Orientierungssatz
Über die Nichtigkeitsfeststellungsklage darf nicht durch Teilurteil entschieden werden, wenn neben der Klage auf Feststellung die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes hilfsweise dessen Aufhebung beantragt ist; denn beiden Anträgen liegt nicht eine Mehrheit von Klageansprüchen, sondern ein einziger Anspruch iS des ZPO § 301 zugrunde (so auch BSG 1960-06-21 3 RK 72/55 = BSGE 12, 185).
Normenkette
ZPO § 301
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 22.01.1960) |
Tenor
Auf die Revisionen der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkassen C und N sowie der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse N wird das Teilurteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Januar 1960 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Im Februar 1958 beantragte die beigeladene Kreishandwerkerschaft C beim Versicherungsamt C (VA) die Genehmigung der Errichtung einer Gemeinsamen Innungskrankenkasse ( GJKK ) für sieben in C ansässige Innungen. Das VA legte die Unterlagen - u. a. Beschlußfassungen der Innungsversammlungen und Gesellenausschüsse sowie Anhörungen von Beteiligten - dem Landesaufsichtsamt für Sozialversicherung in S ( LAufsA ) vor und sprach sich für die Versagung der Genehmigung aus, weil die Errichtung der beigeladenen GJKK die Leistungsfähigkeit der klagenden Ortskrankenkassen ( OKK'n ) und der beigeladenen OKK N gefährde und möglicherweise auch die Leistungsfähigkeit der beigeladenen GJKK nicht für die Dauer gesichert erscheine. Ferner "entschied" das VA am 8. Mai 1958 nach § 259 der Reichsversicherungsordnung (RVO), daß die Leistungen der beigeladenen GJKK denen der klagenden OKK C gleichwertig seien. Nach weiteren Anhörungen - insbesondere der Landesverbände der beteiligten Kassen - genehmigte das LAufsA die Errichtung der beigeladenen GJKK (Beschluß vom 27. Mai 1959). Mit einer weiteren Verfügung vom 29. Mai 1959 genehmigte das LaufsA die Satzung der beigeladenen GJKK und bestimmte zugleich, daß diese Kasse am 1. Juli 1959 ins Leben trete.
Die OKK'n C und N halten die Errichtungsgenehmigung des LAufsA vom 27. Mai 1959 aus mehreren Gründen für rechtswidrig. Die Zustimmung der Gesellenausschüsse zur Errichtung der GJKK habe dem Erfordernis des § 225 a RVO nicht genügt; § 14 Abs. 3 des Selbstverwaltungsgesetzes, der nur die Zustimmung der Gesellenausschüsse verlange, verletze das Grundgesetz. Außerdem seien die satzungsmäßigen Leistungen der GJKK denen der maßgebenden OKK nicht gleichwertig. Die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen hätte durch das VA, nicht durch das LAufsA festgestellt werden müssen. Die klagenden OKK'n haben beantragt,
1. festzustellen, daß die Errichtungsgenehmigung des LAufsA vom 27. Mai 1959 nichtig ist,
2. diese Errichtungsgenehmigung aufzuheben.
Das Sozialgericht (SG) hat die Errichtungsgenehmigung des LAufsA vom 27. Mai 1959 "aufgehoben" mit der Begründung, sie sei nichtig, weil es an der vorgeschriebenen Mitwirkung des VA gefehlt habe.
Auf die Berufungen des beklagten Landes, der beigeladenen GJKK , des beigeladenen Landesverbandes der Innungskrankenkassen und der beigeladenen Kreishandwerkerschaft hat das Landessozialgericht (LSG) durch Teilurteil vom 22. Januar 1960 das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit der Errichtungsgenehmigung vom 27. Mai 1959 als unbegründet abgewiesen; die Revision wurde zugelassen. Nach Auffassung des LSG hat das SG zu Unrecht die Nichtigkeit des Genehmigungsbescheids vom 27. Mai 1959 angenommen. Dieser Bescheid sei zwar nicht fehlerfrei, weise aber keine so schwerwiegenden Mängel auf, daß er als nichtig anzusehen sei. Deshalb seien jedenfalls die Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit des Genehmigungsbescheids unbegründet und abweisungsreif.
Gegen dieses Urteil haben die klagenden OKK'n C und N sowie die beigeladene OKK N Revision eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Teilurteil aufzuheben und die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen,
hilfsweise:
den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Sie rügen in erster Linie, daß das LSG vorab durch Teilurteil über die Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit der Errichtungsgenehmigung entschieden hat.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
II
Die Revisionen sind begründet. Zu Unrecht hat das LSG über die Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit des Genehmigungsbescheids vom 27. Mai 1959 durch Teilurteil vorab entschieden.
Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 21. Juni 1960 (BSG 12, 185) näher begründet hat, darf über die Nichtigkeitsfeststellungsklage nicht durch Teilurteil entschieden werden, wenn neben der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts - wie im vorliegenden Fall - hilfsweise dessen Aufhebung beantragt ist; denn beiden Anträgen liegt nicht eine Mehrheit von Klagansprüchen, sondern ein einziger Anspruch im Sinne des § 301 der Zivilprozeßordnung zugrunde. Das wird besonders deutlich in den Fällen, in denen der Kläger nicht beide Anträge stellt, sondern nur Feststellung der Nichtigkeit oder Aufhebung des Verwaltungsakts beantragt: Im ersten Falle hat das Gericht, sofern die Nichtigkeitsklage innerhalb der Anfechtungsfrist erhoben ist (vgl. §§ 87 ff. SGG), bei Verneinung der Nichtigkeit die Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts zu prüfen; hat der Kläger nur den Aufhebungsantrag gestellt, hat das Gericht, wenn es den angefochtenen Verwaltungsakt zwar nicht für aufhebbar, wohl aber für nichtig hält, die Nichtigkeit des Verwaltungsakts festzustellen (vgl. BSG aaO S. 188 f. mit weiteren Nachweisen). Verbindet der Kläger beide Anträge miteinander - in Gestalt eines Haupt- und Hilfsantrags -, so macht er daher nur einen Anspruch geltend. Diesem einheitlichen Klaganspruch muß eine einheitliche Entscheidung des Gerichts entsprechen. Ein Teilurteil allein über die Nichtigkeit des Verwaltungsakts ist mithin nicht zulässig.
Damit wird auch dem Erfordernis einer möglichst schnellen Erledigung der sozialgerichtlichen Streitigkeiten Rechnung getragen. Das die Nichtigkeit des Verwaltungsakts verneinende Teilurteil könnte nur einen Streitpunkt des Verfahrens klären, nicht aber die endgültige Entscheidung des Rechtsstreits herbeiführen. Diese würde wegen der selbständigen Anfechtbarkeit des Teilurteils häufig - wie auch im vorliegenden Fall - nur verzögert werden. Um einer mißbräuchlichen Ausnutzung der aufschiebenden Wirkung von Nichtigkeitsklagen (§ 97 Abs. 1 Nr. 3 SGG) entgegenzutreten, bestehen andere Möglichkeiten als der zeitraubende und kostspielige Weg der Vorabentscheidung durch ein selbständig anfechtbares Teilurteil (vgl. BSG aaO S. 190).
Demnach war das angefochtene Teilurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen