Leitsatz (amtlich)
Bei der Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach BVG § 30 Abs 2 (berufliches Betroffensein) sind Nachschäden, also Gesundheitsstörungen, die nach Eintritt der Schädigung unabhängig von dieser auftreten, ebensowenig zu berücksichtigen wie bei der Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach BVG § 30 Abs 1.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27, Abs. 2 Fassung: 1960-06-27
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Mai 1963 und das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 13. April 1962 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 12. August 1960 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der am 1. Januar 1920 geborene Kläger, der vom 15. Oktober 1940 bis 15. April 1946 Soldat und in Gefangenschaft war, arbeitete bis Dezember 1954 als Kraftfahrer im elterlichen Betrieb. Von Dezember 1954 an ist er in der Gastwirtschaft und seit Mai 1955 zusätzlich in der Poststelle, die seine Ehefrau versieht, tätig. Im November 1956 stellte er einen Antrag auf Versorgung wegen eines Ohrenleidens und gab dabei an, er habe Ende des Krieges durch schweres dauerndes Trommelfeuer am rechten Ohr eine Schädigung erlitten, die während der Gefangenschaft nicht behandelt worden sei. Das Versorgungsamt (VersorgA) holte Auskünfte der den Kläger behandelnden Ärzte ein und ließ den Kläger durch Dr. L von der Versorgungsärztlichen Untersuchungsstelle in Freiburg untersuchen (Gutachten vom 5. September 1957). Dieser sah eine beiderseitige Innenohrschwerhörigkeit als Schädigungsfolge an, die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v. H. bedingt, die Zunahme der Schwerhörigkeit links bis zur Taubheit führte er aber auf eine 1954 aufgetretene wehrdienstunabhängige Meniere'sche Erkrankung zurück. Das VersorgA lehnte den Antrag wegen Fristversäumnis mit Bescheid vom 13. August 1958 ab. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1958). Während des Klageverfahrens erteilte das VersorgA nach Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferversorgungsrechts (1. NOG) den Bescheid vom 12. August 1960, mit dem es eine Innenohrschwerhörigkeit beiderseits als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anerkannte und ausführte, die MdE betrage 20 v. H.; die Ertaubung links stehe mit dem Wehrdienst oder der Gefangenschaft nicht im Zusammenhang. Den ursprünglich auf diesen Bescheid beigefügten Zusatz, eine Heilbehandlung könne für die als Schädigungsfolge anerkannte beiderseitige Innenohrschwerhörigkeit nicht gewährt werden, nahm der Beklagte mit Schriftsatz vom 29. September 1960 zurück. Nach weiterer Begutachtung des Klägers (Gutachten vom 9. Mai 1961) hat das Sozialgericht (SG) Konstanz mit Urteil vom 13. April 1962 unter Aufhebung bzw. Abänderung der Bescheide vom 13. August 1958, 12. August 1960 und 29. September 1960 den Beklagten verpflichtet, dem Kläger für die anerkannten Schädigungsfolgen ab 1. Juni 1960 Rente nach einer MdE um 30 v. H. zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil mit Urteil vom 15. Mai 1963 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, daß zwischen den Beteiligten im Berufungsverfahren nur noch darüber Streit bestehe, ob für die anerkannten Schädigungsfolgen "Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" ab 1. Juni 1960 die Mindestgrundrente zu bewilligen sei, da nur der Beklagte gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt habe. Dies habe der Senat bejaht. Der Kläger sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch die anerkannten Schädigungsfolgen nicht in rentenberechtigendem Grade in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Bei der Beurteilung der MdE müsse die Taubheit links als sog. Nachschaden deshalb außer Betracht bleiben, weil diese Gesundheitsstörung nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem Wehrdienst stehe. Ihre Auswirkung auf die anerkannten Schädigungsfolgen könne daher nicht bewertet werden. Die MdE auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt betrage durch die anerkannten Schädigungsfolgen bei dem Kläger 15 v. H. In dieser MdE seien mögliche seelische Begleiterscheinungen mit enthalten. Der Kläger sei aber durch die anerkannten Schädigungsfolgen besonders beruflich betroffen im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG. Dabei sei nicht von dem Beruf eines Kaufmanns auszugehen, da der Kläger hierfür keine abgeschlossene Berufsausbildung gehabt habe, vielmehr sei der Kläger bis zum Eintritt der Taubheit links fast ausschließlich als Kraftfahrer tätig gewesen und habe Ende 1954 diesen Beruf aufgeben müssen, nachdem die Taubheit des linken Ohres eingetreten sei. Der Kläger hätte zweifellos diesen Beruf nicht aufgeben müssen, wenn sein Gehör damals nur durch die Taubheit links und nicht auch durch die wehrdienstbedingte Schädigung des rechten Ohres beeinträchtigt gewesen sei. Bei der Berufsaufgabe seien daher die Schädigungsfolge "Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" und die Nichtschädigungsfolge "Taubheit links" etwa gleichwertig beteiligt und als gleichwertige Ursachen anzusehen. Beide Gesundheitsstörungen seien somit wesentliche Teilursachen im Sinne des versorgungsrechtlichen Ursachenbegriffes. Voraussetzung für die Zuerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins sei nicht, daß die Schädigungsfolge allein Ursache dieser beruflichen Betroffenheit sei. Es seien keine Gründe ersichtlich, warum bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Schädigung und beruflichen Nachteilen etwas anderes gelten sollte als bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Schädigungsfolge und Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG. Es genüge daher, wenn die Schädigungsfolge eine wesentliche Mitursache für die Berufsaufgabe sei.
Da die Mithilfe des Klägers in der Gastwirtschaft und Poststelle seiner Ehefrau der selbständigen Ausübung des Kraftfahrerberufes nicht sozial gleichwertig sei, seien auch die übrigen Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BVG gegeben, so daß die Erhöhung der MdE auf 30 v. H. gerechtfertigt sei. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses ihm am 15. Juli 1963 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 1. August, beim Bundessozialgericht (BSG) am 6. August 1963 eingegangen, Revision eingelegt und sie nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 15. Oktober 1963 mit einem beim BSG am 31. August 1963 eingegangenen Schriftsatz vom 29. August 1963 begründet.
Er beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg und das Urteil des SG Konstanz, 5. Kammer, vom 13. April 1962 - Az.: S 5 V 1367/58 - aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des VersorgA Radolfzell vom 12. August 1960 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 29. September 1960 als unbegründet abzuweisen.
Er rügt eine Verletzung des § 30 BVG sowie der §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch das LSG. Er trägt hierzu vor, das LSG habe zu Unrecht den in der Kriegsopferversorgung (KOV) bestehenden Ursachenbegriff bei der Beurteilung der Höhe der MdE hinsichtlich eines beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG angewendet. Entgegen der Auffassung des LSG sei der Begriff der MdE ein einheitlicher Bewertungsmaßstab für die Entscheidung über die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schädigung. Das LSG irre, wenn es annehme, daß die Höhe der MdE nacheinander nach § 30 Abs. 1 und sodann nach § 30 Abs. 2 BVG festzustellen sei und die Ausfüllung dieses Maßstabes nach verschiedenen Gesichtspunkten vorgenommen werden müsse. Offenbar sei das LSG der Meinung, daß die MdE im Falle des § 30 Abs. 1 BVG nach medizinisch-naturwissenschaftlichen und im Falle des Abs. 2 nach kausalrechtlichen Gesichtspunkten zu erfolgen habe. Dies sei aber unrichtig. Würde man der Auffassung des LSG folgen, so würden auch andere, nicht durch eine Schädigungsfolge bedingte Gesundheitsstörungen über § 30 Abs. 2 BVG bei der Bemessung der MdE mitberücksichtigt werden müssen, obwohl sie nach § 1 BVG überhaupt nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden könnten. Damit würden aber auch nicht schädigungsbedingte Verschlimmerungen einer Gesundheitsstörung und hierdurch erst eintretende ungünstige wirtschaftliche Folgen mitberücksichtigt werden. Das LSG habe im übrigen den Inhalt des Urteils des BSG in Band 17 S. 114 ff verkannt. Mit weiterer Begründung rügt der Beklagte, daß die Feststellung des LSG, der Kläger sei durch die Aufgabe seines Berufes als Kraftfahrer besonders beruflich betroffen, unter Verletzung der §§ 103, 128 SGG zustande gekommen sei. Im übrigen wird auf die Revisionsbegründung verwiesen.
Der Kläger beantragt,
1. die Revision zurückzuweisen,
2. die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Revisionsverfahren dem Beklagten aufzuerlegen.
Er ist der Auffassung, daß das LSG § 30 BVG nicht verletzt habe und die Rügen einer Verletzung der §§ 103, 128 SGG durch das LSG nicht durchgreifen.
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision des Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und auch begründet worden, so daß sie zulässig ist (§§ 164, 166 SGG). Die Revision ist auch begründet.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger wegen der bei ihm im Bescheid vom 12. August 1960 anerkannten Schädigungsfolge "Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" für die Zeit ab 1. Juni 1960 Rente nach einer MdE um 30 v. H. zu gewähren. Das LSG hat für den Senat gemäß § 163 SGG bindend festgestellt, daß der Kläger nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft trotz der bei ihm bestehenden Schädigungsfolge seinen Beruf als Kraftfahrer ausgeübt und diesen erst im Jahre 1954 aufgegeben hat, nachdem bei ihm eine von der anerkannten Schädigungsfolge unabhängige Gesundheitsstörung, nämlich eine Taubheit links, aufgetreten ist. Weiterhin ist das LSG auf Grund der ihm vorliegenden Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger durch die anerkannte Schädigungsfolge "Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" in seiner Erwerbsfähigkeit um 15 v. H. gemindert ist (§ 30 Abs. 1 BVG). Es hat sodann ausgeführt, der Kläger sei in seinem Beruf als Kraftfahrer deshalb im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG besonders betroffen, weil er im Jahre 1954 diesen Beruf aufgeben mußte und die anerkannte Schädigungsfolge neben der schädigungsunabhängigen "Taubheit links" die wesentliche Mitbedingung der Berufsaufgabe gewesen sei. Dem Kläger stehe daher eine Rente nach einer MdE um 30 v. H. ab 1. Juni 1960 zu. Diese Auffassung des LSG geht jedoch fehl.
Gemäß § 30 Abs. 1 BVG idF des 1. NOG ist die MdE nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, dabei sind seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen. Die MdE ist gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen derzeitigen oder nachweislich angestrebten Beruf besonders betroffen ist. Wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 6. August 1963 (10 RV 1331/60) in Übereinstimmung mit der Entscheidung des 11. Senats des BSG vom 19. Juni 1962 (BSG 17, 114, 116) mit näherer Begründung ausgeführt hat, sind für die Feststellung des Schadens, den ein Beschädigter durch ein schädigendes Ereignis im Sinne des § 1 BVG erlitten hat, stets nur die Verhältnisse, die bei Eintritt des schädigenden Ereignisses bestanden haben, maßgebend. Das Ausmaß der MdE ergibt sich demnach aus dem Vergleich der beim Beschädigten unmittelbar vor der Schädigung vorhandenen Erwerbsfähigkeit mit der unmittelbar danach noch vorhandenen Erwerbsfähigkeit. Wie jeder andere Schaden, der durch ein bestimmtes Ereignis eingetreten ist, nur durch den Vergleich der Zustände vor und nach dem schädigenden Ereignis bestimmt werden kann, so ist auch der Schaden, der auf militärischen oder militärähnlichen Dienst zurückzuführen und zu entschädigen ist, nur auf diese Weise zu bestimmen und zu begrenzen. An diesem Grundsatz der Schadensbestimmung ändert sich auch dann nichts, wenn längere Zeit nach dem Eintritt des schädigenden Ereignisses sich erstmals Folgen dieses Ereignisses zeigen oder eine weitere Folge (Verschlimmerung) bei einer bereits anerkannten Gesundheitsstörung auftritt. In diesem Fall ist das schädigende Ereignis nicht auf einen kurzen Zeitpunkt beschränkt gewesen, sondern es hat angehalten und fortgedauert in seiner Einwirkung. In solchem Fall müssen, wie auch sonst, wenn die Schädigung sich über eine größere Zeitspanne erstreckt, die Zustände verglichen werden, die vor dem Beginn des schädigenden Ereignisses (der Schädigung) und dem Ende seines Einwirkens, d. h. beim Eintritt der erstmalig auftretenden Gesundheitsstörung oder dem Auftreten weiterer Folgen (Verschlimmerung) vorhanden gewesen sind. Danach ergibt sich für die Beurteilung der MdE bei Vor- und Nachschäden eine klare Regelung. Die bereits vor der Schädigung beim Beschädigten vorhandenen Gesundheitsstörungen (sog. Vorschäden oder Vorbeschränkungen) sind zu berücksichtigen, weil sie die zum Vergleich heranzuziehende Erwerbsfähigkeit im Zeitpunkt der Schädigung bereits gemindert haben können und damit nicht mehr die volle uneingeschränkte Erwerbsfähigkeit der nach der Schädigung verbliebenen geminderten Erwerbsfähigkeit gegenübergestellt werden kann. Dagegen müssen die späteren, nach der Schädigung bzw. dem Ende der Schädigung auftretenden Gesundheitsstörungen (sog. Nachschäden) bei der Bemessung der MdE außer Betracht bleiben, weil sie im Zeitpunkt des bei dem Beschädigten zu vergleichenden Gesundheitszustandes noch nicht vorhanden gewesen sind (s. dazu auch BSG 17, 114, 116, 117 und BSG 19, 201 ff). Diesem Grundsatz ist das LSG zwar bei der Bemessung der MdE gemäß § 30 Abs. 1 BVG gefolgt; es hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, daß die bei dem Kläger nach dem Kriege aufgetretene schädigungsunabhängige Taubheit links als sog. Nachschaden bei der Bemessung der MdE keine Berücksichtigung finden kann. Bei der Beurteilung der Frage, ob die MdE des Klägers wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins gemäß § 30 Abs. 2 BVG zu erhöhen ist, hat es aber diesen Grundsatz verlassen und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die MdE deshalb höher zu bemessen sei, weil der Kläger im Jahre 1954 durch das Zusammenwirken der anerkannten Schädigungsfolge mit dem Nachschaden Taubheit links gezwungen war, seinen Beruf als Kraftfahrer aufzugeben. Es hat dabei den § 30 Abs. 2 BVG verkannt.
Wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 5. November 1964 (BSG 22, 82 ff) mit eingehender Begründung dargelegt hat, kennt § 30 BVG nicht zwei oder mehrere unterschiedliche Minderungen der Erwerbsfähigkeit, sondern nur eine einheitliche MdE. Bei ihrer Festsetzung ist grundsätzlich von der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben auszugehen (Abs. 1), jedoch ist unter gewissen Voraussetzungen auch der Beruf des Beschädigten zu berücksichtigen (Abs. 2).
Das Gesetz sagt zunächst, welcher Beruf zu berücksichtigen ist, nämlich der früher ausgeübte, angestrebte begonnene oder derzeitige Beruf; es macht die Berücksichtigung dieses Berufs davon abhängig, daß dieser Beruf und auch ein sozial gleichwertiger infolge der Schädigung nicht mehr ausgeübt (§ 30 Abs. 2 Buchst. a BVG) oder zwar noch ausgeübt werden kann, der Beschädigte aber in diesem Beruf in höherem Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert (§ 30 Abs. 2 Buchst. b BVG) oder an einem Aufstieg in diesem Beruf gehindert ist (§ 30 Abs. 2 Buchst. c BVG). Im Rahmen der Vorfrage, ob der Beruf zu berücksichtigen ist, nämlich bei der Frage, ob der Beschädigte "infolge seiner Schädigung" den Beruf nicht mehr ausüben kann, in ihm in wesentlich höherem Grade erwerbsgemindert ist oder in ihm an einem Aufstieg gehindert ist, spielt die Kausalitätsfrage eine Rolle, worauf der 8. Senat in seiner Entscheidung vom 21. Juli 1964 - 8 RV 953/61 - zutreffend hingewiesen hat. Im übrigen handelt es sich bei der Feststellung der MdE nicht um Zusammenhangsfragen, sondern um die Bewertung des wirtschaftlichen Schadens, der mit der anerkannten Gesundheitsstörung eingetreten ist, gemessen an der Erwerbsfähigkeit. Die Besonderheit des Abs. 2 des § 30 BVG liegt allein darin, daß bei der Bemessung des Verlustes der Erwerbsfähigkeit nicht von der Tätigkeit im allgemeinen Erwerbsleben (§ 30 Abs. 1 BVG), sondern von der beruflichen Tätigkeit des Beschädigten - wenn im übrigen die Voraussetzungen für die Berücksichtigung des Berufs gegeben sind - auszugehen ist. An dem Grundsatz, daß die MdE durch den Vergleich der Erwerbsfähigkeit vor und nach der Schädigung zu ermitteln ist, hat sich damit nichts geändert. Wenn also bei einem Beschädigten der Beruf zu berücksichtigen ist, muß die Erwerbsfähigkeit in diesem Beruf unmittelbar vor und nach der Schädigung gegenübergestellt werden. Die Besonderheit, daß eine Schädigung zeitlich anhalten und fortwirken kann, so daß damit "der Zeitpunkt nach der Schädigung" sich von den militärischen oder kriegerischen Geschehnissen (dem Eintritt des schädigenden Ereignisses) entfernt, wie etwa bei einem späten erstmaligen Auftreten einer anzuerkennenden Gesundheitsstörung oder beim Eintritt einer Verschlimmerung einer anerkannten Gesundheitsstörung, braucht im vorliegenden Fall nicht näher erörtert zu werden, da ein solcher Fall beim Kläger nicht vorliegt. Das LSG hätte im vorliegenden Fall also prüfen müssen, ob der Kraftfahrerberuf, der nach den Feststellungen des LSG als der vor der Schädigung ausgeübte Beruf des Klägers anzusehen ist, von dem Kläger unmittelbar nach der Schädigung nicht mehr (§ 30 Abs. 2 Buchst. a BVG) oder nur unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 Buchst. b BVG ausgeübt werden konnte. Nur dieser Zeitpunkt ist nämlich für die Feststellung der MdE maßgebend, nicht ein späterer (BSG 19, 201 ff). Damit aber sind die sogenannten Nachschäden, d. h. Gesundheitsstörungen, die erst nach der Schädigung von dieser unabhängig eingetreten sind, bei der Feststellung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG bei besonderer Berufsbetroffenheit ebensowenig zu berücksichtigen wie bei der Festsetzung der MdE gemäß § 30 Abs. 1 BVG, wenn keine Berufsbetroffenheit vorliegt (vgl. BSG 17, 99 ff, 114 ff; 19, 201 ff; Urt. des erkennenden Senats vom 6. August 1963 - 10 RV 1331/60 -). Das Ergebnis folgt zwanglos auch aus der Überlegung, daß dann, wenn es nach dem Gesetz nur eine MdE gibt (BSG 22, 82 ff), diese MdE auch nur nach einem einheitlichen und nicht nach unterschiedlichen Grundsätzen festgesetzt werden kann, je nachdem, ob nur Abs. 1 oder auch Abs. 2 des § 30 BVG anzuwenden ist.
Diese Ansicht kann nicht durch den Hinweis des LSG auf die für die Zuerkennung der Pflegezulage nach § 35 BVG durch die Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze entkräftet werden, nach denen bei der Gewährung einer Pflegezulage die Hilflosigkeit auch auf Nachschäden in dem erwähnten Sinne mitberuhen kann, wenn sie nur wesentlich durch die anerkannten Gesundheitsstörungen verursacht ist. Der völlig unterschiedliche Sinn und das Wesen der beiden Vorschriften (§ 35 BVG und § 30 Abs. 2 BVG) lassen derartige Rückschlüsse von der einen auf die andere nicht zu. Während es sich bei der Pflegezulage nach § 35 BVG um die Begründung eines - neben sonstigen Versorgungsleistungen - völlig selbständigen Anspruchs handelt, der bei Eintritt eines besonderen Ereignisses (der Hilflosigkeit) gewährt wird, ist durch § 30 Abs. 2 BVG kein selbständiger oder besonderer Versorgungsanspruch begründet, sondern nur - wie oben dargelegt - der im Abs. 1 des § 30 BVG umrissene Maßstab erweitert, ohne daß noch ein besonderes Ereignis zu der Gesundheitsstörung, die mit diesem Schadensmaßstab bemessen werden soll, hinzutritt. Das LSG hat somit den § 30 Abs. 2 BVG verletzt, indem es einen Nachschaden bei der Anwendung dieser Vorschrift berücksichtigt hat. Es ist bei der Beurteilung der MdE nicht vom Zeitpunkt nach der Schädigung, sondern von dem Zeitpunkt der Berufsaufgabe im Jahre 1954 ausgegangen, als beim Kläger die Schädigungsunabhängige Taubheit links aufgetreten ist. Damit hat es aber gleichsam die Frage entschieden, ob der Kläger durch den Eintritt der Taubheit in seinem Beruf besonders betroffen wurde und wie hoch in diesem Zeitpunkt - also lange nach der Schädigung - die MdE des Klägers war. Das LSG hat somit den § 30 Abs. 2 BVG nicht richtig angewendet. Die Revision des Beklagten ist daher begründet.
Die Feststellungen des LSG reichten im vorliegenden Falle aus, um eine Entscheidung in der Sache treffen zu können. Danach hat der Kläger noch nach der Schädigung und dem Eintritt seiner anerkannten Gesundheitsstörung seinen Beruf als Kraftfahrer weiter ausgeübt. Für seine anerkannte Gesundheitsstörung kann daher die MdE, für deren Bemessung der Zeitpunkt unmittelbar nach der Schädigung maßgebend ist, nicht wegen besonderer Berufsbetroffenheit gemäß Abs. 2 des § 30 BVG höher als nach Abs. 1 der gleichen Vorschrift festgesetzt werden. Im übrigen ist der Kläger durch die anerkannte Schädigungsfolge "Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" in seiner Erwerbsfähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben (gem. § 30 Abs. 1 BVG) um 15 v. H. gemindert, wie das LSG ebenfalls festgestellt hat. Der Kläger hat somit keinen Anspruch auf Rente; der angefochtene Bescheid vom 12. August 1960 ist also insoweit rechtmäßig, als die Gewährung von Rente abgelehnt worden ist. Da der Kläger das Urteil des SG nicht angefochten hat, soweit dadurch der Anspruch des Klägers auf Anerkennung der Taubheit links abgelehnt worden ist, stellt sich somit der angefochtene Bescheid insgesamt als rechtmäßig dar. Zur Klarstellung war daher in der Urteilsformel auszusprechen, daß die Klage gegen diesen Bescheid unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen als unbegründet abgewiesen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen