Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 22.03.1988) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. März 1988 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei einem Steuerklassenwechsel zwischen Ehegatten, durch den die Steuerklasse dem Verhältnis der beiderseitigen Einkommen angenähert wird, das Arbeitslosengeld (Alg) dennoch nach der für den Berechtigten noch ungünstigeren Steuerklasse zu berechnen ist, die dem Verhältnis beider Einkommen entspricht.
Die Klägerin ist verheiratet. Beide Ehepartner waren berufstätig. Für das Jahr 1985 wählten die Eheleute für die Klägerin die Steuerklasse III und für ihren Ehemann die Steuerklasse V. Zum 1. Februar 1985 wechselten beide Eheleute die Steuerklasse und wählten die Kombination IV/IV. Zu diesem Zeitpunkt verdiente der Ehemann monatlich 3.900,–DM, die Klägerin 1.641,– DM.
Am 12. Februar 1985 kündigte die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis zum 31. März 1985 wegen nicht ortsüblicher Bezahlung und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte Alg unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe D (Steuerklasse V), wobei gemäß § 112 Abs 7 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ein Arbeitsentgelt von 655,– DM wöchentlich nach BAT Kr IV zugrundegelegt wurde (Bescheid vom 17. Februar 1986, Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 1986).
Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides abgeändert und die Beklagte verurteilt, bei der Berechnung des Alg die Steuerklasse IV zugrunde zu legen. Der weitergehende Antrag auf Berücksichtigung der Steuerklasse III wurde abgewiesen (Urteil des SG Lüneburg vom 31. August 1987). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG geändert, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, und die Klage auch insoweit abgewiesen (Urteil des LSG Niedersachsen vom 22. März 1988). Gemäß § 113 Abs 2 Satz 2 AFG sei beim Steuerklassenwechsel während eines Kalenderjahres die Lohnsteuerklasse zu berücksichtigen, die dem Verhältnis der Einkommen beider Ehegatten im Zeitpunkt des Steuerklassenwechsels entspreche. Dies sei für die Klägerin die Steuerklasse V gewesen. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen seien nicht ersichtlich.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, der Steuerklassenwechsel sei im Hinblick auf ihre Tätigkeit und das ihr in ihrem Beruf regelmäßig zustehende Gehalt sachlich gerechtfertigt gewesen; die Einkünfte hätten nur wegen Unterbezahlung in ihrer bis März 1985 ausgeübten Tätigkeit den Verhältnissen beider Einkommen nicht entsprochen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf das angefochtene Urteil.
Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) entschieden wird.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht die Berechnung des Alg der Leistungsgruppe D (Steuerklasse V) zugrunde gelegt.
Die Klägerin weist allerdings zutreffend darauf hin, daß bei der Berechnung des Alg gemäß § 113 Abs 1 AFG regelmäßig von der Steuerklasse auszugehen ist, die am Anfang des Jahres in der Steuerkarte eingetragen war. Dies war bei der Klägerin die Steuerklasse III und dementsprechend wäre ihr Alg-Anspruch, wenn es dabei verblieben wäre, nach der Leistungsgruppe C zu berechnen gewesen, ohne daß es auf das Verhältnis ihres Einkommens zu dem Einkommen ihres Ehemanns angekommen wäre. Auch Änderungen der Steuerklassen sind regelmäßig ohne derartige Prüfungen vom Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens an zu berücksichtigen (§ 113 Abs 1 Satz 2 AFG). Ausgenommen hiervon ist lediglich der Steuerklassenwechsel zwischen Ehegatten (§ 113 Abs 2 Satz 2 AFG).
Die für den Regelfall vorgesehene Orientierung an der eingetragenen Steuerklasse dient der Verwaltungsvereinfachung. Die Vorstellung des Gesetzgebers über die „materiell richtige” Berechnung des Alg bei Verheirateten kommt nicht in diesen Regelbestimmungen, sondern in § 113 Abs 2 Satz 2 AFG zum Ausdruck. Dort ist vorgesehen, daß bei einem Steuerklassenwechsel der Ehegatten die Steuerklasse zugrunde zu legen ist, die dem Verhältnis beider Arbeitslöhne entspricht. Der Gesetzgeber macht darin deutlich, daß sich das Alg nicht unbedingt an dem bisherigen Nettoentgelt orientieren soll, sondern möglichst an der „richtigen” Lohnsteuerklasse. In den Materialien zum Steuerentlastungsgesetz 1981, auf das die heutige Fassung des § 113 Abs 2 AFG zurückgeht, wurde zwar nur erläutert, die neue Regelung stelle sicher, daß der Steuerklassenwechsel immer berücksichtigt werde, wenn er objektiv geboten war (BT-Drucks 8/3901 S 77). Diese Bemerkung bezog sich darauf, daß ein Steuerklassenwechsel in der vorangehenden Fassung des 5. AFG-ÄndG nur auf Antrag berücksichtigt wurde. Damit ist jedoch der Inhalt der Neuregelung nur teilweise erfaßt. Objektiv wird der Grundsatz aufgestellt, daß bei Ehegatten die Alg-Berechnung möglichst nach der Steuerklasse erfolgen soll, die dem Verhältnis der Arbeitslöhne der Ehepartner entspricht.
Die durchgängige Sicherstellung dieses Grundsatzes würde allerdings zu einem größeren Verwaltungsaufwand führen, weil die Beklagte dann stets bei Eintritt der Arbeitslosigkeit von Verheirateten auch den bisherigen Arbeitslohn des Ehepartners überprüfen müßte. Der Gesetzgeber hat deshalb für den Regelfall darauf verzichtet, offenbar in der Einschätzung, daß bei der Ausstellung neuer Lohnsteuerkarten die Möglichkeit von Manipulationen zu Lasten der Arbeitslosenversicherung einerseits und von Fehlern zu Lasten des Versicherten andererseits (zu letzterem s Urteil des erkennenden Senats vom 27. September 1989 – 11 RAr 63/88 –), keinen so bedeutsamen Umfang habe, daß er nicht im Interesse der Zügigkeit des Verwaltungsverfahrens hingenommen werden könne.
Beim Steuerklassenwechsel zwischen Ehegatten, der gemäß § 39 Abs 5 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einmal im Jahr möglich ist, hat der Gesetzgeber jedoch die Gefahr von Manipulationen (oder auch Fehlern) für gewichtiger angesehen und deshalb eine Überprüfung vorgesehen. Es sollte vermieden werden, daß durch beliebige Eintragung einer günstigeren Steuerklasse für den Ehegatten, der demnächst arbeitslos wird, zu Lasten der Versichertengemeinschaft ein höheres Alg erzielt wird.
Wenn aber der Gesetzgeber in solchen Fällen das Arbeitsamt verpflichtet, im einzelnen die „materielle Richtigkeit” der Steuerklassenwahl zu überprüfen, so ist auch das Alg nach dem Ergebnis dieser Prüfung zu berechnen.
Die Klägerin meint allerdings, daß im vorliegenden Fall deshalb eine andere Entscheidung geboten sei, weil ohne den Steuerklassenwechsel ihr Alg-Anspruch noch höher gewesen wäre und sie durch ihren Steuerklassenwechsel bereits erreicht habe, daß der Betrag des Alg sich dem materiell richtigen Wert angenähert habe. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß die Hinnahme der am Beginn des Jahres eingetragenen Steuerklassenwechsel lediglich der Verwaltungsvereinfachung dient. Sobald dieser Grund wegfällt, gibt es keine Handhabe mehr, eine Steuerklasse zugrunde zu legen, die nicht den materiellen Vorstellungen des Gesetzgebers entspricht. Wenn schon Verwaltungsaufwand betrieben werden muß, muß auch gesichert sein, daß er möglichst zu dem materiell richtigen Ergebnis führt. Darauf hat auch das LSG hingewiesen.
Die Klägerin bestreitet darüber hinaus, daß die von der Beklagten als richtig angesehene Steuerklassenkombination (Steuerklasse V für die Klägerin/Steuerklasse III für den Ehemann) dem Verhältnis der Arbeitslöhne beider Ehegatten entsprach. Zwar stellt sie nicht in Frage, daß sie beim Wirksamwerden des Steuerklassenwechsels im Februar 1985 erheblich weniger verdiente als ihr Ehemann. Dies habe aber lediglich an einer ihrer Arbeit nicht entsprechenden Unterbezahlung gelegen, weshalb sie dann die Stelle auch bald aufgegeben habe. Lege man den regelmäßigen Verdienst in ihrem Beruf als Krankenschwester zugrunde, so müsse von Verdiensten ausgegangen werden, die sich dem Einkommen des Ehemanns erheblich annähern. Diese Überlegungen der Klägerin decken sich jedoch nicht mit der gesetzlichen Regelung. Der Gesetzgeber hat auch insoweit aus Verwaltungsvereinfachungsgründen die Prüfungen darauf beschränkt, ob die Arbeitslöhne der Ehegatten an dem Tage, an dem der Steuerklassenwechsel wirksam wird, offensichtlich nicht der Steuerklassenkombination entsprechen. Die von der Klägerin gewünschten Prüfungen würden dazu nötigen, in jedem Fall zu klären, ob der bisherige Arbeitslohn der ausgeübten Tätigkeit angemessen war und welche Verdienste der Arbeitslose in Zukunft erzielen konnte. Allerdings mußte im Falle der Klägerin das Arbeitsamt die letztgenannten Überlegungen ohnehin anstellen, weil das Alg nach § 112 Abs 7 AFG zu berechnen war. Insoweit kann aber kein Unterschied gemacht werden zwischen denen, deren Alg nach § 112 Abs 1 ff AFG zu berechnen ist und denen, deren Alg auf Abs 7 beruht.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelungen bestehen, soweit die Klägerin betroffen ist, nicht. Insbesondere kann sie nicht geltend machen, im Verhältnis zu anderen Versicherten unter Verstoß gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) nicht sachgerecht eingestuft worden zu sein; denn für die getroffene Regelung gibt es sachliche Gründe. Die Begünstigung anderer Versicherter, die keinen Steuerklassenwechsel vorgenommen haben und den Vorteil einer besonders günstigen, am Jahresanfang eingetragenen Steuerklasse genießen, ist durch das Ziel der Verwaltungsvereinfachung sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber muß in einer Massenverwaltung, wie der Arbeitslosenversicherung, sicherstellen, daß trotz der großen Zahl von Vorgängen die Leistungen zügig berechnet und ausgezahlt werden können. Es ist ihm dabei nicht verwehrt, eine aus Verwaltungsvereinfachungsgründen eingeräumte Vergünstigung dort zurückzunehmen, wo die Gefahr von Manipulationen besonders groß ist; eine solche Unterscheidung ist nicht willkürlich.
Die geltende Regelung verstößt auch nicht gegen Art 3 Abs 2 GG. Es ist zwar richtig, daß die Steuerklassenkombination IV/IV am besten der Gleichberechtigung von Eheleuten entspricht und im Bewußtsein vieler allein in Betracht kommt, wenn beide Einkommen haben. Daraus muß der Gesetzgeber aber nicht die Folgerung ableiten, daß das Alg stets auf der Basis dieser Steuerklassenkombination berechnet wird. Es genügt, daß den Eheleuten freisteht, diese Kombination zu wählen und, daß sie sowohl bei Eintragung anläßlich der Heirat (vgl BSGE 52, 227) als auch bei erstmaliger Ausstellung einer Steuerkarte für den anderen Ehegatten oder beide Ehegatten im Laufe des Jahres (vgl LStR 1986 Abschn 77 Abs 2) als auch bei Eintragung in die Steuerkarte zum Jahresanfang für die Berechnung des Alg wirksam wird. Damit werden die meisten Fälle erfaßt. In den Fällen des willkürlichen Steuerklassenwechsels hatte der Gesetzgeber aber außerdem die Möglichkeit von Manipulationen einerseits und ungewollten Nachteilen andererseits mit zu bedenken. Darin liegt angesichts seiner Gestaltungsfreiheit ein hinreichender sachlicher Grund dort die Kombination IV/IV nur zu berücksichtigen, wenn die beiderseitigen Arbeitsverdienste dieser Kombination nicht offensichtlich widersprechen.
Das alleinige Abstellen auf das Verhältnis der Einkommen im Zeitpunkt, in dem der Steuerklassenwechsel wirksam wird, erscheint zwar nicht uneingeschränkt sachgerecht (vgl dazu Gagel, AFG, § 113 Anm 62 und 64). Im Falle der Klägerin hat sich aber bis zum Beginn der Arbeitslosigkeit keine Einkommensänderung ergeben, deren Berücksichtigung unter Gesichtspunkten der Gleichbehandlung erforderlich sein könnte. Auch hat sie das niedrige Einkommen, das hier ausschlaggebend ist, nicht nur zufällig in den Tagen erzielt, in denen der Steuerklassenwechsel wirksam wurde, sondern immerhin über einen Zeitraum von einem Jahr. Eine generelle Verpflichtung des Gesetzgebers, die Berechnungselemente des Alg möglichst an dem Arbeitsentgelt zu orientieren, das der Versicherte verdienen könnte, läßt sich aus dem Grundgesetz nicht ableiten.
Der Revision war deshalb der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen