Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Ausklammerung von Zeiten des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft

 

Orientierungssatz

Es besteht eine gefestigte Rechtsprechung des BSG in dem Sinne, daß RVO § 1259 Abs 3 idF vor dem RVÄndG es nicht zuließ, Zeiten des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft bei der Berechnung der Halbdeckung auszuklammern.

 

Normenkette

RVO § 1259 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Mai 1965 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Es ist streitig, ob bei der Berechnung der Halbdeckung nach § 1259 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF vor dem Rentenversicherungsänderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 Zeiten des Kriegsdienstes und einer anschließenden Kriegsgefangenschaft "auszuklammern" sind.

Der Kläger bezieht von der beklagten Landesversicherungsanstalt auf Grund eines Bescheides vom 20. Dezember 1963 Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. Juni 1963 an. Der Rentenberechnung liegt u.a. eine pauschale Ausfallzeit von 18 Monaten für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 (Art. 2 § 14 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -) zugrunde.

Mit der Klage hat der Kläger die Anerkennung weiterer Ausfallzeiten - etwa 21 Monate wegen Arbeitslosigkeit und 20 Monate wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit - für die Zeit nach dem 31. Dezember 1956 begehrt.

Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Klage durch Urteil vom 14. Juli 1964 abgewiesen, weil der Kläger die Voraussetzung der Halbdeckung (§ 1259 Abs. 3 RVO aF) nicht erfülle. Es hat die Zeit vom Eintritt in die Versicherung bis zum Versicherungsfall mit 518 Monaten und eine mit Beiträgen belegte Versicherungszeit von 225 Monaten - also weniger als die Hälfte jener Zeitspanne - errechnet. Es hat es abgelehnt, bei der Bemessung der Zeit vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles die Zeit des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft, wie es der Kläger für richtig hält, unberücksichtigt zu lassen, weil eine solche Berechnungsweise dem Gesetz zuwiderlaufe.

Das Landessozialgericht (LSG) hat sich in seinem die Berufung des Klägers zurückweisenden Urteil vom 21. Mai 1965 der Entscheidung des erkennenden Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20. April 1961 - BSG 14, 154 - angeschlossen, nach welcher bei der Berechnung der Halbdeckung sowohl nach § 1259 Abs. 3 als auch nach § 1260 RVO Zeiten des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft nicht von der Zeit vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles abgesetzt werden dürfen. Das LSG hat sich in dieser Auffassung bestätigt gesehen durch die - damals erst im Entwurf vorliegende, dann aber durch das RVÄndG Gesetz gewordene - Neufassung des § 1259 Abs. 3 RVO; nach ihr werden jetzt bei der Ermittlung des Halbdeckungszeitraumes Ersatz- und Ausfallzeiten unberücksichtigt gelassen, nur die übrige Zeit zwischen dem Eintritt in die Versicherung und dem Versicherungsfall wird halbiert.

Der Kläger hat - die vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er meint, § 1259 Abs. 3 RVO sei schon vor seiner Neufassung im Wege der Lückenausfüllung so auszulegen gewesen, wie die Vorschrift nach dem RVÄndG unmißverständlich laute. Im übrigen vertritt er die Auffassung, das RVÄndG habe der Neufassung des § 1259 Abs. 3 RVO rückwirkende Kraft verliehen.

Er beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 1963 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, über die anerkannte Ausfallzeit-Pauschale hinaus die Zeiten der Arbeitslosigkeit vom 4. September 1958 bis 16. Mai 1960 und vom 1. Januar 1957 bis 22. Februar 1957 sowie die Krankheitszeiten vom 1. Januar 1958 bis 5. Mai 1958 und vom 22. Januar 1962 bis 31. Mai 1963 als Ausfallzeiten anzuerkennen und diese bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen, soweit die Anrechnung von Ausfallzeiten über den Rahmen des Art. 2 § 14 ArVNG hinaus für Zeiten vor dem 1. Juli 1965 begehrt wird.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig, gesteht aber zu, daß die geltend gemachten Ausfallzeiten vom 1. Juli 1965 an bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen seien. Sie hat sich bereit erklärt, hierüber einen neuen Bescheid zu erteilen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Nachdem die Neufassung des § 1259 Abs. 3 RVO durch das RVÄndG am 1. Juli 1965 in Kraft getreten ist (Art. 5 § 10 Abs. 1 Buchst. e RVÄndG), streiten die Beteiligten nur noch um die Höhe der Rentenleistung für die Zeit vor dem 1. Juli 1965. Für die spätere Zeit steht § 1259 Abs. 3 RVO - dies ist unstreitig - der Berechnung weiterer Ausfallzeiten nicht mehr entgegen, weil nunmehr bei der Ermittlung der Anzahl der Kalendermonate vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles die Ersatzzeiten, also auch die Zeiten des Kriegsdienstes und der anschließenden Kriegsgefangenschaft des Klägers und Ausfallzeiten, unberücksichtigt bleiben und somit die Voraussetzungen der Halbdeckung erfüllt sind.

Für die Entscheidung, ob der Kläger schon für die Zeit vor dem 1. Juli 1965 eine durch Einbeziehung der geltend gemachten weiteren Ausfallzeiten erhöhte Rente verlangen kann, ist die vor dem RVÄndG geltende Fassung des § 1259 Abs. 3 RVO maßgebend. Die Neufassung gilt zwar auch für alte Versicherungsfälle, sofern sie - das trifft hier zu - nach dem 31. Dezember 1956 eingetreten sind (Art. 5 § 4 Abs. 2 Buchst. a RVÄndG); die durch die Neufassung begründete höhere Rentenleistung kann der Kläger indes erst für die Zeit vom 1. Juli 1965 an verlangen (Art. 5 § 6 Satz 1 und 3 RVÄndG).

Nach der früheren Fassung des § 1259 Abs. 3 RVO waren die streitigen Ausfallzeiten, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, mangels Erfüllung der Halbdeckung nicht anzurechnen; das Gesetz erlaubte es nicht, bei der Berechnung der Halbdeckung Zeiten des Kriegsdienstes und einer anschließenden Kriegsgefangenschaft unberücksichtigt zu lassen. Dies hat der erkennende Senat bereits durch das angeführte Urteil vom 20. April 1961 entschieden. Zur Begründung seiner Auffassung hat er vor allem darauf hingewiesen, daß das ArVNG vom 23. Februar 1957 in den § 1259 Abs. 3 RVO keine dem früheren, die Erhaltung der Anwartschaft durch Halbdeckung betreffenden § 1265 Satz 2 RVO idF vor 1957 entsprechende Vorschrift über die Ausklammerung von Kriegsdienstzeiten übernommen hat. Dieser Entscheidung hat sich der 1. Senat des BSG in einem - nicht veröffentlichten - Urteil vom 26. März 1963 - 1 RA 118/60 - zu § 36 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes angeschlossen. Er hat ua ausgeführt: Es finde sich kein Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber etwa aus Versehen keine Kürzung der Versicherungsdauer um Wehrdienst und Gefangenschaft zugelassen habe; die Vorschrift füge sich vielmehr zwanglos in die Bestrebungen der Rentenreform ein, dem Versicherungsprinzip wieder in stärkerem Maße Rechnung zu tragen. Deshalb sei es sinnvoll, Ausfallzeiten nur dann rentenerhöhend zu berücksichtigen, wenn diese Vergünstigung durch eine ausreichende Zahl von Beiträgen gerechtfertigt werde. Die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung wird auch durch eine zu § 56 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (= § 1259 Abs. 3 RVO) ergangene Entscheidung des 5. Senats vom 25. Mai 1961 (BSG 14, 220) gestützt; nach ihr muß, sofern eine Ausfallzeit berücksichtigt werden soll, die Zeit vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalls auch dann mindestens zur Hälfte mit Pflichtbeiträgen belegt sein, wenn in die umschriebene Zeitspanne eine Zeit des Rentenbezugs fällt. In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung hat der 12. Senat des BSG in dem - unveröffentlichten - Urteil vom 30. September 1965 - 12/3 RJ 148/61 - ausgeführt, die - dem § 1259 Abs. 3 RVO ähnliche - Vorschrift des § 1260 Abs. 1 RVO idF vor dem RVÄndG habe es nicht zugelassen, den Kriegsdienst bei der Berechnung der Halbdeckung zu eliminieren; der Gesetzgeber des RVÄndG habe diese Regelung allerdings als unbefriedigend und als Härte erkannt, er habe sie aber nur für die Zukunft und mit einer beschränkten Rückwirkung beseitigt.

Somit besteht eine gefestigte Rechtsprechung des BSG in dem Sinne, daß § 1259 Abs. 3 RVO idF vor dem RVÄndG es nicht zuließ, Zeiten des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft bei der Berechnung der Halbdeckung auszuklammern. Hiervon abzuweichen besteht um so weniger Veranlassung, als die amtliche Begründung zum RVÄndG (Deutscher Bundestag, Drucks. IV/2572 S. 5, 26 zu Nr. 13, Buchst. e) die Neufassung des § 1259 Abs. 3 RVO als eine Gesetzesänderung (Beseitigung einer Härte), nicht aber als authentische Interpretation der Vorschrift erkennen läßt.

Die hiernach unbegründete Revision des Klägers muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1, 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2373457

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge