Leitsatz (amtlich)
Wird eine Rente, die im Dezember 1956 wegen Auslandsaufenthalt des Berechtigten nicht in voller Höhe ausgezahlt wurde, zum 1957-01-01 nach ArVNG Art 2 § 36 umgestellt, so ist dabei von dem ungekürzten Rentenbetrag auszugehen. Das gilt auch, wenn der Rentner erst später oder gar nicht aus dem Ausland zurückkehrt.
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 36 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 28. August 1958 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin bezieht seit 1951 von der Beklagten Invalidenrente. Während ihres Aufenthalts in Brasilien vom 16. April 1956 an brachte die Beklagte von der zuletzt in Höhe von 74,- DM festgestellten Rente den Grundbetrag nach § 1284 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F., die Erhöhung nach § 1 Abs. 3 des Rentenzulagengesetzes vom 10. August 1951 (RZG) und die Erhöhung nach § 2 Abs. 1 des Grundbetragserhöhungsgesetzes vom 17. April 1953 (GEG) mit zusammen 30,50 DM nicht zur Auszahlung, so daß der Klägerin bis zum 31. Dezember 1956 tatsächlich 43,50 DM monatlich ausgezahlt wurden. Vom 1. Januar 1957 an berechnete die Beklagte die Rente auf 64,50 DM monatlich, wobei sie bei der Umstellung der Rente nach Art. 2 § 36 Abs. 1 Satz 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) von der gekürzten Rente (43,50 DM) ausging und diese um 21,- DM erhöhte. Sie erteilte der Klägerin, nachdem diese am 6. Juni 1957 nach Deutschland zurückgekehrt war, am 12. Juli 1957 einen entsprechenden Bescheid.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG.) hat die Beklagte durch Urteil vom 6. Januar 1958 zur Zahlung einer Rente in Höhe von 95,- DM monatlich verurteilt, weil bei der Umstellung von der ungekürzten Rente von 74,- DM auszugehen sei. Das Landessozialgericht (LSG.) hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 28. August 1958 mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der erhöhte Rentenbetrag vom 1. Januar 1957 an zu zahlen sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem Sinn der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze solle den Rentenbeziehern wenigstens der Betrag der bisherigen Rente einschließlich aller Rentenbestandteile nach altem Recht belassen werden; diese solle durch einen Zuschuß erhöht werden, wenn die "Faktorenumstellung" einen geringeren Betrag ergäbe. Der in § 36 Abs. 1 ArVNG gebrauchte Ausdruck "bisheriger Rentenzahlbetrag" umfasse die volle Rente, wie sie einem Rentenbezieher im Inland für Dezember 1956 zugestanden habe. Zwar sei die hier zu entscheidende Frage, wie in das Ausland gezahlte Renten umzustellen seien, im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, sie sei vom Gesetzgeber übersehen worden. Diese Lücke des Gesetzes müsse durch die Rechtsprechung nach allgemein gültigen Auslegungsregeln ausgefüllt werden. Da das neue Recht keine Kürzung der Rente bei Auslandsaufenthalt mehr kenne, dürfe der Personenkreis, der sich auch schon vor dem 1. Januar 1957 im Ausland aufgehalten habe, nicht schlechter gestellt werden als Versicherte, die nach diesem Zeitpunkt ins Ausland gegangen seien. Daher sei bei der Rentenumstellung von der ungekürzten Rente auszugehen. Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat gegen das am 18. September 1958 zugestellte Urteil am 2. Oktober 1958 Revision eingelegt und sie am 16. Dezember 1958 begründet, nachdem die Begründungsfrist bis zum 18. Dezember 1958 verlängert worden war. Sie trägt vor, die in Art. 2 § 36 ArVNG gebrauchten Worte "bisheriger monatlicher Rentenzahlbetrag" sei eindeutig, so daß eine ergänzende Auslegung nicht in Frage komme. Es sei deshalb bei der Neuberechnung der Rente immer von dem Betrag auszugehen, der nach Anwendung etwa in Betracht kommender Kürzungs- und Ruhensvorschriften tatsächlich gezahlt worden sei. Eine Gesetzeslücke für die Rentenberechnung für die Zeit des Auslandsaufenthalts nach dem 1. Januar 1957 sei nicht vorhanden.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG. Hamburg vom 28. August 1958 und des SG. Hamburg vom 6. Januar 1958 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin bittet um
Zurückweisung der Revision.
II.
Die durch Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht begründet, weil das LSG. ohne Rechtsirrtum angenommen hat, bei der Umstellung der Rente zum 1. Januar 1957 nach Art. 2 § 36 Abs. 1 ArVNG sei von dem ungekürzten Rentenbetrag auszugehen, wie er an einen Rentenbezieher im Inland im Dezember 1956 gezahlt worden wäre.
Zunächst hat das LSG., von der Revision auch nicht angegriffen, zu Recht angenommen, daß die Klägerin die erhöhte Rente nicht erst vom Zeitpunkt ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik an, sondern schon vom 1. Januar 1957 an begehrt. Denn sie wendet sich mit ihrer Klage gegen den Bescheid vom 12. Juli 1957, der die Rente vom 1. Januar 1957 an umstellte, ohne daß aus ihrer Klage oder aus ihrem späteren Vorbringen im Laufe des Verfahrens eine Beschränkung ihres Anspruchs zu entnehmen wäre. Wenn daher das LSG. das Urteil des SG., das eine Verurteilung der Beklagten ohne nähere Zeitbestimmung aussprach, dahingehend ergänzt hat, daß der erhöhte Betrag vom 1. Januar 1957 an zu zahlen sei, so ist es damit nicht über den Antrag der Klägerin hinausgegangen und hat auch nicht gegen den Grundsatz des Verbots der reformatio in peius (Schlechterstellung des Rechtsmittelklägers) verstoßen.
Nach Art. 2 § 36 ArVNG ist eine Rente, auf die für den Monat Dezember 1956 Anspruch bestand und die nach Art. 2 §§ 31 bis 35 ArVNG umzustellen war, für die Zeit vom 1. Januar 1957 durch einen Sonderzuschuß so zu erhöhen, daß der monatliche Rentenzahlbetrag bei der Versichertenrente 21,- DM über dem "bisherigen monatlichen Rentenzahlbetrag" ohne Kinderzuschuß liegt, wenn die Umstellung keine oder eine geringe Erhöhung ergibt. Dabei scheinen zunächst die Worte "bisheriger monatlicher Rentenzahlbetrag" eindeutig in dem Sinne zu sein, daß damit in allen Fällen die tatsächlich gezahlte Rente nach Berücksichtigung etwa anzuwendender Kürzungs- und Ruhensbestimmungen gemeint ist. Diese Auffassung wird auch vom Kommentar des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (6. Aufl. Art. 2 § 36 Anm. 2) und von Jantz-Zweng (Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, Art. 2 § 36 Anm. I S. 320 unten) vertreten. Dem kann sich jedoch der Senat nicht anschließen. Gegen eine allein dem Wortlaut folgende Auslegung des Begriffs "Rentenzahlbetrag" spricht schon, daß in Fällen der Kürzung des auszuzahlenden Rentenbetrages infolge Aufrechnung (§ 1299 RVO) bei der Umstellung der Rente offensichtlich von dem ungekürzten Rentenbetrag auszugehen ist. Auch bei der Umstellung von ins Ausland gezahlten Renten kann nicht allein dem Wortlaut des Gesetzes gefolgt werden. Die Fassung des Gesetzes berücksichtigt offenbar nur die Regelfälle, bei denen eine im Inland gezahlte Rente umzustellen war, aber nicht Rentenumstellungen von Berechtigten, die sich im Dezember 1956 im Ausland aufgehalten und deshalb eine gekürzte Rente bezogen haben. Wäre auch für diese Fälle in der genannten Vorschrift die tatsächlich gezahlte Rente gemeint, so wäre dies nicht mit den Vorschriften des Gesetzes in Einklang zu bringen, die im Gegensatz zum bisherigen Recht keine Kürzung von Renten bei Auslandsaufenthalt vorsehen. Denn die bisherige Vorschrift des § 1284 RVO a.F., wonach bei ins Ausland gezahlten Renten der Grundbetrag außer Ansatz bleibt, ist im neuen Recht nicht mehr enthalten; lediglich eine dem bisherigen § 1282 RVO a.F. entsprechende Vorschrift ist in § 1283 RVO n.F. übernommen, die aber hier nicht zutrifft. Diese Änderung des bisherigen Rechtszustandes ist in der Hauptsache darauf zurückzuführen, daß die Gründe, die zu einer Kürzung der Rente bei Auslandsaufenthalt geführt haben - es sollten öffentliche Gelder nicht unbeschränkt ins Ausland fließen --, im Laufe der Jahre weggefallen sind. Es kann deshalb nicht Sinn des Gesetzes gewesen sein, bei einzelnen Rentnern den bisherigen Rechtszustand aufrecht zu erhalten und einem Rentenempfänger, der sich im Dezember 1956 zufällig im Ausland aufgehalten hat, für die folgende Zeit dauernd eine gekürzte Rente zu gewähren, und zwar auch dann, wenn er später wieder in den Geltungsbereich des Gesetzes zurückkehrt, - während ein Rentner, der sich nach dem 1. Januar 1957 ins Ausland begibt, die volle ungekürzte Rente erhält; eine Umstellung zu einem späteren Zeitpunkt als am 1. Januar 1957 - etwa dem der späteren Rückkehr nach Deutschland - ist im Gesetz nicht vorgesehen.
Für eine Umstellung unter Zugrundelegung der ungekürzten Rente sprechen auch folgende Erwägungen: Bei der Umstellung nach Art. 2 § 32 Abs. 3 ArVNG sind Kürzungs- und Ruhensvorschriften nicht anzuwenden, auch hier sollten also der Inlands- und der Auslandsrentner gleichgestellt werden. Des weiteren sind nach Art. 2 § 32 Abs. 4 ArVNG auf den nach den Absätzen 2 bis 3 errechneten Rentenbetrag die vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an geltenden Kürzungs- und Ruhensvorschriften anzuwenden. Der Gesetzgeber will also bei der Durchführung der Umstellung auf die umzustellenden Renten nur das künftige Recht angewandt wissen. Es wäre deshalb nicht verständlich, wenn die in Art. 2 § 32 Abs. 3 und 4 ArVNG in Wegfall kommenden Kürzungsvorschriften bei Anwendung des Art. 2 § 36 angewandt würden.
Da aber das neue Recht bei Auslandsaufenthalt eine Kürzung und ein Ruhen der Rente nicht mehr kennt, muß festgestellt werden, daß der Begriff "bisheriger monatlicher Rentenzahlbetrag" in Art. 2 § 36 Abs. 1 ArVNG nicht schlechthin den tatsächlich gezahlten Rentenbetrag meint, vielmehr ist darunter für die Umstellung der ins Ausland gezahlten Renten der Betrag zu verstehen, der im Dezember 1956 an einen Rentner im Inland zu zahlen gewesen wäre.
Selbst wenn man aber für die hier zu entscheidende Frage eine Gesetzeslücke annehmen wollte, so müßte, wie Stein (Die Umstellung der Auslandsrenten, Soz.Vers. 1958 S. 196) mit Recht meint, diese Gesetzeslücke der Willensrichtung des Gesetzgebers entsprechend (vgl. BSG. 6 S. 204 (211)) im gleichen Sinne geschlossen werden, weil - wie dargelegt - das neue Recht keine Kürzung der Rente bei Auslandsaufenthalt kennt.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen