Entscheidungsstichwort (Thema)
Konkursausfallgeld. Antragsfrist. Arbeitsaufnahme in Unkenntnis des maßgebenden Insolvenzereignisses. Übergangsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Für Konkursausfallgeld bei Arbeitsaufnahme in Unkenntnis des maßgebenden Insolvenzereignisses der früheren Abweisung eines Konkursantrages mangels Masse (§ 141b Abs 4 Alt 2 AFG) beginnt die zweimonatige Antragsfrist (§ 141e Abs 1 S 2 AFG) mit der Kenntnis von jenem Insolvenzereignis.
2. Zum Übergangsrecht bei Einführung des Konkursausfallgeld-Tatbestands der 2. Alternative des § 141b Abs 4 AFG zum 1.1.1993.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
AFG § 141b Abs. 4 Alt. 2 Fassung: 1992-12-18, § 141e Abs. 1 Sätze 2-3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. Oktober 1997 hinsichtlich des Anspruchs auf Konkursausfallgeld gemäß § 141b Abs 4 AFG aufgehoben; insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt Konkursausfallgeld (Kaug) für ihr im Monat Januar 1993 ausgefallenes Arbeitsentgelt.
Das Amtsgericht (AG) hatte mit Beschluß vom 5. Dezember 1991 die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der P + M, Personal- und Managementberatung, W. … H. … GmbH (im Folgenden: GmbH) mangels Masse abgelehnt. In der Folgezeit wurde gemäß Gesellschafterbeschluß vom 1. Februar 1992 die Tätigkeit der GmbH fortgesetzt. Die Klägerin nahm ab 1. Dezember 1992 eine Beschäftigung als Sekretärin der Geschäftsführung bei der GmbH auf. Zum 15. Februar 1993 kündigte sie das Beschäftigungsverhältnis. Die Klägerin erhielt das Gehalt für Dezember 1992 und das anteilige Februargehalt 1993. Das Arbeitsgericht stellte durch Versäumnisurteil vom 28. April 1993 fest, daß die Klägerin für Januar 1993 noch (Brutto-)Arbeitsentgeltansprüche in Höhe von DM 4.500 hatte. Erst bei dem Versuch der Vollstreckung aus diesem Urteil erlangte die Klägerin Kenntnis vom Ablehnungsbeschluß des AG vom 5. Dezember 1991. Nach erneuten Konkursanträgen eröffnete das AG mit Beschluß vom 28. März 1994 das Konkursverfahren über das Vermögen der GmbH. Den Antrag der Klägerin auf Kaug vom 26. April 1994 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. August 1994 und Änderungsbescheid vom 25. August 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 1994 ab. Mit dem Konkurseröffnungsbeschluß vom 28. März 1994 sei kein neuer Insolvenztatbestand eingetreten, da nicht davon auszugehen sei, daß die GmbH ihre Zahlungsfähigkeit nach dem Ablehnungsbeschluß vom 5. Dezember 1991 wiedererlangt habe. Die gesetzliche Neuregelung des § 141b Abs 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) finde keine Anwendung, da diese erst zum 1. Januar 1993 in Kraft getreten sei.
Das Sozialgericht (SG) Aachen hat unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Beklagte verurteilt, der Klägerin für den Monat Januar 1993 Kaug zu zahlen. Es könne offenbleiben, ob die GmbH im Jahre 1992 wieder zahlungsfähig geworden sei. Wenn dies nicht der Fall sei, finde die Neuregelung des § 141b Abs 4 AFG auf die Klägerin Anwendung, da bei ihr ein Leistungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten sei (Urteil vom 15. August 1996). Dagegen hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) mit Urteil vom 29. Oktober 1997 die Klage abgewiesen. Zur Überzeugung des Senats habe sich nicht ergeben, daß die Zahlungsfähigkeit der GmbH nach dem Ablehnungsbeschluß vom 5. Dezember 1991 wiederhergestellt worden sei. Die Vorschrift des § 141b Abs 4 AFG sei auf den Fall der Klägerin noch nicht anwendbar, da die Arbeitsaufnahme in Unkenntnis des Abweisungsbeschlusses vor dem 1. Januar 1993 erfolgt sei. Der Gesetzgeber habe die rückwirkende Einbeziehung eines vor Inkrafttreten des Gesetzes liegenden Sachverhalts nicht gewollt; dies ergebe sich daraus, daß er bei der hier einschlägigen Neuregelung keine dem früheren § 141b Abs 7 AFG entsprechende Übergangsvorschrift eingefügt habe.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Das LSG sei zu Unrecht von der fortdauernden Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin ausgegangen. Die von ihm aufgeführten Schulden der GmbH seien im wesentlichen nach dem Ablehnungsbeschluß vom 5. Dezember 1991 entstanden. Die unklare Vermögenssituation könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen, zumal sie mit Schreiben der Barmer Ersatzkasse vom 14. April 1994 darauf hingewiesen worden sei, daß sie kaug-berechtigt sei. Ferner sei auch § 141b Abs 4 AFG auf ihren Fall anwendbar, da der Gesetzgeber nicht klargestellt habe, daß eine rückwirkende Anwendbarkeit nicht möglich sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist in dem Sinne begründet, daß das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen ist. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellung des LSG kann nicht entschieden werden, ob ihr aufgrund des Insolvenzereignisses vom 5. Dezember 1991 (Ablehnungsbeschluß) Kaug für das im Januar 1993 ausgefallene Arbeitsentgelt zusteht. Es fehlten vor allem ausreichende tatsächliche Feststellungen des LSG darüber, zu welchem genaueren Zeitpunkt die Klägerin positive Kenntnis über den Konkursabweisungsbeschluß vom 5. Dezember 1991 erlangt hat.
1. Der Revision ist von vornherein insoweit kein Erfolg beschieden, als sie den Kaug-Anspruch der Klägerin auf § 141b Abs 1 AFG und damit auf das Insolvenzereignis vom 28. März 1994 (Konkurseröffnung) stützt. Maßgebend für den Anspruch auf Kaug bleibt vielmehr das Insolvenzereignis vom 5. Dezember 1991, also der Beschluß, mit dem das AG die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels Masse abgelehnt hat. Denn es kann nicht festgestellt werden, daß die Zahlungsunfähigkeit der GmbH danach vollständig behoben wurde (Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 11. Januar 1989, SozR 4100 § 141b Nr 43 mwN). Soweit sich die Klägerin gegen die entsprechenden Ausführungen des Berufungsgerichts wendet, greift sie damit lediglich dessen Beweiswürdigung an, ohne einen im Revisionsverfahren erheblichen Verfahrensfehler zu rügen. Das LSG hat in einer umfangreichen Beweiswürdigung (Bl 9 bis 12 seines Urteils) im einzelnen begründet, warum es sich nicht von der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit der GmbH in der Zeit nach dem ersten Insolvenzereignis bis zum Eröffnungsbeschluß vom 28. März 1994 hat überzeugen können. Es hat dabei ua zum Entstehungszeitpunkt der von ihm aufgeführten Schulden Stellung genommen und berücksichtigt, daß – wie von der Klägerin angegeben – in gewissem Umfang Zahlungen geleistet worden seien. An diese Tatsachenfeststellungen, gegen die sich keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen der Klägerin richten, ist das BSG gebunden (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Im übrigen sind insoweit Rechtsfehler des LSG nicht erkennbar.
2. a) Entgegen der Meinung des LSG kommt jedoch im vorliegenden Fall ein Anspruch auf Kaug aufgrund des Ablehnungsbeschlusses vom 5. Dezember 1991 als Insolvenzereignis in Betracht.
Die Vorschrift des § 141b Abs 4 AFG idF des Gesetzes zur Änderung der Förderungsvoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992 (BGBl I 2044) ist auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt anzuwenden. In § 141b Abs 4 AFG war zunächst (idF des Gesetzes über Kaug vom 17. Juli 1974 ≪BGBl I 1481≫) der Anspruch auf Kaug bei Nachlaßkonkurs geregelt. Mit dem 5. AFG-Änderungsgesetz vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) wurde dieser Regelungsgehalt ersatzlos gestrichen; in den Ausschußberatungen wurde folgender neuer Abs 4 eingefügt:
„Hat der Arbeitnehmer in Unkenntnis des Abweisungsbeschlusses nach Absatz 3 Nr 1 weitergearbeitet, so treten an die Stelle der letzten dem Abweisungsbeschluß vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses die letzten dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses.”
Hierzu wurde Abs 7 als Übergangsvorschrift angefügt:
„Absatz 4 in der vom 1. August 1979 an geltenden Fassung ist nicht anzuwenden, wenn die Entscheidung über den Anspruch auf Konkursausfallgeld zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in zulässiger Weise angefochten werden kann.”
Dieser Schutz durch den Anspruch auf Kaug bei Weiterarbeit erstreckte sich jedoch nicht auf den Fall, daß das Arbeitsverhältnis erst nach Eintritt eines dem Arbeitnehmer nicht bekannt gewordenen Insolvenzereignisses begründet wurde (BSG 10. Senat vom 19. März 1986, SozR 4100 § 141b Nr 36; vom 11. Januar 1989, SozR 4100 § 141b Nr 43 sowie vom 22. Februar 1989, SozR 4100 § 141b Nr 45). Dies führte dazu, daß mit dem oa Gesetz vom 18. Dezember 1992 § 141b Abs 4 AFG ergänzt wurde und folgende Fassung erhielt:
„Hat der Arbeitnehmer in Unkenntnis des Abweisungsbeschlusses nach Absatz 3 Nr 1 weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen, so treten an die Stelle der letzten dem Abweisungsbeschluß vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses die letzten dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses.”
Nach seinem Art 10 Abs 3 trat das oa Gesetz vom 18. Dezember 1992 am 1. Januar 1993 in Kraft; eine gesonderte Übergangsvorschrift zur Neufassung des § 141b AFG wurde (im Gegensatz zu § 242m AFG hinsichtlich arbeitsförderungsrechtlicher Neuregelungen) nicht aufgenommen. Die Ergänzung des § 141b Abs 4 AFG wurde im Regierungsentwurf (BT-Drucks 12/3211, S 27) wie folgt begründet:
„Künftig sollen auch Arbeitnehmer Anspruch auf Konkursausfallgeld haben, die in Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers eine Arbeit aufgenommen haben. Derartige Fälle haben den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages und das Bundessozialgericht mehrmals beschäftigt, weil das geltende Recht zu unbefriedigenden Ergebnissen führt.”
Bereits das LSG ist davon ausgegangen, daß der Gesetzgeber keine besondere Übergangsregelung zur Neufassung des § 141b Abs 4 AFG vorgesehen hat und die Gesetzesmaterialien diese Frage ebenfalls nicht ausdrücklich behandeln. Der Senat stimmt auch insoweit mit dem LSG überein, als dieses Gericht hieraus den Schluß gezogen hat, daß der Gesetzgeber für den Ausgleich von ausgefallenem Arbeitsentgelt (Kaug) die neue Fassung des § 141b Abs 4 AFG nicht rückwirkend auf Sachverhalte angewendet haben wollte, die vor dem Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Januar 1993 liegen. Im Gegensatz zur Ansicht des LSG bedeutet dies jedoch nicht, daß die Neuregelung erst auf Fälle angewendet werden könnte, bei denen die Arbeitsaufnahme vom 1. Januar 1993 ab erfolgt ist; es reicht vielmehr, daß die Ansprüche auf Kaug für ausgefallenes Arbeitsentgelt ab diesem Zeitpunkt geltend gemacht werden (so auch im Ergebnis das SG).
§ 141b Abs 4 nF AFG sichert nicht nur den Arbeitnehmer ab, der in Unkenntnis des Abweisungsbeschlusses die Arbeit aufgenommen hat, sondern auch – wie schon bisher – denjenigen, der in solcher Unkenntnis weiterarbeitet. Nicht ausdrücklich geregelt ist damit allerdings der bei der Klägerin vorliegende Übergangsfall einer hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers „gutgläubigen” Arbeitsaufnahme vor Inkrafttreten des Gesetzes, verbunden mit einer Weiterarbeit über diesen Zeitpunkt hinaus. Wenn das Gesetz aber schon bisher eine „gutgläubige” Weiterarbeit über den Insolvenzzeitpunkt hinaus anspruchsbegründend sein läßt, spricht der Sinn und Zweck dieses neugefaßten Gesetzes dafür, daß auch übergangsrechtlich die Weiterarbeit in einem vor Inkrafttreten der Neufassung „gutgläubig” begründeten Arbeitsverhältnis als anspruchsbegründend ausreicht. Denn für den Schutzzweck des Kaug sind diese beiden unterschiedlichen Tatbestandsvarianten vollkommen gleichwertig. Ein Leistungsanspruch setzt dann jedoch voraus, daß der durch den Anspruch auf Kaug abgesicherte Teil-Zeitraum des Arbeitsverhältnisses mit dem Geltungszeitraum der Neuregelung (ab 1. Januar 1993) zusammenfällt. Hierin liegt – wiederum gleichwertig für beide Tatbestandsvarianten – das entscheidende Gewicht für die einheitliche Anspruchsbegründung ab 1. Januar 1993. Die Klägerin konnte somit in den zum 1. Januar 1993 neu begründeten Anspruch auf Kaug bei „gutgläubig” begründetem Arbeitsverhältnis „hineinwachsen”.
Diese Auslegung entspricht im übrigen auch den Grundsätzen des intertemporalen Verwaltungsrechts (hierzu im einzelnen Kopp, SGb 1993, 593). Insoweit gilt – neben dem Grundsatz der Sofortwirkung und Nicht-Rückwirkung des neuen Rechts – der Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts auch auf nach altem Recht entstandene Rechte und Rechtsverhältnisse. Denn der Gesetz- oder Verordnungsgeber des neuen Rechts will diesem meist auch in zeitlicher Hinsicht einen möglichst großen Anwendungsbereich geben. Eine derartige Auslegung des neuen Rechts entspricht auch dem verfassungsrechtlichen Grundsatz einer möglichst effektiven, zeitgemäßen Gestaltung der Rechtsordnung (Kopp aaO S 597 f). Dies gilt jedenfalls bei begünstigenden Regelungen, bei denen Grundsätze des Vertrauensschutzes der Einführung der Neuregelung nicht entgegenstehen.
Dem entspricht auch die bisherige Rechtsprechung des BSG. Dieses geht – unter Berufung auf „ständige Rechtsprechung” oder „allgemeine Meinung” – davon aus, daß grundsätzlich das Recht maßgebend sei, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten habe (s BSG vom 26. November 1991, BSGE 70, 31, 34; BSG vom 11. Juli 1985, BSGE 58, 243, 244; BSG vom 3. November 1982, SozR 2200 § 182 Nr 85 S 174; BSG vom 31. August 1977, BSGE 44, 231, 232). Dieser Grundsatz hilft jedoch dann nicht weiter, wenn mehrere zeitlich auseinanderfallende Umstände anspruchsbegründend wirken. Für einen derartigen Fall hat das BSG (im Urteil vom 25. Oktober 1984, BSGE 57, 211, 213) auf die Ausführungen von Nipperdey (in: Enneccerus/ Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Halbband, 15. Aufl 1959, S 356 ff, 360 f) zurückgegriffen. Hiernach ist für Rechtswirkungen, die aus einer Mehrheit zeitlich verschiedener Tatsachen entspringen, auf den „wirklichen Grund” der Rechtswirkung abzustellen, wenn die anderen Tatsachen nur als Bedingungen aufzufassen sind, deren Eintritt die Rechtswirkung hervorruft. Im Rahmen des § 141b Abs 4 AFG kommt es dementsprechend auf den Zeitraum des ausgefallenen Arbeitsentgelts (den Kaug-Zeitraum) an, nicht jedoch auf den Zeitpunkt des „gutgläubigen” Antritts der Beschäftigung. Ebenfalls für eine sofortige Anwendung des neuen Rechts spricht (s Nipperdey, aaO), wenn eine Gesetzesänderung die „Beseitigung sozialer Übelstände” bezweckt. Eben diese Zielrichtung geht aus den Gesetzesmaterialien hervor: Der Gesetzgeber hat die Regelung des § 141b Abs 4 AFG ergänzt, um die unbefriedigenden Ergebnisse des zuvor geltenden Rechts zu vermeiden (BT-Drucks 12/3211, S 27).
Die hier vertretene Lösung ist schließlich auch aus anderen Gesichtspunkten keinen Bedenken ausgesetzt; insbesondere eröffnet sie keine Manipulationsmöglichkeiten. Sie knüpft nicht an zur Disposition der Betroffenen stehende Umstände (wie zB das Antragsdatum) an, sondern stellt für die Leistungsgewährung auf nichts anderes als die gesetzlichen Voraussetzungen ab.
Auf dieser Grundlage aber ist es nicht erforderlich, daß alle Tatbestandsmerkmale der neuen Vorschrift (hier ua die Arbeitsaufnahme in Unkenntnis der Insolvenz) nach Inkrafttreten des Gesetzes verwirklicht wurden, sondern nur, daß das Arbeitsentgelt unter Geltung der Neuregelung ausgefallen ist.
2. b) Zweifelhaft ist indes, ob auch die übrigen Voraussetzungen des § 141b Abs 4 AFG vorliegen. Zwar ist die anspruchsschädliche Kenntnis der Klägerin vom ersten Insolvenzereignis nach den im Revisionsverfahren nicht angegriffenen Feststellungen des LSG erst nach dem Kaug-Zeitraum (Januar 1993) begründet worden. Nach den vom LSG getroffenen Feststellungen kann jedoch nicht entschieden werden, ob die Klägerin den Kaug-Antrag rechtzeitig gestellt hat.
Der Senat hat im Urteil vom 30. April 1996 (10 RAr 8/94, ZIP 1996, 1623 = USK 9622) entschieden, daß auch in den Fällen des § 141b Abs 4 AFG die Antragsfristen des § 141e Abs 1 Satz 2 bis 4 AFG gelten. Dies würde bedeuten, daß in einem Fall wie dem vorliegenden – Aufnahme der Arbeit über zwei Monate nach dem Insolvenzereignis iS des § 141e Abs 1 Satz 2 iVm § 141b Abs 3 Nr 1 AFG – als Antragsfrist lediglich die Frist nach § 141e Abs 1 Satz 3 AFG gälte: zwei Monate ab dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitnehmer entweder Kenntnis vom Abweisungsbeschluß erlangt hatte oder in dem er seine Unkenntnis (nunmehr) zu vertreten hat. Diese Rechtsprechung gilt jedoch nur für den Fall der Weiterarbeit (nur über eine derartige Fallkonstellation war am 30. April 1996 zu entscheiden), nicht aber für den – bei der Klägerin vorliegenden – Fall der „gutgläubigen”) Arbeitsaufnahme. Denn ansonsten würde man über die Antragsfrist des § 141e Abs 1 Satz 3 AFG den vom Gesetzgeber ab 1. Januar 1993 gewährten Kaug-Anspruch nach § 141b Abs 4, 2. Alt AFG bei Arbeitsaufnahme „in Unkenntnis des Abweisungsbeschlusses” weitgehend entwerten, wäre doch nicht nur die positive Kenntnis des Abweisungsbeschlusses anspruchsschädlich, sondern auch die fahrlässige Unkenntnis. Zudem können die Gründe, die im Urteil vom 30. April 1996 die Entscheidung des Senats zu den Kaug-Antragsfristen bei „gutgläubiger” Weiterarbeit bestimmt haben, nicht für die hier zu entscheidende Frage der Fristen bei „gutgläubiger”) Arbeitsaufnahme herangezogen werden.
Sind Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Ablehnungsbeschlusses im insolventen Unternehmen beschäftigt – und dies ist Voraussetzung für die anspruchsbegründende Weiterarbeit – spricht nichts dafür, sie je nach dem Zeitraum des ausgefallenen Arbeitsentgelts hinsichtlich der Kaug-Antragsfristen unterschiedlich zu behandeln: Geht es um Arbeitsentgelt vor dem Insolvenzereignis (Abweisungsbeschluß), gilt die Antragsfrist des § 141e Abs 1 Satz 2 AFG (zwei Monate nach dem Abweisungsbeschluß); ist diese Frist verstrichen, ist Fahrlässigkeit hinsichtlich der Unkenntnis vom Abweisungsbeschluß anspruchsschädlich (§ 141e Abs 1 Satz 3 AFG). Dann aber besteht kein Grund, solche Arbeitnehmer, bei denen ein Entgeltausfall (auch oder erst) nach dem Abweisungsbeschluß eingetreten ist, abweichend zu behandeln. Dies gilt erst recht unter der Erwägung, daß diese Fristen auch für jene Arbeitnehmer gelten, die bereits – weit – vor dem Insolvenzereignis aus dem Unternehmen ausgeschieden sind, bei denen jedoch Arbeitsentgelt innerhalb der letzten drei Monate ihres Arbeitsverhältnisses ausgefallen war (§ 141b Abs 1 AFG).
Anders ist die Ausgangslage jedoch bei einem Arbeitnehmer, der – wie die Klägerin – dem insolventen Unternehmen bisher völlig fern stand und erst (hier: etwa ein Jahr) nach dem Abweisungsbeschluß dort die Arbeit aufgenommen hat. Hier kann der Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit jenen Arbeitnehmern, die bereits im Insolvenzzeitpunkt in Diensten des Unternehmens standen, keine Rolle spielen.
Damit aber bleibt als Anknüpfungspunkt für den Beginn der Zwei-Monats-Frist des § 141e Abs 1 Satz 2 AFG für den Arbeitnehmer, der iS des § 141b Abs 4, 2. Alt AFG in Unkenntnis des Abweisungsbeschlusses die Arbeit aufgenommen hat, nur der Zeitpunkt, in dem er positive Kenntnis vom Abweisungsbeschluß (hierzu Senatsurteil vom 22. September 1993, SozR 3-4100 § 141b Nr 8) erlangt hat (so auch – wenngleich für beide Alternativen des § 141b Abs 4 AFG – Peters-Lange in: Gagel, AFG, § 141e RdNr 10, Stand: 1995; aA insoweit Schlegel in: Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, § 141e RdNr 16, Stand: 1996: Ablauf des Tages, an dem der Arbeitnehmer in Unkenntnis der Abweisung des Konkursantrages mangels Masse weiterarbeitete). Denn § 141b Abs 4 AFG stellt im Ergebnis die Kenntnisnahme vom Abweisungsbeschluß in der Weise mit den auch nach § 141e Abs 1 Satz 2 AFG maßgebenden Insolvenzereignissen nach § 141b Abs 1 und 3 AFG gleich, als hiernach die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses abgesichert sind, die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehen.
Das bedeutet im vorliegenden Fall: Darauf, daß der Kaug-Antrag der Klägerin innerhalb von zwei Monaten nach der Konkurseröffnung vom 28. März 1994 gestellt worden ist, kommt es nicht an. Der Kaug-Antrag der Klägerin vom 26. April 1994 kann vielmehr nur noch dann iS des § 141e Abs 1 Satz 2 AFG rechtzeitig gewesen sein, wenn der Klägerin der Abweisungsbeschluß des Amtsgerichts Bonn vom 5. Dezember 1991 erst am 26. Februar 1994 oder später bekannt geworden wäre. Das LSG hat hierzu lediglich festgestellt, die Klägerin habe von diesem Insolvenzereignis „allenfalls nach dem 28.04.1993” positive Kenntnis erlangt.
Sollte die Klägerin jedoch bereits vor dem 26. Februar 1994 von dem Konkursablehnungsbeschluß vom 5. Dezember 1991 gewußt haben, könnte ihr allenfalls noch der spezialgesetzliche Wiedereinsetzungstatbestand des § 141e Abs 1 Satz 3 AFG (s die Senatsurteile vom 29. Oktober 1992, BSGE 71, 213 sowie vom 30. April 1996, ZIP 1996, 1623 = USK 9622) zugute kommen. Auch hierzu jedoch lassen sich dem Berufungsurteil keine Feststellungen entnehmen.
Die zur Anwendung der Vorschrift des § 141e Abs 1 Satz 2 und 3 AFG erforderlichen Tatsachen wird das LSG noch festzustellen haben. Ihm obliegt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens.
Fundstellen
EWiR 1999, 385 |
KTS 1999, 260 |
NZA 1999, 166 |
ZIP 1999, 762 |
AuA 1999, 428 |
SozR 3-4100 § 141e, Nr.3 |
ZInsO 1999, 362 |
Breith. 1999, 718 |
SozSi 1999, 224 |