Beteiligte
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. März 1997 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger wendet sich gegen die Kürzung seiner Altersrente wegen Zusammentreffens mit einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der im Jahre 1935 geborene Kläger erlitt im Jahre 1963 einen Arbeitsunfall. Von der Bergbau-Berufsgenossenschaft (BG) erhält er deswegen eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH (Höhe im Februar 1995: DM 408,10).
Die beklagte Bundesknappschaft bewilligte ihm mit Bescheid vom 13. Februar 1995 Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige ab dem 1. Februar 1995, jedoch wegen des Verletztenrentenbezugs nur gekürzt. Nach Abzug des Kürzungsbetrages von DM 267,43 verblieb ihm eine monatliche Rente von DM 2.917,90 (vor Beitragszahlung zur Kranken- und Pflegeversicherung). Der Widerspruch gegen die Kürzung blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1995).
Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Aachen vom 16. Januar 1996; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 27. März 1997). Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu §1278 Reichsversicherungsordnung (RVO) könne im zu entscheidenden Fall auf §93 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) übertragen werden; hiernach aber sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn zur Vermeidung eines Doppelbezuges von Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung sozialversicherungsrechtliche Ansprüche beschnitten würden. Ob beim Kläger die Rechtsänderung gegenüber den Regelungen des früheren Rechts überhaupt Auswirkungen habe, könne dahinstehen, da §93 SGB VI weder gegen Art 14 Abs 3 Grundgesetz (GG) noch gegen Art 3 Abs 1 GG verstoße.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sinngemäß meint er, es sei zu prüfen, ob §93 Abs 3 SGB VI verfassungskonform sei. Eine ihn benachteiligende Ungerechtigkeit liege darin, daß die durch den Unfall verhinderte berufliche Entwicklung weder bei der Berechnung seiner Altersrente noch bei der Anrechnung der Unfallrente berücksichtigt worden sei. Deshalb führe eine vollständige Leistung beider Renten in seinem Fall nicht zu einer Doppelversorgung.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die angefochtenen Urteile des Sozialgerichts Aachen und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen sowie die angefochtenen Bescheide aufzuheben bzw zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, eine Altersrente ohne Anrechnung der Verletztenrente aus der Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der Grund dafür, daß die Verletztenrente losgelöst von tatsächlichen Einkommenseinbußen gezahlt werde, liege darin, daß die Ausgleichsfunktion der Verletztenrente abstrakt sei. Es wäre daher systemwidrig, den möglicherweise verhinderten beruflichen Werdegang des Klägers bei der Berechnung des Rentenzahlbetrages zu berücksichtigen.
Die Beklagte hat auf Ersuchen des Senats Vergleichsberechnungen vom 27. Januar 1998 und 22. Juli 1998 auf der Grundlage der Versicherungszeiten des Klägers bis November 1991 vorgelegt, bei denen (Vergleichsberechnung vom 27. Januar 1998) die Vorschriften der RVO, des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) bzw (Vergleichsberechnung vom 22. Juli 1998) die Vorschriften des SGB VI Anwendung fanden. Aus diesen Vergleichsberechnungen ergibt sich ein um jeweils ca 6,3 % niedrigerer Rentenbetrag für die Zeiträume 1992 bis 1997. Der Senat hat den Beteiligten ferner das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 31. März 1998 - B 4 RA 49/96 R - zur Kenntnis übermittelt.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf eine Altersrente ohne Anrechnung seiner Verletztenrente aus der Unfallversicherung nach §93 SGB VI.
Die Beklagte hat diese Vorschrift richtig angewandt. Ebensowenig wie die Vorinstanzen teilt der Senat die vom Kläger geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken.
(1) Hinsichtlich der Anrechnung der Verletztenrente auf die Altersrente nach dem SGB VI schließt sich der Senat im Ergebnis der Argumentation des 4. Senats des BSG in seinem Urteil vom 31. März 1998 (B 4 RA 49/96 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) an. Er läßt jedoch ausdrücklich offen, ob die Verfassungsmäßigkeit der geprüften Vorschrift von einer verfassungskonformen Auslegung der – auch im vorliegenden Fall nicht einschlägigen – Ausnahmevorschrift des §93 Abs 5 Satz 1 Nr 2 SGB VI (keine Anrechnung, wenn die Rente aus der Unfallversicherung – in der ursprünglichen Fassung jener Vorschrift – „auf eigener Beitragsleistung des Versicherten oder seines Ehegatten beruht” bzw – in der gemäß Art 33 Abs 10 des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16. Dezember 1997, BGBl I 2998 ≪RRG 1999≫ ab 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Fassung des Art 1 Nr 48 Buchst c RRG 1999 – „ausschließlich nach dem Arbeitseinkommen des Unternehmers oder seines Ehegatten oder nach einem festen Betrag, der für den Unternehmer oder seinen Ehegatten bestimmt ist, berechnet wird”) abhängt.
