Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 03.10.1985) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. Oktober 1985 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Dem 1964 geborenen Kläger gewährte die Beklagte Halbwaisenrente gemäß § 67 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus, weil er sich als Beamter auf Widerruf im Vorbereitungsdienst der Deutschen Bundesbahn und somit in Berufsausbildung befand. Zuletzt geschah dies auf die Bestätigung der Deutschen Bundesbahn vom 20. Juli 1982, wonach der Kläger ab 1. August 1982 bis auf weiteres Anwärterbezüge von monatlich brutto 990,– DM erhielt, mit Bescheid vom 12. August 1982. In diesem eine Halbwaisenrente von 314,80 DM monatlich gewährenden Bescheid war der Hinweis enthalten, die Rente werde bis zum Ablauf der Ausbildung gezahlt, wenn die Einkommensgrenze von 1.000,– DM monatlich nicht erreicht werde.
Am 26. Oktober 1982 bescheinigte die Bundesbahndirektion Hannover Anwärterbezüge des Klägers – einschließlich der vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 26,– DM in der Zeit vom 1. Juni 1982 bis zum 31. Juli 1982 – in Höhe von 1.016,– DM und ab 1. August 1982 von 990,– DM monatlich, weil der Kläger auf die vermögenswirksamen Leistungen verzichtet habe. Daraufhin stellte die Beklagte die Halbwaisenrente ein und teilte dem Kläger im Schreiben vom 17. Mai 1983 mit, sie beabsichtigte, die Halbwaisenrente ab 1. Juni 1982 rückwirkend zu entziehen, weil der Verzicht auf die vermögenswirksamen Leistungen mit dem Ziel, die Einkommensgrenze von 1.000,– DM monatlich zu unterschreiten, unwirksam sei. Durch Bescheid vom 16. August 1983 hob die Beklagte, wie angekündigt, den Bescheid vom 12. August 1982 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 10) auf und forderte gemäß § 50 Abs. 1 SGB 10 iVm § 35 Nr. 13 der Satzung der Bundesknappschaft den Kläger zur Rückzahlung des überzahlten Betrages in Höhe von neun Monatsbeträgen (zusammen: 2.833,20 DM) auf. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1983).
Das Sozialgericht (SG) Münster hat durch Urteil vom 14. November 1984 die angefochtenen Bescheide geändert und festgestellt, daß der Beklagten nur ein Rückforderungsanspruch wegen zu viel gezahlter Halbwaisenrente für die Monate Juni und Juli 1982 in Höhe von 629,60 DM zustehe. Im übrigen hat es die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Monate März, April, Mai und Juni 1983 Halbwaisenrente zu gewähren. Die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 3. Oktober 1985 zurückgewiesen. Es hat sich der Beurteilung des SG angeschlossen und auf § 4 Abs. 4 des Dritten Vermögensbildungsgesetzes idF der Bekanntmachung vom 30. September 1982 (BGBl I S 1369) sowie auf § 2 Abs. 3 des Bundesbesoldungsgesetzes verwiesen.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das LSG habe § 67 Abs. 2 RKG verletzt, weil es den zu Lasten der Versichertengemeinschaft erfolgten Verzicht des Klägers auf die vermögenswirksamen Leistungen zu Unrecht für rechtswirksam gehalten habe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen, weil die Anwärterbezüge des Klägers in der streitigen Zeit den nach § 67 Abs. 2 Satz 1 RKG zum Ausschluß der Waisenrentengewährung nach Vollendung des 18. Lebensjahres führenden Bruttobetrag von 1.000,– DM monatlich nicht erreicht haben.
Auszugehen ist mit der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) davon, daß zu den Bruttobezügen aus dem Ausbildungsverhältnis im Sinne von § 67 Abs. 2 Satz 1 RKG neben den Barbezügen auch die vermögenswirksamen Leistungen nach dem Dritten Vermögensbildungsgesetz idF vom 30. September 1982 (BGBl I S 1369) gehören (SozR 2200 § 1262 Nr. 13 und 19 sowie das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des BSG vom 24. September 1986 – 10 RKg 9/85 –). Der Kläger hat jedoch rechtswirksam ab 1. August 1982 auf die vermögenswirksamen Leistungen verzichtet. Ihm standen somit für die streitige Zeit die aus dem Ausbildungsverhältnis gewährten Anwärterbezüge nur in Höhe von 990,– DM brutto zu.
Wie das LSG im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat, ist die Möglichkeit, auf die vermögenswirksamen Leistungen im Ergebnis zu verzichten, sinngemäß in § 4 Abs. 4 des Dritten Vermögensbildungsgesetzes vorgesehen. Danach kann der Arbeitnehmer „jeweils einmal im Kalenderjahr von dem Arbeitgeber schriftlich verlangen, daß der Vertrag über die vermögenswirksame Anlage von Teilen des Arbeitslohnes aufgehoben, eingeschränkt oder erweitert wird”. Nach vorangegangener vermögenswirksamer Anlage des dafür vorgesehenen Teiles des Arbeitslohnes bedeutet die Aufhebung des diesbezüglichen Vertrages den Verzicht des Arbeitnehmers auf die vermögenswirksamen Leistungen bis auf weiteres, nämlich bis auf die sich im nächsten Kalenderjahr einstellende Möglichkeit, erneut eine vermögenswirksame Anlage von Teilen des Arbeitslohnes zu vereinbaren. Macht ein Arbeitnehmer von der ihm gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, vom Arbeitgeber die Aufhebung des Vertrages über die vermögenswirksame Anlage von Teilen des Arbeitslohnes zu verlangen, so muß grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß der darin liegende Verzicht auf den für die vermögenswirksame Anlage vorgesehenen Teil des Arbeitslohnes rechtswirksam ist. Insoweit erlischt das zuvor bestehende Schuldverhältnis (§ 397 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches –BGB–). Dem Arbeitnehmer steht danach der Anspruch auf vermögenswirksame Anlage des dafür ursprünglich vorgesehenen Teiles des Arbeitslohnes nicht mehr zu.
Für die Besoldung der Beamten gilt nichts anderes. Zwar kann der Beamte nach § 2 Abs. 3 des Bundesbesoldungsgesetzes idF vom 13. November 1980 (BGBl I S 2081) auf die ihm zustehende Besoldung weder ganz noch teilweise verzichten. Ausgenommen davon sind aber im letzten Halbsatz der Bestimmung ausdrücklich die vermögenswirksamen Leistungen, wie das LSG zutreffend hervorgehoben hat. Die vermögenswirksamen Leistungen des Staates betrugen beim Kläger gemäß § 9 Nr. 1 des Bundesbesoldungs- und -versorgungserhöhungsgesetzes vom 16. August 1980 (BGBl I S 1439) 26,– DM monatlich. Sie entfielen aus den bereits dargelegten Gründen durch den nach § 2 Abs. 3 des Bundesbesoldungsgesetzes ausdrücklich zugelassenen Verzicht hierauf.
Demgegenüber vermag der Hinweis der Revision auf den Grundsatz nichts zu ändern, daß die Vertragsfreiheit dort ende, wo Rechte Dritter entgegenstehen. Denn es besteht dem Kläger gegenüber weder ein Recht der Beklagten darauf, daß er die möglichen vermögenswirksamen Leistungen seines Arbeitgebers in Anspruch nimmt, noch darauf, daß er ein Ausbildungsverhältnis eingeht, das ihm Bruttobezüge in Höhe von wenigstens 1.000,– DM monatlich einbringt. Wäre letzteres der Fall, müßte die Beklagte in allen Fällen der Waisenrentenzahlung nach § 67 Abs. 1 Satz 2 RKG entscheiden, daß dem Waisenrentenberechtigten, soweit ihm die Erzielung von wenigstens 1.000,– DM brutto aus dem Ausbildungsverhältnis möglich wäre, die Rente zu versagen wäre. Dies sieht jedoch § 67 Abs. 2 Satz 1 RKG nicht vor; darin wird vielmehr – offenbar aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung – der Ausschluß der Gewährung der Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus nur für den Fall angeordnet, daß dem Waisenrentenberechtigten aus dem Ausbildungsverhältnis tatsächlich Bruttobezüge in Höhe von wenigstens 1.000,– Deutsche Mark monatlich zustehen. Ist dem Kläger aber gesetzlich der Verzicht auf die vermögenswirksame Anlage von Teilen des Arbeitslohnes eröffnet und der Beklagten nicht die Befugnis eingeräumt, vom Kläger das Einfordern dieses Teiles des Arbeitslohnes zu verlangen, so hat sich der Kläger mit dem umstrittenen Verzicht innerhalb des ihm gesetzlich vorgegebenen Handlungsspielraumes gehalten und Rechte der Beklagten nicht verletzt.
Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht von der im Urteil des 4. Senats vom 6. Oktober 1982 – 4 RJ 104/81 – (SozR 2200 § 1267 Nr. 27) geäußerten Rechtsauffassung ab, daß ein Beamter nicht rechtswirksam auf Gehaltsteile verzichten kann, die ihm im Vorgriff auf eine bevorstehende Besoldungserhöhung gewährt werden. Der Senat teilt diese Auffassung vielmehr. Sie ändert aber nichts daran, daß der gesetzlich zugelassene Verzicht auf die vermögenswirksamen Leistungen, um den es in dem hier zu entscheidenden Rechtsstreit allein geht, rechtswirksam ist.
Wegen der Bedeutung des § 4 des Tarifvertragsgesetzes für den Verzicht auf die vermögenswirksamen Leistungen in Ausbildungsverhältnissen, die dem Tarifvertragsrecht unterliegen, von dem für den in der Beamtenausbildung befindlichen Kläger keine Rechtswirkungen ausgehen, wird auf das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 27. November 1986 in der Sache 5a RKnU 6/85 verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen