Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitrag zur landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft. Beitragsmaßstab. Flächenwertbeitrag. Flächenbeitrag. Grundbeitrag. Revisibilität. Irrevisibilität einer Satzungsvorschrift
Orientierungssatz
1. Bei dem Beitragsmaßstab des Flächenwertes handelt es sich um einen "anderen angemessenen Maßstab" iS des § 803 Abs 1 RVO (vgl BSG 25.1.1983 2 RU 1/82 = SozR 2200 § 803 Nr 2).
2. Die satzungsmäßige Einführung eines einheitlichen Grundbeitrags, eines Flächenbeitrags und ein Verhältnis des Flächenwertbeitrags zum Flächenbeitrag von 70 zu 30 vH halten sich im Rahmen der Ermächtigungsnorm des § 803 RVO.
3. Zur Frage, ob bei der nach der Satzung einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft auf Antrag vorzunehmenden Berichtigung des Flächenwertes "unter Berücksichtigung der im Einheitswertbescheid enthaltenen individuellen landwirtschaftlichen Vergleichszahl" gemäß § 41 BewG Zu- oder Abschläge am Vergleichswert (§ 40 BewG) zu machen sind.
4. Das irrevisible Satzungsrecht eines landesunmittelbaren Versicherungsträgers unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht auch nicht darauf, ob die Auslegung durch das Instanzgericht mit allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen im Einklang steht und allgemein rechtsstaatlichen Anforderungen genügt (vgl BSG 18.5.1983 6 RKa 22/80 = SozR 1500 § 162 Nr 17 = BSGE 55, 115, 116).
Normenkette
RVO §§ 802, 803 Abs 1, § 816; SGG § 162; BewG §§ 40-41
Verfahrensgang
SG Landshut (Entscheidung vom 08.07.1985; Aktenzeichen S 7 U 190/84) |
Tatbestand
Die Klägerin ist landwirtschaftliche Unternehmerin und Mitglied der beklagten landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft. Durch Bescheid vom 30. Juni 1984 forderte die Beklagte von der Klägerin den Beitrag zur Berufsgenossenschaft für das Umlagejahr 1983 (Einhebejahr 1984), und zwar einen Grundbeitrag von 50,- DM, einen Flächenwertbeitrag vom 422,30 DM und einen Flächenbeitrag von 106,20 DM (zusammen 578,50 DM). Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, daß der persönliche Hektarsatz des Finanzamts für ihren landwirtschaftlichen Betrieb um mehr als 15 vH niedriger sei als der durchschnittliche Hektarsatz der Gemeinde. Sie beantragte daher die Beitragsberechnung nach den tatsächlichen Vergleichswerten. Die Beklagte hat den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 27. November 1984 zurückgewiesen. Bei der nach § 40 Abs 6 Satz 1 der Satzung vorzunehmenden Berechnung des Flächenwertes nach der individuellen Vergleichszahl müsse berücksichtigt werden, daß der Klägerin durch das Finanzamt im Einheitswertbescheid ein Zuschlag nach § 41 des Bewertungsgesetzes (BewG) wegen eines höheren als gegendüblichen Viehbestandes (Tierzuschlag) auferlegt sei, so daß ihre individuelle Vergleichszahl 175,78 DM betrage und damit höher sei als die Vergleichszahl ihrer Steuergemeinde von 48,77 DM. Eine Berichtigung des Flächenwertes könne daher nicht erfolgen.
Auf die Klage der Klägerin hat das Sozialgericht (SG) Landshut nach Anhörung des landwirtschaftlichen Sachverständigen Dipl.-Ing. für Landbau W. den Bescheid vom 30. Juni 1984 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. November 1984 abgeändert und die Beklagte verpflichtet, den Flächenwert unter Berücksichtigung einer individuellen Vergleichszahl von 30,20 DM für das Umlagejahr 1983 (Einhebejahr 1984) neu festzustellen (Urteil vom 8. Juli 1985). Zur Begründung hat das SG ua ausgeführt, daß das von der Beklagten angewendete Verfahren zur Ermittlung der individuellen Vergleichszahl als Faktor des Flächenwertes nicht im Einklang mit § 40 Abs 6 Satz 1 der Satzung der Beklagten stehe und somit unzulässig sei. Sie sei auch kein angemessener Beitragsmaßstab iS von § 803 Reichsversicherungsordnung (RVO). Das folge schon daraus, daß bei der Festsetzung des Ertragswertes nach dem Einheitswert, wie sie die Beklagte nach § 40 Abs 6 Satz 1 der Satzung zulasse, Zu- und Abschläge außer Ansatz zu bleiben haben (§ 811 RVO). Ungeachtet davon sei die von der Klägerin beanstandete Berechnungsart durch den eindeutigen und nicht auslegungsbedürftigen Wortlaut des § 40 Abs 6 Satz 1 der Satzung nicht gedeckt. Sowohl der Vergleichswert als auch die ihm zugrunde liegende Vergleichszahl werde ausschließlich nach der Ertragsfähigkeit und den Ertragsbedingungen der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) berechnet. Ein Tierzuschlag, wie er vom Finanzamt zur Berechnung des Wirtschaftswertes erhoben werde, bleibe bei der Beitragsberechnung unberücksichtigt. Der Viehbestand gehöre als bewegliches Inventar nicht zum Grundvermögen, sondern zum Umlaufvermögen eines landwirtschaftlichen Betriebes. Die Beklagte sei daher zu verpflichten gewesen, der Berechnung des Flächenwertes eine Vergleichszahl von 30,20 DM zugrunde zu legen.
Das SG hat die Sprungrevision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel mit Zustimmung der Klägerin eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Vom SG sei nicht beachtet worden, daß in § 40 Abs 6 Satz 1 der Satzung nicht von einem nach § 40 BewG ermittelten Vergleichswert die Rede ist, sondern von dem nach den Steuerbewertungsvorschriften ermittelten Vergleichswert. Als Steuerbewertungsvorschrift iS der vorgenannten Satzungsbestimmung könne nicht allein § 40 BewG angesehen werden, sondern es müsse auch auf § 41 BewG zurückgegriffen werden. Nach dieser Vorschrift sei unter bestimmten Voraussetzungen ein Abschlag oder ein Zuschlag am Vergleichswert zu machen, was zu einer unmittelbaren Korrektur des nach den §§ 38 bis 40 BewG ermittelten Vergleichswertes führe. Ein solches Verfahren entspreche einer richtig verstandenen Beitragsgerechtigkeit. Der Hinweis des SG auf § 811 RVO, wonach bei der Berechnung des Beitrags nach dem Ertragswert die von den Finanzbehörden festgestellten Zu- und Abschläge zum Ertragswert außer Ansatz blieben, gehe fehl. Denn für die Beitragsberechnung ihrer Berufsgenossenschaft gelte nicht § 811 RVO, sondern § 816 RVO.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Landshut vom 8. Juli 1985 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 30. Juni 1984 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. November 1984 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, daß die in § 811 RVO genannten Zu- und Abschläge deshalb außer Ansatz zu bleiben hätten, weil sie mit der Unfallgefahr, die aus der Bodenbewirtschaftung erwachse, in keinerlei Zusammenhang stünden. Dieser unfallversicherungsrechtliche Grundsatz müsse auch dann gelten, wenn als Beitragsmaßstab nicht unmittelbar der Ertragswert nach § 811 RVO gewählt werde, sondern ein anderer angemessener Maßstab. Es sei kein Grund ersichtlich, warum § 811 RVO nicht analog und sinngemäß angewendet werde. Es sei davon auszugehen, daß § 816 RVO insoweit eine Regelungslücke aufweise. Auch beim Flächenwert, der grundsätzlich ein angemessener Beitragsmaßstab sei, gelte, daß Zu- und Abschläge mit der Unfallgefahr in keinerlei Zusammenhang stehen. Andere landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften, wie zB die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Oberbayern, hätten in ihren Satzungen zur Klarstellung die Anwendung des § 41 BewG ausdrücklich ausgeschlossen.
Auf Ersuchen des Gerichts hat sich die Beklagte zur Revisibilität ihrer Satzungsvorschriften geäußert (Schriftsatz vom 3. Februar 1986).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Die Mittel für die Ausgaben der Berufsgenossenschaft werden durch Beiträge der Unternehmer, die versichert sind oder Versicherte beschäftigen, aufgebracht (§ 802 RVO iVm § 723 RVO). In der landwirtschaftlichen Unfallversicherung werden sie nach dem Arbeitsbedarf oder dem Einheitswert oder einem anderen angemessenen Maßstab berechnet; die Satzung bestimmt den Maßstab (§ 803 RVO). Bei der Anwendung eines anderen angemessenen Maßstabes bestimmt die Satzung auch das Verfahren (§ 816 RVO).
Seit dem 1. Januar 1980 berechnet die Beklagte die Beiträge für die Unternehmen der Landwirtschaft gemäß § 39 Abs 1 ihrer Satzung unter Zugrundelegung eines einheitlichen Grundbeitrages nach dem Flächenwert in Verbindung mit einem Flächenbeitrag. Näheres regeln die §§ 40 und 41 der Satzung. Bis zum 31. Dezember 1979 legte die Beklagte der Beitragsberechnung lediglich den Flächenwert zugrunde, welcher das Produkt aus der LN und dem von den Finanzbehörden nach den Steuerbewertungsvorschriften ermittelten durchschnittlichen Hektarwert der Steuergemeinde des Betriebssitzes war (§ 50 Abs 1 bis 3 der Satzung aF). Ähnlich wie jetzt, konnte auf Antrag eine Berichtigung des so ermittelten Flächenwertes auf den individuellen Vergleichswert (Vergleichszahl) erfolgen, wenn der Flächenwert um mehr als 20 vH (jetzt 15 vH) von dem von den Finanzbehörden nach den Steuerbewertungsvorschriften ermittelten Vergleichswert abweicht (§ 50 Abs 6 Satz 1 der Satzung aF; § 40 Abs 6 Satz 1 der Satzung).
Zu dem bis zum 31. Dezember 1979 in Kraft gewesenen Beitragsmaßstab des Flächenwertes hat der erkennende Senat im Urteil vom 25. Januar 1983 - 2 RU 9/82 - entschieden, daß es sich dabei um einen "anderen angemessenen Maßstab" iS des § 803 Abs 1 RVO handelt. Dies trifft auch für den der Beitragsberechnung im Bescheid vom 30. Juni 1984 zugrunde gelegten Maßstab des Flächenwertes zu, wie er in der am 1. Januar 1980 in Kraft getretenen Satzung in § 40 Abs 1 bis 3 definiert ist. Die Einführung eines einheitlichen Grundbeitrags (§ 39 Abs 1 Satz 3 der Satzung), eines Flächenbeitrags (§ 41 Abs 2 der Satzung) und das vorgeschriebene Verhältnis des Flächenwertbeitrags zum Flächenbeitrag von 70 zu 30 vH halten sich gleichfalls im Rahmen der Ermächtigungsnorm des § 803 RVO.
Kernfrage des Rechtsstreits ist, wie die Klägerin zutreffend ausführt, ob bei der nach § 40 Abs 6 Satz 1 der Satzung auf Antrag vorzunehmenden Berichtigung des Flächenwertes "unter Berücksichtigung der im Einheitswertbescheid enthaltenen individuellen landwirtschaftlichen Vergleichszahl" gemäß § 41 BewG Zu- oder Abschläge am Vergleichswert (§ 40 BewG) zu machen sind. Das SG hat § 40 Abs 6 Satz 1 der Satzung - bezogen auf den Fall der Klägerin - dahin ausgelegt, daß ein Berichtigungsanspruch nach dieser Vorschrift dann gegeben ist, wenn der nach der Satzung ermittelte Flächenwert um mehr als 15 vH "von dem im Einheitswertbescheid des Finanzamts Straubing nach § 40 BewG festgelegten Vergleichswert abweicht". Das Verfahren, das die Beklagte zur Ermittlung der individuellen Vergleichszahl anwende, nämlich die Berücksichtigung eines Tierzuschlages gemäß § 41 BewG, stehe nicht im Einklang mit § 40 Abs 6 Satz 1 der Satzung; der Wortlaut dieser Satzungsbestimmung sei eindeutig und nicht auslegungsbedürftig. Selbst wenn das SG diese Vorschrift unrichtig angewandt haben sollte, läge darin keine Verletzung von Bundesrecht oder sonstiger im Bezirk des Berufungsgerichts geltender und über diesen Bezirk hinaus sich erstreckender Vorschriften iS des § 162 SGG. Die Satzung der Beklagten ist damit irrevisibles Recht. Die Beklagte ist nach § 1 Abs 2 der Satzung ein landesunmittelbarer Versicherungsträger und ihr örtlicher Zuständigkeitsbereich beschränkt sich nach § 4 der Satzung auf zwei der sieben bayerischen Regierungsbezirke, nämlich Niederbayern und Oberpfalz. Der Bezirk des Bayerischen Landessozialgerichts umfaßt jedoch den ganzen Freistaat Bayern (Art 4 des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes vom 21. Dezember 1953 - Bayer GVBl 1953, 195). Die Satzung der Beklagten ist auch nicht - gewollt - inhaltsgleich mit Satzungen in Bezirken anderer Landessozialgerichte, wodurch sie revisiblem Recht hätten zugeordnet werden können (BSGE 55, 67, 68 und 115, 116).
Das irrevisible Satzungsrecht der Beklagten unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht auch nicht darauf, ob die Auslegung durch das Instanzgericht mit allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen im Einklang steht und allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen genügt (BSGE 55, 115, 116). Allgemeine Auslegungsgrundsätze können dem revisiblen Bundesrecht nur dann zugerechnet werden, wenn sie der Ergänzung des Bundesrechts dienen (vgl BSGE aaO; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 162 Anm 1 und 3). Ein im Revisionsverfahren nachprüfbarer Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip bei der Auslegung irrevisiblen Rechts könnte allenfalls dann in Betracht kommen, wenn die Auslegung offenbar willkürlich wäre (BVerwG JZ 1973, 26). Davon kann jedoch bei der vom SG gefundenen Auslegung des § 40 Abs 6 Satz 1 der Satzung der Beklagten keine Rede sein. Die Auslegung des SG verstößt auch nicht gegen höherrangiges revisibles Recht. Ob § 40 Abs 6 Satz 1 der Satzung auch anders iS der Beklagten ausgelegt werden könnte, ist unerheblich.
Die Revision der Beklagten mußte daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen