Entscheidungsstichwort (Thema)
Umrechnung mitgliedstaatlicher Versicherungszeiten. Anrechnung eines verbleibenden Dezimalrests
Leitsatz (amtlich)
Verbleibt im Rahmen der Anwendung der EWGV 4 und EWGV 574/72 durch den deutschen Versicherungsträger bei der Umrechnung italienischer Wochenbeiträge in Beitragsmonate, die bei der Zusammenrechnung italienischer und deutscher Versicherungszeiten erforderlich ist, ein unter einem Monat liegender Rest, so ist dieser als voller Beitragsmonat zu werten (Anschluß an EuGH 1975-10-30 33/75 = EuGHE 1975, 1323).
Leitsatz (redaktionell)
Zur Umrechnung mitgliedstaatlicher Versicherungszeiten - hier Anrechnung eines verbleibenden Dezimalrests:
RVO § 1250 Abs 2 S 2 gilt für die Umrechnung mitgliedstaatlicher Versicherungszeiten, die für die Anspruchsprüfung heranzuziehen sind, entsprechend. Ein bei der Umrechnung italienischer Wochenbeiträge in Monate verbleibender Rest von 24 Tagen ergibt daher einen weiteren Monat Versicherungszeit. Die Beitragsart ist dabei unbeachtlich.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, § 1250 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23; EWGV 4 Art. 13 Fassung: 1958-12-03; EWGV 574/72 Art. 15 Fassung: 1972-03-21
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. April 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht; insbesondere, ob er die Wartezeit erfüllt hat.
Der Kläger, ein in Italien wohnender Italiener, hat in der deutschen Rentenversicherung der Arbeiter in der Zeit von 1962 bis 1966 47 Beitragsmonate zurückgelegt und in der italienischen Rentenversicherung im Jahre 1963 14 Pflicht- sowie im Jahre 1967 42 freiwillige Wochenbeiträge entrichtet. Die im Januar 1967 und Februar 1968 gestellten Rentenanträge blieben ohne Erfolg. Die Beklagte lehnte auch den im Dezember 1971 gestellten Rentenantrag mit Bescheid vom 25. April 1972 ab, weil der Kläger nur eine Versicherungszeit von 59 Kalendermonaten zurückgelegt und daher die Wartezeiten nicht erfüllt habe.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 30. Januar 1973 den Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. Dezember 1971 an Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 6. April 1976 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat die Ansicht vertreten, die Wartezeit sei erfüllt, denn der deutschen Versicherungszeit von 47 Monaten seien nach den Artikeln 27, 28 der EWG-Verordnung Nr. 3 sowie Art 38, 39 der EWG-Verordnung Nr 1408/71 die italienischen Beitragszeiten hinzuzurechnen. Die Umrechnung der in der italienischen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragswochen in Beitragsmonate sei in Art. 13 der EWG-Verordnung Nr. 4 und Art. 15 der EWG-Verordnung Nr. 574/72 geregelt. Danach habe der Kläger in der italienischen Rentenversicherung volle 12 Monate zurückgelegt, wobei ein Rest verbleibe, der ebenfalls als voller Beitragsmonat zu werten sei. Die genannten Umrechnungsvorschriften in den EWG-Verordnungen enthielten zwar keine Bestimmung darüber, ob und wie Restzeiten, die keinen vollen Monat ausmachen, anzurechnen seien. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) habe jedoch am 30. Oktober 1975 entschieden, daß eine nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates zurückgelegte Versicherungszeit, bei der sich nach der zum Zweck der Zusammenrechnung vorgenommenen Umrechnung in Monate noch ein Dezimalrest ergebe, auf die nächsthöhere, in Monaten ausgedrückte Einheit aufzurunden sei, wenn eine in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegte Versicherungszeit von weniger als einem Monat nach den deutschen Rechtsvorschriften als voller Monat anzusehen sei, damit die Arbeitnehmer durch den Wechsel in ein anderes Land nicht die in ihrem Herkunftsland erworbenen Rechte verlören. Diese Entscheidung des EuGH führe auch im vorliegenden Fall dazu, daß der bei der Umrechnung verbleibende Rest als voller Monat zu werten sei, so daß der Kläger in der italienischen Rentenversicherung 13 Beitragsmonate zurückgelegt habe. Zu dem gleichen Ergebnis komme man bei Anwendung des § 1250 Abs. 2 RVO, wonach im Gegensatz zu § 1262 Abs. 3 RVO aF auch ein Rest von weniger als 4 Wochenbeiträgen als voller Kalendermonat gilt. Sei danach die Wartezeit erfüllt, so habe der Kläger einen Anspruch auf die Rente wegen Berufsunfähigkeit, denn die Beklagte wende sich nicht gegen die Annahme ihres Medizinalreferenten, der Kläger sei wegen der bestehenden Gesundheitsstörungen nur noch in der Lage, täglich 2 bis 4 Stunden zu arbeiten, und damit seit dem 1. Dezember 1971 berufsunfähig.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Sie ist der Ansicht, die Wartezeit sei nicht erfüllt, denn die in der italienischen Rentenversicherung zurückgelegten 56 Beitragswochen seien in 12 Beitragsmonate umzurechnen, so daß der Kläger insgesamt nur 59 Beitragsmonate zurückgelegt habe. Für die Umrechnung der italienischen Beitragszeiten sei § 1250 RVO nicht anwendbar, denn er habe nur die Umrechnung deutscher Versicherungszeiten zum Inhalt. Die Umrechnung der italienischen Versicherungszeiten richte sich ausschließlich nach dem Gemeinschaftsrecht. Danach bestehe die Beitragswoche aus 6 Tagen und der Beitragsmonat aus 26 Tagen, so daß der Kläger 336 Beitragstage oder 12,923 Beitragsmonate zurückgelegt habe. Die EWG-Verordnungen enthielten keine Bestimmung für den Fall, daß bei der Umrechnung der zu übernehmenden Versicherungszeiten ein Rest verbleibe. Deshalb könne der verbleibende Dezimalrest von 0,923 Monaten nicht auf einen vollen Monat aufgerundet werden. Dieser Ansicht stehe das Urteil des EuGH vom 30. Oktober 1975 nicht entgegen. Danach sei ein verbleibender Dezimalrest nur dann auf die nächsthöhere Zeiteinheit aufzurunden, wenn eine in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegte Versicherungszeit von weniger als einem Monat nach den deutschen Rechtsvorschriften als voller Monat anzurechnen sei. Ob dies der Fall sei, beurteile sich allein nach deutschem Recht, dessen Auslegung nicht in die Zuständigkeit des EuGH falle. Da bereits nach italienischem Recht nicht vollbelegte Beitragswochen auf volle Wochen aufgerundet würden, finde eine doppelte Aufrundung statt, wenn ein bei der Umrechnung verbleibender Beitragsrest entsprechend § 1250 Abs. 2 RVO als voller Beitragsmonat gelte.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Beklagten sei unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. das LSG hat mit Recht die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des SG zurückgewiesen. Der Kläger hat nach § 1246 RVO einen Anspruch auf die begehrte Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger die Wartezeit nach § 1246 Abs. 3 RVO erfüllt hat. Den 47 Beitragsmonaten in der deutschen Rentenversicherung sind nach Art. 27 der EWG-Verordnung Nr. 3 und Art. 45 der EWG-Verordnung Nr. 1408/71 die 56 zur italienischen Rentenversicherung entrichteten Wochenbeiträge hinzuzurechnen. Da § 1246 Abs. 3 RVO für die Erfüllung der Wartezeit eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten fordert, sind die italienischen Wochenbeiträge in Beitragsmonate umzurechnen. Nach Art. 13 Abs. 4 der EWG-Verordnung Nr. 4 und Art. 15 Abs. 3 der EWG-Verordnung Nr. 574/72 gelten für die Umrechnung 6 Tage als eine Woche, 26 Tage als 1 Monat, 3 Monate oder 13 Wochen oder 78 Tage als 1/4 Jahre und jeweils umgekehrt. Für die Umrechnung von Wochen in Monate und umgekehrt werden die Wochen und Monate nach Tagen gezählt (vgl. Art. 13 Abs. 4 e der EWG-Verordnung Nr. 4). Danach sind zunächst die 56 Wochen in 336 Tage und diese in 12 Monate umzurechnen, wobei ein Rest von 24 Tagen verbleibt. Da die bei der Umrechnung sich ergebenden vollen 12 Monate zusammen mit den deutschen 47 Beitragsmonaten lediglich 59 Beitragsmonate ergeben und zur Erfüllung der Wartezeit nicht ausreichen, ist zu entscheiden, ob der bei der Umrechnung verbleibende Rest von 24 Tagen, der wiederum 4 Wochen ergibt, als voller Monat zu werten oder aber unberücksichtigt zu lassen ist. Diese Frage ist in den EWG-Verordnungen nicht ausdrücklich geregelt. Daraus kann aber nicht mit der Beklagten der Umkehrschluß gezogen werden, daß lediglich die bei der Umrechnung sich ergebenden vollen Monate zu berücksichtigen sind und die unter der vollen Einheit liegenden Restwerte unberücksichtigt gelassen werden müssen. Es mag dahingestellt bleiben, ob die in den EWG-Verordnungen enthaltene Lücke über die Anrechnung oder Nichtanrechnung eines bei der Umrechnung verbleibenden Beitragsrestes durch die entsprechende Anwendung innerstaatlicher Vorschriften, insbesondere des § 1250 Abs. 2 RVO, geschlossen werden kann. Die Notwendigkeit der Anrechnung eines bei der Umrechnung verbleibenden Beitragsrestes ergibt sich aus dem im Gemeinschaftsrecht enthaltenen Grundsatz der Gleichbehandlung der italienischen mit den deutschen Beitragszeiten, wie der EuGH in der Rechtssache 33/75 am 30. Oktober 1975 entschieden hat (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Nr. C 9/1976 S.3). Nach dieser Entscheidung ist eine nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates zurückgelegte Versicherungszeit, bei der sich nach der zum Zwecke der Zusammenrechnung vorgenommenen Umrechnung in Monate noch ein Dezimalrest ergibt, auf die nächsthöhere in Monaten ausgedrückte Einheit aufzurunden, wenn eine in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegte Versicherungszeit von weniger als einem Monat nach den deutschen Rechtsvorschriften als voller Monat anzusehen ist, damit die Arbeitnehmer durch den Wechsel in ein anderes Land nicht in ihrem Herkunftsland erworbene Rechte verlieren. Die vom EuGH entschiedene Rechtssache unterscheidet sich von dem vorliegenden Fall tatbestandsmäßig lediglich dadurch, daß es sich bei dem nach der Umrechnung verbleibenden Beitragsrest nicht um freiwillige, sondern um Pflichtbeiträge gehandelt hat. Dieser Unterschied rechtfertigt aber nicht eine andere Entscheidung. Der erkennende Senat sieht auch keinen Grund, der Entscheidung des EuGH nicht zu folgen. Die in der Entscheidung des EuGH enthaltene, nach innerstaatlichem Recht zu beantwortende Bedingung ist im vorliegenden Fall erfüllt. Da § 1250 Abs. 2 Satz 2 RVO die Anrechnung eines nach der Umrechnung gemäß Satz 1 aaO verbleibenden Beitragsreste von weniger als 4 Wochen als vollen Kalendermonat vorschreibt, muß dies nach der Entscheidung des EuGH auch für die italienischen Beitragszeiten gelten. Zwar setzt § 1250 Abs. 2 Satz 2 RVO die Umrechnung gemäß Satz 1 aaO der nach früherem Recht zurückgelegten deutschen Beitragswochen voraus. Nach der Entscheidung des EuGH handelt es sich aber nicht um die unmittelbare oder entsprechende Anwendung dieser Vorschrift, sondern lediglich um die Beantwortung der sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Frage, ob das deutsche Recht für deutsche Beiträge die Aufrundung eines Beitragsrestes auf die volle Einheit vorschreibt. Das ist aber eindeutig der Fall. Der Kläger hat danach also 13 Beitragsmonate in der italienischen Rentenversicherung zurückgelegt und mit den deutschen Beiträgen die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt.
Das LSG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger berufsunfähig nach § 1246 Abs. 2 RVO ist. Das LSG hat zwar nicht ausdrücklich seine Überzeugung von der Leistungsfähigkeit des Klägers festgestellt. Es ist vielmehr in den Entscheidungsgründen lediglich davon ausgegangen, daß die Beklagte sich nicht gegen die in dem Gutachten ihres Medizinalreferenten angenommene Berufsunfähigkeit wende, so daß lediglich die Frage der Wartezeit streitig sei. Dem Urteil kann aber entnommen werden, daß das LSG die medizinischen Feststellungen des Gutachtens übernehmen will, wonach der Kläger nur noch in der Lage ist, täglich 2 bis 4 Stunden leichte Arbeiten zu verrichten. Damit ist der Kläger aber berufsunfähig. Die Voraussetzungen des § 1246 RVO für die Gewährung der Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit liegen damit vor.
Der Senat hat die danach unbegründete Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen