Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem an einer terminalen Niereninsuffizienz leidenden Kläger eine geeichte Personen-Standwaage zur Verfügung zu stellen hat.
Der Kläger wird dreimal wöchentlich ambulant im Dialyse-Zentrum der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf dialysiert. In der Zwischenzeit kontrolliert er auf ärztliche Anweisung sein Körpergewicht laufend mit einer geeichten Personen-Standwaage, weil bei unerwartet stärkerer Gewichtszunahme außerplanmäßige dialytische Maßnahmen erforderlich sind und durchgeführt werden.
Die Beklagte lehnte mit dem Bescheid vom 11. Februar 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 1982 die vom Kläger zunächst begehrte Erstattung der Kosten für den Erwerb der Waage ab.
Auf den geänderten Antrag des Klägers hat das Sozialgericht (SG) Hamburg die Beklagte am 18. Oktober 1983 verurteilt, dem Kläger eine geeichte Personen-Standwaage zur Verfügung zu stellen. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat mit Urteil vom 19. Juni 1984 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Außer der dreimal wöchentlich stattfindenden Dialyse müsse der Kläger laufend genaue Gewichtskontrollen mit einer geeichten Personen-Standwaage durchführen; bei starker Gewichtszunahme seien weitere dialytische Maßnahmen geboten; nur so könne die Gefahr einer Harnvergiftung vermieden und die Belastung des Herz-Kreislauf-Systems, die schon zu einer Linksherzhypertrophie geführt habe, verringert werden. Unter diesen Voraussetzungen sei die Benutzung einer geeichten Personen-Standwaage ein notwendiges Hilfsmittel im Sinne des § 182b der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Beklagte macht zur Begründung ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision geltend, das LSG habe den Hilfsmittelbegriff im Sinne des § 182b RVO verkannt und auch die Notwendigkeit i.S. des § 182 Abs. 2 RVO zu weit abgegrenzt. Die Waage könne im Falle des Klägers allenfalls als diagnostisches Hilfsmittel angesehen werden, das nicht unter § 182b RVO falle, sondern von der Dialyse-Station im Rahmen der Therapie zur Verfügung gestellt werden müsse.
Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 19. Juni 1984 und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18. Oktober 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zu Recht zur Überlassung einer geeichten Personen-Standwaage verurteilt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Hämodialyse selbst Krankenhilfe in Form der ärztlichen Behandlung im Sinne des § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a RVO (so BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1984 - 1 C 36/83 -, DÖV 1985, 446) oder durch Gewährung eines anderen Hilfsmittels im Sinne des § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c RVO ist oder eine komplexe Leistung mit den Elementen der Krankenpflege und des Hilfsmittels (so Meydam, BKK 1979, 210, 212). In jedem Fall handelt es sich bei der im häuslichen Bereich des Versicherten zur Gewichtskontrolle erforderlichen geeichten Waage um ein anderes Hilfsmittel, denn unter diesen Begriff fallen auch solche Geräte, die der Patient für die angeordnete Selbstüberwachung der Behandlungsbedürftigkeit einer Dauererkrankung benötigt. Der Zusammenhang mit der Dialyse macht die Waage nicht zum Zubehör des Dialysegeräts und den Wiegevorgang des Patienten nicht zum Teil der ärztlichen Behandlung. Selbst wenn man die Gewichtskontrolle als einen Teil des Dialysevorgangs ansehen wollte, den die Beklagte durch das Dialysezentrum gewährt, handelt es sich bei der im häuslichen Bereich des Versicherten erforderlichen geeichten Waage um ein Hilfsmittel, mit dem die Beklagte den Kläger unter den weiteren Voraussetzungen des § 182b RVO auszustatten hat. Die Frage, ob die Beklagte gegen das Dialysezentrum einen Anspruch hat, alles zur ordnungsgemäßen Durchführung der Dialyse - einschließlich der Sicherstellung der erforderlichen Gewichtskontrolle im häuslichen Bereich - zu tun, hat keinen Einfluß auf den Anspruch des Versicherten gegen die Beklagte auf Ausstattung mit Hilfsmitteln nach § 182b RVO. Die Erfüllung dieser von ihr geschuldeten Leistung hat sie sicherzustellen; sie kann den Versicherten nicht auf einen ihr verpflichteten, aber nicht leistungsbereiten Dritten verweisen.
Der Anspruch auf Ausstattung mit der geeichten Waage wäre nur dann zu verneinen, wenn sie ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens wäre (§ 182b Satz 1, letzter Satzteil, RVO). Eine geeichte Personen-Standwaage kann nicht schon deshalb als allgemeiner Gebrauchsgegenstand angesehen werden, weil sie nicht nur zur präzisen Messung des Körpergewichts im Rahmen der Dialyse-Überwachung, sondern auch zur Kontrolle des Körpergewichts ohne zugrundeliegende medizinische Indikation verwendet werden kann. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 14. Dezember 1982 - 8 RK 23/81 -, SozR 2200 § 182 Nr. 86) kann diese Einschränkung nur für solche Gegenstände gelten, die üblicherweise von einer großen Zahl von Personen verwendet werden. Geeichte Personen-Standwaagen werden jedoch nicht in dieser Weise allgemein verwendet, weil die mit ihnen erreichte Meßgenauigkeit - fehlerfreie und auf hundert Gramm genau mögliche Messung - im täglichen Leben nicht erforderlich ist. Damit steht fest, daß die vom Kläger benötigte geeichte Personen-Standwaage ein Hilfsmittel im Sinne des § 182b RVO ist.
Auch die Notwendigkeit im Sinne von § 182 Abs. 2 RVO ist zu bejahen, weil die Waage zur sachgerechten Behandlung der Wasserausscheidungsschwäche mittels Dialyse unverzichtbar ist. Die Notwendigkeit entfällt auch nicht deshalb, weil das Dialyseinstitut, in dem der Kläger die ambulante Dialyse regelmäßig durchführen läßt, dem Kläger eine Waage der benötigten Art leihweise zur Verfügung gestellt hat. Abgesehen davon, daß die Leihe nur vorübergehend bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits erfolgt, kann die Erfüllung des Anspruchs des Versicherten auf die Leistung der Krankenpflege im Sinne des § 182 RVO nicht mit der Begründung verweigert werden, der Versicherte benötige die Leistung nicht mehr, weil er sie sich selbst beschafft habe. Die Sachleistungspflicht der Beklagten hat Vorrang (vgl. dazu erkennender Senat a.a.O.). Bei unverbrauchbaren Sachen kann der Versicherungsträger seine Sachleistungspflicht auch durch die leihweise Überlassung des Hilfsmittels erfüllen, so daß die dahingehende Verurteilung der Beklagten rechtmäßig ist. Dem steht insbesondere nicht entgegen, daß der Kläger ursprünglich die Erstattung seiner Aufwendungen beantragt und die Beklagte im Verwaltungs- und Vorverfahren diesen Antrag abgelehnt hat. Der Anspruch auf leihweise Überlassung stellt sich gegenüber dem Anspruch auf Erstattung als der die Beklagte weniger belastende Anspruch dar, der von der in den angefochtenen Bescheiden getroffenen ablehnenden Entscheidung mitumfaßt war und daher mit der vom Kläger erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend gemacht werden konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.8 RK 47/84
Bundessozialgericht
Fundstellen