Leitsatz (amtlich)
Bei der Festsetzung des Entgelts nach RKG § 86 Abs 2 für einen verheirateten Versicherten ist auch dann nur der Wohnungsgeldzuschuß eines unter 40 Jahre alten ledigen Versicherten ohne Angehörige zu berücksichtigen, wenn der verheiratete Versicherte das 40. Lebensjahr vollendet hat.
Normenkette
RKG § 45 Abs. 1, § 86 Abs. 2
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. April 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin des am 23. September 1918 geborenen und am 17. August 1973 verstorbenen Wilhelm P (Versicherter). Der Versicherte war seit dem Jahre 1951 verheiratet. Unter den Beteiligten ist streitig, ob die dem Versicherten bis zum 31. Dezember 1969 gewährte Bergmannsrente auch noch für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1970 zu zahlen war oder ob der Versicherte bereits im Jahre 1970 aufgrund erworbener neuer Kenntnisse und Fertigkeiten aus seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung als technischer Sachbearbeiter bei der Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) ein Entgelt erworben hat, das der für ihn maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage entsprach (§ 86 Abs. 2 Satz 1 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -). Hierfür kommt es im vorliegenden Falle rechtserheblich darauf an, in welcher Höhe der Ortszuschlag (Wohnungsgeldzuschuß) bei der Ermittlung des Entgelts zu berücksichtigen ist. Die für die Tätigkeit bei der BBG notwendigen besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten hatte sich der Versicherte während einer Probezeit von sechs Monaten angeeignet. Er war zunächst in die Vergütungsgruppe VI b des Berufsgenossenschafts-Angestelltentarifvertrages und vom 1. April 1971 an in die Vergütungsgruppe V a eingestuft worden.
Der Versicherte mußte im Februar 1965 seinen knappschaftlichen Hauptberuf als Grubensteiger aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Einen Antrag auf Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit vom 24. Juli 1969 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Dezember 1969 ab, weil der Versicherte nicht berufsunfähig im Sinne des § 46 Abs. 2 RKG sei. Auch eine Bergmannsrente könne er nicht erhalten. Zwar könne er wegen seines Gesundheitszustandes keine ihm im Rahmen des § 45 Abs. 2 RKG zumutbaren Arbeiten mehr verrichten, sein von der BBG bezogenes Jahresgehalt ohne Familienzuschläge übersteige aber seine persönliche Rentenbemessungsgrundlage, so daß er gemäß § 86 Abs. 2 RKG nicht als vermindert bergmännisch berufsfähig gelte. Auf den dagegen eingelegten Widerspruch gewährte die Beklagte dem Versicherten mit Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 1970 die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 2 RKG für die Zeit vom 24. Juli bis zum 31. Dezember 1969, weil der Versicherte erst ab 1. Januar 1970 nicht mehr als vermindert bergmännisch berufsfähig gelte. Hiergegen erhob der Versicherte Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund, die er im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen auf Zahlung der Bergmannsrente für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1970 beschränkte. Im Jahre 1970 betrug das Grundgehalt des Versicherten 12468 DM, der Ortszuschlag betrug für ledige Angestellte unter 40 Jahre 2424 DM (einfacher Ortszuschlag), für ledige Angestellte ab 40 Jahre und für Verheiratete 3216 DM (voller Ortszuschlag). 468 DM hatte der Versicherte für das Jahr 1970 vermögenswirksam angelegt. Seine persönliche Rentenbemessungsgrundlage betrug im Jahre 1970 14525 DM. Die Beklagte ist der Ansicht, daß das zu berücksichtigende Entgelt des Versicherten im Jahre 1970 mit 15216 DM über der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage gelegen hat (Grundgehalt 12468 DM + voller Ortszuschlag 3216 DM abzüglich 468 DM vermögenswirksame Leistungen). Der Versicherte war der Ansicht, daß für das Jahr 1970 nur der einfache Ortszuschlag in Höhe von 2424 DM berücksichtigt werden könne, so daß das zu berücksichtigende Entgelt mit 14424 DM (Grundgehalt 12468 DM + einfacher Ortszuschlag 2424 DM abzüglich 468 DM vermögenswirksame Leistungen) unter seiner persönlichen Rentenbemessungsgrundlage gelegen habe. Die Klage war vor dem SG und dem LSG erfolgreich (Urteile vom 20. Januar 1971 und vom 18. April 1972). Das LSG ist der Ansicht, der Versicherte habe den vollen Ortszuschlag als Familienzuschlag im Sinne von § 86 Abs. 2 Satz 3 RKG, d. h. als Zuschlag mit Rücksicht auf seinen Familienstand und nicht wegen seines Lebensalters erhalten. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie ist der Ansicht, das Berufungsgericht habe § 86 Abs. 2 Satz 3 RKG unrichtig angewandt, denn der Versicherte habe den vollen Ortszuschlag wegen seines Lebensalters und nicht wegen seines Familienstandes erhalten. Es sei Sinn und Zweck der in § 86 Abs. 2 Satz 3 RKG getroffenen Regelung, daß jeweils der Ortszuschlag zu berücksichtigen sei, den ein lediger Versicherter ohne Angehörige erhalten würde. Das ergebe sich auch aus dem Wortlaut der Vorschrift, und dieser Gedanke komme auch in dem Urteil des erkennenden Senats vom 29. Januar 1970 - 5 RKn 17/69 - zum Ausdruck. Hier sei diese Vorschrift so interpretiert worden, daß solche Leistungen nur in der Höhe zu berücksichtigen seien, in der sie auch ledigen Versicherten ohne Angehörige gewährt würden. Nach dem Berufsgenossenschafts-Angestelltentarifvertrag in Verbindung mit dem Bundesbesoldungsgesetz werde einem ledigen Angestellten ohne Angehörige, der das 40. Lebensjahr vollendet habe, der gleiche (volle) Ortszuschlag wie einem verheirateten Angestellten gewährt. Der Versicherte hätte also, wenn er ledig gewesen wäre, den gleichen Ortszuschlag erhalten, der ihm als Verheirateten gezahlt worden sei. Daraus ergebe sich, daß der volle Ortszuschlag nicht wegen seines Familienstandes gezahlt worden sei. Demzufolge könne bei einem verheirateten Angestellten über 40 Jahre nur der Teil des Ortszuschlags außer Betracht bleiben, der für das Vorhandensein von Kindern gewährt werde. Wolle man der Rechtsauffassung des LSG folgen, könne auch bei einem ledigen Angestellten über 40 Jahre lediglich der Ortszuschlag berücksichtigt werden, den ein unter 40 Jahre alter lediger Angestellter erhalte. Es müßte also ein niedrigerer als der dem ledigen Angestellten tatsächlich gezahlte Betrag in Ansatz kommen. Eine solche Regelung wäre aber mit dem Sinn und Zweck des § 86 Abs. 2 Satz 3 RKG nicht zu vereinbaren.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. April 1972 und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20. Januar 1971 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die Begründung des angefochtenen Urteils für zutreffend und rechtsfehlerfrei.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Beklagte konnte bei der Feststellung des von dem Versicherten im Jahre 1970 erzielten Entgelts nur den Ortszuschlag eines ledigen Angestellten unter 40 Jahren ohne Angehörige berücksichtigen.
Nach § 86 Abs. 2 Satz 1 RKG gilt ein Empfänger einer Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG nicht mehr als vermindert bergmännisch berufsfähig, wenn er aufgrund neuer Kenntnisse und Fertigkeiten aus versicherungspflichtiger Beschäftigung mindestens ein Entgelt erwirbt, das der für ihn maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage entspricht. Der Versicherte hatte während und nach der sechsmonatigen Probezeit bei der Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) die Kenntnisse und Fertigkeiten erworben, die ihn zur Ausübung der Tätigkeit als technischer Sachbearbeiter bei dieser BG befähigten. Das ist auch unter den Beteiligten unstreitig. Die Beklagte konnte ihm daher die beantragte Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG nur für den Zeitraum zubilligen, in welchem sein Entgelt noch nicht die für ihn maßgebende Rentenbemessungsgrundlage erreichte. Bei der Festsetzung des Entgelts aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung sind nach § 86 Abs. 2 Satz 3 RKG Familienzuschläge und Wohnungsgeldzuschuß nicht zu berücksichtigen, soweit dieser den Wohnungsgeldzuschuß eines ledigen Versicherten ohne Angehörige übersteigt. Der Berufsgenossenschafts-Angestelltentarifvertrag, nach welchem der Versicherte besoldet wurde, schreibt vor, daß Ortszuschläge nach den Bestimmungen des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) gewährt werden. Ortszuschläge im Sinne des BBesG sind als Wohnungsgeldzuschüsse im Sinne des § 86 Abs. 2 Satz 3 RKG anzusehen. Nach dem BBesG erhalten ledige Angestellte, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, und ledige Angestellte, die in ihrer Wohnung einer anderen Person nicht nur vorübergehend Unterkunft und Unterhalt gewähren, weil sie gesetzlich oder sittlich dazu verpflichtet sind oder weil die andere Person aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen ihrer Hilfe bedarf, ebenso wie verheiratete Personen den vollen Ortszuschlag (§ 15 Abs. 2 BBesG). Den einfachen Ortszuschlag erhalten demnach nur ledige Personen, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und keiner anderen Person ständig Unterkunft und Unterhalt gewähren (§ 15 Abs. 1 BBesG). Durch die Regelung des § 86 Abs. 2 Satz 3 RKG, daß bei der Festsetzung des Entgelts im Sinne des § 86 Abs. 2 RKG "Familienzuschläge und Wohnungsgeldzuschuß nicht zu berücksichtigen sind, soweit dieser den Wohnungsgeldzuschuß eines ledigen Versicherten ohne Angehörige übersteigt", soll erreicht werden, daß die dort genannten Zuschläge und Zuschüsse insoweit unberücksichtigt bleiben, als sie wegen des Vorhandenseins von unterhaltsberechtigten Angehörigen oder tatsächlich unterhaltenen anderen Personen gezahlt werden. Nach Auffassung des erkennenden Senats liegt dem, ähnlich wie bei der Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit nach § 45 Abs. 2 RKG, der Gedanke zugrunde, daß nicht leistungsbezogene, sondern aus persönlichen Gründen gewährte Zulagen nicht berücksichtigt werden sollen. Die Besonderheit des Falles liegt nun darin, daß ledige Versicherte ohne Angehörige, je nachdem, ob sie das 40. Lebensjahr vollendet haben oder ob dies nicht der Fall ist, den vollen oder den einfachen Ortszuschlag erhalten. Es entsteht also die Frage, welcher dieser beiden Zuschläge im Einzelfall bei der Festsetzung des Entgelts zu berücksichtigen ist. Wenn auch der volle Ortszuschlag an ledige Versicherte ohne Angehörige, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, nicht wegen des Familienstandes gezahlt wird, so wird er doch aus persönlichen Gründen, nämlich wegen des höheren Alters und den damit verbunden höheren Wohnungsbedürfnissen gezahlt. Es kann bei der Festsetzung des Entgelts nach § 86 Abs. 2 RKG daher nur der Ortszuschlag des ledigen Versicherten unter 40 Jahren ohne unterhaltsberechtigte Angehörige berücksichtigt werden. Denn dieser wird an alle Angestellte, die dieselbe Tätigkeit verrichten, ohne Berücksichtigung ihres Familienstandes gezahlt; er allein wird ausschließlich leistungsbezogen wegen des Werts der verrichteten Tätigkeit gezahlt.
Danach ist das LSG mit Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß die Beklagte bei der Festsetzung des von dem Versicherten im Jahre 1970 erzielten Entgelts nur den Ortszuschlag des ledigen Versicherten unter 40 Jahren ohne Angehörige berücksichtigen konnte, so daß die Revision der Beklagten zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen