Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilbehandlung für kosmetische Fußpflege (Fußnägelschneiden). Leistungsumfang der Pflegezulage. Bindungswirkung bei gesetzwidrigen Versorgungsleistungen. Vertrauensschutz in der Sozialversicherung. Keine generelle Zukunftsbindung aufgrund früherer Leistungsgewährung
Orientierungssatz
1. Die Pflegezulage der Stufe 1 umfaßt auch die Kosten einer kosmetischen Fußpflege (hier: Fußnägelschneiden). Ein spezieller Anspruch auf Fußpflege im Rahmen der Heilbehandlung besteht daher in diesem Fall nicht.
2. Ein Anspruch auf Fußpflege im Rahmen der Heilbehandlung läßt sich auch nicht aus der Tatsache herleiten, daß das Versorgungsamt im Jahr 1976 Fußpflegekosten erstattet und für die Jahre 1977 und 1978 der beigeladenen Krankenkasse eine Kostenzusage erteilt hatte. Eine Bindung auf der Grundlage bisher gewährter Leistungen kennt das Verwaltungsrecht generell nicht.
3. Auch aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes läßt sich ein Anspruch auf Fußpflege als Heilbehandlung nicht herleiten, weil mit der Gewährung von Pflegezulage gemäß § 35 BVG eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist, die die Fußpflegeleistung für die Zukunft ausschließt.
Normenkette
BVG § 35 Abs 1 S 1, § 10 Abs 1, § 62 Abs 1 S 1; SGB 10 §§ 45, 48; SGB 1 § 31 Fassung: 1975-12-11
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 23.03.1982; Aktenzeichen L 4 V 19/81) |
SG Speyer (Entscheidung vom 05.12.1980; Aktenzeichen S 4 V 243/79) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt, ihm Fußpflege (Nägelschneiden) als Heilbehandlung zu gewähren.
Er bezieht die Versorgungsrente eines Erwerbsunfähigen sowie ab 1. Mai 1978 eine Pflegezulage der Stufe I. Als Schädigungsfolgen sind anerkannt: Verlust des rechten Armes, mittelgradige Schwerhörigkeit des rechten Ohres bei durch Vorschaden ertaubtem linken Ohr, knöchern verheilter Schädelbasisbruch ohne wesentliche Folgen.
Seit dem Tode seiner Ehefrau läßt der Kläger seine Fußnägel bei einem zu allen Kassen zugelassenen Fußpfleger schneiden. Im Jahre 1976 erstattete das Versorgungsamt dem Kläger für die selbst durchgeführte Behandlung zweimal die Aufwendungen für das Nägelschneiden unter Hinweis auf den Heilbehandlungscharakter, verwies ihn aber für die Zukunft auf die Inanspruchnahme seiner Krankenkasse, der beigeladenen Barmer Ersatzkasse (BEK), die auch für diese Leistung zuständig sei. Für die Jahre 1977 und 1978 erteilte die Versorgungsbehörde der BEK eine entsprechende Kostenzusage. Für 1979 verweigerte jedoch die Versorgungsverwaltung die Kostenübernahme. Mit Hinweis auf den fehlenden Heilbehandlungscharakter des Fußnägelschneidens lehnte sie durch Bescheid vom 20. März 1979 und Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 1979 auch das Begehren des Klägers ab, ihm den für die Fußpflege aufgewendeten Geldbetrag zu ersetzen und ihm weiterhin Fußpflege zu gewähren.
Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten unter Aufhebung der Verwaltungsbescheide verurteilt, die notwendige Fußpflege als Heilbehandlung zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die zugelassene Berufung des Beklagten das Urteil des SG aufgehoben. Es hat seine Entscheidung ua wie folgt begründet: Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Heilbehandlung nach § 10 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht zu. Bei ihm seien Schädigungsfolgen an den Füßen nicht anerkannt. Das Wachsen der Fußnägel, das allein die Fußpflege erfordere, sei keine Gesundheitsstörung im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Das BVG sehe nicht für jede infolge der Schädigung notwendigen Verrichtung einen Kostenersatz vor, es sei denn, der Umfang derselben rechtfertige es, Pflegezulage zu gewähren. Die vom SG verfügte Aufhebung der Verwaltungsbescheide bleibe jedoch aufrechterhalten. Insoweit sei die Berufung unbegründet. Die beigeladene BEK sei für die Heil- und Krankenbehandlung nach § 18c Abs 2 BVG zuständig. Ihr und nicht der Versorgungsbehörde obliege es mithin, in eigener Verantwortung Bescheide zu erteilen.
Der Kläger hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 10 Abs 1 BVG. Zur Begründung macht er ua geltend: Der Beklagte habe den Anspruch auf Heilbehandlung für die Fußpflege bindend anerkannt. Dieser Versorgungsanspruch könne nur unter den Voraussetzungen des § 62 BVG entzogen werden. Diese seien jedoch nicht gegeben.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz aufzuheben und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen; hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen halten die Revision für unbegründet.
Der Beklagte sowie die Beigeladenen meinen übereinstimmend, das Nägelschneiden sei dem nichtmedizinischen Bereich der Körperpflege zuzurechnen und somit von der Heilbehandlung nach § 10 Abs 1 BVG ausgenommen.
Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland hat Anschlußrevision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 18c Abs 1 und 2 BVG aF. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht die ablehnenden Bescheide des Beklagten aufrechterhalten. Dessen Zuständigkeit für die Erteilung derartiger Bescheide sei entgegen der Meinung des LSG gegeben.
Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland beantragt, das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz insoweit aufzuheben, als es die ablehnenden Bescheide aufrechterhalten hat.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Fußpflege in Form von Nägelschneiden zu. Auch kann er nicht verlangen, daß ihm diese Leistung als Heilbehandlung gem § 10 Abs 1 BVG zukünftig gewährt wird.
Ob es sich bei der Fußpflege überhaupt um Heilbehandlung iS des § 10 Abs 1 BVG handelt, kann hier dahinstehen.
Auch braucht nicht entschieden zu werden, ob der Fußpflegeaufwand bereits von der Grundrente, die der Kläger neben sonstigen Leistungen bezieht, abgedeckt wird (zur Funktion der Grundrente in bezug auf einen Mehrbedarf: BT-Drucks I, 1333, S 43 und 56; BT-Drucks III, 1239, S 21; BT-Drucks IV, 1831, S 13 und die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG-, ua BSGE 30, 21, 25 = SozR Nr 39 zu § 30 BVG; BSGE 33, 112, 117 = SozR Nr 43 zu § 62 BVG; SozR 3100 § 30 Nr 13; BSGE 48, 217, 218 = SozR 1200 § 54 Nr 3; BSGE 50, 196 = SozR 5420 § 2 Nr 20; Urteil des erkennenden Senats vom 17. November 1981 - 9 RV 50/80 -, zur Veröffentlichung bestimmt; s auch BGH NJW 1982, 41 mit Anmerkung von Schwagerl in NJW 1982, 1798).
Jedenfalls kann der Kläger Fußpflege als gesonderte Leistung nicht mehr beanspruchen, nachdem er - ab 1. Mai 1978 - eine Pflegezulage der Stufe I gem § 35 BVG erhält. Diese Zulage wird ihm gewährt, weil er infolge der Schädigung nicht mehr imstande ist, ohne fremde Hilfe die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfange wahrzunehmen (§ 35 Abs 1 Satz 1 BVG). Zu diesen vorgenannten elementaren Grundbedürfnissen rechnen auch die Körperreinigung und die Körperpflege (BSG KOV 1973 S 143 Nr 2133 = VersB 1973 Nr 39; vgl zur Auslegung des Begriffs "Verrichtung" ua BSG BVBl 1963, 95), mithin auch die Fußpflege (so ua auch Reichsversorgungsgericht -RVG- 2, 188). Die Pflegezulage stellt auf den höchstpersönlichen Lebensbereich ab (BSGE 12, 20, 23). Sie will eine Bedarfslage abdecken,die sich aus einer vom unteilbaren Gesamtbefinden bestimmten Hilflosigkeit ergibt (BSG SozR 3100 § 35 Nr 11). Die unter diesem Gesichtspunkt dem Kläger geleisteten finanziellen Zuwendungen umfassen folglich auch die Kosten einer kosmetischen Fußbehandlung.
Steht dem Kläger damit ein spezieller Anspruch auf Fußpflege nicht zu, kann sich eine solche Berechtigung auch nicht aus der Tatsache herleiten, daß der Beklagte dem Kläger im Jahre 1976 Fußpflegekosten als Heilbehandlungskosten erstattet und für die Jahre 1977 und 1978 der beigeladenen BEK eine entsprechende Kostenzusage erteilt hatte.
Eine Bindung auf der Grundlage früher gewährter Leistungen kennt das Verwaltungsrecht generell nicht. Anders als im Arbeitsrecht, das einen solchen Anspruch dann anerkennt, wenn sich eine "betriebliche Übung" (vgl ua BAG AP Nrn 2 und 3 zu § 611 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-, Gratifikation; BAG AP Nrn 8 und 9 zu § 242 BGB, Betriebliche Übung) entwickelt hat, gilt im Sozialrecht der Grundsatz der Gesetzesmäßigkeit der Verwaltung. Im Arbeitsleben basieren die Leistungen im Gefolge betrieblicher Übung auf dem Hintergrund privatautonomer Gestaltung der Vertragsbeziehungen. Der Arbeitgeber kann Mehrleistungen erbringen, muß sich aber bei mehrfacher Wiederholung eine gewisse Bindungswirkung entgegenhalten lassen. Diese Bindung kann er für die Zukunft verhindern, wenn er die Leistungen als freiwillig kennzeichnet oder einen Rechtsanspruch ausschließt. Diese Handlungsfreiheit hat die Behörde in ihrem Verhältnis zum Bürger nicht. Die Sozialverwaltung ist, auch soweit sie Leistungen erbringt, an das sie dazu ermächtigende Gesetz gebunden (§ 31 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - -SGB 1-). Überobligatorische Leistungen sind ihr verwehrt. Die generelle Anerkennung eines Anspruchs aus früher gewährten Leistungen auch für die Zukunft widerspräche dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes.
Ein Anspruch des Klägers auf Fußpflege als Heilbehandlung läßt sich ferner nicht aus der entsprechenden Anwendung der Grundsätze des Vertrauensschutzes herleiten, die bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte (§ 45 SGB - Verwaltungsverfahren - SGB 10 -) zu beachten sind. Dem steht hier zwar nicht entgegen, daß die Fußpflege befristet jeweils nur für ein Jahr bewilligt wurde und demnach noch kein Verwaltungsakt ergangen ist, der zurückgenommen werden müßte, bevor weitere Leistungen abgelehnt werden könnten. Es ist lediglich Voraussetzung, daß die in Frage stehende Leistung der Gewährung einer Dauerleistung rechtsähnlich ist (vgl BVerwGE 52, S 201, 212 f; BVerwG DVBl 1964, 324). Aber selbst wenn man unter den obwaltenden Umständen - Amputation des Gebrauchsarmes, dauernde Unfähigkeit, die Fußnägel selbst zu schneiden - die Rechtsähnlichkeit der Fußpflegeleistung mit einer Dauerleistung bejahte, können die Grundsätze des Vertrauensschutzes (dazu BVerfGE 58/81 ff) keine Fortsetzung dieser Leistung begründen. Fraglich ist schon, ob überhaupt ein Vertrauenstatbestand gegeben ist, da dem Kläger lediglich zweimal - 1976 - die Auslagen für die Fußpflege direkt von dem Beklagten erstattet worden sind. 1977 und 1978 wurde eine Kostenzusage nur gegenüber der BEK erklärt. Jedenfalls ist aber mit der Gewährung der Pflegezulage gem § 35 BVG ab 1. Mai 1978 eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen des Klägers eingetreten, die die Fußpflegeleistung für die Zukunft ausschließt (§ 62 Abs 1 BVG, § 48 SGB 10 analog)
Nach alledem ist die Revision unbegründet. Dagegen ist die fristgemäß eingelegte Anschlußrevision der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland begründet. Entgegen der Meinung des LSG oblag es der Versorgungsverwaltung, über das Leistungsbegehren des Klägers zu entscheiden. Soweit er Erstattung für in der Vergangenheit durchgeführte Fußpflege begehrte, war die Behörde gem § 18 Abs 2 BVG für die Erstattung zuständig. Soweit der Kläger auch für die Zukunft Leistung verlangt, ist auf die Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl Peters/Sautter/Wolff, Komm z Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, 32. Nachtrag, § 54 Anm 6b).Damit findet § 18c Abs 1 und 2 BVG in der Bekanntmachung der Neufassung vom 22. Januar 1982 (BGBl I, S 21, 30) Anwendung. Danach war die Versorgungsbehörde für den Erlaß der Verwaltungsakte zuständig; sie erweisen sich auch insoweit als rechtmäßig. Ihre in erster Instanz erfolgte und in der Berufungsinstanz bestätigte Aufhebung war deshalb zu beseitigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen