Leitsatz (amtlich)
Bei der Bemessung des Kurzarbeitergeldes nach AVAVG § 121 Abs 1 sind rückwirkende Lohnerhöhungen für bereits abgeschlossene Lohnzahlungszeiträume nicht zur berücksichtigen.
Normenkette
AVAVG § 121 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-10-28
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. April 1967 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Bei der Arbeitgeberin des Klägers, einem nordbayerischen Textilbetrieb, war vom 1. Dezember 1963 bis zum 31. März 1964 wegen Auftragsmangels verkürzt gearbeitet worden. Deshalb gewährte die beklagte Bundesanstalt den Arbeitnehmern, darunter dem Kläger, Kurzarbeitergeld (KUG). Die Tarifpartner vereinbarten mit Lohn-Tarifvertrag vom 12. Februar 1964, in Kraft getreten am 1. Februar 1964, Lohnerhöhungen. Außerdem war darin festgelegt, daß diejenigen Arbeitnehmer über 18 Jahre, die am 1. Februar 1964 im Industriezweig beschäftigt waren, eine Nachzahlung für den Monat Januar 1964 von 14 bis 18 Pfg. je Stunde erhalten sollten. Die Beklagte berücksichtigte diese tariflichen Lohnerhöhungen bei der Bemessung des KUG des Klägers vom 1. Februar 1964 an. Seinen Antrag, es bereits ab Januar 1964 höher zu bemessen, lehnte sie ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 1964). Auf seine Klage hin verpflichtete das Sozialgericht die Beklagte, dem Kläger das KUG für den Monat Januar 1964 unter Berücksichtigung der ab 1. Januar 1964 eingetretenen Lohnerhöhung zu gewähren (Urteil vom 21. September 1965). Das Landessozialgericht (LSG) dagegen hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab (Urteil vom 26. April 1967). Bei der Ermittlung des Vollohnes im Sinne von § 121 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) könne nur auf das Entgelt abgestellt werden, auf das der Kurzarbeiter in den betreffenden Zeiträumen einen Rechtsanspruch besessen habe. Ein Anspruch auf den erhöhten Stundenlohn sei aber erst mit Abschluß des Tarifvertrags vom 12. Februar 1964 entstanden. In der Sozialversicherung und damit ebenfalls in der Arbeitslosenversicherung hätten rückwirkend vereinbarte Lohnerhöhungen keinen Einfluß auf Beitragsberechnungen und Leistungen für die Vergangenheit.
Revision wurde zugelassen.
Der Kläger legte Revision ein und beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 21. September 1965 zurückzuweisen.
Er führt hierzu im wesentlichen aus: Das KUG als Entschädigung für den Lohnausfall habe vom tatsächlich zustehenden Vollohn auszugehen; folglich müßten rückwirkende tarifliche Lohnerhöhungen vom Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens an berücksichtigt werden. Zu beachten hierbei sei insbesondere auch, daß die rückwirkende Lohnerhöhung in vollem Umfang lohnsteuerpflichtig sei und im Zeitpunkt ihres Zufließens ebenfalls beitragspflichtig für die Sozialversicherung werde. Das KUG mit dem Arbeitslosengeld zu vergleichen, sei wegen der Unterschiede im Wesen dieser beiden Leistungen nicht zulässig.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Prozeßrechtlich macht sie zunächst geltend, der Kläger selbst sei nicht antragsberechtigt für die Gewährung des KUG (§§ 117, 188 AVAVG) und demzufolge auch nicht zur Prozeßführung legitimiert.
Materiell-rechtlich sei das KUG ebenso wie das Arbeitslosengeld eine echte Leistung der Arbeitslosenversicherung. Beide Leistungsarten müßten daher gleichbehandelt werden. Für das Arbeitslosengeld habe das Bundessozialgericht (BSG) aber schon entschieden, daß eine Nachzahlung bei der Bemessung der Leistung nicht zu berücksichtigen sei, wenn auf diese im Zeitraum, für den sie nachträglich gezahlt werde, kein Rechtsanspruch bestanden habe.
II
Die Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden. Da das LSG sie zugelassen hat, ist sie auch statthaft. Ihr muß jedoch der Erfolg versagt bleiben.
Entgegen der Ansicht der Beklagten steht dem Kläger das Klagerecht nach § 54 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu, da er, sein Vorbringen als zutreffend unterstellt, durch den angefochtenen Verwaltungsakt beschwert ist. Das LSG hat auch im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Es kann dahinstehen, ob der angefochtene den Anspruch des Klägers ablehnende Bescheid schon deshalb rechtmäßig ist, weil nicht der Kläger, sondern der Arbeitgeber oder die Betriebsvertretung anzeige- und antragsberechtigt ist (§§ 117, 118, 188 AVAVG). Selbst wenn der Kläger antragsberechtigt gewesen wäre, würde der angefochtene Bescheid nämlich auch deshalb zutreffend sein, weil der Kläger für den Monat Januar 1964 keinen höheren als den von der Beklagten anerkannten Anspruch auf KUG besitzt.
Für die Bemessung des KUG ist nach § 121 Abs. 1 Satz 1 AVAVG der Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlich erzielten Arbeitsentgelt (Kurzlohn) und neun Zehnteln des Arbeitsentgeltes maßgebend, das der Kurzarbeiter ohne den Arbeitsausfall in der betriebsüblichen Arbeitszeit als Vollohn erzielt hätte. Bei der Ermittlung dieses fiktiven Vollohnes sind Lohnerhöhungen, die während der Kurzarbeit wirksam werden, zu berücksichtigen (vgl. Kommentare zum AVAVG: Draeger/Buchwitz/Schönefelder, § 121 Anm. 7; Krebs, § 121 Anm. 4). Unter den Beteiligten ist nun streitig, von wann ab derartige Lohnerhöhungen zu berücksichtigen sind.
Dieser Zeitpunkt wird bestimmt durch den Abschluß der (tarifrechtlichen oder einzelvertraglichen) Vereinbarung über die Lohnerhöhung. Hierdurch erst entsteht der Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf das erhöhte Entgelt. Nachträgliche Lohnänderungen sind, auch wenn sie rückwirkend in Kraft gesetzt werden, nicht vor Abschluß der Vereinbarung versicherungsrechtlich zu berücksichtigen. Diesen Grundsatz hatte schon das ehemalige Reichsversicherungsamt (RVA) in ständiger Rechtsprechung aufgestellt. Das BSG ist ihm darin nicht nur in mehreren Entscheidungen zum Beitragsrecht (vgl. BSG 22, 162 ff und 24, 262 ff) gefolgt, sondern hat in der Entscheidung des erkennenden Senats vom 29. März 1960 (BSG 12, 55) diese Grundsätze - ebenso wie bereits das RVA (GE 3630, AN 1930, 48) - auf die Arbeitslosenversicherung übertragen. Der erkennende Senat hatte damals entscheidend darauf abgestellt, daß die Sozialversicherung mit klaren Verhältnissen rechnen müsse, schon wegen der Versicherungspflicht und ihres Umfanges (vgl. BSG 12, 57). Diese dort im einzelnen aufgeführten Erwägungen müssen für das KUG ebenfalls gelten. Bei diesen sozialen Leistungen wäre es gleichermaßen bedenklich, wenn die maßgebenden (tatsächlichen) Umstände in die Vergangenheit hinein nach dem Willen von Beteiligten noch verändert werden könnten. Die Eigenarten des KUG, die sich aus seiner Bestimmung (Lohnersatz für Teilarbeitslosigkeit) ergeben, rechtfertigen keine Abweichung von den in der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätzen.
Da das KUG eine Lohnausfallvergütung ist und nur für die Lohnzahlungszeiträume gewährt wird, in welchen Arbeitsentgelt tatsächlich ausgefallen ist, können immer nur die Vollöhne den Kurzlöhnen gegenübergestellt werden, auf die in dem Lohnzahlungsabschnitt, für welchen KUG verlangt wird, Anspruch bestanden hat. Im vorliegenden Fall aber hat ein Anspruch des Klägers auf den erhöhten Lohn während des Monats Januar 1964 nicht bestanden. Ein solcher ergab sich erst mit Abschluß des Tarifvertrags vom 12. Februar 1964. Dessen "rückwirkende" Inkraftsetzung bedeutet nicht, daß schon zuvor ein Anspruch bestanden hat, sondern nur, daß für die vorher geleistete Arbeit seit dem Tage des Abschlusses der neuen Tarifvereinbarung ein höherer Lohnanspruch erwächst. Dieser ist jedenfalls im vorliegenden Fall schon deshalb erst im Februar 1964 entstanden, weil ein Tatbestandsmerkmal für die Lohnerhöhungen erst am 1. Februar 1964 eintreten konnte. Die Tarifpartner hatten nämlich ausdrücklich festgelegt, daß die nachträglichen Lohnaufbesserungen für Januar 1964 nur für diejenigen Arbeitnehmer in Betracht kommen, die am 1. Februar 1964 noch in der nordbayerischen Textilindustrie beschäftigt sind. Ein von (mehreren) Voraussetzungen abhängiger Anspruch entsteht aber erst mit dem Zeitpunkt, in welchem die letzte seiner Voraussetzungen erfüllt ist. Der höhere Lohn wurde an den Kläger im übrigen auch erst in der Zeit nach Abschluß des neuen Tarifvertrags tatsächlich gezahlt; er ist ihm im Februar 1964 "zugeflossen" (vgl. BSG 22, 162, 167).
Nach alledem hat das LSG zutreffend entschieden, daß dem Kläger für Januar 1964 der Anspruch auf ein höher bemessenes KUG nicht zusteht. Sein Urteil war daher zu bestätigen und die Revision des Klägers zurückzuweisen (§ 170 Satz 1 SGG).
Ob die für die Tätigkeit des Klägers im Januar 1964 bestimmte Lohnerhöhung im Februar 1964 dann zusätzlich bei der Bemessung des KUG berücksichtigt werden müßte, hatte der Senat nicht zu entscheiden, weil allein die Höhe des KUG für den Monat Januar 1964 selbst streitig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen