Entscheidungsstichwort (Thema)
Entziehung der Elternrente. mutmaßlicher Zeitpunkt für den Wegfall der Unterhaltsfähigkeit
Orientierungssatz
Allein durch eine Heirat wäre die Unterhaltsfähigkeit des Kindes gegenüber den Eltern nicht entfallen. Erst wenn die Eheleute Kinder bekommen, tritt eine besondere finanzielle Belastung ein, welche die Unterhaltsfähigkeit der Eheleute ausschließen kann. Liegen keine Anhaltspunkte vor, ist es angemessen, davon auszugehen, daß die Unterhaltsfähigkeit etwa 2 Jahre nach der mutmaßlichen Heirat entfallen wäre, da damit zu rechnen ist, daß der Verstorbene dann das 1. Kind bekommen hätte.
Normenkette
RVO § 596 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 622 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 08.02.1977; Aktenzeichen L 3 U 185/76) |
SG München (Entscheidung vom 22.03.1976; Aktenzeichen S 20 U 1056/74) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Februar 1977 und des Sozialgerichts München vom 22. März 1976 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 23. August 1974 wird dahin geändert, daß die Rente mit Ablauf des Monats September 1976 entzogen wird.
Die Beklagte hat den Klägern die Hälfte der Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Elternrente der Kläger entziehen durfte.
Die Kläger sind in Italien wohnende italienische Staatsangehörige. Der Kläger ist der Vater, die Klägerin die Stiefmutter des am 13. September 1944 geborenen M A, der am 6. Dezember 1969 im Alter von 25 Jahren bei einem Arbeitsunfall tödlich verunglückte. Die Beklagte gewährte daraufhin den Klägern mit Bescheid vom 29. Januar 1971 Elternrente vom Todestag an nach § 596 Reichsversicherungsordnung (RVO), da sie unterhaltsbedürftig waren und ihr verstorbener Sohn sie aus seinem Arbeitsverdienst wesentlich unterhalten hatte.
Mit Bescheid vom 23. August 1974 entzog die Beklagte die Elternrente mit Ablauf des Monats September 1974. Zur Begründung führte sie an, es sei anzunehmen, daß der Verstorbene bereits seit einigen Jahren verheiratet wäre und für eine eigene Familie mit Kindern zu sorgen hätte. Deshalb wäre er nicht mehr in der Lage, die Eltern weiterhin wesentlich zu unterstützen.
Das Sozialgericht (SG) München hat die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage mit Urteil vom 22. März 1976 abgewiesen. Im allgemeinen werde das vollendete 26. Lebensjahr als Zeitpunkt für eine Eheschließung angenommen. Der Verstorbene wäre jetzt nicht mehr in der Lage gewesen, seine Eltern zu unterstützen, da er eine eigene Familie unterhalten müßte. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Kläger mit Urteil vom 8. Februar 1977 zurückgewiesen. Nach Ansicht des LSG war die Entziehung der Elternrente nach § 622 Abs 1 RVO gerechtfertigt, da eine wesentliche Änderung der für die Feststellung maßgeblichen Verhältnisse eingetreten sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne bereits die mutmaßliche Änderung eines nicht Wirklichkeit gewordenen, sondern nur gedachten Geschehensablaufs eine wesentliche Änderung iS des § 622 RVO sein. Nach § 596 RVO werde Elternrente gewährt, solange die Kläger ohne den Arbeitsunfall einen Anspruch auf Unterhalt gegen den Verstorbenen hätten geltend machen können. Ein solcher Unterhaltsanspruch sei entfallen, da der Verstorbene inzwischen mutmaßlich eine eigene Familie gegründet hätte und deshalb nicht mehr unterhaltsfähig gewesen wäre. Dies sei auch nach italienischem Recht die Voraussetzung eines Unterhaltsanspruchs. Im allgemeinen könne bei einem Mann das vollendete 26. Lebensjahr als Zeitpunkt der Eheschließung angenommen werden, wenn sich im konkreten Fall keine Anhaltspunkte ergäben, die eine solche Annahme ausschlössen. Der Verstorbene habe zwar schon das 25. Lebensjahr vollendet gehabt, ohne daß Anhaltspunkte für eine bevorstehende Verehelichung erkennbar gewesen seien. Es könne aber nicht widerlegt werden, daß er bei der Rentenentziehung, also fünf Jahre später, verheiratet gewesen wäre und für eine Familie zu sorgen gehabt hätte. Eine von Freunden des Verstorbenen abgegebene eidesstattliche Erklärung über das Fehlen von Heiratsabsichten bei dem Verstorbenen ergäbe kein anderes Bild. Um die allgemein begründete Annahme einer absehbaren Verehelichung eines Menschen im heiratsfähigen Alter im konkreten Fall ungerechtfertigt erscheinen zu lassen, bedürfe es deutlicher Hinweise. Der Verunglückte habe außerdem einen durchschnittlichen Arbeitsverdienst gehabt. Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche Einkommenssteigerung lägen nicht vor, so daß davon auszugehen sei, daß der Verstorbene sein Einkommen für den Unterhalt seiner Familie verbraucht hätte.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hat das BSG die Revision zugelassen.
Die Kläger haben dieses Rechtsmittel eingelegt und wie folgt begründet: Das LSG habe die §§ 596 Abs 1 und 622 Abs 1 RVO falsch ausgelegt. Eine nur mutmaßliche Änderung in den Lebensumständen des Verstorbenen, die zudem schon im Zeitpunkt der Rentengewährung vorhersehbar gewesen sei, könne keine Rentenentziehung nach § 622 Abs 1 RVO rechtfertigen. Für die Feststellung einer wesentlichen Änderung müßten konkrete Tatsachen gefordert werden (BSG SozR Nr 12 zu § 622 RVO). Die Beklagte hätte daher von vornherein nur eine zeitlich begrenzte Rente gewähren dürfen. Auch wenn man der Meinung sei, daß eine mutmaßliche Änderung der Verhältnisse einen Rentenentzug begründen könne, sei der Entziehungsbescheid rechtswidrig. Nach der neueren Rechtsprechung (zB LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 77, 512) müsse eine angemessene Übergangszeit vom Zeitpunkt der mutmaßlichen Heirat zugrundegelegt werden. Demnach habe den Klägern der Rentenanspruch bis zum Jahr 1981 zugestanden. Zu berücksichtigen sei auch der Trend zur Kleinfamilie und der Umstand, daß Kinder erst nach einigen Jahren eingeplant würden. In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, auf welche die Kläger in ihrer Revisionsbegründung Bezug genommen haben, führen sie weiter aus, das LSG hätte sich gedrängt fühlen müssen, die Zeugen, welche die eidesstattlichen Erklärungen abgegeben hätten, im Wege der Rechtshilfe einzuvernehmen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 8. Februar 1977, das Urteil des SG München vom 22. März 1976 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. August 1974 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, grundsätzlich könne § 622 Abs 1 RVO auf den vorliegenden Fall angewandt werden, denn der Versicherungsträger sei nicht verpflichtet, die Elternrente von vornherein zeitlich zu begrenzen. Eine wesentliche Änderung iS des § 622 Abs 1 RVO sei hier eingetreten. Das LSG habe in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG zu Recht angenommen, daß der Verstorbene inzwischen mutmaßlich eine Familie gegründet hätte und seine Unterhaltsfähigkeit deshalb entfallen wäre.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Revision der Kläger ist teilweise begründet. Der Entziehungsbescheid der Beklagten ist nur insoweit rechtswidrig, als die Elternrente vor dem 30. September 1976 entzogen worden ist. Die Beklagte war verpflichtet, den Klägern bis zu diesem Zeitpunkt Elternrente zu gewähren.
Nach § 622 Abs 1 RVO ist eine Leistung neu festzustellen - also auch zu entziehen -, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt, welche die Neufeststellung rechtfertigt. Nach § 596 Abs 1 RVO besteht ein Anspruch auf Elternrente, wenn und solange die Anspruchsberechtigten ohne den Arbeitsunfall gegen den Verstorbenen einen Anspruch auf Unterhalt hätten geltend machen können. Damit ist nach allgemeiner Ansicht das mutmaßliche Bestehen eines familienrechtlichen Unterhaltsanspruchs Voraussetzung für die Gewährung von Elternrente (vgl Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 596, Anm 6b und 10; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Aufl, S. 590). Das Gesetz stellt auf einen Geschehensablauf ab, der in Wirklichkeit nicht eintreten kann.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß auch die mutmaßliche Änderung eines nur gedachten Geschehensablaufs eine wesentliche Änderung im Sinne des § 622 Abs 1 RVO sein kann (entgegen Zehe, SGb 1975, 134 und 1976, 237; Andreas, ZfS 1974, 361). Die mutmaßliche Änderung eines nicht Wirklichkeit gewordenen Geschehensablaufs rechtfertigt eine Neufeststellung, wenn der hypothetische Geschehensablauf für die Feststellung der Leistung maßgeblich gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 622 Nr 6 und § 596 Nr 3). In einem solchen Fall ist es nicht gerechtfertigt, zwischen tatsächlichen eingetretenen und mutmaßlichen Ereignissen, die zu der mutmaßlichen Änderung des gedachten Geschehensablaufs führen, zu unterscheiden. Zwar hat das BSG entschieden, daß es für die Feststellung einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 622 Abs 1 RVO nicht ausreicht, daß eine solche unter Umständen eingetreten sein könnte (SozR Nr 12 zu § 622 RVO). Dies betraf jedoch einen Fall, in dem die Feststellung der Leistung nicht von einem mutmaßlichen Geschehensablauf abhing. Wie der 8. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 22. Oktober 1975 (SozR 2200 § 622 Nr 6, S. 13) bereits ausgeführt hat, ist das Eintreten der Umstände, die zu der mutmaßlichen Änderung führen, nicht immer mit einer solchen Sicherheit vorhersehbar, daß die zeitliche Begrenzung der Rente bereits im Bescheid vorgenommen werden müßte. Selbst statistische Aussagen über das Heiratsalter können sich im Verlauf des zu beurteilenden Zeitraums wesentlich ändern, da das Heiratsverhalten der Bevölkerung nicht gleichbleibt (vgl zB Höhn, Wirtschaft und Statistik - WiSta -, 1976, 717, 721). Auch ist es für den Berechtigten nicht unbedingt günstiger, wenn die Rente gleich im Bewilligungsbescheid zeitlich begrenzt wird, da das Bewilligungsverfahren sich dadurch in die Länge ziehen kann (vgl Urteil des 8. Senats aaO).
Das LSG hat jedoch zu Unrecht angenommen, daß eine wesentliche Änderung iS des § 622 Abs 1 RVO bereits im Zeitpunkt des Entziehungsbescheids vorgelegen hat, da der mutmaßliche Unterhaltsanspruch der Kläger gegen den Verstorbenen zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre. Ob ein Unterhaltsanspruch vorgelegen hätte, ist nach italienischem Recht zu beurteilen (Art 19 EGBGB, vgl BSG SozR 2200 § 596 Nr 2, Seite 6 für Spanien; Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl Band 7, Art 19 EGBGB, Anm 1; Palandt, 37. Aufl, BGB, Art 19 in EGBGB, Anm 2), da der Vater des Verstorbenen italienischer Staatsangehöriger ist. Nach den - im Ergebnis zutreffenden - Feststellungen des LSG stimmt das italienische Unterhaltsrecht in den wesentlichen Punkten mit dem deutschen Unterhaltsrecht überein (vgl BSG Urteil vom 27. Juli 1978 - 2 RU 93/77). Bei der Auslegung ausländischen Rechts handelt es sich um Tatsachenfeststellungen, an die das Revisionsgericht mangels einer Rüge gebunden ist (§ 163 SGG, vgl Meyer-Ladewig, SGG § 162 Anm 6; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 162, Anm II 3 Seite III 80-86). Demnach wäre ein Unterhaltsanspruch der Kläger mutmaßlich zu dem Zeitpunkt entfallen, in dem der Verstorbene geheiratet und Kinder bekommen hätte. Dann wäre er nicht mehr in der Lage gewesen, seine Eltern wesentlich zu unterhalten. Dies entspricht einem allgemeinen Erfahrungssatz (vgl BSG SozR 2200 § 596 Nr 3, Seite 13 mit weiteren Nachweisen; OLG Düsseldorf, NJW 61, 1408; Staudinger, BGB, 10./11. Aufl, § 844, Anm 157a).
Die Frage, ob die Unterhaltsfähigkeit beim Vorliegen bestimmter Tatsachen entfällt, ist eine Rechtsfrage, die vom Revisionsgericht in vollem Umfang nachgeprüft werden kann. Die Feststellung des LSG, daß der Verstorbene im Zeitpunkt der Rentenentziehung verheiratet gewesen wäre, ist dagegen eine Tatsachenfeststellung, die das Revisionsgericht auf Rüge nur daraufhin nachprüfen kann, ob das Tatsachengericht bei der Beweiswürdigung allgemeine Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt hat (vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 162 Anm 3; Peters/Sautter/Wolff, aaO, § 162 Anm II 6, Seite III/80-90). Aus einer entsprechenden Anwendung des § 287 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ergibt sich, daß an die Erbringung des Nachweises der mutmaßlichen Heirat keine hohen Beweisanforderungen gestellt werden dürfen (vgl BSG SozR 2200 § 596 Nr 3 Seite 14). Nach dieser Vorschrift, die im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar ist (vgl Peters/Sautter/Wolff, aaO, § 128 Anm 2b, Seite II/134; Meyer-Ladewig, aaO, § 118, Anm 14 zu § 118 SGG und § 128 Anm 3), kann das Gericht die Schadenshöhe auf der Grundlage der tatsächlichen Anhaltspunkte nach freiem Ermessen schätzen. Die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, daß ein Schaden gerade in der Höhe vorliegt, ist nicht erforderlich (vgl Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl, § 287, Anm III 1; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl, § 287, Anm D IV). Auch die Dauer einer Rente - die hier vom Vorliegen des mutmaßlichen Unterhaltsanspruchs der Kläger abhängt - kann nach allgemeiner Ansicht im Rahmen des § 287 Abs 1 ZPO geschätzt werden (zB BGH in JZ 1951, 113, 114; Wieczorek aaO, § 287 Anm C IVa 1; Stein/Jonas aaO, § 287, Anm I 2b und Fußnote 20). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Schadenshöhe, dh die Dauer der Rente, von hypothetischen Geschehensabläufen abhängt. Eine Beweislastentscheidung kann in solchen Fällen in der Regel nicht ergehen, da das Gericht die Schätzung aufgrund der vorhandenen Anhaltspunkte treffen muß, auch wenn diese kein genaues Bild ergeben (vgl zB Wieczorek aaO, § 287, Anm B IIa). Hier ist zwar nicht ein Schadenersatzanspruch in zivilrechtlichem Sinn streitig, die gleiche Sachlage rechtfertigt jedoch eine Anwendung der für § 287 ZPO entwickelten Grundsätze.
Soweit das LSG festgestellt hat, daß der Verstorbene im Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheids mutmaßlich verheiratet gewesen wäre, ist dies nicht zu beanstanden. Die vom LSG gewählten Formulierungen lassen zwar vermuten, daß sich das LSG möglicherweise über die Beweislast und die Beweisanforderungen nicht im klaren war. Das vom LSG gewonnene Ergebnis beruht jedoch insoweit nicht auf der Verletzung von Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen; auch bei einer zutreffenden Beurteilung der Beweislast und der Beweisanforderungen konnte das LSG zu keinem anderen Ergebnis kommen. Die Ausführungen des LSG zu der Frage, ob konkrete Anhaltspunkte für oder gegen eine zu erwartende Heirat vorhanden sind, lassen keine Fehler erkennen. Ob sich das LSG hätte gedrängt fühlen müssen, die Zeugen im Weg der Rechtshilfe einzuvernehmen, und ob insoweit ein Verfahrensfehler vorliegt, braucht nicht nachgeprüft zu werden. Die Kläger haben dies in der Revisionsbegründung nicht mehr gerügt. Eine Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde reicht nicht aus (BSG SozR 1500 § 164 Nr 3). Da keine konkreten Anhaltspunkte vorhanden waren, hat das LSG zu Recht auf statistische Erwägungen abgestellt. Allerdings ist die Tatsache, daß das durchschnittliche Heiratsalter bei Männern das 26. Lebensjahr ist, wenig aussagekräftig, da der Verstorbene im Zeitpunkt seines Todes bereits das 25. Lebensjahr vollendet hatte und immer noch ledig war. In Fällen wie dem vorliegenden kommt es darauf an festzustellen, wie lange ein lediger Mann bestimmten Alters wahrscheinlich noch ledig bleiben und mit welcher Wahrscheinlichkeit er bis zu einem bestimmten Zeitpunkt heiraten würde. Nach den "Heiratstafeln für Ledige, Verwitwete und Geschiedene 1960/62 (Wirtschaft und Statistik - WiSta - 1965, 709 ff) und der dazu veröffentlichten Tabelle (WiSta, Statistische Monatszahlen, 1965, Seite 730) ergibt sich, daß ein 25jähriger lediger Mann mit einer Wahrscheinlichkeit von 93,5% noch heiratet (Spalte 7) und daß er, wenn er heiratet, durchschnittlich mit 29,4 Jahren verheiratet ist (Spalte 10). Diese Statistik ist unter Einbeziehung der ausländischen Wohnbevölkerung erstellt. Selbst wenn man berücksichtigt, daß sie bereits im Jahre 1960/62 erstellt ist und veraltet sein könnte, ergibt sich auch aus neueren Statistiken kein anderes Bild. Nach der "Heiratstafel Lediger 1972/74" (Aufsatz WiSta 1976, 717 ff; Tabelle: WiSta, Statistische Monatszahlen 1976, Seite 766) heiratet ein 25jähriger lediger Mann immer noch mit einer Wahrscheinlichkeit von 79,7% und ist, wenn er heiratet, durchschnittlich mit 30,3 Jahren verheiratet. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn das durchschnittliche Heiratsalter nach Tabellen in den "Statistischen Jahrbüchern für die Bundesrepublik Deutschland" über "Eheschließende nach bisherigem Familienstand und Heiratsziffern Lediger" errechnet wird (zB Jahrbuch 1973, Seite 57 für 1970/71 und Jahrbuch 1974, Seite 56 für 1972). Danach haben im Jahre 1970 16,3% der damals ledigen Männer im Alter von 25-26 Jahren geheiratet. Von den verbleibenden 83,7% haben 1971, im Alter von 26-27 Jahren, 15,7% geheiratet, somit 13,1% der ursprünglich im Jahre 1970 ledigen 25-26jährigen Männer. Nach zwei Jahren waren demnach 29,4% derjenigen Männer verheiratet, die im Jahre 1970 25-26 Jahre alt und ledig waren. Nach drei Jahren waren von diesen Männern bereits 40% verheiratet; weitere Berechnungen lassen sich gegenwärtig nicht anstellen, da die neueren Zahlen noch nicht veröffentlicht sind. Diese Berechnungen stimmen mit den Heiratstafeln jedoch insofern überein, als die mit 25-26 Jahren noch ledigen Männer wahrscheinlich (dh zu mehr als 50%) nach etwa fünf Jahren verheiratet sind.
Allerdings kann nicht unterstellt werden, daß der Verstorbene im Zeitpunkt des Entziehungsbescheids bereits Kinder gehabt hätte, da er mutmaßlich erst bis zum September 1974 geheiratet hätte. Allein durch die Heirat wäre jedoch die Unterhaltsfähigkeit des Verstorbenen nicht entfallen. Häufig geben berufstätige Frauen ihren Arbeitsplatz trotz Eheschließung nicht auf. Dazu werden sie erst genötigt, sobald sie Kinder bekommen. Dann tritt auch erst eine besondere finanzielle Belastung ein, welche die Unterhaltsfähigkeit der Eheleute ausschließen kann. Der 8. Senat des BSG hat bereits ausgesprochen, daß eine pauschale Übergangsfrist von vier Jahren nach der mutmaßlichen Eheschließung bis zum Wegfall der Unterhaltsfähigkeit nicht angenommen werden kann (SozR 2200 § 596 Nr 3 Seite 16f); die Frage, wann die Unterhaltsfähigkeit des Verstorbenen weggefallen wäre, müsse unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Liegen wie hier keine Anhaltspunkte vor, ist es angemessen, davon auszugehen, daß die Unterhaltsfähigkeit etwa zwei Jahre nach der mutmaßlichen Heirat entfallen wäre, da damit zu rechnen ist, daß der Verstorbene dann das 1. Kind bekommen hätte (vgl Schur, SGb 1975, 326). Aus den Statistischen Jahrbüchern (zB Jahrbuch 1974, Seite 59, Statistik Nr 8 "Ehelich Lebendgeborene 1972 nach der Lebendgeburtenfolge und der Ehedauer der Mütter", 3. Spalte senkrecht) ergibt sich, daß über die Hälfte aller Kinder 1972 in den beiden ersten Ehejahren geboren wurde. Für andere Jahre gilt entsprechendes. Eine längere Übergangszeit, wie sie das LSG Rheinland-Pfalz angenommen hat (Breithaupt 1977, 512), ist nicht gerechtfertigt.
Da das LSG sämtliche erforderlichen Anhaltspunkte (Todeszeitpunkt und Alter des Verstorbenen, Datum der Rentenentziehung) festgestellt hat und die erheblichen statistischen Erfahrungssätze ebenfalls feststehen, konnte der Senat selbst entscheiden, daß der Verstorbene mutmaßlich erst mit Ablauf des September 1976 geheiratet und das 1. Kind bekommen hätte (vgl Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz, 1975, Seite 220 f). Erst mit diesem Zeitpunkt wäre die Unterhaltsfähigkeit des Verstorbenen entfallen und die Entziehung der Elternrente gerechtfertigt gewesen. Die Urteile des LSG und des SG sowie der Bescheid vom 23. August 1974 waren daher entsprechend zu ändern.
Die Kostenentscheidung, die auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens umfaßt, beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen