Orientierungssatz
Ist die Witwenrente höher als die Versichertenrente, dann ist die Witwenrente schon für das Sterbevierteljahr (RVO § 1268 Abs 5) zu gewähren.
Die Regelung des RVO § 1268 Abs 5 S 1 Alternative 1 ist sachgerecht, nicht willkürlich und verstößt daher nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des GG Art 3 Abs 1.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; RVO § 1268 Abs. 5 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Februar 1964 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die von der Beklagten der Klägerin für das Sterbevierteljahr gewährte Rente nach der von dem Versicherten bis zu dessen Tode bezogenen Rente wegen Berufsunfähigkeit oder nach dem höheren Altersruhegeld, das dem Versicherten zugestanden hätte, zu bemessen ist.
Nach dem Tode des versicherten Ehemannes der Klägerin (23. März 1963) gewährte ihr die Beklagte für das Sterbevierteljahr (1. April bis 30. Juni 1963) die bisherige Rente des Versicherten wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von 166,50 DM monatlich und für die anschließende Zeit eine monatliche Witwenrente von 196,60 DM (Bescheid vom 22. Mai 1963). Daß die Witwenrente höher als die Rente des Versicherten wegen Berufsunfähigkeit war, beruhte darauf, daß nach Eintritt der Berufsunfähigkeit des Versicherten weitere Beiträge geleistet worden waren und ein veränderter Steigerungssatz zugrunde gelegt wurde. Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom 22. Mai 1963 geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. April 1963 bis 30. Juni 1963 eine der Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit des Versicherten entsprechende Rente zu gewähren (Urteil vom 28. August 1963). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie rügt Verletzung des § 1268 Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Beklagte hat der Klägerin durch Bescheide vom 18. Mai 1966 und 16. Juni 1967 für das Sterbevierteljahr vom 1. April bis 30. Juni 1963 die Witwenrente gewährt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Februar 1964 und des Sozialgerichts Lübeck vom 28. August 1963 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über die in den Bescheiden der Beklagten vom 22. Mai 1963, 18. Mai 1966 und 16. Juni 1967 für das Sterbevierteljahr vom 1. April bis 30. Juni 1963 gewährte Rente hinaus weitere 394,20 DM an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente für das Sterbevierteljahr vom 1. April bis 30. Juni 1963 nach § 1268 Abs. 5 RVO alter Fassung (aF), d. h. der vor dem Inkrafttreten des Rentenversicherungsänderungsgesetzes (RVÄndG) geltenden Fassung, der über das hinausgeht, was die Beklagte in den Bescheiden vom 22. Mai 1963, 18. Mai 1966 und 16. Juni 1967 ihr an Rente gewährt hat.
Nach § 1268 Abs. 5 RVO aF wird der Witwe für das Sterbevierteljahr anstelle der Rente nach den Absätzen 1 bis 4 des § 1268 RVO aF die Rente ohne Kinderzuschuß gewährt, die dem Versicherten im Zeitpunkt seines Todes zustand (1. Alternative), oder, wenn der Versicherte zu diesem Zeitpunkt nicht rentenberechtigt war, die Rente des Versicherten ohne Kinderzuschuß, aus der die Rente nach den Absätzen 1 bis 3 des § 1268 RVO aF zu berechnen ist (2. Alternative).
Diese Vorschrift und nicht der durch Art. 1 § 1 Nr. 29 Buchstabe b) des RVÄndG dem § 1268 Abs. 5 RVO angefügte Satz:
"Satz 1 gilt nicht, wenn die Gewährung der Rente nach den Absätzen 1 bis 4 für den Berechtigten günstiger ist" ist auf den vorliegenden Fall anzuwenden, da dieser Satz 2 zwar für Versicherungsfälle gilt, die vor dem 1. Juli 1965, aber nach dem 31. Dezember 1956 eingetreten sind (Art. 5 § 4 Abs. 2 Buchstabe a) RVÄndG), nicht aber - wie hier - für Rentenbezugszeiten vor dem 1. Juli 1965 (Art. 5 § 10 Abs. 1 Buchstabe e); vgl. Verbandskomm., Stand: 8. Ergänzung Juli 1966, § 1268 Anm. 17).
