Beklagten versicherungspflichtig, sondern könne weiterhin Mitglied seiner Ersatzkasse bleiben. Insoweit sei den rechtlichen Ausführungen des LSG in vollem Umfange zuzustimmen.

Der Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) stellen keine Anträge.

II

Die Revision ist nicht begründet; der Beigeladene zu 1) kann über den 30. November 1963 hinaus unter Befreiung von der Mitgliedschaft bei der gesetzlichen Krankenkasse Mitglied der beigeladenen Ersatzkasse bleiben.

Es kann, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob der überwiegend als kaufmännischer Angestellter im Weinhandel der Klägerin tätige Beigeladene zu 1) in der Landwirtschaft beschäftigt ist. Selbst wenn diese Frage zu bejahen sein sollte, wurde er dennoch mit Aufnahme dieses Beschäftigungsverhältnisses nicht Mitglied der Beklagten. Zwar haben nach § 434 RVO die in der Landwirtschaft Beschäftigten mit Ausnahme der Gärtner sowie der vorübergehend in der Landwirtschaft beschäftigten gewerblichen Arbeiter grundsätzlich kein Recht auf Befreiung von der Mitgliedschaft bei der zuständigen Landkrankenkasse. Indessen hat diese Vorschrift zugunsten solcher Ersatzkassenmitglieder, die bei Aufnahme einer Beschäftigung in der Landwirtschaft bereits Mitglied einer Ersatzkasse waren, eine Ausnahme erfahren. Artikel 2 § 4 Abs. 1 Satz 2 der 12. AufbVO vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) idF der 15. AufbVO vom 1. April 1937 (RGBl I 439) erklärt es zur Vermeidung von Härten für die Betroffenen für ausreichend, daß die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse, insbesondere die Zugehörigkeit zum Mitgliederkreis, nur "im Zeitpunkt der Aufnahme" vorliegen. Im Rahmen der genannten Vorschrift (Satz 4 a aaO) war nur eine Ausnahme hiervon vorgesehen: Der Verlust der Eigenschaft als Angestellter oder Arbeiter führte nach bestimmter Frist zum Erlöschen der Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse. Indessen wurde auch diese Ausnahmeregelung beseitigt. Satz 4 der erwähnten Vorschrift idF des § 15 EEG vom 13. August 1952 (BGBl I 437) bestimmt nunmehr, daß versicherungspflichtige Mitglieder selbst dann, wenn sie ihre Eigenschaft als Angestellte oder Arbeiter verlieren, weiterhin Mitglieder der Ersatzkasse, der sie bisher angehört haben, bleiben können.

Damit war eine Entwicklung, die auf Wahrung des Besitzstands einer rechtmäßig erworbenen Ersatzkassenmitgliedschaft zielte, zum Abschluß gebracht: Ist jemand rechtswirksam Mitglied der Ersatzkasse geworden, so soll er diese Mitgliedschaft gegen seinen Wunsch durch einen Wechsel in der Art und Weise seiner Beschäftigung nicht verlieren (vgl. die Begründung zur 15. AufbVO in AN 1937, 157; siehe ferner die Urteile des erkennenden Senats vom 28. Februar 1961 - 3 RK 64/56 - in SozR Nr. 2 zu § 434 RVO und vom 25. Februar 1966 - 3 RK 38/65 - in BSG 24, 266, 270; Bogs in ErsK 1971, 109, 118). Der darin zum Ausdruck gekommene Grundgedanke, eine einmal bestehende Ersatzkassenmitgliedschaft selbst bei Verlust der Eigenschaft als Angestellter oder Arbeiter, insbesondere bei einem Wechsel von der Angestellten- zur Arbeitertätigkeit, bestehen zu lassen, hat so überragende Bedeutung, daß er auch bei einem Wechsel zur Beschäftigung in der Landwirtschaft - insofern stärker als § 434 RVO - einem Versicherten die Befreiungsmöglichkeit von der Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse (§ 225 RVO) läßt. Gegenüber diesem so deutlich verwirklichten Grundsatz der Wahrung des Besitzstands, der die Ersatzkassenmitgliedschaft eines Versicherten trotz stärkster Veränderungen seines Berufslebens unangetastet läßt, muß der in § 434 RVO zum Ausdruck gekommene Gedanke der Solidarität der in der Landwirtschaft Beschäftigten zurücktreten. Immerhin behält diese Vorschrift ihre Bedeutung bei solchen Versicherten, die ihre Ersatzkassenmitgliedschaft nicht schon in ihre Beschäftigung in der Landwirtschaft "einbringen".

Bei dieser Sach- und Rechtslage konnte es der Senat dahingestellt sein lassen, ob der Erlaß des RAM vom 2. Mai 1941 (AN 183), wonach § 434 RVO ausdrücklich auf die Personen keine Anwendung findet, die als in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigte Pflichtversicherte zur Zeit des Inkrafttretens des Erlasses oder während seiner Geltung schon Mitglieder einer Ersatzkasse waren oder geworden sind, und der inzwischen durch § 18 Abs. 4 Nr. 2 des Gesetzes über die Selbstverwaltung vom 22. Februar 1951 (BGBl I 124) aufgehoben worden ist, die bereits vorher in der AufbVO getroffenen Regelungen lediglich verdeutlichen wollte oder konstitutive Wirkung hatte (vgl. Urteil des Senats vom 28. Februar 1961 aaO Bl. Aa 2 Rückseite). Er brauchte auch nicht die Frage zu entscheiden, ob der Beigeladene zu 1) überhaupt in der Landwirtschaft beschäftigt war oder nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669379

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