Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit kann entzogen werden, wenn der zum Verwaltungsangestellten (BAT VII) umgeschulte Versicherte eine der Hauertätigkeit gegenüber im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit verrichten kann.

2. Bei der Tätigkeit eines Angestellten der Tarifgruppe 3 im Bergbau handelt es sich um eine im Verhältnis zur Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten.

 

Normenkette

RKG § 86 Abs. 1 Fassung: 1967-12-21, Abs. 2 Fassung: 1967-12-21

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. August 1971 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Entziehung der Bergmannsrente.

Die Beklagte gewährte dem Kläger, der die bis 1964 verrichtete Hauertätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben mußte, mit Bescheid vom 7. November 1966 die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit für Zeit vom 1. Mai 1966 an. Der Kläger schloß die in der Zeit vom 6. September 1965 bis zum 19. Mai 1967 auf Kosten der Bergbau-Berufsgenossenschaft durchgeführte Umschulung zum Verwaltungsangestellten mit der Angestelltenprüfung I ab. Seit dem 22. Mai 1967 ist er als Verwaltungsangestellter in der Kommunalverwaltung tätig und seit dem 1. September 1967 in die Vergütungsgruppe BAT VII eingestuft.

Die Beklagte entzog dem Kläger mit Bescheid vom 3. Dezember 1968 die Bergmannsrente mit Wirkung vom 1. Februar 1969, weil der Kläger aufgrund neuer Kenntnisse und Fertigkeiten als Verwaltungsangestellter im Bergbau arbeiten könne und nicht mehr vermindert bergmännisch berufsfähig sei. Der Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid blieb ohne Erfolg.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 30. September 1970 abgewiesen. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz sein Klagebegehren auf die Weiterzahlung der Bergmannsrente bis zum 30. Juni 1970 beschränkt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 24. August 1971 zurückgewiesen. Es hat aufgrund der erhobenen Beweise festgestellt, der Kläger sei infolge der durch die Umschulung erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten in der Lage, als Angestellter in einem knappschaftlichen Betrieb eine Tätigkeit der Gruppe 3 des Tarifvertrages für die kaufmännischen Angestellten des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus zu verrichten. Der Erwerb dieser Kenntnisse und Fertigkeiten sei eine Änderung in den Verhältnissen im Sinne des § 86 Abs. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG), die zur Folge habe, daß der Kläger nicht mehr vermindert bergmännisch berufsfähig im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG sei. Die Rentenentziehung sei daher nach § 86 Abs. 1 RKG gerechtfertigt, ohne daß es der Voraussetzungen des § 86 Abs. 2 RKG bedürfe.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er trägt im wesentlichen vor, es sei ihm kaum möglich, in einem knappschaftlichen Betrieb als Angestellter tätig zu sein, da seine Ausbildung auf Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung abgestellt sei. In einem solchen Fall sei nicht § 86 Abs. 1 in Verbindung mit § 45 Abs. 2 RKG anzuwenden, sondern allein § 86 Abs. 2 RKG, der gerade für den Fall der Abwanderung aus dem Bergbau neu in das RKG eingefügt worden sei. Das LSG habe es aber unterlassen, die nach § 86 Abs. 2 RKG erforderlichen Ermittlungen anzustellen, ob er mit seinem Einkommen die persönliche Rentenbemessungsgrundlage erreicht habe.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und nach dem in der Vorinstanz zuletzt gestellten Antrag zu erkennen.

Dieser Antrag lautete: Unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung und unter teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 3. Dezember 1968 und 14. Februar 1969 die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger gewährte Bergmannsrente über den Monat Januar 1969 hinaus bis zum 30. Juni 1970 weiter zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. August 1971 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet.

II

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg, denn das LSG hat das die Klage abweisende Urteil des SG durch die Zurückweisung der Berufung mit Recht bestätigt. Die Beklagte durfte dem Kläger die gewährte Bergmannsrente entziehen.

Die Beklagte und die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 RKG erfüllt sind. Nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG, an die der Senat nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden ist, hat der Kläger durch die Umschulung zum Verwaltungsangestellten neue Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, die er im Zeitpunkt der Rentengewährung noch nicht hatte, weil die Umschulung erst danach mit der Angestelltenprüfung I abgeschlossen wurde. Nach der bereits vom früheren Reichsversicherungsamt (RVA) begründeten und vom Bundessozialgericht (BSG) fortgesetzten ständigen Rechtsprechung (vgl. BSG 11, 123 und in SozR Nr. 4 zu § 1293 RVO aF mit weiteren Hinweisen) liegt in dem Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten eine Änderung der für die Rentengewährung maßgebenden Verhältnisse, die unter den weiteren Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 RKG zur Entziehung der Rente berechtigt. Durch die Umschulung zum Verwaltungsangestellten und den dadurch bedingten Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten hat sich die Erwerbsmöglichkeit des Klägers gegenüber den zur Zeit der Rentengewährung bestehenden Erwerbsmöglichkeiten erhöht. Der Kläger ist nach den Feststellungen des LSG nunmehr in der Lage, als Angestellter in einem knappschaftlichen Betrieb eine Tätigkeit der Gruppe 3 des Tarifvertrages für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau zu verrichten. Er hat zwar vorgetragen, seine auf die öffentliche Verwaltung ausgerichtete Ausbildung lasse die Tätigkeit als Angestellter in einem knappschaftlichen Betrieb nicht zu. Damit wendet er sich gegen die Tatsachenfeststellungen des LSG, ohne diesen Angriff - wie dies nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlich wäre - hinreichend substantiiert und unter Angabe von Beweismitteln vorzutragen. Der Senat ist daher nach § 163 SGG an die Feststellungen des LSG gebunden, der Kläger sei in der Lage, die Tätigkeit eines Angestellten in einem knappschaftlichen Betrieb nach der Tarifgruppe 3 zu verrichten. Die Fähigkeit zur Verrichtung einer solchen Tätigkeit schließt verminderte bergmännische Berufsfähigkeit aus, denn es handelt sich um eine im Verhältnis zur Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten. Der Hauertätigkeit gegenüber ist eine andere knappschaftliche Tätigkeit jedenfalls dann im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig, wenn die Einkommensdifferenz 20 v. H. nicht erreicht (vgl. hierzu BSG 17, 196 = SozR Nr. 12 zu § 45 RKG mit weiteren Hinweisen). Die Einkommensdifferenz zwischen der Tätigkeit eines Bergbauangestellten im Endgehalt der Tarifgruppe 3 des Tarifvertrages für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau und der Tätigkeit eines Hauers hat aber stets unter 20 v. H. gelegen, was vom Kläger auch nicht in Zweifel gezogen wird. Der Bergbauangestellte der Tarifgruppe 3 verrichtet auch dem Hauer gegenüber eine Tätigkeit von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten (vgl. hierzu BSG in SozR Nrn. 22 und 23 zu § 45 RKG sowie Nr. 8 zu § 86 RKG). Spricht dafür schon der Umstand, daß es sich um eine im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit handelt, so muß auch unabhängig davon angenommen werden, daß weder die erforderliche Ausbildung noch die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Angestellten der Tarifgruppe 3 denen eines Hauers qualitativ nachstehen. War nach alldem der Kläger im Zeitpunkt der Rentenentziehung und danach infolge einer Änderung in den Verhältnissen (Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten) nicht mehr vermindert bergmännisch berufsfähig, so durfte die Beklagte die Bergmannsrente nach § 86 Abs. 1 RKG entziehen.

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es nicht darauf an, ob auch die Tatbestandsmerkmale des § 86 Abs. 2 RKG vorliegen. Die in dieser Vorschrift enthaltene negative Fiktion, daß ein Empfänger der Bergmannsrente unter den näher genannten Voraussetzungen als nicht vermindert bergmännisch berufsfähig gelte, setzt voraus, daß verminderte bergmännische Berufsfähigkeit nach § 45 Abs. 2 RKG vorliegt. Ist ein Versicherter schon wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 RKG nicht vermindert bergmännisch berufsfähig, so besteht für die Anwendung der negativen Fiktion kein Raum. Dem Kläger ist zwar zuzugeben, daß § 86 Abs. 2 RKG die Möglichkeiten der Entziehung der Bergmannsrente gerade für den Fall erweitern wollte, in dem der Versicherte nach Erwerb neuer Kenntnisse und Fertigkeiten außerhalb eines knappschaftlichen Betriebes tätig ist. Das bedeutet aber nicht, daß jeder Fall des Erwerbes neuer Kenntnisse und Fertigkeiten ausschließlich nach dieser Vorschrift zu beurteilen ist. Der Anwendungsbereich des § 86 Abs. 2 RKG beschränkt sich nur auf solche Kenntnisse und Fertigkeiten, deren Erwerb den Rentenempfänger nicht befähigt, eine Verweisungstätigkeit in einem knappschaftlichen Betrieb im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG zu verrichten. Das sind insbesondere die Fälle, in denen die neuen Kenntnisse und Fertigkeiten so spezieller Art sind, daß sie entweder in einem knappschaftlichen Betrieb nicht verwertet werden können oder aber dort nicht zur Verrichtung einer Verweisungstätigkeit befähigen.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision des Klägers zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670315

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