Leitsatz (amtlich)

1. Zur Auslegung des Begriffs einer "anschließenden" unverschuldeten Arbeitslosigkeit in RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 und 6.

2. Die durch das RRG eingefügte Vorschrift des RVO § 1251 Abs 2 S 2 Buchst c gilt nur für Versicherungsfälle vom 1972-10-19 an.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Zeit unverschuldeter Arbeitslosigkeit darf sich nie an die pauschale Vertreibungszeit anschließen. Die Ausübung eines Gewerbes, das dem Vertriebenen zur Lebensgrundlage diente, steht dem nicht entgegen, selbst wenn während dieser Zeit eine Arbeitslosenmeldung beim Arbeitsamt erfolgt war.

 

Normenkette

RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09, Nr. 6 Fassung: 1965-06-09, Abs. 2 S. 2 Buchst. a Fassung: 1965-06-09, Buchst. c Fassung: 1965-06-09; RRG Art. 1 § 1 Nr. 8 Fassung: 1972-10-16, Art. 6 § 8 Abs. 2 Fassung: 1972-10-16

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. Juni 1972 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 1. September 1971 in vollem Umfang zurückgewiesen.

Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten der drei Rechtszüge haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Ersatzzeiten anzurechnen sind und ihm deshalb eine höhere Rente zusteht.

Der Kläger - bis dahin selbständiger Landwirt in Polen - wurde am 15. Oktober 1941 zur deutschen Wehrmacht eingezogen. Nachdem er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, wurde er am 2. September 1946 in ein Lager in Kiel aufgenommen, wo sich bereits seine Familie befand. Am selben Tag meldete er sich als Arbeitssuchender beim Arbeitsamt K. In der Gewerbekartei war er vom 1. Dezember 1946 bis 1. September 1948 mit der Gewerbeart "Anfertigung und Vertrieb von Holzsandalen" eingetragen. Danach meldete er sich erneut arbeitslos und bezog vom Oktober 1948 bis Mai 1954 Arbeitslosenunterstützung. Im Mai/Juni 1954 verließ er mit seiner Familie das Lager und verzog in den Landkreis M. Vom 16. Juni 1954 bis zum 14. April 1969 war er versicherungspflichtig beschäftigt.

Bei der Berechnung der Rente, die sie dem Kläger wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Januar 1970 an gewährte, berücksichtigte die Beklagte die ab 16. Juni 1954 zurückgelegten Beitragszeiten, lehnte es aber ab, die Zeiten des Wehrdienstes, der Kriegsgefangenschaft und der Arbeitslosigkeit als Ersatzzeiten anzurechnen, weil weder vorher eine Versicherung bestanden noch der Kläger innerhalb von drei Jahren nach dem Ende der Arbeitslosigkeit im Dezember 1946 eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen habe (Bescheid vom 12. März 1970).

Die Klage war erfolglos (Urteil vom 1. September 1971). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des Sozialgerichts (SG) und den Bescheid der Beklagten abgeändert sowie die Beklagte verurteilt, bei der Rentenberechnung die Zeiten vom 15. Oktober 1941 bis zum 31. Dezember 1946 und vom 15. Oktober 1948 bis zum 15. Juni 1954 als Ersatzzeiten zu berücksichtigen; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 12. Juni 1972).

Gegen dieses Urteil haben beide Beteiligte Revision eingelegt.

Der Kläger rügt Verletzung des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Er erstrebt, daß ihm zusätzlich die Zeit der selbständigen Tätigkeit vom 1. Januar 1947 bis 14. Oktober 1948 als Ersatzzeit angerechnet wird.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 12. Juni 1972 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine unter zusätzlicher Berücksichtigung auch der Zeiten vom 1. Januar 1947 bis 14. Oktober 1948 als Ersatzzeit berechnete Rente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen und

als Revisionsklägerin,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 12. Juni 1972 abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Mannheim vom 1. September 1971 in vollem Umfange zurückzuweisen.

Der Kläger stellt zur Revision der Beklagten keinen Antrag.

Die Beklagte rügt Verletzung des § 1251 Abs. 1 Nrn. 1 und 6, Abs. 2 Buchstabe a) RVO. Sie hält an ihrer Auffassung fest, daß die Zeiten des Wehrdienstes, der Kriegsgefangenschaft und der Arbeitslosigkeit nicht als Ersatzzeiten angerechnet werden können.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet, nicht hingegen diejenige des Klägers. Auf die Revision der Beklagten ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Revision des Klägers ist zurückzuweisen.

Das LSG hat mit Recht das Begehren des Klägers, bei der Berechnung seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit die Zeit vom 15. Oktober 1941 bis 15. Juni 1954 uneingeschränkt zusätzlich als Ersatzzeit (§ 1251 RVO) zu berücksichtigen, der durch diese Vorschrift gebotenen doppelten Prüfung unterworfen. Es hat - zum einen - geprüft, ob einer der Ersatzzeittatbestände (§ 1251 Abs. 1 Nrn. 1 bis 6 RVO) erfüllt ist und - zum anderen -, ob eine Ersatzzeit unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 derselben Vorschrift angerechnet werden kann. Das Berufungsgericht hat zwei Ersatzzeittatbestände festgestellt: den Kriegsdienst und die anschließende Kriegsgefangenschaft des Klägers vom 15. Oktober 1941 bis 2. September 1946 (§ 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO) sowie für die Folgezeit bis zum 31. Dezember 1946 diesen Teil der pauschalen Vertreibungszeit als Ersatzzeit nach § 1251 Abs 1. Nr. 6 RVO.

Es kann offenbleiben, ob das LSG die beiden Ersatzzeittatbestände der Nrn. 1 und 6 des § 1251 Abs. 1 RVO zutreffend erfaßt hat- abgesehen davon, daß zu dem Ersatzzeittatbestand nach Nr. 1 aaO auch die festgestellte Zeit der Arbeitslosigkeit vom 2. September bis 30. November 1946 gehören dürfte, fehlen Feststellungen zu dem Ersatzzeittatbestand nach Nr. 6 aaO, ob der Kläger überhaupt zu den Personen im Sinne der §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) gehört -, denn jedenfalls sind die Voraussetzungen des § 1251 Abs. 2 RVO über die Anrechnung von Ersatzzeiten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht erfüllt.

Das LSG hat die seit Oktober 1948 nach Aufgabe der selbständigen - nicht mit Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung belegten - Tätigkeit des Klägers bis zum 15. Juni 1954 dauernde weitere unverschuldete Arbeitslosigkeit als noch an den Ersatzzeittatbestand der Vertreibung (§ 1251 Abs. 1 Nr. 6 RVO) "anschließende" unverschuldete Arbeitslosigkeit gewertet. Es hat so zwei Blöcke von Ersatzzeiten, nämlich vom 15. Oktober 1941 bis 31. Dezember 1947 und vom 15. Oktober 1948 bis 15. Juni 1954 angenommen, beide aber durch die nicht als Ersatzzeit angerechnete Zeit der Selbständigkeit getrennt. Zu diesem Ergebnis ist es im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Ausfallzeitenrecht in Fällen einer an die Ausbildungszeit anschließenden Ersatzzeit (§ 1259 Abs. 1 Nr. 4 RVO) gelangt. Es hat sich dazu auf mehrere Urteile des BSG berufen, und zwar auf die Urteile vom 20. Juni 1962 - 1 RA 123/60 - (BSG 17, 129 = SozR Nr. 5 zu § 1259 RVO), vom 28. November 1969 - 1 RA 147/69 - (SozR Nr. 25 aaO) und vom 10. Februar 1970 - 11 RA 162/69 - (SozR Nr. 27 aaO), wonach unter dem Wort "anschließend" in § 1259 Abs. 1 Nr. 4 RVO = § 36 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - (auch für die Zeit seit dem Inkrafttreten des Rentenversicherungsänderungsgesetzes - RVÄndG -) ein Zeitraum bis zu zwei Jahren zu verstehen ist, und auf das Urteil vom 8. März 1972 - 11 RA 190/71 - (BSG 24, 93 = SozR Nr. 44 zu § 1259 RVO). In der letztgenannten Entscheidung ist die Anrechnung einer Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG (= § 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO) auch dann noch als der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit unmittelbar folgend gewertet worden, wenn ein Arbeitsloser einen alsbald mißglückten Arbeitsversuch unternommen hat; ein Arbeitsloser, der zu einer selbständigen Tätigkeit übergeht, soll jedenfalls für eine gewisse Anlaufzeit weiterhin als arbeitslos angesehen werden, ehe er in dem selbständigen Gewerbe seine Lebensgrundlage gefunden hat (vgl. BSG SozR Nr. 10 zu § 87 a des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG -). Eine nicht mehr als 6 Monate umfassende, von Arbeitslosenzeiten eingeschlossene Zeit der selbständigen Tätigkeit soll danach ein mißglückter Selbsthilfeversuch und insofern unschädlich sein, so daß die nachfolgende Arbeitslosigkeit lediglich die dem Selbsthilfeversuch vorangegangene Arbeitslosigkeit fortsetzen soll.

Das LSG hat zwar nicht verkannt, daß die von ihm zur Stütze seiner Auffassung herangezogene Rechtsprechung des BSG vor allem die an eine Ausbildungszeit anschließende Ersatzzeit im Sinne des § 1251 RVO als Ausfallzeit nach § 1259 Abs. 1 Nr. 4 RVO (= § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG) betraf. Es hat sich aber die dortige Auslegung des Begriffs "anschließend" zu eigen gemacht und auf die Ersatzzeitenregelung übertragen, um, wie es meint, dem Fall gerecht werden zu können. Es hat sich von der in der oben erwähnten Rechtsprechung vertretenen Auffassung maßgeblich leiten lassen, daß ein Versicherter, der lediglich wegen der augenblicklichen Aussichtslosigkeit auf Vermittlung eines geeigneten Arbeitsplatzes einen auf längere Frist zum Scheitern verurteilten und auch tatsächlich gescheiterten Versuch unternommen hat, sich die erforderlichen Mittel selbst durch Arbeit zu beschaffen, versicherungsrechtlich nicht schlechter behandelt werden darf als die Versicherten, die unter den vergleichbaren Verhältnissen keine Selbsthilfeversuche unternommen haben. Das Berufungsgericht hat hervorgehoben, insbesondere dürfe ein solcher zum Scheitern verurteilter Versuch nicht dahin führen, daß bei der Rentenberechnung sowohl die vor diesem Versuch liegenden Ersatzzeittatbestände im engeren Sinne als auch die dem gescheiterten Versuch folgenden Zeiten der weiteren Arbeitslosigkeit nicht mehr als Ersatzzeiten berücksichtigt würden, während bei vergleichbaren Versicherten, die nicht versucht hätten, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen, der gesamte Zeitraum als Ersatzzeit angerechnet werde. Es hat auf solche Weise festgestellt, daß der Kläger, der unmittelbar nach der am 15. Juni 1954 endenden weiteren und "anschließenden" Arbeitslosigkeit eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hatte, die Voraussetzungen des § 1251 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a) RVO, daß innerhalb von drei Jahren nach Beendigung der Ersatzzeit eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen worden sein muß, für die Anrechnung der beiden von dem LSG angenommenen Ersatzzeiten erfüllt hat.

Dem LSG kann aus mehreren Gründen nicht zugestimmt werden.

Dem Gedankengang des Berufungsgerichts, der von der Annahme einer pauschalen Vertreibungszeit als Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 Nr. 6 RVO ausgeht, kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil sich die Zeit der unverschuldeten Arbeitslosigkeit nie an eine pauschale Vertreibungszeit anschließen darf. Vielmehr ist ein solcher Anschluß nur bei einer Zeit individuell nachgewiesener Vertreibung zulässig. Dies ergibt sich aus der Gesamtheit der jeweils individuell festzustellenden Ersatzzeitenregelungen des § 1251 Abs. 1 RVO; davon weicht lediglich § 1251 Abs. 1 Nr. 6 RVO in seiner 1. Alternative mit der pauschalen Ersatzzeitenzuweisung an Personen im Sinne der §§ 1 bis 4 BVFG ab (vgl. BSG SozR Nr. 48 zu § 1251 RVO). Die hier erforderlichen individuellen Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen, so daß dem angefochtenen Urteil insofern bereits die Grundlage fehlt. Ob sie durch eine Zurückverweisung der Sache an das LSG zu beschaffen wäre, kann offenbleiben, da die angefochtene Entscheidung jedenfalls aus folgenden Gründen nicht zu halten ist:

Grundsätzliche Bedenken bestehen bereits dagegen, die von der Rechtsprechung des BSG zum Ausfallzeitenrecht entwickelten Grundsätze über einen gescheiterten Selbsthilfeversuch (SozR Nr. 44 und neuerdings Nr. 50 zu § 1259 RVO) ohne weiteres auf das wesensmäßig andersartige Ersatzzeitenrecht, um das es hier allein geht, zu übertragen. Selbst wenn man dem aber Raum geben wollte, könnte im Falle des Klägers nicht von einem gescheiterten Selbsthilfeversuch die Rede sein. Der Kläger hat vom 1. Dezember 1946 bis 1. September 1948 Holzsandalen hergestellt und vertrieben. Als er diese selbständig ausgeübte Gewerbeart aufnahm, hat er darin seine Lebensgrundlage gehabt, selbst wenn der tatsächliche Ertrag des Gewerbes gering gewesen sein sollte. Es spricht nach Lage des Falles alles dafür, daß ein Gewerbebetrieb, der eröffnet wird, auch die Lebensgrundlage darstellt. Ist jemand selbständiger Gewerbetreibender, ist er damit nicht arbeitslos (SozR Nr. 10 zu § 87 a AVAVG). Der Kläger war also während der Zeit seiner Selbständigkeit nicht arbeitslos und kann sich deshalb auch nicht auf die Regelung in § 3 Abs. 3 iVm § 8 Abs. 2 des Handwerker-Versicherungsgesetzes berufen, wonach die Anrechnung der Ersatzzeit nicht ausgeschlossen ist, wenn für diese Zeit Beiträge nicht entrichtet sind. Seine selbständige Tätigkeit hat er nicht etwa aus in seiner Person liegenden Gründen aufgegeben, etwa weil er sich den Anforderungen der von ihm gewählten Gewerbeart nicht gewachsen zeigte. Vielmehr hat er die selbständige Tätigkeit beendet, weil sich infolge der Währungsreform vom 20. Juni 1948 die wirtschaftlichen Verhältnisse grundlegend gebessert hatten, die Bedürfnisse des täglichen Lebens besser und angenehmer als in den voraufgegangenen Not- und Mangelzeiten befriedigt werden konnten und daher für vorher sehr begehrte Ersatzartikel- Holzsandalen gehörten ohne Zweifel dazu - kaum noch Bedarf bestand. Die allein wegen der verbesserten wirtschaftlichen Verhältnisse und nicht wegen irgendwelcher in der Person des Klägers liegenden Gründe aufgegebene selbständige Tätigkeit kann daher nicht als gescheiterter Selbsthilfeversuch bezeichnet werden.

Unabhängig davon versagt die Übernahme der obengenannten Rechtsprechung des BSG zur Ausfallzeitenregelung auf den Fall des Klägers auch deshalb, weil die dort aufgestellte zeitliche Schranke für einen gescheiterten Selbsthilfeversuch von etwa 6 Monaten mit 21 Monaten erheblich überschritten wurde.

Da nach Beendigung einer Ersatzzeit der Kläger innerhalb von drei Jahren keine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hat - selbst bei Annahme einer pauschalen Vertreibungszeit als Ersatzzeit (§ 1251 Abs. 1 Nr. 6 RVO) würden zwischen deren Ende (31. Dezember 1946) und der Aufnahme einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung (16. Juni 1954) 7 Jahre und 6 Monate liegen -, ist dem Kläger keine Ersatzzeit gutzubringen (§ 1251 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a) RVO).

Der Kläger kann sein Klageziel auch nicht aufgrund der durch Art. 1 § 1 Nr. 8 des Rentenreformgesetzes - RRG - vom 16. Oktober 1972 (BGBl. I 1972 S. 1965) dem § 1251 Abs. 2 Satz 2 RVO mit Wirkung vom 19. Oktober 1972 (Art. 6 § 8 Abs. 2 RRG; Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG; BVerfGE 16, 16 ff; 18, 398) angefügten Vorschrift des Buchstaben c) erreichen. Nach dieser Vorschrift sind die Ersatzzeiten (Primär- und Anschlußersatzzeiten) auch dann anzurechnen, wenn eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nach Ablauf der in den Buchstaben a) und b) genannten Frist von drei Jahren aufgenommen ist und die Zeit vom Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung bis zum Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, mindestens zur Hälfte, jedoch nicht unter sechzig Monaten, mit Beiträgen belegt ist, wobei im Gesetz näher beschriebene Anrechnungseinzelheiten zu beachten sind (vgl. Niemeyer, Sonstige Änderungen des Rentenrechts, BArbBl. 1973, 153, hier: 154).

Diese Regelung bezieht sich jedoch nur auf seit dem 19. Oktober 1972 eingetretene Versicherungsfälle, nicht aber - wie hier - auf frühere Versicherungsfälle. Im Sozialversicherungsrecht ist in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Recht bei der rückwirkenden Anwendung einer begünstigenden Vorschrift (vgl. BVerfGE 15, 324 f) neues Recht auf alte Versicherungsfälle nur dann anzuwenden, wenn dies besonders vorgeschrieben ist (BSG 10, 151, 155; 1. Senat, Urteil vom 7. Dezember 1972 - 1 RA 57/72 -; vgl. auch Blümlein, DAngVers. 1973, 90). Während frühere gesetzliche, die Rentenversicherung betreffende Regelungen ins einzelne gehende Vorschriften für frühere Versicherungsfälle kennen (z. B. Art. 5 §§ 3, 4 RVÄndG), enthält das RRG über eine rückwirkende Anwendung des neuen Buchstaben c) des § 1251 Abs. 2 RVO keine Regelung. Auch aus der neuen Vorschrift des § 9 a des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (Art. 2 § 1 Nr. 2 RRG) ist dies nicht zu entnehmen. Die zeitliche Beschränkung auf neue Versicherungsfälle ist verfassungsrechtlich unbedenklich und nicht zu beanstanden (vgl. 12. Senat - 26.9.1972 - 12 RJ 398/71 -).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669541

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