Entscheidungsstichwort (Thema)
Wesentliche Änderung bei Elternrente
Leitsatz (redaktionell)
1. Die mutmaßliche Änderung eines nicht Wirklichkeit gewordenen Geschehensablaufs rechtfertigt jedenfalls dann eine Neufeststellung der Leistung, wenn der hypothetische Geschehensablauf für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesen ist. Das ist bei der Elternrente der Fall. Diese wird nach RVO § 596 nämlich nur gewährt, wenn und solange die Eltern ohne den Arbeitsunfall gegen den Verstorbenen einen Unterhaltsanspruch hätten geltend machen können.
2. Bei der Auslegung ausländischen Rechts handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, die in der Revisionsinstanz ausnahmsweise nachgeholt werden kann, wenn das Tatsachengericht das ausländische Recht nicht angewendet hat.
3. Nach griechischem Recht hängt der Unterhaltsanspruch der Eltern von den gleichen Voraussetzungen ab, wie nach deutschem Recht.
4. Zur Verwertung von Statistiken für die Beurteilung der Frage, ob und in welchem Lebensalter ein junger Mann heiraten wird.
Normenkette
RVO § 596 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 622 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; BGBEG Art. 19; SGG § 162
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 16.11.1975; Aktenzeichen L 11 U 221/74) |
SG München (Entscheidung vom 13.05.1974; Aktenzeichen S 23 U 9/74) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Oktober 1975 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Tiefbau-Berufsgenossenschaft die Elternrente der Kläger entziehen durfte.
Die klagenden Eheleute P (P.) sind in Griechenland wohnende griechische Staatsangehörige. Ihr am 27. Dezember 1934 geborener Sohn E P verunglückte am 3. Dezember 1962 im Alter von fast 28 Jahren tödlich bei einem in der Bundesrepublik Deutschland erlittenen Arbeitsunfall. Daraufhin bewilligte die Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 10. Januar 1964 Elternrente vom Todestag an. Dabei berücksichtigte sie, daß der Verstorbene ledig war und seine unterhaltsbedürftigen Eltern in der Zeit, in der er als Maurer bei einer Baufirma in der Bundesrepublik gearbeitet hatte, mit durchschnittlich 210,- DM monatlich unterstützt hatte. Weitere unterhaltspflichtige Angehörige der Kläger waren zwar vorhanden, aber nicht unterhaltsfähig. Für die Rentenberechnung legte die Beklagte einen Jahresarbeitsverdienst von 11.547,- DM zugrunde.
Mit Bescheid vom 5. Oktober 1973 entzog die Beklagte die den Klägern gewährte Rente mit Ablauf des Monats November 1973, da eine wesentliche Änderung im Sinne des § 622 der Reichsversicherungsordnung (RVO) eingetreten sei. Die Kläger hätten nunmehr keinen Unterhaltsanspruch gegen den Verstorbenen gehabt, wie § 596 RVO voraussetze. Der Verstorbene wäre nach der allgemeinen Lebenserfahrung schon seit einigen Jahren verheiratet und hätte inzwischen unterhaltsbedürftige Kinder. Er wäre daher nicht mehr in der Lage gewesen, seine Eltern wesentlich zu unterstützen.
Das Sozialgericht (SG) München hat der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage mit Urteil vom 13. Mai 1974 stattgegeben. Es hat angenommen, daß eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 622 RVO nicht eingetreten sei, da der Verstorbene nach wie vor in der Lage gewesen wäre, seine Eltern wesentlich zu unterstützen. Selbst wenn er inzwischen eine eigene Familie hätte unterhalten müssen, hätte er angesichts der Einkommensentwicklung jetzt soviel verdient, daß er immer noch etwa 100,- DM monatlich an die Kläger hätte zahlen können.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 16. Oktober 1975 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, daß eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die nach § 622 RVO eine Neufeststellung rechtfertige, nicht vorliege. Bei der Frage, ob ein Unterhaltsanspruch der Kläger gegen den Verstorbenen nach dessen Tod entfalle, handele es sich um die Beurteilung einer lediglich mutmaßlichen Entwicklung, es sei die Änderung eines nicht Wirklichkeit gewordenen, sondern gedachten Geschehensablaufs zu beurteilen. Entgegen der Rechtsprechung des 8. Senats des Bundessozialgerichts - BSG - (ua SozR 2200 § 596 Nr 3) könne jedoch eine nur mutmaßliche Änderung der Verhältnisse nicht die Herabsetzung oder Entziehung einer Leistung nach § 622 RVO rechtfertigen, es seien konkrete Tatsachen erforderlich (SozR Nr 12 zu § 622 RVO). Im Sozialrecht gäbe es keine Leistung, bei der die Entziehung von einer mutmaßlichen Änderung der Verhältnisse desjenigen abhängig gemacht werde, dessen Tod die Leistung ausgelöst habe. Nach § 596 RVO sei der Versicherungsträger vielmehr verpflichtet, anläßlich der erstmaligen Bewilligung der Elternrente zu prüfen, ob und ggf. wie lange die Unterhaltspflicht des Getöteten bestanden hätte; die Rente könne zeitlich begrenzt gewährt werden. Wenn dieses versäumt werde, biete § 622 Abs 1 RVO keine Handhabe, das Versäumnis nachzuholen. Dies entspreche auch der vergleichbaren zivilrechtlichen Regelung der §§ 844 Abs 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches und 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Auf diese Weise werde der Rentenberechtigte schon von vornherein über seinen Rentenanspruch klar ins Bild gesetzt. Darüber hinaus liege selbst nach der Rechtsprechung des BSG hier keine wesentliche Änderung der Verhältnisse vor. Das BSG sehe das vollendete 26. Lebensjahr als wahrscheinlichen Zeitpunkt der Eheschließung an, der Verstorbene sei jedoch zur Zeit des Unfalls fast 28 Jahre alt und immer noch ledig gewesen. Zwischenzeitliche Überprüfungen der Beklagten - die letzte im Jahre 1970 - hätten keine wesentliche Änderung ergeben. Außerdem würde der Verstorbene nach der eingetretenen Einkommensentwicklung inzwischen etwa 20.000,- DM jährlich verdienen, so daß er trotz Gründung einer eigenen Familie auch weiterhin die Kläger hätte unterstützen können. Die Beklagte habe immerhin in ihrem aufgrund des erstinstanzlichen Urteils ergangenen Ausführungsbescheid einen Jahresarbeitsverdienst von 25.765,59 DM angenommen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und wie folgt begründet: Mit der Rechtsprechung des BSG sei davon auszugeben, daß die mutmaßliche Änderung eines nur gedachten Geschehensablaufs eine wesentliche Änderung im Sinne des § 622 Abs 1 RVO sein könne, denn diese Vorschrift stelle auf einen mutmaßlichen Geschehensablauf ab. Es bestehe keine gesetzliche Verpflichtung, die Bezugsdauer schon im Bewilligungsbescheid zu begrenzen; ein bestimmtes Enddatum lasse sich aus § 596 RVO nicht entnehmen. Auch die Tatsache, daß der Verunglückte im Alter von 28 Jahren noch nicht verheiratet gewesen sei, sei nicht von Bedeutung. Es sei bekannt, daß in griechischen Familien erst die Töchter verheiratet sein müßten, ehe die Söhne heiraten dürften. Es sei jedenfalls davon auszugehen, daß der Verunglückte mit 38 Jahren verheiratet gewesen wäre und Kinder gehabt hätte. Die mutmaßliche Steigerung des Einkommens des Versicherten sei ebenfalls nicht ausschlaggebend. Das LSG habe bei seiner Berechnung den aus § 563 Abs 2 RVO aF errechneten Jahresarbeitsverdienst des Verunglückten zugrundegelegt, der tatsächliche Verdienst des Verunglückten habe jedoch nur 9.969,91 DM betragen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 16. Oktober 1975 und das Urteil des SG München vom 13. Mai 1974 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger sind in der Revisionsinstanz nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das Urteil des LSG aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muß (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen zu einer Entscheidung über den Anspruch der Kläger nicht aus.
Nach § 622 Abs 1 RVO ist eine Leistung neu festzustellen - also auch zu entziehen -, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt, welche die Neufeststellung rechtfertigt. Nach § 596 Abs 1 RVO besteht ein Anspruch auf Elternrente, wenn und solange die Anspruchsberechtigten ohne den Arbeitsunfall gegen den Verstorbenen einen Anspruch auf Unterhalt hätten geltend machen können. Damit ist nach allgemeiner Ansicht das mutmaßliche Bestehen eines familienrechtlichen Unterhaltsanspruchs Voraussetzung für die Gewährung von Elternrente (vgl Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3.Aufl., § 596 Anm 6b und 10; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8.Aufl. S. 590). Das Gesetz stellt auf einen Geschehensablauf ab, der in Wirklichkeit nicht eintreten kann.
Eine Anwendung des § 622 Abs 1 RVO ist im vorliegenden Fall nicht dadurch ausgeschlossen, daß lediglich eine mutmaßliche Änderung eines nicht Wirklichkeit gewordenen Geschehensablaufs unterstellt wird (entgegen Zehe, SGb 1975, 134 und 1976, 237; Andreas, ZfS 1974, 361). Die mutmaßliche Änderung eines nicht Wirklichkeit gewordenen Geschehensablaufs rechtfertigt eine Neufeststellung, wenn der hypothetische Geschehensablauf für die Feststellung der Leistung maßgeblich gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 622 Nr 6 und § 596 Nr 3). In einem solchen Fall ist es nicht gerechtfertigt, zwischen tatsächlich eingetretenen und mutmaßlichen Ereignissen, die zu der mutmaßlichen Änderung des gedachten Geschehensablaufs führen, zu unterscheiden. Zwar hat das BSG entschieden, daß es für die Feststellung einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 622 Abs 1 RVO nicht ausreicht, daß eine solche unter Umständen eingetreten sein könnte (SozR Nr 12 zu § 622 RVO). Dies betraf jedoch einen Fall, in dem die Feststellung der Leistung nicht von einem mutmaßlichen Geschehensablauf abhing. Wie der 8. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 22. Oktober 1975 (SozR 2200 § 622 Nr 6, S. 13) bereits ausgeführt hat, ist das Eintreten der Umstände, die zu der mutmaßlichen Änderung führen, nicht immer mit einer solchen Sicherheit vorhersehbar, daß die zeitliche Begrenzung der Rente bereits im Bescheid vorgenommen werden müßte. Selbst statistische Aussagen über das Heiratsalter können sich im Verlauf des zu beurteilenden Zeitraums wesentlich ändern, da das Heiratsverhalten der Bevölkerung nicht gleichbleibt (vgl zB Höhn, Wirtschaft und Statistik - WiSta -, 1976, 717, 721). Auch ist es für den Berechtigten nicht unbedingt günstiger, wenn die Rente gleich im Bewilligungsbescheid zeitlich begrenzt wird, da das Bewilligungsverfahren sich dadurch in die Länge ziehen kann (vgl Urteil des 8. Senats aaO).
Ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 622 Abs 1 RVO vorliegt, ob nämlich der Unterhaltsanspruch der Kläger gegen den Verstorbenen mutmaßlich entfallen wäre, kann nach den vom LSG getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Ob ein Unterhaltsanspruch besteht, richtet sich nach griechischem Recht (Art 19 EGBGB, vgl dazu BSG SozR 2200 § 596 Nr 2, S. 6 für Spanien; Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl. Bd 7, Art 19 EGBGB Anm 1; Palandt, BGB, 37. Aufl. Art 19 EGBGB Anm 2). Bei der Auslegung ausländischen Rechts handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, die in der Revisionsinstanz ausnahmsweise nachgeholt werden kann, wenn das Tatsachengericht - wie hier - das ausländische Recht nicht angewandt hat (BSGE 7, 122, 125; Meyer-Ladewig, SGG § 162 Anm 7; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 162 Anm II 3 S. III 80-86). Nach griechischem Recht hängt der Unterhaltsanspruch der Eltern von den gleichen Voraussetzungen ab wie nach deutschem Recht (vgl die Art 1478, 1483, 1484 des griechischen Zivilgesetzbuches, abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 4. Aufl. Bd III, Abschnitt Griechenland, S. 25). Demnach kommt es auf die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten an; geschuldet wird der standesgemäße Unterhalt. Ehefrau und Kinder sind vor den Eltern unterhaltsberechtigt.
Ob die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen bei Vorliegen bestimmter Tatsachen gegeben ist oder nicht, ist eine Rechtsfrage, die vom Revisionsgericht nachzuprüfen ist. An die tatsächlichen Feststellungen, aus denen das LSG den Schluß auf die Leistungsfähigkeit gezogen hat, ist das Revisionsgericht im Rahmen des § 163 SGG gebunden. Bei den Fragen, ob der Verstorbene im Zeitpunkt des Entziehungsbescheids (Oktober 1973) verheiratet gewesen wäre, ob er Kinder gehabt hätte und wie hoch sein mutmaßlicher Verdienst gewesen wäre, handelt es sich um Tatsachenfeststellungen, die das Revisionsgericht auf Rüge nur daraufhin nachprüfen kann, ob das Tatsachengericht bei der Beweiswürdigung allgemeine Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt hat (vgl Meyer-Ladewig aaO, § 162 Anm 3; Peters/Sautter/Wolff aaO § 162 Anm II 6 S. III/80-90). Das LSG hat lediglich festgestellt, daß der Verstorbene im Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheids etwa 20.000,- DM jährlich verdient haben würde; es hat nicht aufgeklärt, ob der Verstorbene eine Familie gegründet hätte. Unterstellt, der Verstorbene hätte im Jahre 1973 einen monatlichen Bruttoverdienst von etwa 1.700,- DM gehabt (dies entspricht einem Jahresverdienst von 20.000,- DM), hätte er neben dem standesgemäßen Unterhalt für sich, seine Frau und evtl ein oder zwei Kinder seinen Eltern keinen wesentlichen Unterhalt mehr gewähren können. Dieses entspricht einem allgemeinen Erfahrungssatz (ähnlich für die gleiche deutsche Rechtslage BSG SozR 2200 § 596 Nr 3, S. 13 mit weiteren Nachweisen; OLG Düsseldorf NJW 61, 1408; Staudinger, BGB, 10./11. Aufl. § 844 Anm 157a). Es kommt also entgegen der Meinung des LSG darauf an, ob der Verstorbene bis zum Erlaß des Entziehungsbescheids mutmaßlich geheiratet und eine Familie gegründet hätte.
Dies hat das LSG im Rahmen des § 287 Abs 1 ZPO unter Berücksichtigung aller vorhandenen Anhaltspunkte zu schätzen. Nach dieser Vorschrift, die im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar ist (vgl etwa Peters/Sautter/Wolff aaO, § 128 Anm 2b, S. II/134; Meyer-Ladewig aaO, § 118 Anm 14, § 128 Anm 3), kann das Gericht die Schadenshöhe nach freiem Ermessen schätzen; die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, daß ein Schaden gerade in der Höhe vorliegt, ist nicht erforderlich (vgl Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl. § 287 Anm III 1; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl. § 287 Anm D IV). Auch die Dauer einer Rente - die hier vom Vorliegen des mutmaßlichen Unterhaltsanspruchs abhängt - kann im Rahmen des § 287 ZPO geschätzt werden (zB BGH in JZ 1951, 113, 114; Wieczorek aaO, § 287 Anm C IV a 1; Stein/Jonas aaO, § 287 Anm I 2 d und Fußnote 20). Eine Beweislastentscheidung kann in solchen Fällen nicht ergehen, da das Gericht die Schätzung aufgrund der vorhandenen Anhaltspunkte treffen muß, auch wenn diese kein genaues Bild ergeben. Demnach können Heiratsabsichten des Verstorbenen, zB ein bestehendes Verlöbnis, oder besondere Beziehungen zu seinen Eltern von Bedeutung sein. Auch die statistische Heiratswahrscheinlichkeit kann von Bedeutung und bei Fehlen anderer konkreter Anhaltspunkte als Erfahrungssatz ausschlaggebend sein.
Allerdings ist das statistische Heiratsalter von 26 Jahren, das der 8. Senat in seinen bisherigen Entscheidungen herangezogen hat (SozR 2200 § 596 Nr 3; § 622 Nr 6; vom 2. Senat offengelassen in § 596 Nr 4) insbesondere in den Fällen, in denen der Verstorbene älter ist, nicht aussagekräftig. In Fällen wie dem vorliegenden kommt es darauf an, festzustellen, wie lange ein lediger Mann bestimmten Alters noch ledig bleibt und mit welcher Wahrscheinlichkeit er bis zu einem bestimmten Zeitpunkt heiratet. Aussagen darüber enthalten die "Heiratstafeln für Ledige, Verwitwete und Geschiedene 1960/62" (WiSta 1965, 709 ff, 714) und die dazu veröffentlichte Tabelle (in WiSta, Statistische Monatszahlen, 1965, S. 730). Diese Statistik ist unter Einbeziehung der ausländischen Wohnbevölkerung erstellt. Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß ein 28jähriger lediger Mann mit 88% Wahrscheinlichkeit noch heiratet und daß er, wenn er heiratet, durchschnittlich mit 32,69 Jahren verheiratet ist (Spalte 7 und 10 der Tabelle aaO). Das Ergebnis läßt sich dadurch überprüfen, daß man anhand der Spalte 5 der Tabelle feststellt, wie viele ledige Männer in einem bestimmten Alter überhaupt vorhanden sind und wie viele von diesen in den jeweils folgenden Jahren heiraten (Spalte 3 aaO, vgl die Erläuterungen in WiSta 1965, S. 714 linke Spalte unten). Allerdings muß bei der Anwendung dieser Statistiken berücksichtigt werden, daß sich das Heiratsverhalten im Lauf der Zeit wesentlich geändert hat und deshalb für die Zukunft nicht sicher vorhersehbar ist. Die Heiratstafel 1960/62 ist vorsichtig anzuwenden, wenn lange Zeiträume zu beurteilen sind, die nahe an die Gegenwart heranreichen. Zur Überprüfung kann die Heiratstafel lediger Männer 1972/74 herangezogen werden (Aufsatz: WiSta 1976, 717 ff; Tabelle: WiSta, Statistische Monatszahlen 1976, S. 766). Diese Heiratstafel berücksichtigt zwar nur die deutsche Wohnbevölkerung, sie kann aber wenigstens zum Vergleich der Ergebnisse aus der Heiratstafel 1960/62 dienen. Anhaltspunkte ergeben sich auch aus Tabellen in den "Statistischen Jahrbüchern für die Bundesrepublik Deutschland" über "Eheschließende nach bisherigem Familienstand und Heiratsziffern Lediger" (zB Jahrbuch 1965, S. 62 für 1963; Jahrbuch 1966, S. 56 für 1964; Jahrbuch 1967, S. 52 für 1965 usw). Demnach haben 1963 18,7% der in diesem Jahr 28jährigen ledigen Männer geheiratet. Von den verbleibenden 81,3%, die im nächsten Jahr 29 bis 30 Jahre alt waren, haben im nächsten Jahr 17,2% geheiratet, dh 14% der ursprünglich im Jahr 1963 ledigen 28jährigen Männer. Daraus ergibt sich, daß von denjenigen, die 1963 28 Jahre alt und ledig waren, nach zwei Jahren etwa 32,7% verheiratet gewesen sind, nach drei Jahren etwa 41,5%, nach vier Jahren etwa 48,3% und nach fünf Jahren etwa 53,8%.
Nach Ansicht des Senats können diese so ausgewerteten Statistiken zur Grundlage einer Schätzung nach § 287 ZPO werden, wenn nicht genügend andere Anhaltspunkte vorhanden sind. Welcher Grad der Wahrscheinlichkeit im Einzelfall ausreichend ist, muß der Überzeugungsbildung des LSG vorbehalten bleiben. Das LSG wird weiterhin zu beachten haben, daß Statistiken über das Heiratsverhalten griechischer Männer in Griechenland nicht berücksichtigt werden müssen (vgl BSG, Urteil vom 19. Mai 1978 - 8 RU 102/77), und daß die Unterhaltsfähigkeit nach allgemeiner Lebenserfahrung erst entfällt, wenn der Verstorbene nach der Heirat Kinder bekommen hätte (vgl dazu BSG SozR 2200 § 596 Nr 3 S. 16 und Schur, SGb 75, 326).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen