Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 1991 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin der Beklagten die Offenbarung von medizinischen Daten an Dritte untersagen kann.
Die Klägerin erlitt im Jahre 1983 einen Arbeitsunfall. Die Beklagte bewilligte der Klägerin deshalb zunächst Verletztenrente, die sie im Jahre 1987 wieder entzog. Gegen den Entziehungsbescheid erhob die Klägerin im Jahre 1987 Klage zum Sozialgericht (SG), das zusätzliche medizinische Gutachten einholte. Nach Übersendung der Gutachten durch das Gericht gab die Beklagte die Gutachten an zwei beratende Ärzte zur Stellungnahme weiter. Die Klägerin widersprach diesem Vorgehen der Beklagten, das sie für rechtswidrig hält. Nach Einholung eines weiteren Gutachtens nahm sie die Klage gegen den Entziehungsbescheid im Oktober 1990 zurück.
Mit einer weiteren im Jahre 1988 erhobenen Klage, die Gegenstand dieses Revisionsverfahrens ist, hat sie zunächst begehrt, festzustellen, daß die Offenbarung ihrer Gesundheits- und Krankheitsdaten durch die Beklagte gegenüber den beratenden Ärzten rechtswidrig war, sowie die Beklagte zu verurteilen, künftig eine Weitergabe ihrer Daten an nicht am Gerichtsverfahren beteiligte Personen ohne Einholung ihrer Einwilligung zu unterlassen. Nachdem die Klägerin den Feststellungsantrag hat fallen gelassen, hat das SG mit Urteil vom 20. Oktober 1989 die Beklagte verurteilt, es künftig zu unterlassen, Gesundheits- und Krankheitsdaten der Klägerin an Dritte, nicht am Verfahren beteiligte Personen zu offenbaren, wenn die Klägerin von ihrem Widerspruchsrecht nach § 76 Abs 2 Nr 1 Sozialgesetzbuch -Zehntes Buch- (SGB X) Gebrauch gemacht hat. Die Klägerin könne nach dieser Vorschrift auch im Rahmen eines Sozialgerichtsprozesses einer Weitergabe von Gutachten durch die Beklagte an Dritte widersprechen. Die Beklagte habe diesen Widerspruch sodann zu beachten. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 11. Dezember 1991 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Klägerin fehle schon das Rechtsschutzbedürfnis für ihr Begehren. Soweit sie eine vorbeugende Unterlassungsklage gegen eine künftige Weitergabe von Daten erhoben habe, sei das Rechtsschutzbedürfnis dadurch entfallen, daß die Klägerin in dem ursprünglichen Gerichtsverfahren wegen der Entziehung der Unfallrente nach einer weiteren Begutachtung im Oktober 1990 die Klage zurückgenommen habe. Die vorbeugende Unterlassungsklage erfordere ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse, das nicht mehr vorliege, wenn die Klägerin die Entziehung der Dauerrente nicht mehr anfechte. Auch soweit sie im November 1991 einen Verschlimmerungsantrag gestellt habe, könne dieses neu eröffnete Verwaltungsverfahren kein schützenswertes Interesse an einem vorbeugenden Rechtsschutz für die Klägerin begründen, da es offenbleibe, ob es hierüber in Zukunft überhaupt zu einem gerichtlichen Streitverfahren kommen werde. Für das weitere, im Berufungsverfahren wieder aufgegriffene Klagebegehren, hilfsweise festzustellen, daß die Offenbarung der Gutachten durch die Beklagte in dem ursprünglichen Streitverfahren rechtswidrig gewesen sei, fehle es an dem für eine Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlichen besonderen Feststellungsinteresse. Dessen ungeachtet sei der Anspruch der Klägerin auch unbegründet, da § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X auf die Weitergabe von medizinischen Gutachten im Rahmen eines Sozialgerichtsprozesses grundsätzlich keine Anwendung finde.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin eine Verletzung insbesondere des § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X, der dem Betroffenen auch während des Sozialgerichtsverfahrens ein Widerspruchsrecht gegen die Offenbarung von Gesundheits- und Krankheitsdaten eröffne. Das Rechtsschutzbedürfnis sei hier trotz der Klagerücknahme wiederaufgelebt, da sie im Jahre 1991 einen Verschlimmerungsantrag gestellt habe. Mit einem neuen Gerichtsverfahren über die Verschlimmerung der Unfallfolgen sei mit Wahrscheinlichkeit zu rechnen. Es könne ihr nicht zugemutet werden, erst dieses Verfahren abzuwarten und in dem künftigen Rechtsstreit ihr Widerspruchsrecht auszuüben. Nachträglicher Rechtsschutz käme dann zu spät, weil die Beklagte aufgrund der ungeklärten Rechtslage in dem wahrscheinlichen künftigen Rechtsstreit weiterhin „ungehemmt” beratungsärztliche Stellungnahmen zu den Gerichtsakten reichen könnte. Jedenfalls für das hilfsweise Feststellungsbegehren folge das Rechtsschutzbedürfnis aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Oktober 1978 (BSGE 47, 118).
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG NRW wird die Beklagte verurteilt, es künftig zu unterlassen, Gesundheits- und Krankheitsdaten der Klägerin gegenüber dritten nicht am Verfahren beteiligten Personen, insbesondere außenstehenden Ärzten, die nicht zur Behörde der Beklagten selbst gehören, zu offenbaren, wenn und solange die Klägerin von ihrem Widerspruchsrecht nach § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X Gebrauch macht.
Hilfsweise hierzu:
Das angefochtene Urteil des LSG NRW wird aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Duisburg wird zurückgewiesen.
Hilfsweise:
Unter Abänderung des angefochtenen Urteils des LSG sowie des Urteils des SG Duisburg vom 20.10.1989 wird festgestellt, daß die Offenbarung der klägerischen Gesundheits- und Krankheitsdaten gegenüber den beratenden Ärzten der Beklagten (Dr. Sch. … und Dr. V.) in dem Gerichtsverfahren SG Duisburg S 26 U 34/87 rechtswidrig war.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet.
Die von der Klägerin erhobene Klage ist bereits wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wie das LSG zutreffend entschieden hat.
1. Mit ihrem Hauptantrag begehrt die Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, es in Zukunft zu unterlassen, medizinische Daten der Klägerin nicht am Verfahren beteiligten Dritten zu offenbaren, wenn und solange sie von ihrem Widerspruchsrecht gem § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X Gebrauch macht. Zu Recht hat das LSG dieses Begehren als vorbeugende Unterlassungsklage gem § 54 Abs 5 SGG angesehen, da es sich auf das Unterlassen einer zukünftig drohenden Amtshandlung richtet, die nicht in der Form eines Verwaltungsaktes zu ergehen hat. Die Statthaftigkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage im Sozialgerichtsprozeß als Unterfall der echten Leistungsklage gem § 54 Abs 5 SGG wird vom BSG und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in ständiger Rechtsprechung anerkannt (BSGE 43, 134, 139; 45, 109, 113; BSG Urteil vom 15. Februar 1979 – 7/12 RAr 43/77 – Breithaupt 1980, 233, 234; LSG Bremen, SozSich 1987, 223). Allerdings sind an das Rechtsschutzbedürfnis für diese Klageart besondere Anforderungen zu stellen (Hennig/Danckwerts/König, Sozialgerichtsgesetz, § 54 Anm 3.5.4; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, IV., RdNr 65; Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl, § 54 RdNr 42). Dazu hat vor allem das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) herausgestellt, daß für eine vorbeugende Unterlassungsklage, die sich auf ein zukünftiges Handeln bezieht, ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis erforderlich ist (BVerwGE 40, 323, 326; 54, 211, 216; 71, 183, 188 ff; 82, 76; Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl, § 42 RdNr 162 mwN; Dreier, NVwZ, 1988, 1073, insbes 1075 ff; Ule, VerwArch 1974, 291, insbes 303 ff). Ein solches qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis setzt voraus, daß im vorliegenden Fall die Klägerin schon jetzt ein gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse darlegt (BVerwGE 40, 323, 326). Unter Berücksichtigung dieser in der Rechtsprechung anerkannten Kriterien für ein solches besonderes Rechtsschutzbedürfnis steht der Klägerin im vorliegenden Falle kein rechtlich schützenswertes Interesse an der Klärung der von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen zu.
Soweit das BSG als maßgebliches Kriterium für die Zulässigkeit vorbeugenden Rechtsschutzes erachtet, daß ein erneutes widerrechtliches Vorgehen der Behörde ernstlich zu befürchten ist (s insbes BSG Breithaupt 1980, 233, 234), kann hier aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) von einer solchen Wiederholungsgefahr (s auch BSG SozR 2200 § 368n Nr 34) nicht ausgegangen werden. Hierbei kann dahinstehen, welche rechtliche Bedeutung der Erklärung des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten vor dem LSG zukommt, sie werde die Klägerin in Zukunft vor allen Weitergaben von Gutachten unterrichten. Denn aufgrund der Klagerücknahme der Klägerin im Ausgangsverfahren ist hier bereits offen, ob und wann es erneut zu einem Gerichtsverfahren zwischen den Beteiligten kommen wird. Selbst wenn dies aufgrund des im Jahre 1991 gestellten Verschlimmerungsantrages – wie die Revision als wahrscheinlich ansieht – der Fall sein sollte, ist nicht vorhersehbar, ob vom SG dann von Amts wegen oder auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG überhaupt Gutachten eingeholt werden. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, bleibt offen, ob die Beklagte diese Gutachten – insbesondere wenn sie eine für die Beklagte günstige Beurteilung enthalten – an sie beratende Ärzte weiterleiten wird, und ob sie ggf die Klägerin vor dieser Weiterleitung informiert. Damit besteht hier keine ernstliche Befürchtung, daß ein als rechtswidrig behauptetes Handeln der Beklagten unmittelbar bevorsteht und sich zwangsläufig in der Zukunft und zudem noch – wie die Revision meint – „hinter dem Rücken der Klägerin” wiederholen wird.
Der Senat hält es deshalb nicht nur für zumutbar sondern sogar für tunlich, die Klägerin auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes in dem Klageverfahren zu verweisen, in dem sie eine konkrete Wiederholungsgefahr zu erkennen vermag (vgl BSGE 43, 134, 139). Ein solches Abwarten der Ereignisse wäre ggf nicht hinnehmbar, wenn sonst die Gefahr bestünde, daß vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen werden, oder wenn ein für die Klägerin nicht wiedergutzumachender Schaden entstünde (so insbes BVerwGE 71, 183, 189; Redeker/von Oertzen aaO § 42 RdNr 162). Hier könnte der zukünftige Schaden der Klägerin darin bestehen, daß vom SG eingeholte medizinische Gutachten von der Beklagten an dritte Ärzte weitergegeben werden, ohne daß die Klägerin hiervon erfährt und widersprechen könnte. Eine solche Weitergabe, deren Rechtmäßigkeit hier nicht zu überprüfen ist, hätte zur Folge, daß ein weiterer Arzt Krankheitsdaten der Klägerin zur Kenntnis bekommt, wobei dieser Arzt allerdings den rechtlichen Bindungen des § 78 SGB X unterliegt.
Aber auch diesen – begrenzten – Nachteil innerhalb eines grundsätzlich öffentlichen Gerichtsverfahrens kann die Klägerin beseitigen, indem sie in einem neuen Verfahren zunächst durch Zwischenfeststellungsklage die Rechtswidrigkeit der Weitergabe feststellen läßt. Die gem § 202 SGG iVm § 256 Abs 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) im Sozialgerichtsprozeß grundsätzlich zulässige Zwischenfeststellungsklage (BSGE 13, 163, 164) ist somit hier die geeignete Rechtsschutzform, wenn zukünftig jemals die Streitfrage zwischen den Beteiligten zu entscheiden wäre. In einem neuen, dann maßgebenden Verfahren vermag nicht nur die Klägerin sowohl die Wiederholungsgefahr genau einzuschätzen und nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens besser zu entscheiden, ob sie unter Berücksichtigung der in Betracht kommenden Ärzte und deren Einbindung in die Organisation der Beklagten der Weitergabe widersprechen will. Vor allem das Gericht kann aufgrund aller wesentlichen Umstände sowohl die Wiederholungsgefahr sicher einschätzen als auch die Entscheidung auf die maßgebenden Maßnahmen erstrecken und begrenzen. Im vorliegenden Verfahren könnte dagegen im Hinblick auf die Vielzahl der möglichen sogenannten sensiblen Daten und ihrer Weitergabe an andere Ärzte, die ebenfalls in sehr unterschiedlicher Weise in die Organisation der Beklagten eingebunden sind, die Entscheidung in wesentlich geringerem Umfang der Rechtssicherheit durch konkrete, aber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für beide Beteiligten genügender Bestimmtheit ergehen. Auch die vorbeugende Unterlassungsklage ist auf den konkreten Streit zwischen den Beteiligten und nicht der Lösung – hier – allgemeiner den Datenschutz betreffender Fragen gerichtet. Daher ist unter Berücksichtigung einerseits der Ungewißheit, ob zwischen den Beteiligten in Zukunft nochmals die Streitfrage geklärt werden muß, und andererseits der rein formalen Nachteile, die aus einer Weitergabe für die Klägerin erwachsen könnte, das qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis für eine schon jetzt und nicht erst im neuen Verfahren erhobene vorbeugende Unterlassungsklage gem § 54 Abs 5 SGG zu verneinen.
2. Auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung, daß die in dem ursprünglichen Streitverfahren erfolgte Offenbarung der Gesundheits- und Krankheitsdaten der Klägerin an die beratenden Ärzte der Beklagten rechtswidrig gewesen war, ist unzulässig. Hierzu hat das LSG zutreffend festgestellt, daß die Rechtswirkungen der erfolgten Offenbarung an die beratenden Ärzte sich durch die Klagerücknahme „erledigt” haben. Die Zulässigkeit der Klage ist daher entsprechend den Kriterien der sog Fortsetzungsfeststellungsklage gem § 131 Abs 1 Satz 3 SGG zu beurteilen (vgl hierzu: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 240q; Krasney/Udsching aaO IV RdNr 96; Meyer-Ladewig aaO § 131 RdNr 10; Redeker/von Oertzen aaO § 113 RdNr 13).
Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, daß das Handeln der Beklagten rechtswidrig gewesen ist, kann sich wiederum aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ergeben (BSGE 42, 212, 217; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 12 mwN). Auch hier gilt jedoch – ebenso wie bei dem als unzulässig anzusehenden Hauptantrag auf Unterlassung zukünftigen Handelns –, daß nicht völlig ungewiß bleiben darf, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse vorliegen wie im Zeitpunkt des Erlasses des erledigten Verwaltungsaktes (BSG SozR aaO) bzw des angegriffenen Verwaltungshandelns der Beklagten. Nicht ausreichend ist, daß der Kläger lediglich seine Rechtsauffassung bestätigt sehen möchte (so BVerwGE 61, 164, 166; Brackmann aaO; Meyer-Ladewig aaO). Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall auch grundsätzlich von der Entscheidung des BSG vom 25. Oktober 1978 (BSGE 47, 118, 119; hierzu auch Krasney/Udsching aaO IV RdNr 65), auf die sich die Klägerin zur Begründung der Zulässigkeit ihres Hilfsantrages beruft. In dieser Entscheidung hatte das BSG die gem § 163 SGG bindende Feststellung des LSG zu beachten, daß der beklagte Verwaltungsträger sein Verhalten jederzeit wiederholen wollte und konnte. Demgegenüber ist hier – wie oben ausgeführt – nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG offen, ob das erledigte Verwaltungshandeln in der von der Klägerin beanspruchten Form sich jemals wieder ereignen wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen