Leitsatz (amtlich)
Zum Unfallversicherungsschutz beim Aufsuchen des Lohnbüros zwecks Reklamation ( Anschluß BSG 1960-12-01 5 RKn 69/59 = BSGE 13, 178).
Normenkette
RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Januar 1959 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger nahm im März 1957 eine Beschäftigung bei der amerikanischen Flugplatzverwaltung in Trier-Euren auf. Das dort beschäftigte deutsche Personal unterstand der Lohnstelle des US-Flugplatzes Bitburg. Der Kläger wurde nicht, wie man zunächst bei seiner Einstellung annahm, als Kegelaufsetzer, sondern - mit geringerem Arbeitsentgelt - als Reiniger verwendet. Die anfänglich gezahlten Lohnvorschüsse ergaben daher eine Überzahlung, zu deren Ausgleich später von den laufenden Bezügen des Klägers ein Betrag von 161,-- DM einbehalten wurde. Am Vormittag des 5. Juni 1957 ließ sich der Kläger vom Dienst befreien und fuhr mit einem zwischen Trier und Bitburg verkehrenden amerikanischen Kurierfahrzeug nach Bitburg, um dort im Personalbüro vorzusprechen; nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) verfolgte der Kläger mit diesem Besuch den Zweck, die Frage seiner Verwendung und die Lohnverhältnisse zu klären. Nach der Besprechung wurde der Kläger in dem Kraftwagen eines nach Trier fahrenden amerikanischen Soldaten mitgenommen. Bei einem unterwegs eingetretenen Verkehrsunfall wurde der Kläger erheblich verletzt.
Der Beklagte, dem das Personalbüro in Bitburg die Unfallanzeige erstattet hatte, lehnte den Entschädigungsanspruch des Klägers mit der Begründung ab, der Kläger sei von der Dienststelle in Bitburg nicht zur Besprechung seiner Lohnverhältnisse dorthin bestellt worden, sondern habe die Fahrt aus eigener Initiative unternommen; es habe sich daher um eine rein private Betätigung des Klägers gehandelt.
Das Sozialgericht (SG) hat die beim Personalbüro in Bitburg tätigen Angestellten H... und B... als Zeugen vernommen und die Klage abgewiesen.
Das LSG hat unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und des angefochtenen Bescheides den Beklagten verurteilt, dem Kläger anläßlich des Unfalls vom 5. Juni 1957 die gesetzliche Entschädigung zu gewähren: Die Fahrt des Klägers nach Bitburg habe wesentlich dem Unternehmen gedient. Auch wenn es dem Kläger persönlich darum gegangen sei, mit der Rücksprache beim Personalbüro seine eigenen Interessen zu wahren, habe daneben doch auch ein objektives Interesse der Arbeitgeberin an der Klärung der Angelegenheit bestanden, da sich bezüglich der Verwendung des Klägers Mißverständnisse ergeben hätten. Auch der unmittelbare Vorgesetzte des Klägers in Trier-Euren habe die Rücksprache in. Bitburg für zweckmäßig gehalten, sonst hätte er dem Kläger keine Dienstbefreiung erteilt und ihm auch nicht zu der Fahrt geraten. Infolge der Organisation der Beschäftigungsdienststelle hätten strittige Personal- und Lohnfragen nicht in Trier, sondern nur in Bitburg geklärt werden können. Ohne Bedeutung sei es, daß der Kläger seine Lohnangelegenheit gelegentlich auch in Trier mit dem Zeugen H... - bei einem von dessen in 4 bis 5-wöchigen Abständen erfolgenden dienstlichen Besuchen daselbst - hätte besprechen können. Für die Bejahung des Versicherungsschutzes genüge es, daß der Versicherte von seinem Standpunkt aus die unfallbringende Tätigkeit für betrieblich notwendig und zweckmäßig halte und daß dann sein Verhalten jeweils wesentlich betrieblichen Zwecken diene. Auch die Betriebsleitung sei daran interessiert, daß Unklarheiten über die Art der Beschäftigung und die Höhe der Vergütung baldmöglichst behoben würden, da dies wesentlich einen reibungslosen Ablauf der Betriebstätigkeit ohne Verärgerung des Arbeitnehmers fördere. In der Rechtsprechung sei der Zusammenhang der betriebsüblichen Lohnzahlung mit dem versicherten Beschäftigungsverhältnis anerkannt; erst recht müsse dies für die Fälle gelten, in denen - wie hier - wegen der Lohnverhältnisse Unklarheit bestehe und dieserhalb die Personalstelle zu einer notwendigen Rücksprache aufgesucht werde. Das LSG- hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 4. April 1959 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 21. April 1959 Revision eingelegt und sie am 16. Mai 1959 begründet. Die Revision rügt, das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß auch die Arbeitgeberin des Klägers an dessen Rücksprache auf dem Personalbüro interessiert gewesen sei; insoweit habe es den Sachverhalt unzureichend erforscht und die Grenzen des richterlichen Beweiswürdigungsrechts überschritten. Dem Kläger sei es in Wirklichkeit nur darum gegangen, für die Lohneinbehaltung von 161,-- DM eine ihm günstigere Regelung zu erreichen; für eine aus diesem Beweggrund unternommene Fahrt habe kein Versicherungsschutz bestanden. Der Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 4. Juli 1958 zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
II
Die Revision ist statthaft durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, daher zulässig.
Mit dem Hilfsantrag hatte sie auch Erfolg.
Mit dem LSG ist davon auszugehen, daß dem Kläger ein Entschädigungsanspruch gegen den Beklagten zusteht, wenn die am Unfalltag ausgeführte Fahrt nach Bitburg und zurück den Belangen des Unternehmens wesentlich gedient hat; daß die Fahrt diesem Zweck überwiegend diente, ist nicht erforderlich (vgl. BSG 3, 240, 245, 246). Hiernach hat es das LSG mit Recht auf die Frage abgestellt, ob die Rücksprache des Klägers im Personalbüro, die von vornherein zweifellos die Wahrung seiner eigenen Interessen bezweckte, daneben auch noch wesentlich den Interessen des Unternehmens, also der Dienstorganisation der bei den amerikanischen Streitkräften beschäftigten deutschen Arbeitnehmer, gedient hat. Dies war unter rechtlichen Gesichtspunkten keineswegs ohne weiteres ausgeschlossen. Der erkennende Senat hat bereits in einem Fall, der die Auflösung des Arbeitsverhältnisses betraf, entschieden, daß der seinen Arbeitgeber zu diesem Zweck aufsuchende Beschäftigte hierbei unfallversichert ist (BSG 8, 176). Noch näher steht dem hier gegebenen Sachverhalt das Urteil des 5. Senats (BSG 13, 178), der angenommen hat, daß der Weg eines Beschäftigten zum Lohnbüro zwecks Geltendmachung eines Fehlers bei der Lohnberechnung unter Versicherungsschutz stehe. Der erkennende Senat pflichtet den rechtlichen Erwägungen dieses Urteils bei; der Klaganspruch wäre somit als gerechtfertigt anzusehen, wenn es sich tatsächlich - wie an mehreren Stellen des angefochtenen Urteils ausgeführt worden ist - um eine Lohnreklamation des Klägers gehandelt hätte, welche durch Unklarheiten, Mißverständnisse oder dergl., die seinerzeit bei der Einstellung des Klägers obwalteten, veranlaßt wurde. Insoweit sind jedoch die vom LSG getroffenen Feststellungen - wie die Revision mit Recht geltend gemacht hat - nicht hinreichend genau und vollständig. Las angefochtene Urteil beschränkt sich auf allgemeine Annahmen und läßt nicht klar erkennen, worüber der Kläger eigentlich mit den Sachbearbeitern im Personalbüro verhandelt hat.
Zutreffend rügt die Revision, daß es schon für die Feststellung des LSG, der Kläger habe die Fahrt nach Bitburg auf Anraten seines unmittelbaren Vorgesetzten angetreten, an ausreichenden aktenmäßigen Grundlagen fehlt. Das LSG hat zwar hierzu auf "vorliegende Unterlagen" Bezug genommen, diese jedoch auch nicht andeutungsweise gekennzeichnet. Da sich der Vorgesetzte im Verfahren weder mündlich noch schriftlich geäußert hat, ist dieser Feststellung der Boden entzogen.
Das LSG, das selbst keine Beweise erhob, hat zwar die Aussagen der vom SG als Zeugen vernommenen Personalsachbearbeiter H. und B. herangezogen. Diese - in mehrfacher Hinsicht an den wesentlichen Fragen vorbeigehenden - Bekundungen hat das LSG jedoch nicht erschöpfend wiedergegeben und ausgewertet. Entnommen hat es ihnen die Feststellung, der Kläger sei zwar am Unfalltag nicht nach Bitburg bestellt worden, es sei aber allgemein üblich gewesen, daß sich die in Trier beschäftigten deutschen Arbeitnehmer wegen der Klärung strittiger Personal- und Lohnfragen nach Bitburg begeben hätten. Bedenken bestehen gegen die hieran geknüpfte Folgerung des LSG, infolge der Organisation der Beschäftigungsdienststelle hätten solche Streitfragen nicht am Beschäftigungsort Trier, sondern nur in der Verwaltungsstelle Bitburg geklärt werden können. Hierbei hat sich das LSG nicht hinreichend mit den Angaben des Zeugen H. auseinandergesetzt, er sei alle 4 bis 5 Wochen nach Trier gefahren, um dort an Ort und Stelle Personalangelegenheiten zu besprechen. Bas LSG hätte sich zu Ermittlungen in der Richtung gedrängt fühlen müssen, wann etwa um die Zeit Anfang Juni 1957 der Zeuge H... die deutschen Beschäftigten in Trier-Euren zuletzt aufgesucht hatte oder demnächst aufzusuchen gedachte. Allein durch die Erwägung, es reiche grundsätzlich aus, daß der Kläger seine Fahrt für betriebsnotwendig gehalten habe, konnten sich diese Ermittlungen nicht erübrigen, zumal wenn sich herausgestellt hätte, daß H... wenige Tage vor oder nach dem 5. Juni 1957 in Trier gewesen sein sollte. In diesem Fall hätte es einer eingehenden Prüfung der Frage bedurft, aus welchen Gründen der Kläger die Gelegenheit, sein Anliegen dem Personalsachbearbeiter in Trier vorzutragen, statt ihn in Bitburg aufzusuchen, nicht nutzen konnte oder wollte.
Mit Recht hat die Revision insbesondere geltend gemacht, daß es für die in den Gründen des angefochtenen Urteils mehrfach wiederholte Annahme, der Kläger habe am 5. Juni 1957 damals noch bestehende Unklarheiten seiner Lohn- und Arbeitsbedingungen klären wollen, an greifbaren Anhaltspunkten fehlt. Dem seit März 1957 bei der Flugplatzverwaltung in Trier beschäftigten Kläger war vor dem 5. Juni 1957 - eine genauere Zeitbestimmung ist nach den bisherigen Feststellungen nicht möglich der Betrag von 161,-- DM vom Lohn einbehalten worden, um die infolge der irrtümlich gezahlten Vorschüsse eingetretene Überzahlung auszugleichen. Dieser Umstand läßt - wie die Revision zutreffend dargelegt hat - den Schluß zu, daß für die Lohnstelle in Bitburg die Unklarheit, die anfänglich wegen der Arbeitsverwendung des Klägers bestand, behoben war und nunmehr für die Folgezeit über die dem Kläger zustehende Vergütung kein Zweifel mehr bestand. Dafür, daß es sich nicht um eine einstweilige Zwischenregelung, sondern um eine endgültige Klarstellung handelte, spricht der offensichtlich genau errechnete und nicht etwa nur pauschalierte Betrag der Einbehaltung. Daß demnach für die Dienststelle die anfänglich bestehenden Zweifelsfragen geklärt waren, schloß nun freilich auf der anderen Seite nicht aus, daß für den Kläger solche Zweifel am 5. Juni 1957 noch fortbestanden. Das Vorbringen des Klägers ermangelte insoweit jedoch hinreichend substantiierter Angaben. Das LSG hätte sich unter diesen Umständen zu Ermittlungen darüber gedrängt fühlen müssen, in welcher Weise der Kläger bei der Lohnabrechnung, welche die Einbehaltung von 161,-- DM anzeigte, über die für diese Maßnahme entscheidenden Gründe unterrichtet worden ist. Es ist durchaus denkbar, daß sich hieraus für den Kläger kein hinreichend klares Bild über seine Lohnansprüche ergab; im letzten Teil der protokollierten Aussage des Zeugen H... finden sich Andeutungen, die hierfür sprechen; freilich handelt es sich um ziemlich verschwommene Erklärungen, auf die übrigens das LSG nicht näher eingegangen ist. Sollten sich durch eine genauere Erforschung des Sachverhalts diese Vermutungen zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit verdichten, so fände der vom LSG eingenommene Rechtsstandpunkt die bislang fehlende tatsächliche Stütze.
Beim jetzigen Stand der Sachaufklärung ist es jedoch - wie der Revision zuzugeben ist - ebensogut möglich, daß auch für den Kläger irgendwelche Unklarheiten am 5. Juni 1957 nicht mehr bestanden und daß er nur deshalb nach Bitburg gefahren ist, um entweder doch noch seine Beschäftigung als Kegelaufsetzer oder aber eine für ihn günstigere Regelung bei der Abtragung der zuviel erhaltenen Lohnvorschüsse zu erreichen. Beide Vorhaben wären jedenfalls in erheblich geringerem Maße betriebsbezogen als der vom LSG vermutete Zweck der Fahrt. Zwar kann grundsätzlich nicht gesagt werden, das Aufsuchen des Personalbüros müsse in diesem Fall schlechthin als rein persönliche Angelegenheit des Klägers und daher nicht versichert gelten. Vielmehr ist auch insofern ein betriebliches Interesse denkbar, welches unter Umständen ausreichen könnte, den Unfallversicherungsschutz für den Kläger zu bejahen. Um dies zu beurteilen, bedürfte es jedoch eingehender Ermittlungen über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles.
Die Revision ist hiernach begründet. Da die bisher getroffenen Feststellungen eine Entscheidung des Senats in der Sache selbst nicht ermöglichen, mußte das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen