Leitsatz (amtlich)
Für den Ausschlußtatbestand des BKGG § 7 Abs 1 Nr 4 kommt es nur auf eine vergleichbare Gesamtregelung, nicht auf eine entsprechende Regelung über die Kinderzuschläge an.
BKGG § 7 Abs 6 setzt voraus, daß in den "vergleichbaren tarifvertraglichen Regelungen" eines der unter BKGG § 7 Abs 1 Nr 4 fallenden Unternehmen die Kinderzuschläge eine gegenüber den Tarifverträgen des Bundes oder der Länder ungünstigere Regelung erfahren haben.
Leitsatz (redaktionell)
BKGG § 7 Abs 1 Nr 4 erfaßt auch Einrichtungen, Vereinigungen und Unternehmungen mit gemeinnützigem Charakter.
Normenkette
BKGG § 7 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1964-04-14, Abs. 6 S. 1 Fassung: 1964-04-14
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. April 1966 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 21. September 1965 zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger beansprucht von der beklagten Bundesanstalt als Kindergeldkasse das gesetzliche Kindergeld für sein drittes Kind. Er ist als Angestellter bei der N H GmbH - Staatliche Treuhandstelle für Wohnungs- und Kleinsiedlungswesen - Organ der Staatlichen Wohnungswirtschaft - beschäftigt. Dieses Unternehmen, das von den Finanzbehörden als gemeinnützig anerkannt ist, hatte am 27. März 1963, in Kraft getreten am 1. April 1963, einen Betriebs-Tarifvertrag (BTV) abgeschlossen, in dem ausdrücklich bestimmt ist (§ 2 Abs. 1), daß der Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 nebst Anlagen und Nachträgen Bestandteil des Betriebs-Tarifvertrags ist. Der Kläger erhielt demgemäß die ihm nach diesem BTV zustehenden Kinderzuschläge für seine drei Kinder von der Arbeitgeberin gezahlt. Nach dem Inkrafttreten des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) - 1. Juli 1964 - wurde in einem Vierten Tarifvertrag zur Änderung des BTV vom 10. Juli 1964 vereinbart, daß fortan Kinderzuschläge gemäß § 31 BAT nur für das erste und zweite Kind gewährt werden. Die Arbeitgeberin stellte daraufhin die Zahlung des Kinderzuschlags für das dritte Kind des Klägers mit dem 30. Juni 1964 ein. Der Antrag des Klägers, ihm nunmehr das gesetzliche Kindergeld für sein drittes Kind zu gewähren, wurde nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG von der Beklagten abgelehnt, weil die Arbeitgeberin die für Arbeitnehmer des Bundes oder eines Landes geltenden Tarifverträge oder vergleichbare tarifvertragliche Regelungen anwende (Bescheid vom 14. August 1964; Widerspruchsbescheid vom 24. August 1964). Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 21. September 1965). Auf die Berufung des Klägers verurteilte das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte zur Gewährung des Kindergeldes in gesetzlicher Höhe für das dritte Kind ab 1. Juli 1964 (Urteil vom 6. April 1966). Der Kläger sei zwar Arbeitnehmer einer Unternehmung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG. Jedoch werde auf sein Arbeitsverhältnis keine den Tarifverträgen des Bundes oder eines Landes vergleichbare Regelung angewendet; denn die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG sei nach Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte mit dem Zusatz zu lesen, daß eine "vergleichbare tarifvertragliche Regelung über die Gewährung von Kinderzuschlägen" in Betracht kommen müsse, die hier indessen fehle. Deshalb seien die Voraussetzungen des Ausschlußtatbestands nicht erfüllt. Die Revision wurde zugelassen.
Die Beklagte legte Revision ein und beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Sie führt im wesentlichen hierzu aus: Durch die Bestimmung im BTV vom 27. März 1963, nach der der BAT vom 23. Februar 1961 Bestandteil des BTV sei, werde auf das Arbeitsverhältnis des Klägers eine vergleichbare tarifvertragliche Regelung angewendet, die den Bezug des gesetzlichen Kindergelds nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG ausschließe. Im BKGG hätten die Ausschlußtatbestände so gefaßt werden müssen, daß sie nicht mit einer Änderung der tarifvertraglichen Kinderzuschlagsregelung entfielen. Mit der "vergleichbaren tarifvertraglichen Regelung" sei die Gesamtheit der für die Arbeitnehmer des Bundes oder eines Landes geltenden tarifrechtlichen Bestimmungen gemeint. Nur darin habe der Gesetzgeber ein geeignetes Merkmal zur Abgrenzung des quasi öffentlichen Dienstes finden können. Mit der Beschränkung der Kinderzuschläge auf das erste und zweite Kind durch den Vierten BTV vom 27. März 1963 bleibe insgesamt die Anwendung des Tarifgefüges erhalten. Damit solle lediglich die Voraussetzung für den Bezug des gesetzlichen Kindergelds geschaffen und die den Arbeitnehmern für ihre Kinder zufließende Gesamtleistung verbessert werden. Eine solche Kinderzuschlagsregelung unterscheide sich von der des BAT nur in formaler Hinsicht. Die Vergleichbarkeit mit den Tarifverträgen des Bundes oder der Länder könne nicht verneint werden, wenn die besoldungsrechtliche Regelung des Kinderzuschlags zwar grundsätzlich angewandt, sie indessen in der Erwartung, damit den kindergeldrechtlichen Ausschlußtatbestand zu umgehen, auf die Gewährung für das erste und zweite Kind beschränkt werde. Da nach allem der Ausschlußtatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG zutreffe, habe der Kläger keinen Anspruch auf das gesetzliche Kindergeld für das dritte Kind.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Nach seiner Auffassung ist seine Arbeitgeberin keine Einrichtung oder Unternehmung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG. Jedenfalls aber würden auf das Arbeitsverhältnis keine Tarifverträge, die für Arbeitnehmer des Bundes oder eines Landes gelten, oder vergleichbare tarifvertragliche Regelungen angewandt. Nur die Anwendung sämtlicher Tarifverträge für Arbeitnehmer des Bundes oder eines Landes oder diesen vergleichbarer Regelungen könnte die Kindergeld-Berechtigung ausschließen. Im BTV seien jedoch sehr unterschiedliche Regelungen zum BAT getroffen worden. Außerdem seien bedeutsame Erweiterungen und Änderungen zum BAT nicht in den BTV aufgenommen worden, wie z. B. die Bestimmungen über den Bewährungsaufstieg, Reise- und Umzugskostenvergütung, Trennungsentschädigung u. a.. Bei derartig starken Abweichungen und insbesondere beim Fehlen der Regelung über die Kinderzuschläge als Hauptpunkt sei der Ausschlußtatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 4 nicht erfüllt.
II
Gegen die Zulässigkeit der Revision der Beklagten bestehen keine Bedenken. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Da das LSG die Revision zugelassen hat, ist sie statthaft.
Die Revision der Beklagten ist auch begründet.
Der Kläger erfüllt zweifelsohne die positiven Voraussetzungen für die Gewährung des Kindergelds (§ 1 und 2 BKGG). Nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG wird Kindergeld aber dann nicht gewährt, wenn eine Person, bei der das Kind nach § 2 Abs. 1 berücksichtigt wird, Arbeitnehmer einer Vereinigung, Einrichtung oder Unternehmung ist und auf ihr Arbeitsverhältnis die Tarifverträge, die für die Arbeitnehmer des Bundes oder eines Landes gelten, oder vergleichbare tarifvertragliche Regelungen angewandt werden.
Zu Recht hat das LSG die N H als Unternehmung im Sinne dieser Vorschrift angesehen. Wie aus dem Hinweis der Amtlichen Begründung zum Entwurf des BKGG (BT-Drucksache IV/818 S. 15) auf die frühere Regelung des § 3 Abs. 4 des Kindergeldgesetzes (KGG), wonach sich Einrichtungen und Vereinigungen mit gemeinnützigem Charakter durch Gleichstellung mit den Körperschaften des öffentlichen Rechts von der Beitragspflicht zur Familienausgleichskasse befreien lassen konnten (§ 10 KGG), zu schließen ist, erfaßt die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG auch Einrichtungen, Vereinigungen und Unternehmungen mit gemeinnützigem Charakter. Bewußt hat der Gesetzgeber diese Gruppe sehr weit gefaßt und ohne Begrenzung gelassen. Jedenfalls rechtfertigt die Stellung der N H als staatliche Treuhandstelle für Wohnungs- und Kleinsiedlungswesen - Organ der staatlichen Wohnungswirtschaft i. V. m. § 28 des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen - Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) idF der Bekanntmachung vom 29. Februar 1940 (RGBl I 438), geändert durch Gesetz vom 27. Juni 1956 (BGBl I 523) und i. V. m. der Anerkennung als gemeinnützig durch die Finanzbehörden- die Beurteilung, daß die N H GmbH unter die Unternehmungen im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG fällt.
Weiterhin wird aber auch - entgegen der Auffassung des LSG - auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zumindest eine vergleichbare tarifvertragliche Regelung im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG angewandt. Da diese (zweite) gesetzliche Alternative geringere Anforderungen stellt als die unmittelbare Anwendung eines Tarifvertrags, der für den Bund oder ein Land gilt, sind die Voraussetzungen des Ausschlußtatbestandes schon dann erfüllt, wenn in die andere tarifvertragliche Regelung allgemein bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen der übliche Inhalt eines Tarifvertrags für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes aufgenommen oder einbezogen ist, ohne daß Fassung (Wortlaut) und Gliederung im einzelnen gleichlauten müßten.
Eine solche vergleichbare tarifvertragliche Regelung stellt der BTV vom 27. März 1963 zwischen der Arbeitgeberin des Klägers und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen dar. § 2 BTV erklärt nicht nur den BAT samt Nachträgen, insbesondere die Vergütungstarifverträge der Angestellten, für einen Bestandteil des Haustarifs, sondern er bezeichnet darüber hinaus auch den Bundesmanteltarif für Arbeitnehmer gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) nebst weiteren Tarifverträgen als im Rahmen des BTV gültig. Von den insgesamt neun Paragraphen des BTV vom 27. März 1963 nehmen nicht weniger als acht auf Regelungen des BAT oder (und) des Bundesmanteltarifvertrags für Arbeiter Bezug. Ebenso bezieht sich die folgende vom 1. Mai 1964 an wirksam gewordene und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG (6. April 1966) geltende Fassung des BTV auf wesentliche Inhaltsteile des BAT (und BMT). Nur einige wenige Bestimmungen sind jeweils an die besonderen Verhältnisse des Unternehmens angepaßt. Derartige Ausnahmen (Abweichungen) in den §§ 3-8 des BTV sind aber, gemessen an der inhaltlichen Übernahme des BAT, geringfügig. Die später bewirkte Neufassung des BTV von 1. Juni 1966 ist für den anhängigen Fall nicht maßgebend.
Ob der BTV als vergleichbare Tarifregelung auf das Arbeitsverhältnis des Klägers angewendet wird, ist aus der Gesamtheit der getroffenen Vereinbarungen, nicht aus der Regelung über Kinderzuschläge, zu beurteilen, wie zwischenzeitlich auch bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 24. Mai 1967 - 1 BvL 18/65 (vgl. SozR GG Art. 3 Nr. 61) festgestellt hat. Dem LSG kann nicht zugestimmt werden, wenn es meint, § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG müsse mit dem Zusatz gelesen werden: "... oder vergleichbare tarifliche Regelungen über die Gewährung von Kinderzuschlägen angewandt werden." Dafür, daß die vergleichbare tarifliche Gesamtregelung als Voraussetzung in § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG genügt, spricht ihr innerer Zusammenhang mit Abs. 6 des § 7 BKGG. Letztere Vorschrift gewährt einen Ausgleich in den Fällen, in denen Arbeitnehmer vom Bezug des gesetzlichen Kindergelds ausgeschlossen werden. Dieser Ausgleichsanspruch hat aber nur dann einen Sinn, wenn es in der Nr. 4 gerade nicht auf die Kinderzuschlagsregelung ankommt. Der Ausgleichsanspruch soll dann eingreifen, wenn zwar ein Tarifvertrag, der für Arbeitnehmer des Bundes oder eines Landes gilt, oder eine vergleichbare tarifliche Regelung angewendet, aber die Vorschriften über Kinderzuschläge ausgeklammert sind. Das erhellt die Regelung des Abs. 6 i. V. m. der Nr. 3 des Abs. 1,, die er von Anfang an enthielt, während Nr. 4 erst später mit dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BKGG vom 5. April 1965 (BGBl I 222) in den Abs. 6 aufgenommen wurde. Auch der Ausschlußtatbestand der Nr. 3 beruht auf der Tatsache, daß bei Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes vor Inkrafttreten des BKGG Kinderzuschläge nur aufgrund von tariflichen Vereinbarungen gezahlt wurden. Offensichtlich hat der Gesetzgeber jedoch erkannt und mit der Möglichkeit gerechnet, daß die Tarifvertragspartner aufgrund eigener Tarifhoheit mit dem Inkrafttreten des BKGG die Kinderzuschläge durch Tarifverträge abbedingen könnten, um die Lasten des Kinderzuschlags auf den Bund abzuwälzen (vgl. BVerfG Beschluß vom 24. Mai 1967 - 1 BvL 18/65). Um dem vorzubeugen, hat der Gesetzgeber den Ausgleichsanspruch des § 7 Abs. 6 Satz 1 BKGG geschaffen, der nunmehr alle Arbeitnehmer nach Nr. 3 sowie Nr. 4 erfaßt. Während das frühere Recht (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 des Kindergeldgesetzes) ausdrücklich auf Regelungen verwies, die "mindestens den allgemeinen tariflichen Bestimmungen des Bundes oder der Länder über Kinderzuschläge entsprechen", enthält die geltende Gesetzesfassung des BKGG keine derartige Formulierung. Der damalige Hinweis auf vergleichbare Kinderzuschläge ist, wie die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. IV/818 S. 15) bekunden, absichtlich nicht wieder gewählt worden, um "im Gesetz ein objektives Merkmal zu bestimmen, an dem der quasi öffentliche Charakter abgelesen werden kann". Ein geeignetes Merkmal wurde u. a. im BAT-Vertrag vom 23. Februar 1961 gefunden. Die Tatsache, daß die geltende Gesetzesfassung bewußt und gewollt vom früheren Recht abweicht, erweist ebenfalls, daß es für den Ausschlußtatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 4 BKGG nur auf eine vergleichbare Gesamtregelung, nicht auf eine entsprechende Regelung über Kinderzuschläge ankommt.
Nach Entstehungsgeschichte und Zweck setzt § 7 Abs. 6 BKGG also gerade voraus, daß in der "vergleichbaren" tarifvertraglichen Regelung eines der unter § 7 Abs. 1 Nr. 4 fallenden Unternehmen die Kinderzuschläge eine gegenüber den Tarifverträgen des Bundes oder der Länder ungünstigere Regelung erfahren haben; für diesen Fall billigt der Gesetzgeber deshalb dem Arbeitnehmer einen arbeitsrechtlichen Anspruch auf Leistungen in Höhe des Kindergeldes gegenüber seinem Arbeitgeber zu. Danach hat der Kläger für den streitigen Zeitraum gegen die beklagte Bundesanstalt keinen Anspruch auf das gesetzliche Kindergeld.
Das Urteil des LSG mußte nach alledem aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen