Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers gegen Sozialversicherungsträger
Leitsatz (amtlich)
Von der Neuregelung der Ausschlußfrist für die Geltendmachung der Ersatzansprüche der Fürsorgeträger gegen die Sozialversicherungsträger (§ 104 SGB 10) werden nur die Fälle erfaßt, in denen der Erstattungsanspruch im Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 111 SGB 10 nicht bereits ausgeschlossen war.
Orientierungssatz
Ohne Bedeutung für den Anspruch des Sozialhilfeträgers gemäß § 104 SGB 10 ist, ob er als der nachrangig verpflichtete Leistungsträger sein Eintreten deshalb nicht vermieden hat, weil er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Erfüllung des vorrangigen Leistungsanspruches des Leistungsempfängers durch die Krankenkasse bemüht hat.
Normenkette
SGB 10 §§ 104, 111; RVO § 1539; SGB 10 Art 2 § 21
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Aufwendungen für die im Rahmen der Sozialhilfe gewährte Krankenhilfe.
Die Klägerin hat für die in der Zeit zwischen Oktober 1977 und September 1978 bei Frau Doris P und dem Kind Daniela P erforderlich gewordene Krankenbehandlung Krankenhilfe gemäß § 37 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gewährt und dafür in der Zeit zwischen dem 24. April 1978 und dem 16. Februar 1979 Krankenhauskosten, Arzneikosten, Arztkosten und Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 11.112,64 DM aufgewendet. Zu dieser Zeit lebte Frau P mit ihrer Tochter von ihrem Ehemann, dessen Aufenthaltsort und gesetzliche Krankenkasse die Klägerin erst nach dem Ende der Unterstützung festgestellt hat, getrennt; der Ehemann P war in der streitigen Zeit Mitglied der Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Beklagten.
Die Beklagte lehnte die von der Klägerin mit Schreiben vom 15. Februar 1979 beanspruchte Erstattung ihrer Aufwendungen mit der Begründung ab, die Klägerin habe nicht nach gesetzlicher Pflicht geleistet, weil ein Fall der Hilfebedürftigkeit nicht vorgelegen habe. Die Klägerin habe es unterlassen, die Beklagte als Leistungspflichtige festzustellen und die Ehefrau P an die Beklagte zu verweisen. Außerdem sei der Erstattungsanspruch gemäß § 1539 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ausgeschlossen, weil er nicht innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Unterstützung geltend gemacht worden sei.
Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt: Da das Erstattungsverfahren im Zeitpunkt des Inkrafttretens der §§ 102 ff Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) am 1. Juli 1983 bereits anhängig gewesen sei, richte sich der Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 104 SGB X. Er sei begründet, weil die Beklagte vorrangig leistungspflichtig gewesen sei. Der Anspruch sei auch nicht gemäß § 111 SGB X ausgeschlossen, weil er vor Ablauf von 12 Monaten nach dem letzten Tage, für den die Leistung erbracht wurde, geltend gemacht worden sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten. Sie wendet sich gegen die rechtliche Beurteilung durch das LSG, insbesondere soweit es sich um die Anwendbarkeit des § 111 SGB X handelt.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. März 1984 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20. September 1982 zurückzuweisen, hilfsweise, die Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG, weil die Tatsachenfeststellungen zur Entscheidung über den streitigen Erstattungsanspruch nicht ausreichen.
Die Beteiligten und das LSG sind zutreffend davon ausgegangen, daß der streitige Erstattungsanspruch nach den §§ 102 ff SGB X zu beurteilen ist. Denn gemäß Artikel II § 21 des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) sind die beim Inkrafttreten des Gesetzes - 1. Juli 1983 - bereits begonnenen Verfahren nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu Ende zu führen. Auf Ansprüche, die schon vor dem Inkrafttreten des 3. Kapitels des SGB X entstanden sind, über die aber noch nicht rechtskräftig entschieden ist, sind danach die Bestimmungen dieses Kapitels ebenso anzuwenden wie gemäß Artikel II § 37 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) die Bestimmungen des 1. und 2. Kapitels des SGB X in noch anhängigen Verfahren (BSG, ständige Rechtsprechung; vgl die Nachweise in dem Urteil des erkennenden Senats vom 27. Juli 1985 - 8 RK 34/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt). In dem letztgenannten Urteil hat der erkennende Senat auch entschieden, daß der Erstattungsanspruch eines Sozialhilfeträgers gegenüber einem Leistungsträger der Krankenversicherung seine Grundlage in § 104 SGB X findet. Denn da die Sozialhilfe gemäß § 2 Abs 2 BSHG gegenüber der Sozialversicherung nachrangig ist (sogenannte Systemsubsidiarität), war die Beklagte jedenfalls im Verhältnis zur Klägerin vorrangig verpflichtet, für Doris und Daniela P Leistungen zu erbringen. Für den Fall, daß der nachrangig verpflichtete Sozialhilfeträger gleichwohl Leistungen erbringt, hat er nach § 104 Abs 1 SGB X einen Erstattungsanspruch gegen den Sozialleistungsträger (erkennender Senat aaO).
Das LSG hat auch zutreffend die Voraussetzungen des § 104 Abs 1 SGB X als erfüllt angesehen. Der Erstattungsanspruch der nachrangig verpflichteten Klägerin gegen die im Verhältnis zur Klägerin vorrangig leistungspflichtige Beklagte setzt nur das genannte Rangverhältnis der beiden leistungspflichtigen Leistungsträger voraus. Ohne Bedeutung für den Anspruch des Sozialhilfeträgers gemäß § 104 SGB X ist entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung hingegen, ob die Klägerin als der nachrangig verpflichtete Leistungsträger ihr Eintreten deshalb nicht vermieden hat, weil sie sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Erfüllung des vorrangigen Leistungsanspruches der Frau Doris P und ihrer Tochter Daniela durch die Beklagte bemüht hat. Ziel der Vorschrift des § 104 SGB X ist es allein, in den Fällen, in denen der Berechtigte einen gleichartigen Leistungsanspruch gegen mehrere Leistungsträger hat, dessen Erfüllung er jedoch nur einmal beanspruchen kann (vgl § 107 SGB X), die vom Gesetzgeber gewollte Rangfolge der Leistungsverpflichtung auch dann zu wahren, wenn der nachrangig verpflichtete Leistungsträger tatsächlich geleistet hat. Bei dieser in § 104 SGB X getroffenen Regelung handelt es sich um die normative Ausprägung des Instituts des Ausgleichs einer ungerechtfertigten Bereicherung für den sozialrechtlichen Leistungsbereich, die unabhängig von dem Grund des Eintrittes der ungerechtfertigten Besserstellung zu erfolgen hat. Würde dieser Ausgleich nicht auf direktem Wege zwischen den beiden Leistungsträgern erfolgen und dabei die an den Berechtigten erbrachte Leistung wirksam bleiben, so käme es zu einer ungerechtfertigten Besserstellung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers auf Kosten des nachrangig Verpflichteten. Gegen einen seine Leistungspflicht übersteigenden Ausgleich ist der vorrangig leistungspflichtige Leistungsträger durch § 104 Abs 2 SGB X hinreichend geschützt. Das LSG hat deshalb zutreffend nicht geprüft, ob für die Klägerin die Möglichkeit bestand, die Beklagte als die vorrangig leistungspflichtige Kasse zu ermitteln und Frau P und ihre Tochter an die Beklagte zu verweisen.
Der Erstattungsanspruch der Klägerin kann aber teilweise ausgeschlossen sein. Dies richtet sich, wie die Revision zutreffend geltend macht, für den hier streitigen Anspruch noch nach der - bis zum 30. Juni 1983 in Kraft gewesenen - Vorschrift des § 1539 RVO. Zwar sind gemäß Artikel II § 21 des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) die am 1. Juli 1983 anhängig gewesenen Verfahren nach diesem Gesetz zu Ende zu führen. Von dieser Regelung hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 111 SGB X nicht ausgenommen. Daß es sich hierbei nicht um eine unbeabsichtigte Lücke handelt, ergibt sich schon daraus, daß der Gesetzgeber in Artikel II § 22 des Gesetzes vom 4. November 1982 für die Fälle des Überganges von Schadenersatzansprüchen eine Übergangsregelung getroffen und zuvor auch schon in Artikel II § 37 Abs 2 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) bestimmt hat, daß Fristen im Sinne des 1. und 2. Kapitels des SGB X, deren Lauf vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 18. August 1980 begonnen hat, nach den bisherigen Vorschriften berechnet werden (vgl dazu auch Urteil des BSG vom 15. November 1984 - 7 RAr 69/83 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Da die Fristbestimmung des § 111 SGB X nicht rückwirkend in Kraft getreten ist, konnten von der Neuregelung der Ausschlußfrist für die Geltendmachung der Erstattungsansprüche der Fürsorgeträger gegen die Sozialversicherungsträger in § 111 SGB X mithin auch nur die Fälle erfaßt werden, in denen im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift der Erstattungsanspruch nicht bereits infolge des Ablaufs der für seine Geltendmachung nach der bisher geltenden Anmelde-Ausschlußfrist - hier § 1539 RVO - ausgeschlossen war. Wie die Vorschrift des § 1539 RVO begründet auch die sie ersetzende Norm des § 111 SGB X eine materiell-rechtliche Rechtsfolge: Der Rechtsanspruch - hier der Erstattungsanspruch des Fürsorgeträgers gemäß § 1535 Nr 2 RVO -, der nicht innerhalb der bis zum 30. Juni 1983 geltenden Ausschlußfrist des § 1539 RVO geltend gemacht worden war, ist nach Ablauf dieser Frist erloschen (vgl BSGE 21, 181, 183). Die Frist des § 111 SGB X erfaßte nur die bei seinem Inkrafttreten noch bestehenden, nicht aber die bereits durch Fristablauf erloschenen Ansprüche (Hauck/Haines, Kommentar zum SGB X, RdNr 12 zu § 111). Fraglich kann im Zusammenhang mit der Ersetzung des § 1539 RVO durch § 111 SGB X allenfalls sein, ob die in § 111 SGB X geschaffene längere Frist für die Geltendmachung des Erstattungsanspruches sich noch auf diejenigen Erstattungsansprüche auswirken konnte, die nach dem 31. Dezember 1982 nach altem Recht (§ 1531 ff RVO) entstanden waren, für die also die Frist zur Geltendmachung am 1. Juli 1983 noch nicht abgelaufen war. Um einen solchen Fall handelt es sich hier aber nicht. Ebensowenig ist hier entscheidungserheblich, wann die Frist der nunmehr für alle Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander geltenden Vorschrift des § 111 SGB X für die Ansprüche begann und ablief, deren Geltendmachung zuvor nicht fristgebunden war (zB der Anspruch gemäß § 1504 RVO).
Demgemäß hätte das LSG prüfen müssen, ob die Klägerin den Erstattungsanspruch innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Unterstützung bei der Beklagten geltend gemacht hat. Obwohl § 1539 RVO keine ausdrückliche, dem § 111 Satz 2 SGB X entsprechende Regelung enthielt, war bereits für diese Vorschrift allgemein anerkannt, daß sich die Frist für die Geltendmachung des Ersatzanspruches des Sozialhilfeträgers gegen den Träger der Krankenversicherung nicht nach dem Ablauf des Zeitraumes, in dem der Krankenversicherungsträger leistungspflichtig war, richtete, sondern erst mit der Übernahme und der anschließenden Bezahlung der Kosten der Krankenpflege zu laufen begann (BSG, Urteil vom 25. November 1963 - 3 RK 49/60 -, SozR Nr 3 zu § 1539 RVO mwN). Der Ablauf der Frist des § 1539 RVO wurde aber nicht davon beeinflußt, ob der Sozialhilfeträger ohne sein Verschulden erst nach Ablauf der sechs Monate davon Kenntnis erhalten hat, daß die Voraussetzungen für seinen Ersatzanspruch - hier der Anspruch auf Familienhilfeleistungen für die Unterstützten - gegeben waren (BSG, Urteil vom 30. Juni 1964 - 3 RK 43/61 -, SozR Nr 2 zu § 1539 RVO).
Das LSG hat nur summarisch festgestellt, daß die Klägerin Krankenhilfe für die Zeit von Oktober 1977 bis September 1978 gewährt hat und daß ihr die dafür erforderlichen Aufwendungen in der Zeit zwischen dem 24. April 1978 und dem 16. Februar 1979 entstanden sind. Da der "Ablauf der Unterstützung" (§ 1539 RVO) unabhängig davon, ob es sich um eine Teilleistung im Rahmen einer laufenden Behandlung handelt, jedenfalls mit der Zahlung der Kosten der Krankenpflege eintrat, könnte zu der vom LSG festgestellten Zeit der Anspruchsanmeldung (Schreiben vom 15. Februar 1979) die Sechsmonatsfrist des § 1539 RVO jedenfalls für einen Teil der Unterstützungsaufwendungen abgelaufen gewesen sein. Darüber wird das LSG nach der Nachholung der insoweit erforderlichen Tatsachenfeststellungen erneut zu entscheiden haben. Bei seiner abschließenden Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten für das Revisionsverfahren zu befinden haben.
Fundstellen