Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollmachtlose Prozeßführung
Leitsatz (redaktionell)
Eine zunächst vollmachtlose Prozeßführung vor dem SG kann nachträglich dadurch genehmigt werden, daß die schriftliche Vollmacht im Berufungsverfahren nachgeholt oder die vollmachtlose Prozeßführung stillschweigend geduldet wird; alsdann wirkt die Prozeßführung des so Bevollmächtigten für und gegen den Beteiligten.
Normenkette
SGG § 73 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1953-09-03, § 106 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 14. Februar 1975 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Ehemann der Klägerin - Rudi Z (Z.) - ist am 27. Juni 1976 während des anhängigen Revisionsverfahrens gestorben. Er bezog von der Beklagten eine Dauerrente von 20 v. H. der Vollrente. Die Beklagte entzog diese Rente durch Bescheid vom 24. Mai 1973 mit Ablauf des Monats Juni 1973, da in den Folgen des Arbeitsunfalls vom 3. November 1967 eine wesentliche Besserung eingetreten sei: die Beweglichkeit des rechten Daumengrundgelenks und des rechten Zeigefingers sei besser geworden. Gegen diesen Bescheid, der am 25. Mai 1973 bei der Post eingeliefert wurde, hat mit einem am 22. Juni 1973 bei dem Sozialgericht (SG) für das Saarland eingegangenen Schriftsatz vom 20. Juni 1973 der Kreisgeschäftsführer R vom Verband der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten und Sozialrentner Deutschlands (VdK), Landesverband S, Kreisverband O, Klage erhoben und - neben anderen - sich selbst als Bevollmächtigten des Z. bezeichnet. In der beigefügten, von Z. am 20. Juni 1973 schriftlich erteilten Vollmacht auf Vertreter des VdK, Landesverband Saarland, sind 6 Namen aufgeführt, nicht jedoch derjenige des Herrn R. Die Klagebegründung, die am 16. Juli 1973 bei dem SG eingegangen ist, hat der schriftlich Bevollmächtigte P unterzeichnet. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 6. Juni 1974 ist - in Anwesenheit des Z. - der ebenfalls schriftlich Bevollmächtigte L, am 14. November 1974 der Bevollmächtigte P aufgetreten. Das SG hat nach Beweiserhebung durch Urteil vom 14. November 1974 die Klage abgewiesen, da durch Anpassung und Gewöhnung eine wesentliche Besserung in den Unfallfolgen eingetreten sei.
Gegen das am 17. Dezember 1974 zugestellte Urteil hat Z. am 10. Januar 1975 - durch den Bevollmächtigten P - Berufung eingelegt und diese am 22. Januar 1975 - durch den Bevollmächtigten L - damit begründet, nach dem von Dr. S auf Anforderung des SG erstatteten Gutachten sei eine wesentliche Besserung nicht eingetreten, die Verletztenrente müsse deshalb über den 30. Juni 1973 hinaus weitergewährt werden.
In der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 1975 war Z. durch den Bevollmächtigten L vertreten. Das Landessozialgericht (LSG) hat ohne weitere Beweiserhebung die Berufung durch Urteil vom 14. Februar 1975 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klage sei unzulässig, da sie von dem Kreisgeschäftsführer R als vollmachtlosem Vertreter erhoben worden sei. Die versäumte Erteilung der schriftlichen Vollmacht könne nicht mehr nachgeholt werden, wenn das Gericht, für dessen Verfahren die Vollmacht gelten solle, seine Entscheidung verkündet habe. § 73 Abs. 3 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) solle lediglich verhindern, daß sich der Beteiligte den Mangel der Schriftlichkeit einer Vollmacht zunutze machen könne, wenn die Prozeßführung nicht zu dem von ihm gewünschten Ergebnis geführt habe. Das spätere Auftreten der ordnungsgemäß Bevollmächtigten habe nicht zur Zulässigkeit der Klage geführt, da eine auf R lautende Untervollmacht von diesen nicht erklärt worden sei. Unerheblich sei auch, daß das SG möglicherweise die sich aus § 106 Abs. 1 SGG ergebende Pflicht, auf die Beseitigung von Formfehlern hinzuweisen, verletzt habe und das Verfahren deshalb an einem wesentlichen Mangel leide. Ein solcher Mangel würde jedenfalls nicht die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das SG rechtfertigen. Diese könnten nur dem Zweck dienen, den Mangel zu beheben, also auf die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht zu dringen. Nach der zu erwartenden Behebung des Mangels müßte das SG erneut eine Sachentscheidung treffen. Dies hätte zur Folge, daß das LSG im Falle der Berufungseinlegung seine Entscheidung nicht mehr auf die Unzulässigkeit der Klage stützen könnte, sondern materiell entscheiden müßte. Damit würde aber auf einem Umweg ein Ergebnis erzielt, das der Rechtslage, daß ein Versäumnis der Erteilung einer schriftlichen Vollmacht in der Berufungsinstanz nicht mehr behoben werden könne, völlig zuwiderliefe. Deshalb sei der geschilderte Umweg nicht gangbar, die Klage folglich als unzulässig abzuweisen. Einer ausdrücklichen Korrektur der Urteilsformel in der erstinstanzlichen Entscheidung bedürfe es nicht, da die Entscheidungsgründe des LSG-Urteils klarstellten, daß das SG die Klage als unzulässig und nicht als unbegründet hätte abweisen müssen.
Auf die Beschwerde des Z. gegen die Nichtzulassung der Revision hat der erkennende Senat durch Beschluß vom 23. Oktober 1975 (2 BU 31/75) die Revision zugelassen.
Die Revision rügt, das LSG hätte die Klage nicht als unzulässig abweisen dürfen, vielmehr in der Sache über den erhobenen Anspruch auf Weitergewährung der Dauerrente entscheiden müssen. Durch den Schriftsatz vom 13. Juli 1973 zur Begründung der Klage, jedenfalls aber durch sein Auftreten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 14. November 1974, habe der schriftlich Bevollmächtigte P die Prozeßführung des Geschäftsführers R genehmigt. Unabhängig davon hätte das LSG bei dem von ihm angenommenen Mangel der Vollmacht nach § 106 Abs. 1 SGG auf die Beseitigung des vermeintlichen Formfehlers hinwirken müssen. Denn nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. März 1971 - 6 RKa 16/70 - (BSG 32, 253) könne auch nach Verkündung der gerichtlichen Entscheidung ein Mangel der Vollmacht noch durch nachträgliche Genehmigung geheilt werden. Z. hätte auf einen entsprechenden Hinweis des LSG die erforderliche Bevollmächtigung sofort vorgenommen. Mit der Revisionsbegründung ist eine auf den 20. Juni 1973 datierte schriftliche Vollmacht des Z. vorgelegt worden, die u. a. auf A. R lautet.
Nach dem Tod des Z. hat die Klägerin als Rechtsnachfolgerin den Rechtsstreit fortgesetzt.
Sie beantragt,
das Urteil des LSG vom 14. Februar 1975 aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht hat das LSG zutreffend die Klage als unzulässig abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Klägerin ist als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Verletzten befugt, den Rechtsstreit fortzusetzen (vgl. § 56 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil).
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung an das LSG begründet.
Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 1973 über die Entziehung der Dauerrente ist von dem Kreisgeschäftsführer R (R.) vom VdK, Kreisverband O, erhoben worden, und zwar im Namen des Z. für diesen, wie sich schon aus dem Hinweis in der Klageschrift ergibt, R. sei - neben anderen Verbandsvertretern - Bevollmächtigter des Z. Eine auf R. lautende schriftliche Vollmacht ist bis zur Verkündung der vorinstanzlichen Entscheidungen nicht zu den Akten eingereicht worden. Die Erteilung und die Einreichung der schriftlichen Vollmacht könne zwar ersetzt werden durch eine mündliche Erklärung zur Niederschrift des Gerichts (§ 73 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGG). Aber auch dies ist nicht geschehen. R. war somit vollmachtsloser Vertreter (vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 11. Aufl., § 55 I). Die von ihm erhobene Klage war zunächst nur vorläufig - schwebend - wirksam (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Aufl., S. 234 u III; BSG 32, 253, 254). Z. hätte den Mangel der Vollmacht geltend machen können oder aber - und dies entsprach offensichtlich seinem Interesse und seinem Willen - entweder eine schriftliche Vollmacht bis zur Verkündung der Entscheidung des SG einreichen oder die Vollmacht zur Niederschrift des SG erklären können; damit hätte er Vollmacht für die Zukunft erteilt und zugleich die Prozeßführung für die Vergangenheit genehmigt, der Vollmachtmangel wäre geheilt worden (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand März 1976, Anm. 3 e zu § 73, S. 258/8). Das SG hat - wie offenbar auch Z. und seine Bevollmächtigten - den Mangel übersehen. Es hat deshalb das Fehlen der Vollmacht mit den Beteiligten nicht erörtert und Z. nicht aufgefordert, eine Vollmacht wirksam zu erteilen. Ohne die wirksame Vollmachterteilung zu prüfen, hat das SG über den Anspruch in der Sache entschieden und die Klage abgewiesen. Das LSG dagegen hat die von einem schriftlich Bevollmächtigten des Z. eingelegte Berufung zwar - zutreffend - als zulässig angesehen, jedoch nicht in der Sache über den Anspruch entschieden, sondern die vom SG ausgesprochene Klageabweisung in den Urteilsgründen in eine Prozeßabweisung geändert.
Zu Unrecht hat sich das LSG an der Sachentscheidung über die Klage für gehindert erachtet. Seine Auffassung, die Erteilung einer schriftlichen Vollmacht könne nicht mehr nachgeholt werden, da das Gericht, für dessen Verfahren die Vollmacht gelten solle, seine Entscheidung bereits verkündet habe, ist unzutreffend. Wie der 6. Senat des BSG in seinem Urteil vom 24. März 1971 - 6 RKa 16/70 - (BSG 32, 253 = SozR Nr. 17 zu § 73 SGG) unter Hinweis auf Schrifttum und Rechtsprechung als allgemein anerkannt bezeichnet und näher ausgeführt hat, kann auch nach der Gerichtsentscheidung ein Mangel der Vollmacht in der Rechtsmittelinstanz noch geheilt und damit die Klage von Anfang an voll wirksam gemacht werden, wenn das Gericht - wie hier - den Mangel der Vollmacht übersehen und deshalb irrtümlich in der Sache entschieden hat. Das gleiche hat das BSG (aaO) auch grundsätzlich für den Fall angenommen, daß das Gericht den Mangel der Vollmacht erkannt und die Klage als unzulässig abgewiesen hat (ebenso BVerwG 14, 209; BFH 90, 280 = NJW 1968, 910). Die im ersten Rechtszug versäumte Einreichung einer schriftlichen Vollmacht auf R. hätte daher entgegen der Ansicht des LSG auch im Berufungsverfahren noch nachgeholt werden können.
Unabhängig von der Möglichkeit, die schriftliche Vollmacht nachträglich einzureichen oder zur Niederschrift des LSG zu erklären, durfte die Klage deshalb nicht als unzulässig abgewiesen werden, weil die Prozeßführung des R. stillschweigend genehmigt worden ist. Das LSG hat die Bedeutung des § 73 Abs. 3 Satz 2 SGG nicht richtig erkannt. Nach dieser Vorschrift muß der Beteiligte die Prozeßführung gegen sich gelten lassen, auch wenn er nur mündlich Vollmacht erteilt oder die Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. Das LSG hat ausgeführt, hierdurch solle nur verhindert werden, daß sich der Beteiligte den Mangel der Schriftlichkeit einer Vollmacht zunutze mache, wenn die Prozeßführung nicht zu dem von ihm gewünschten Ergebnis geführt habe. Einen die Anwendung des § 73 Abs. 3 Satz 2 SGG rechtfertigenden Fall sieht das LSG trotz Abweisung der Klage durch das SG hier nicht als gegeben an, offenbar, weil durch die nachträgliche Genehmigung die Klagefrist gewahrt und damit die Bindungswirkung des Bescheides verhindert würde. Die Ansicht des LSG trifft nicht zu. Liegen die Voraussetzungen des § 73 Abs. 3 Satz 2 SGG vor, wirkt die Prozeßführung des so geduldeten Bevollmächtigten für und gegen den Beteiligten, nicht nur gegen ihn (Peters/Sautter/Wolff, aaO; Baumbach/Lauterbach/Albers, 32. Aufl., Zivilprozeßordnung, Anm. 3 zu § 89; Brackmann aaO, S. 234 u II). Die Vorschrift unterscheidet nicht zwischen Prozeßhandlungen, die dem Beteiligten nachteilig und solchen, die für ihn vorteilhaft sind.
Im vorliegenden Fall ist zwar in den Tatsacheninstanzen die Erteilung einer mündlichen Vollmacht auf R. nicht behauptet, auch eine ausdrückliche Genehmigung nicht erteilt worden. Z. und die wirksam von ihm bevollmächtigten Verbandsvertreter haben jedoch durch ihr Verhalten während des gerichtlichen Verfahrens eindeutig zu erkennen gegeben, daß sie die Klageerhebung durch den Kreisgeschäftsführer R. für Z. billigten. Bereits die schriftliche Begründung der Klage ist von dem Bevollmächtigten P eingereicht worden; derselbe Bevollmächtigte ist - in Anwesenheit des Z. - in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem SG am 14. November 1974 aufgetreten und hat Sachanträge gestellt, nachdem schon zuvor in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juni 1974 der ebenfalls schriftlich bevollmächtigte Verbandsvertreter L sowie Z. aufgetreten waren. In diesem Verhalten liegt eine stillschweigende Genehmigung der Klageerhebung, so daß der Mangel der schriftlichen Vollmacht geheilt ist (§ 73 Abs. 3 Satz 2 SGG).
Es kann dahinstehen, ob darüber hinaus die - inzwischen im Revisionsverfahren vorgelegte - schriftliche Vollmacht im Berufungsverfahren zu erteilen und einzureichen gewesen wäre. Denn jedenfalls hätte das LSG, wie es dies schon als Verpflichtung des SG in seinem Urteil angedeutet hat, vor seiner Entscheidung auf die Beibringung der Vollmacht hinwirken müssen (§ 106 Abs. 1 SGG). Nach der Lage des Falles bestand für das LSG kein Anlaß zu der Annahme, die Prozeßvollmacht sei in der Absicht der Prozeßverschleppung oder aus grober Nachlässigkeit nicht im ersten Rechtszug beigebracht worden, so daß offenbleiben kann, ob in einem solchen Fall die nachträgliche Genehmigung einer vollmachtlosen Prozeßführung ausnahmsweise keine den Mangel heilende Wirkung haben würde (vgl. BSG 32, 253, 254; BFH 90, 280, 282).
Da das LSG somit, wie die Revision zutreffend rügt, zu Unrecht ein Prozeßurteil erlassen hat, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.
Fundstellen