(2) Nichts anderes gilt jedoch unter dem Gesichtspunkt, daß – wie die Vergleichsberechnungen der Beklagten ergeben haben – der Kläger nach den Regelungen des SGB VI eine teilweise Anrechnung seiner Verletztenrente auf das Altersgeld hinnehmen muß, während er auf der Grundlage der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Regelungen von RVO, AVG und RKG hiervon verschont geblieben wäre.
Hieran ändert auch nichts, daß der Kläger augenscheinlich – gegenüber dem Rechtszustand nach RVO, AVG und RKG – durch die Neuregelungen des SGB VI außerhalb der hier zu diskutierenden Vorschrift des §93 SGB VI Leistungsverbesserungen erfahren hat, die einen Teil der hierdurch bedingten Einbußen wieder ausgleicht: Nach den Vergleichsberechnungen der Beklagten – ebenso wie nach dem angefochtenen Rentenbescheid vom 13. Februar 1995 – betrug der Anrechnungsbetrag im Februar 1995 (bei Rentenbeginn) DM 267,43, während nach den Vergleichsberechnungen die – fiktive – Rente nach dem SGB VI nur um DM 190,42 niedriger ist als die – auf denselben Grundlagen beruhenden fiktive – Rente nach früherem Recht. Hierin liegt jedoch kein Verfassungsverstoß.
Zwar unterfielen die Rentenanwartschaften des Klägers, so wie sie durch RVO, AVG und RKG ausgestaltet waren, grundsätzlich dem Eigentumsschutz nach Art 14 Abs 1 Satz 1 GG. Sie wurden dadurch gemindert, daß nach dem (durch das Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989, BGBl I 2261, eingeführten) §93 SGB VI nunmehr die Unfallrente des Klägers auf seine Rente aus der Rentenversicherung – teilweise – anzurechnen ist. Mit dieser Neuregelung hat sich jedoch der Gesetzgeber im Rahmen seiner Befugnis nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG gehalten, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen.
Dies gilt hier ebenso wie für jene Fallkonstellation, über die der Senat in seinem Teilurteil vom 28. Mai 1997 (SozR 3-2600 §93 Nr 3 S 30 ff) zu befinden hatte. Zu beurteilen war damals eine Neuregelung, mit der der Gesetzgeber des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG) vom 25. September 1996 (BGBl I 1461) bestimmte Unfallrenten, die zuvor nach §93 Abs 5 SGB VI von der Anrechnung ausgenommen waren, zur Anrechnung heranzog. Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung jener Leistungseinschränkungen war für den Senat maßgebend, daß dem Kläger des damaligen Verfahrens keine bereits laufenden Leistungen entzogen wurden, auf deren dauernden Bezug er sich hätte einstellen können und die ihm eine verläßliche Grundlage für Vermögensdispositionen hätten bieten können. Damit stand ihm im Ergebnis von Verfassungs wegen kein Vertrauensschutz darauf zu, die ungekürzten Leistungen auch in der Zukunft zu erhalten. Nicht anders ist die Sachlage im Fall des jetzigen Klägers zu entscheiden, die ebenfalls dadurch gekennzeichnet ist, daß für ihn, der erst im Jahre 1995 sein 60. Lebensjahr vollendete, kein Vertrauen auf eine Rente in einer Höhe entstehen konnte, wie sie nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht zu berechnen war.
(3) Kein anderes Ergebnis folgt aus der vom Kläger hauptsächlich vorgetragenen Erwägung, bei der von der Beklagten vorgenommenen Anrechnung nach §93 SGB VI finde keine Berücksichtigung, daß er durch den Arbeitsunfall des Jahres 1963 auch Einbußen hinsichtlich seiner beruflichen Entwicklung habe hinnehmen müssen. Ohne den Unfall hätte er einen weiteren beruflichen Aufstieg genommen, aufgrund dessen auch höhere Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden wären, die dann zu einer entsprechend höheren Altersrente geführt hätten. Hiermit macht der Kläger inhaltlich einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) geltend. Aber auch insoweit hält die Regelung des §93 SGB VI der verfassungsrechtlichen Überprüfung stand.
Der Kläger macht eine Beeinträchtigung geltend, die regelmäßig zwar nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung, jedoch innerhalb des abgestuften Leistungsspektrums der Sozialen Entschädigung (zB Kriegsopferversorgung) Berücksichtigung findet. Dieses ist dadurch gekennzeichnet, daß es neben der Grundrente ab einer schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 vH (mindestens 25 vH, s §30 Abs 1 und 2, §31 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz ≪BVG≫) – sie fällt deutlich niedriger aus als die Verletztenrente der Unfallversicherung und betrug zB ab 1. Juli 1995 bei einer MdE um 30 vH DM 212,–/Monat – weitere Leistungen kennt, für die besondere Voraussetzungen zu erfüllen sind. So können ua Beschädigte, deren (auch Renten-)Einkommen durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, einen Berufsschadensausgleich (§30 Abs 3 ff BVG) erhalten, der – in pauschalierter Weise – den Einkommensverlust wegen eines schädigungsbedingt verhinderten Aufstiegs im Beruf teilweise ausgleicht. Demgegenüber hat sich der Gesetzgeber im Unfallversicherungsrecht für eine weitestgehend abstrakte Schadensberechnung entschieden. Anders als im Recht der Sozialen Entschädigung treten in der Regel keine weiteren Kompensationsleistungen zur Verletztenrente hinzu. Für ihre Höhe ist unerheblich, ob und wie sich dieser Verlust tatsächlich im Entgeltbezug auswirkt (s hierzu – mwN – das bereits zitierte Urteil des 4. Senats vom 31. März 1998 - B 4 RA 49/96 R, Umdruck S 14 f sowie S 20 zu den Leistungen des BVG und S 22 zur Berücksichtigung beruflicher Nachteile im Rahmen der Unfallversicherung im Sonderfall: §581 Abs 2 RVO bzw §56 Abs 2 Satz 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch). Dies bedeutet aber gleichermaßen, daß die Verletztenrente auch nicht mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben absinkt, wie dies beim Berufsschadensausgleich der Fall ist.
Geht man jedoch hiervon aus, ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen weder gehalten, eine dem Berufsschadensausgleich entsprechende Einzelleistung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung einzuführen, noch entsprechende Fallgestaltungen im Rahmen der Anrechnungsregelung des §93 SGB VI gesondert zu berücksichtigen. Entscheidend ist vielmehr, daß sowohl die Entschädigungsregelungen des Unfallversicherungsrechts wie diejenigen der Sozialen Entschädigung, jeweils für sich genommen, adäquate Kompensationsleistungen bereithalten. Wie diese im einzelnen ausgestaltet sind, obliegt der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Je nach Lage des Einzelfalles finden sich Betroffene, die sich nach den Entschädigungsgrundsätzen des jeweils anderen Systems besser oder schlechter stünden bzw deren individueller Einbuße eher durch das eine oder durch das andere System besser Rechnung getragen wäre. Im Falle des Klägers zB stünden ihm nach den Maßstäben des BVG bei einer MdE um 20 vH von vornherein keine Rentenleistungen zu. Es besteht jedoch in keinerlei Hinsicht ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Aufstockung der Leistungen des nun einmal zuständigen Systems; eine andere Regelung sähe sich im übrigen zu Recht dem Vorwurf einer „Rosinentheorie” nach dem Günstigkeitsprinzip ausgesetzt. Dem entspricht, daß das BVerfG (Beschluß des Dreier-Ausschusses vom 19. Juli 1984, SozR 2200 §1278 Nr 11) in der abstrakten Berechnung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ebenfalls kein verfassungsmäßiges Hindernis für die Anrechnungsregelung des früheren §1278 RVO gesehen hat.
Die schließlich von der Revision erhobene Rüge einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber einem Beamten geht gleichermaßen fehl. Der Kläger behauptet, ein Beamter erhalte, obwohl er keine eigenen Beiträge geleistet habe, 70 % seines Einkommens als Altersversorgung, während der Bezieher von Renten aus der Sozialversicherung nach Anwendung des §93 SGB VI nur etwa 50 % des vergleichbaren Nettoeinkommens erziele. Ob die genannten Prozentsätze zutreffen, kann hier dahinstehen; richtig ist, daß in der Regel die Beamtenversorgung höher ausfällt als die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Beide Leistungen können jedoch von vornherein nicht miteinander verglichen werden: Die Beamtenversorgung erfüllt nämlich die Funktion zweier der drei „Säulen” der Alterssicherung (hierzu BVerfG vom 19. Oktober 1983, BVerfGE 65, 196, 212) gleichzeitig, nämlich die der Grundsicherung (entsprechend der gesetzlichen Rentenversicherung) einerseits ebenso wie die der Alterssicherung durch den Arbeitgeber (betriebliche Altersversorgung – von der der Kläger möglicherweise auch selbst profitiert) andererseits. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß ein Beamter, bei dem als Folge eines Dienstunfalls eine Minderung der Erwerbsfähigkeit zurückbleibt, einen Unfallausgleich lediglich in Höhe der im Vergleich zur Verletztenrente der Unfallversicherung wesentlich niedrigeren Grundrente nach dem BVG erhält (§35 Abs 1 Beamtenversorgungsgesetz); diese dann allerdings auch im Ruhestand, ohne daß sie auf das Ruhegehalt anzurechnen wäre. Dem entspricht jedoch wiederum die auch im Falle des Klägers angewandte Regelung des §93 Abs 2 Nr 2a SGB VI, wonach bei der Anrechnung der Verletztenrente aus der Unfallversicherung auf die Altersrente ein Betrag entsprechend der Grundrente nach dem BVG anrechnungsfrei bleibt – im Falle des Klägers also DM 141,33 (zwei Drittel der Mindestgrundrente) der Verletztenrente von DM 408,10/Monat.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §193 SGG.
Fundstellen
NZS 1999, 502 |
Breith. 1999, 963 |
SozSi 1999, 376 |