Leitsatz (redaktionell)
Die nach der Lohngruppe 2 über Tage der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau bezahlten Tätigkeiten sind gegenüber der des Grubenschweißers (Lohngruppe 1 a unter Tage zuzüglich 10 % Erhöhung) bei einer relativen Lohndifferenz zwischen 20,3 und 20,6 % nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig iS von RKG § 45 Abs 2.
Nach der ab 1966-06-01 geltenden Lohnordnung sind einige der bisher in Lohngruppe 2 über Tage geführten Tätigkeiten in die Lohngruppe 1 über Tage aufgerückt (zB Lampenstubenaufseher, Stellwerkswärter) und seither bei einem Lohnabfall von etwa 17% der Tätigkeit des Grubenschweißers im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig iS von RKG § 45 Abs 2.
Normenkette
RKG § 45 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. November 1964 aufgehoben, soweit es den Anspruch des Klägers auf Gewährung der Bergmannsrente über den 31.Mai 1966 hinaus betrifft.
Insoweit wird der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Gründe
I
Der im Jahre 1923 geborene Kläger war bis zu seiner Einberufung zum Wehrdienst im März 1941 als Jungbergmann und Schlepper im Schichtlohn tätig. Nach Kriegsdienst, Gefangenschaft und anschließender Tätigkeit als selbständiger Fuhrunternehmer arbeitete er wieder von Dezember 1948 bis Februar 1951 im Bergbau als Lehrhauer; auf einer Schürfstelle wurde er auch als Hauer geführt. Danach wurde er Hilfsarbeiter in der Metallindustrie, wo er sich Kenntnisse im Schweißen aneignete und dann als Schweißer eingesetzt wurde. Im März 1953 wurde er wieder im Bergbau und zwar als Grubenschweißer (Lohngruppe I unter Tage der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau = LGr I u.T.) angelegt. Anschließend arbeitete er von Februar 1957 bis April 1958 als Maschinist (LGr II u. T.); diese Tätigkeit wurde durch eine Lehrhauertätigkeit von viereinhalb Monaten unterbrochen. Nach einer Krankheitszeit wurde er im August 1958 zunächst als Hilfsarbeiter über Tage und später als Pförtner eingesetzt.
Seinen Rentenantrag vom 10. Juli 1958 lehnte die Beklagte unter Verweisung auf eine Reihe von Tätigkeiten über und unter Tage ab; sie ging dabei vom Beruf eines Grubenschweißers ohne ordentliche Berufsausbildung aus. Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 1.Juli 1958 Bergmannsrente zu gewähren. Es nahm an, der Kläger könne nur noch Arbeiten der LGr II und III über Tage (übT) verrichten, die der Tätigkeit eines Lehrhauers aber nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig seien. Von dieser Tätigkeit des Klägers sei auszugehen, weil der Kläger die Gedingearbeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe.
Zum gleichen Ergebnis gelange man aber auch, wenn man von der Tätigkeit als Grubenschweißer ausgehe, da die in Betracht kommenden Übertagetätigkeiten nicht eine ähnliche Ausbildung erforderten wie der Beruf des Grubenschweißers.
Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) ging allerdings davon aus, daß die Aufgabe der Gedingearbeit nicht zwingend erforderlich gewesen sei, daß ferner die spätere kurzzeitige Lehrhauertätigkeit des Klägers im Jahre 1957 nur einen auf Kosten der Gesundheit unternommenen mißglückten Arbeitsversuch darstelle und daß daher als Hauptberuf des Klägers die Tätigkeit eines Grubenschweißers anzusehen sei. Entsprechend seiner lohnmäßigen Einstufung durch die Betriebsleitung müsse seine Tätigkeit aber gleich derjenigen eines gelernten Grubenhandwerkers bewertet werden. Es sei daher vom Beruf eines gelernten Grubenhandwerkers mit einem für Schweißer um 10 v.H. erhöhten tariflichen Schichtlohn der LGr I u.T. nebst tariflicher Sonderzulage und seit der Lohnordnung vom 1. Oktober 1960 mit einem um 10 v.H. erhöhten Schichtlohn der LGr Ia u.T. auszugehen. Höherwertige Tätigkeiten als allenfalls solche der LGr II (vor dem 1. Oktober 1960 der LGr III) übT - etwa als Lampenstubenaufseher, 2. Maschinist oder Schalttafelwärter - könne der Kläger unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustandes, seiner Ausbildung und seiner Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr verrichten. Beim lohnmäßigen Vergleich des Hauptberufs mit den Verweisungstätigkeiten ergebe sich nach den für die Zeit seit Antragstellung maßgeblichen Lohnordnungen ein Lohnabfall von etwa 20,4 v.H.; eine solche relative Lohndifferenz könne einem Schichtlöhner im Rahmen der Verweisung auf geringer entlohnte Tätigkeiten nicht mehr zugemutet werden. Zwar sei in der Lohnordnung vom 1. Juli 1964 diese Differenz auf 19,91 v.H. abgesunken, jedoch sei der inzwischen verstrichene Zeitraum zu kurz, um auf eine auch in Zukunft bleibende Lohndifferenz von weniger als 20 v.H. schließen zu können. Der Kläger sei somit vermindert bergmännisch berufsfähig.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 45 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG). Der Kläger könne im Rahmen dieser Vorschrift noch auf die Tätigkeiten als Lampenstubenaufseher, 2. Maschinist oder sonstiger Schalttafelwärter, die vor dem 1.Oktober 1960 zur LGr III übT, seither aber zur LGr II übT gehörten, verwiesen werden. Ein Lohnabfall von etwa 20,4 v.H. sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für einen Grubenschweißer noch als tragbar anzusehen. Der Verweisung auf solche Tätigkeiten stehe auch nicht etwa entgegen, daß es sich dabei nicht um solche "von Personen mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten" handele. Die Anforderungen an die Verweisungstätigkeiten, die insoweit für die Verweisung eines Hauers gestellt würden, könnten nicht uneingeschränkt auch für die Verweisung anderer Bergleute gelten. Wenn ein Lehrhauer mit abgeschlossener Berglehre auf Arbeiten der LGr I übT verwiesen werden könne, so sei dem gelernten Handwerker die Verweisung auf Tätigkeiten der LGr II übT zuzumuten, da sonst eine mit dem Sinn und Zweck der Bergmannsrente nicht zu vereinbarende Bevorzugung der knappschaftlich versicherten Handwerker eintreten würde. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, daß der Kläger allenfalls über eine Anlernung zur Tätigkeit des Grubenschweißers gelangt sei und sie auch nur kurze Zeit verrichtet habe.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Dortmund vom 4. Oktober 1962 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für richtig und weist darauf hin, daß die tatsächliche Lohneinbuße eines Grubenhandwerkers bei Verweisung auf Tätigkeiten übT noch durch den Wegfall der Bergmannsprämie erhöht werde.
II
Die Revision der Beklagten ist nur zum Teil begründet. Das LSG ist nach den von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu Recht von der Grubenschweißertätigkeit des Klägers als seiner "bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit" im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG ausgegangen. Der Kläger hatte sich zunächst von der Gedingearbeit, ohne daß es aus gesundheitlichen Gründen erforderlich gewesen wäre, gelöst; sie schied damit als bisher verrichtete knappschaftliche Tätigkeit aus. Die später noch einmal kurzfristig ausgeübte Lehrhauertätigkeit mußte hierbei unberücksichtigt bleiben, weil der Kläger damals bereits nicht mehr gedingetauglich war, er diese Tätigkeit also von vornherein nur auf Kosten seiner Gesundheit verrichten konnte (vgl. Urteil des Senats vom 10. Dezember 1964 - SozR RKG § 35 aF Nr. 24).
Das LSG hat auch zu Recht erkannt, daß bei dem nach § 45 Abs. 2 RKG anzustellenden Tätigkeitsvergleich die Arbeit des Klägers als die eines gelernten Grubenhandwerkers zu bewerten ist, obgleich er eine eigentliche Handwerkerlehre nicht durchlaufen hat. Nachdem er zunächst als Bergjungmann, Schlepper und Lehrhauer eine bergmännische Ausbildung erhalten und danach außerhalb des Bergbaus Kenntnisse und Erfahrungen als Elektroschweißer erworben hatte, ist er hinreichend lange Zeit wie ein gelernter Grubenhandwerker nach der Arbeitergrad-Schlüssel-Nr. 118 beschäftigt und entlohnt worden, um seine Tätigkeit entsprechend bewerten zu können.
Da das LSG festgestellt hat, daß für den Kläger nach seinem Gesundheitszustand, seiner Ausbildung sowie seinen Kenntnissen und Fähigkeiten keine höherwertigen knappschaftlichen Arbeiten als allenfalls solche in Betracht kommen, die für die Zeit vor dem 1.Oktober 1960 in der LGr III übT und danach in der LGr II übT geführt werden, bedarf es der Prüfung, ob diese Tätigkeiten der Arbeit eines gelernten Grubenhandwerkers (Schweißer) im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind. Dem Vergleich sind daher zugrunde zu legen: für die Zeit vor dem 1. Oktober 1960 einerseits der Lohn der LGr I u.T. (erhöht um 10 v.H. und um die Sonderzulage), andererseits der Lohn der LGr III übT; für die Zeit seit dem 1.Oktober 1960 einerseits der Lohn der LGr Ia u.T. (erhöht um 10 v.H.), andererseits der Lohn der LGr II übT. Die Bergmannsprämie für Untertagearbeiter muß hierbei, auch nach Inkrafttreten des Gesetzes vom 19. Dezember 1963, außer Betracht bleiben, da sie arbeitsrechtlich nicht als Lohnbestandteil und sozialversicherungsrechtlich nicht als Einkommen gilt, insbesondere aber von ihr keine Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung erhoben werden (vgl. Urteile des Senats in BSG 13, 29, 31 und in SozR RKG § 45 Nr. 21).
Bei diesem Lohnvergleich ergibt sich eine relative Lohndifferenz zwischen 20,3 und 20,6 v.H.; der Senat schließt sich der Auffassung des LSG an, daß sich ein solcher Lohnabfall nicht mehr im Rahmen der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit hält. Zwar ist bei der Verweisung eines Hauers auf Tätigkeiten der LGr I u.T. ein Lohnabfall um 20,7 v.H. noch als zumutbar angesehen worden (BSG 13, 29). Hierbei wurde jedoch ausdrücklich der Gesichtspunkt berücksichtigt, daß bei höheren Einkommen auch eine prozentual höhere Einkommenseinbuße in Kauf genommen werden kann; der Schichtlohn der Grubenhandwerker liegt aber erheblich unter dem Gedingerichtsatz für Hauer. Nun ist allerdings nach den Lohnordnungen vom 1.Juli 1964 und 1.Januar 1965 die relative Lohndifferenz zwischen den hier zu vergleichenden Tätigkeiten auf knapp unter 20 v.H. gesunken. Es kann dahinstehen, ob diese Änderung bereits ausgereicht haben würde, die Frage nach der Gleichwertigkeit anders zu beurteilen. Denn diese Änderung hat sich nicht als konstant erwiesen; sie wurde bereits in der Lohnordnung vom 1.Juni 1966 dahin korrigiert, daß der relative Lohnabfall nunmehr wieder 20,8 v.H. beträgt. Da eine nur vorübergehende Verschiebung für die Beurteilung der Gleichwertigkeit nicht berücksichtigt werden kann, bleibt es also dabei, daß die Tätigkeiten der LGr II übT nach wie vor der Tätigkeit eines gelernten Grubenschweißers nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind.
Die Lohnordnung vom 1. Juni 1966 enthält nun aber zugleich auch eine Neueinstufung und damit Neubewertung einer Reihe von Tätigkeiten. So sind von den Arbeiten der LGr II übT die des Lampenstubenaufsehers und des Stellwerkswärters in die Lohngruppe I aufgerückt. Diese Tätigkeiten sind seither bei einem Lohnabfall von etwa 17 v.H. der Tätigkeit eines Grubenschweißers im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Da es sich hierbei um eine Änderung von Rechtsnormen handelt (vgl. SozR Nr. 9 zu RKG § 35 aF), ist sie auch im Revisionsverfahren noch zu berücksichtigen. Für die Entscheidung der Frage, ob der Kläger auch seit dem 1.Juni 1966 noch vermindert bergmännisch berufsfähig ist, bedarf es daher noch der Prüfung, ob er auf solche nunmehr höher bewerteten Tätigkeiten verwiesen werden kann. In dem angefochtenen Urteil ist nicht positiv festgestellt, welche bestimmten Arbeiten der LGr II übT der Kläger nach seinem Gesundheitszustand noch verrichten kann und welche nicht. Diese Feststellung wird das LSG für die nunmehr in LGr I aufgerückten Tätigkeiten noch treffen müssen. Es ist weiter zu prüfen, ob die Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers, insbesondere seine beruflichen Erfahrungen als Lehrhauer und Grubenschweißer ausreichen, eine dieser Tätigkeiten ohne besondere Umschulung oder längere Einarbeitung zu verrichten. Ferner bedarf es noch der Prüfung, ob es sich dabei um eine Arbeit "von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten" handelt. Hierbei ist nach der Rechtsprechung des Senats (SozR RKG § 45 Nr. 22 und Urteil vom 1.Juli 1966 - 5 RKn 6/64 -) davon auszugehen, daß solche Tätigkeiten, die dem Hauptberuf im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind, regelmäßig auch entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzen, es sei denn, ihre Einstufung beruhe im wesentlichen auf anderen Gründen (z.B. bei schweren oder gefährlichen Arbeiten oder bei besonders ungünstigen Arbeitsbedingungen); auf Art und Dauer der Ausbildung, mit der die im wesentlichen gleichwertigen Kenntnisse und Fähigkeiten erlangt worden sind, kommt es dabei nicht entscheidend an. Käme hiernach nur noch eine einzige Tätigkeitsart für die Verweisung des Klägers in Betracht, so bliebe schließlich noch zu prüfen, ob es hierfür im Bergbau-Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang gibt (vgl. BSG 5, 84 zum Brückenaufseher).
Für die Zeit vom 1.Juni 1966 an bedarf es daher noch tatsächlicher Feststellungen, die der Senat selbst nicht treffen kann; insoweit ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Da der Anspruch des Klägers auf Bergmannsrente für die vorhergehende Zeit begründet ist, muß die Revision der Beklagten im übrigen zurückgewiesen werden.
Fundstellen