Leitsatz (amtlich)

Die DDR ist weder Ausland iS des RVO § 1318 noch Gebiet eines auswärtigen Staates iS des RVO § 1321.

Die Waisenrente ist daher für die Zeit eines nicht nur vorübergehenden Aufenthalts in der DDR nicht auszuzahlen.

 

Normenkette

RVO § 1318 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-02-25, § 1321 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-02-25

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 27.04.1977; Aktenzeichen L 8 J 89/76)

SG Münster (Entscheidung vom 26.01.1976; Aktenzeichen S 11 J 237/73)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 1977 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Im Prozeß geht es um die Frage, ob eine Waisenrente für eine Zeit auszuzahlen ist, in der der Berechtigte in der DDR gelebt hat.

Die Beklagte bewilligte dem im Jahr 1958 geborenen Kläger Waisenrente nach dessen Erzeuger, dem Versicherten, lehnte aber die Auszahlung der Rente für die Zeit vom 1. Oktober 1971 bis zum 10. März 1975, während der der Kläger mit seiner Mutter und gesetzlichen Vertreterin in der DDR gewohnt hatte, mit Bescheiden vom 20. Juli 1973, 18. Juli 1975, 3. Oktober 1975 ab (Widerspruchsbescheid vom 18. März 1977).

Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben, weil die DDR weder "Ausland" iS des § 1318 Reichsversicherungsordnung (RVO) noch "Gebiet eines auswärtigen Staates" iS des § 1321 RVO sei (Urteile des Sozialgerichts vom 26. Januar 1976 und des Landessozialgerichts - LSG - vom 27. April 1977).

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die unrichtige Anwendung des § 1321 RVO und beantragt sinngemäß,

die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 1977 und des Sozialgerichts Münster vom 26. Januar 1976 aufzuheben, sowie die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 20. Juli 1973, 18. Juli 1975, 3. Oktober 1975 und 18. März 1977 zu verurteilen, die Waisenrente auch für die Zeit vom 1. Oktober 1971 bis zum 10. März 1975 auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß die Beklagte mit ihrer Weigerung, die Waisenrente auch für die Zeit auszuzahlen, während der der Kläger in der DDR gelebt hat, rechtmäßig gehandelt hat.

Nach § 1317 RVO in der am 1. Januar 1959 in Kraft getretenen Fassung des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) ruht die Rente eines Deutschen, solange er sich außerhalb des Geltungsbereichs der RVO, also außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und von West-Berlin, aufhält. Da der Kläger sich in der Zeit vom 1. Oktober 1971 bis zum 10. März 1975 in der DDR, also nicht nur vorübergehend (§ 1319 Abs 1 RVO) außerhalb des Geltungsbereichs der RVO, aufgehalten hat, hat seine Rente für diese Zeit geruht. Etwas "anderes" ergibt sich auch nicht aus den Ausnahmebestimmungen der §§ 1318 und 1321 RVO.

Nach § 1318 Abs 1 Satz 1 RVO idF des FANG wird unter bestimmten Voraussetzungen die Rente "auch für Zeiten des Aufenthalts im Ausland gezahlt". Nach § 1321 Abs 1 Satz 1 RVO idF des FANG konnte die Rente in einem bestimmten Umfang an diejenigen Deutschen ausgezahlt werden, "die sich gewöhnlich im Gebiet eines auswärtigen Staates aufhalten, in dem die Bundesrepublik Deutschland eine amtliche Vertretung hatte". Die letztere Vorschrift ist durch das Zwanzigste Rentenanpassungsgesetz (20. RAG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1040) mit Wirkung vom 1. Juli 1977 gestrichen worden.

Das Gebiet der DDR war und ist weder Ausland noch Gebiet eines auswärtigen Staates.

Wie der Senat bereits früher (BSGE 42, 249, 250; Urteil vom 30. September 1976 - 4 RJ 127/75 - DAngVers 77, 138) entschieden hat, beschränkt sich die RVO in ihren Vorschriften über die "Zahlung von Leistungen" (Überschrift des Unterabschnitts D des 2. Abschnitts im 4. Buch) nicht auf die Einteilung von Territorien in "Inland" und "Ausland", sondern nimmt eine Dreiteilung vor in

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den "Geltungsbereich dieses Gesetzes", das ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlin,

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das "Ausland", nämlich die Gebiete auswärtiger Staaten, und

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die "Gebiete außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes", das sind die Teile des Deutschen Reichs in den Grenzen vom 31. Dezember 1937, die nicht zur Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin gehören.

Diese Einteilung kann auch, ohne daß sich am Ergebnis etwas änderte, so verstanden werden, daß die Gebiete außerhalb des Geltungsbereichs der RVO alle Territorien außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und von West-Berlin umfassen, wovon dann das Ausland, also das Gebiet auswärtiger Staaten, einen Teil bildet, während der andere, nicht besonders benannte Teil das Gebiet des Deutschen Reichs in den Grenzen vom 31. Dezember 1937, aber ohne das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und von West-Berlin, ausmacht. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.

Das Gebiet der DDR gehörte und gehört sonach weder zum Geltungsbereich der RVO noch zum Ausland (bzw zum Gebiet eines auswärtigen Staates), sondern zu dem Teil des Gebietes außerhalb des Geltungsbereichs der RVO, der kein Ausland ist.

Die Auffassung des Senats, daß die DDR kein Ausland ist, deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Dieses Gericht hat in dem Urteil vom 18. Juni 1973 über die Zurückweisung eines Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen die Ratifizierung des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 21. Dezember 1972 (Grundvertrag) - 2 BvQ 1/73 - (BVerfGE 35, 257) der Erklärung der Bundesregierung zugestimmt, für sie sei die DDR nicht Ausland (S. 263). In dem Urteil vom 31. Juli 1973 - 2 BvF 1/73 - (BVerfGE 36, 1), mit dem es den Grundvertrag in der sich aus den Gründen dieses Urteils ergebenden Auslegung für vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat, hat es zunächst ausgeführt, daß die Bundesregierung im Verfahren vorgetragen habe: Der Vertrag gebe nicht die Fortexistenz Deutschlands als Rechtssubjekt auf; er vermeide die Qualifizierung der DDR als Ausland; er halte fest an der Einheit der deutschen Nation und an der deutschen Staatsangehörigkeit; er enthalte auch keine völkerrechtliche Anerkennung der DDR (S. 12). In der eigenen Begründung stellt das Gericht fest: Das Grundgesetz (GG) gehe davon aus, daß das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert habe und nicht untergegangen sei (S. 15/16). Die DDR gehöre zu Deutschland und könne im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland angesehen werden (S. 17). Der Grundvertrag sei ein Vertrag zwischen zwei Staaten, die Teile eines noch immer existierenden, wenn auch handlungsunfähigen, weil noch nicht reorganisierten, umfassenden Staates Gesamtdeutschland mit einem einheitlichen Staatsvolk seien, dessen Grenzen genauer zu bestimmen hier nicht nötig sei (S. 23). Der Grundvertrag sei verfassungskonform dahin auszulegen, daß die DDR auch nach seinem Inkrafttreten für die Bundesrepublik Deutschland nicht Ausland geworden sei (S. 31).

Es ist auch mit dem Grundgesetz vereinbar, die Waisenrente einer in der DDR lebenden Waise ruhen zu lassen. Das hat das BVerfG mit eingehender Begründung entschieden (BVerfGE 28, 104 = SozR Nr 9 zu Art 6 GG).

Die Revision des Klägers war sonach als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1652683

BSGE, 293

DVBl. 1979, 529

IPRspr. 1978, 198

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