Der Anspruch der Klägerin auf Rente für die ersten drei Monate nach dem Tode des Versicherten (Sterbevierteljahr) regelt sich nur nach § 1268 Abs. 5, 1. Alternative RVO aF, da dem Versicherten im Zeitpunkt seines Todes Rente "zustand". Dem Versicherten "stand" die bindend festgestellte Rente "zu" (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 20. Dezember 1963 - 12 RJ 534/61 -, SozR RVO § 1268 Nr. 4), d. h. die Rente des Versicherten wegen Berufsunfähigkeit, und nicht, wie die Revision meint, die Rente, die ihm an sich zugestanden hätte, die der Versicherte aber nicht beantragt hat. Die 2. Alternative der Vorschrift des § 1268 Abs. 5 RVO aF ist nicht anzuwenden, da sie voraussetzt, daß der Versicherte im Zeitpunkt seines Todes nicht rentenberechtigt war, während hier der Versicherte rentenberechtigt war. Die Anwendung der 1. Alternative des § 1268 Abs. 5 RVO aF führt indes nicht zu dem vom LSG vertretenen Ergebnis.
Bei wörtlicher Auslegung des § 1268 Abs. 5 RVO aF mag die vom LSG vertretene Auffassung gerechtfertigt werden können, ausnahmslos sei während des Sterbevierteljahres der Witwe die Rente zu gewähren, die der Versicherte bezogen habe, und zwar auch dann, wenn sie niedriger als die Witwenrente sei. Jedoch wäre es nicht angängig, bei der lediglich vom Wortlaut der streitigen Vorschrift ausgehenden Auslegung stehen zu bleiben. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, ihre systematische Einordnung in das Gesetz und ihr Sinn und Zweck rechtfertigen vielmehr, wie der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 24. Februar 1965 - 4 RJ 71/62 - (BSG 22, 26) näher ausgeführt hat, die gegenteilige Auslegung. Der erkennende Senat billigt sie und schließt sich der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG an. § 1268 Abs. 5 RVO aF ist daher so zu verstehen, daß er nur für den Regelfall gilt, nämlich für den Fall, daß die Witwenrente niedriger ist als die Versichertenrente. Ist die Witwenrente aber - wie hier - ausnahmsweise höher als die Versichertenrente, so ist diese Witwenrente auch bereits für das Sterbevierteljahr zu gewähren.
Die Beklagte, die der Klägerin für das Sterbevierteljahr zunächst nur die gegenüber der Witwenrente niedrigere Rente des Versicherten wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von 166,50 DM monatlich gewährt hatte, hat sich der dem § 1268 Abs. 5 RVO aF in dem genannten Urteil des 4. Senats des BSG gegebenen Auslegung nicht verschlossen und demgemäß der Klägerin nachträglich in den Bescheiden vom 18. Mai 1966 und 16. Juni 1967 zusätzlich noch den Unterschiedsbetrag zwischen den Rentenzahlbeträgen der Rente des Versicherten wegen Berufsunfähigkeit und der Witwenrente mit 90,30 DM zuerkannt.
Die Revision will sich indes mit der der Klägerin auch für das Sterbevierteljahr gewährten Witwenrente nicht zufrieden geben. Die Klägerin glaubt für die ersten drei Monate nach dem Tod ihres Ehemannes die Rente beanspruchen zu können, die diesem am Todestag unter Berücksichtigung aller Beiträge zugestanden hätte und von der die Beklagte bei der Berechnung der Witwenrente ausgegangen sei, nämlich von 328,- DM monatlich, so daß ihr die Beklagte unter Berücksichtigung der schon gewährten Beträge von 499,50 DM und 90,30 DM für das Sterbevierteljahr noch 394,20 DM schulde. Die Revision vermag damit aber nicht durchzudringen. Es ist zwar zutreffend, daß der Gesetzgeber das Sterbevierteljahr unterschiedlich geregelt hat, indem er zwischen solchen Witwen, deren Ehemännern im Zeitpunkt ihres Todes bereits Rente zugestanden hat (1. Alternative des § 1268 Abs. 5 RVO aF) und solchen Witwen, deren Ehemänner zu diesem Zeitpunkt noch nicht rentenberechtigt waren, unterscheidet (2. Alternative derselben Vorschrift). Beiden Alternativen liegt aber derselbe Sinn und Zweck zu Grunde: Die Witwe soll nicht nur in die Lage versetzt werden, die Kosten der letzten Krankheit sowie die Kosten der Bestattung des Verstorbenen zu begleichen, sondern ihr soll es vornehmlich erleichtert werden, sich von den bisherigen auf die neuen Lebensverhältnisse umzustellen (vgl. BSG aaO, Bl. Aa 4). Die durch den Tod eines Versicherten erforderliche Umstellung ist für eine Witwe, deren Ehemann noch nicht rentenberechtigt und in aller Regel noch voll erwerbstätig war, wesentlich schwieriger und einschneidender als für die Witwe, deren Ehemann bereits Rente bezogen hat. Von der ersteren wird Anpassung in einem Zuge auf das Witwendasein verlangt, während sich die Anpassung an die veränderten Lebensverhältnisse für die letztere in zwei zeitlich auseinanderliegenden Abschnitten vollzieht, nämlich dem der Umstellung von der vollen Erwerbstätigkeit des Mannes auf die beschränkte Erwerbsfähigkeit mit entsprechender Rente des Versicherten und erst dann dem der Umstellung auf die Witwenschaft. Hält man sich gerade diesen Sinn und Zweck des Sterbevierteljahres als einer Hilfe zur Umstellung auf die veränderten Lebensverhältnisse der Witwe, aber auch die unterschiedlichen Ausgangslagen in den beiden Alternativen des § 1268 Abs. 5 RVO aF vor Augen, wird verständlich, warum der Gesetzgeber im Falle der 2. Alternative der Witwe für das Sterbevierteljahr die Rente des Versicherten ohne Kinderzuschuß zugute kommen läßt, aus der die Rente nach den Absätzen 1 bis 3 des § 1268 RVO zu berechnen ist. Das bedeutet aber, was die Rentenbezüge der Witwe im Sterbevierteljahr an betrifft, entgegen der Auffassung der Revision nicht, daß die Witwen von Rentenbeziehern gegenüber den Witwen von Nicht-Rentenbeziehern benachteiligt sind.
Für die differenzierte Regelung der zwei Alternativen des § 1268 Abs. 5 RVO aF sprechen außerdem noch praktische Gründe. Durch eine möglichst einfache verwaltungsmäßige Handhabung soll im Falle des Todes des Versicherten der Witwe eine schnelle und damit wirksame Hilfe zuteil werden, wird doch vor allem dann wirksam geholfen, wenn die Hilfe schnell geleistet wird. Dieses Ziel wird bei dem Versicherten bereits gewährten Renten erreicht durch den Rückgriff auf diese Rente und nicht zuletzt auch noch dadurch, daß die Post bei Vorlage der den Tod des Versicherten beurkundenden Sterbeurkunde und des Personalausweises der Witwe dieser ohne weiteres drei Monatsrenten des Versicherten auf einmal auszahlt (vgl. dazu: Erlaß des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen Nr. 126/58 BABl. 1958, 165 und Nr. 218/58 BABl. 1958, 211). Wenn auch im Falle der 2. Alternative des § 1268 Abs. 5 RVO aF eine derartige Anknüpfung aus der Natur der Sache ausscheidet, so hat der Gesetzgeber doch auch hier, von dem Gedanken ausgehend, daß im Sterbevierteljahr eine höhere Rente als im Falle der 1. Alternative des § 1268 Abs. 5 RVO aF zu gewähren angezeigt sei, die nach den Umständen einfachste Lösung dadurch gefunden, daß er bestimmte, es sei die Rente zu gewähren, aus der Witwenrente nach dem Sterbevierteljahr zu berechnen ist. Wie dargetan, ist die Differenzierung der Renten für das Sterbevierteljahr in den beiden Alternativen des § 1268 Abs. 5 RVO sachlich gerechtfertigt. Diese Differenzierung ist daher nicht willkürlich und verstößt entgegen der Auffassung der Revision auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen