Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilselbstzahler. Tbc-Erkrankung und Anstaltspflege

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein versicherter tuberkulosekranker Teilselbstzahler hat Anspruch auf Ersatz seines Eigenbetrages gegenüber dem Rentenversicherungsträger insoweit, als er von dem öffentlichen Träger herangezogen wird.

 

Orientierungssatz

Auf "öffentliche Kosten" untergebracht ist auch derjenige Tbc-Kranke, der zu den Unterbringungskosten nur einen Teil, ohne Rücksicht auf dessen Höhe, beisteuert.

 

Normenkette

RVO § 1244a Abs. 3 Fassung: 1959-07-23, Abs. 7 S. 3 Fassung: 1959-07-23; BSHG § 130 Fassung: 1969-09-18

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 30.11.1977; Aktenzeichen L 2 J 84/76)

SG Hannover (Entscheidung vom 10.02.1976; Aktenzeichen S 7 J 468/73)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. November 1977 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für eine stationäre Tuberkulosebehandlung.

Der 1914 geborene Arbeiter P F (F.) war nach seiner Tätigkeit als landwirtschaftlicher Arbeiter ab 1939 in der Anstalt für Geisteskranke in Sch. (Schlesien) untergebracht. Seit seiner Vertreibung im Jahre 1946 befand er sich auf öffentliche Kosten im Landeskrankenhaus G. Seit 1. November 1950 bezog F. von der Beklagten eine Invalidenrente in Höhe von zuletzt 166,10 DM monatlich. Diese Rente wurde dem Landeskrankenhaus überwiesen.

Am 16. Juni 1971 wurde F. nach S O, eine Fachabteilung des Landeskrankenhauses verlegt. Dort wurde eine Reaktivierung der erstmals 1947 bemerkten Lungen-Tbc und eine Schizophrenie festgestellt. Am 26. Oktober 1971 ist F. gestorben.

Die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) und die beigeladene Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) lehnten die Übernahme der vom Kläger zunächst übernommenen Kosten der stationären Tbc-Behandlung in S O für die Zeit vom 16. Juni bis 26. Oktober 1971 ab.

Der auf Zahlung der durch die stationäre Tuberkulosebehandlung entstandenen Mehrkosten gerichteten Klage hat das Sozialgericht Hannover (SG) durch Urteil vom 10. Februar 1976 stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Niedersachsen (LSG) durch Urteil vom 30. November 1977 das Urteil des SG Hannover aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung wurde ua ausgeführt, der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch entfalle nach § 1244a Abs 7 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 130 Abs 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), weil der Versicherte F. auf öffentliche Kosten in Anstaltspflege untergebracht gewesen sei. Auch derjenige sei auf öffentliche Kosten in einer Anstalt untergebracht, der wie der Versicherte F. einen Teil der Unterbringungskosten selbst trage. Die Beigeladene sei nicht leistungspflichtig, weil die Freistellung der Beklagten nach § 1244a Abs 7 Satz 3 RVO nicht eine Verlagerung der Zuständigkeit für die Tbc-Behandlung auf die Krankenkassen bedeute.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger sinngemäß geltend, infolge der Eigenbeteiligung des Versicherten F. sei dieser einem Selbstzahler gleichzustellen und nicht mehr auf öffentliche Kosten untergebracht. Die finanzielle Situation des Geisteskranken F. habe sich durch das Hinzutreten der Tbc-Erkrankung in dieser Hinsicht geändert. Es wäre unbillig, den geistes- und tbc-kranken Rentner, der einen Teil seiner Unterbringungskosten mit seiner Rente trage, gegenüber dem nur tbc-kranken oder seine Unterbringung voll zahlenden Rentner zu benachteiligen, der einen Anspruch nach § 1244a RVO gegen den Rentenversicherungsträger habe, ohne seine Rente für die Behandlung aufwenden zu müssen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. November 1977 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 10. Februar 1976 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Dem angefochtenen Urteil ist darin zu folgen, daß die Beklagte nach § 1244a Abs 7 Satz 3 RVO iVm § 130 BSHG nicht verpflichtet ist, die Kosten für die Unterbringung ihres Versicherten F. wegen einer Tbc-Erkrankung zu übernehmen. Es handelte sich um eine Unterbringung in Anstaltspflege auf öffentliche Kosten im Sinne des § 130 BSHG. Die hierdurch entstandenen Aufwendungen hat der Kläger zu tragen.

Der Wegfall des Anspruches auf Heilbehandlung nach § 1244a Abs 7 Satz 3 RVO gegenüber dem Rentenversicherungsträger beruht auf dem Grundgedanken, daß wie bei dem früheren Tuberkulosehilfegesetz nicht mehrere öffentliche Kostenträger gleichzeitig für die Betreuung eines Tbc-Erkrankten tätig werden sollen. Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn die Anstaltspflege im Sinne des § 130 BSHG vor der Tbc-Erkrankung begann oder erst während der Tbc-Heilbehandlung einsetzte (vgl BSG vom 26. Mai 1972 - 4 RJ 235/70 - = SozR Nr 24 zu § 1244a RVO). Die Unterbringung auf öffentliche Kosten hat den Vorrang vor der Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers. Dies gilt folgerichtig auch für die durch die Tbc-Behandlung entstehenden Mehrkosten. Nur so sind Zuständigkeitsüberschneidungen zwischen mehreren öffentlichen Kostenträgern zu vermeiden. Diese Regelung der Kostenpflicht entspricht dem Willen des Gesetzgebers.

Die Unterbringung des F. "auf öffentliche Kosten" (§ 130 BSHG) wurde nicht dadurch ausgeschlossen, daß dieser sich mit seiner Rente teilweise an den Unterbringungskosten beteiligt hat. Das Urteil des erkennenden Senats vom 27. Januar 1972 (4 RJ 137/71, SozR Nr 25 zu § 1244a RVO), auf das sich der Kläger beruft, muß unter Beachtung der neueren Rechtsprechung (Urteile vom 8. Februar 1979 - 4 RJ 29/78 - und 75/78 -) gesehen werden. In diesen Urteilen hat sich der erkennende Senat im wesentlichen der hierzu inzwischen ergangenen Rechtsprechung des 3. Senates (Urteile vom 14. Dezember 1976 - 3 RK 74/75 und 3 RK 30/76 - sowie vom 2. März 1977 - 3 RK 69/76 -) angeschlossen. Hiernach ist auch derjenige Tbc-Kranke auf "öffentliche Kosten" untergebracht, der zu den Unterbringungskosten nur einen Teil, ohne Rücksicht auf dessen Höhe, beisteuert. Dies folgt aus dem Interesse des Versicherten, dessen Behandlung Schaden nehmen könnte, wenn verschiedene Träger über deren Art und Durchführung zu befinden hätten. Die Durchführung der Tbc-Behandlung soll vielmehr ebenso wie die Verpflichtung zur Kostentragung in einer Hand liegen. Dies gilt immer dann, wenn, wie hier, der Grund für die Anstaltsunterbringung "auf öffentliche Kosten" durch die neu hinzugetretene Tbc-Erkrankung nicht weggefallen ist.

Das von der Revision als unbillig herausgestellte Ergebnis dieser Rechtsauffassung, wonach der Teilselbstzahler seine Rente hingeben und Erstattungsansprüche eines öffentlichen Trägers befürchten müsse, während der Vollselbstzahler einen Kostentragungsanspruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger habe, wird durch eine sinngemäße Auslegung des § 1244a RVO vermieden. Wie der erkennende Senat bereits in seinen Urteilen vom 8. Februar 1979 (aaO) ausgeführt hat, erlangt der Versicherte einen Anspruch auf Ersatz seines Eigenbeitrages gegenüber dem Rentenversicherungsträger insoweit, als er von dem öffentlichen Träger herangezogen wird (vgl auch BSGE 9, 112, 122). Die hierdurch entstehende Spaltung der Kostenträgerschaft insofern, als ein Teil der Behandlungskosten vom öffentlichen Träger, ein anderer jedoch vom Rentenversicherungsträger zu tragen ist, muß im Interesse des Kranken in Kauf genommen werden. Über derartige Ansprüche des Versicherten war jedoch im vorliegenden Verfahren nicht zu befinden. Schließlich ist auch die Beigeladene nicht zur Tragung der dem Kläger entstandenen Kosten verpflichtet. Durch den Wegfall der Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers entsteht gemäß § 1244a Abs 7 Satz 3 RVO keine Verpflichtung des Krankenversicherungsträgers; es verbleibt bei der in § 1244a Abs 3 Sätze 2 und 3 RVO enthaltenen Freistellung des Krankenversicherungsträgers für die stationäre Tbc-Behandlung (so Urteil des erkennenden Senats vom 8. Februar 1979 - 4 RJ 29/78 - im Anschluß an die Rechtsprechung des 3. Senats in SozR 2200 § 1244a Nr 8 und Nr 14).

Die Revision des Klägers war nach alldem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654857

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