Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 04.04.1984; Aktenzeichen L 17 U 176/83)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. April 1984 wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin erbrachte dem bei ihr gegen Arbeitsunfall Versicherten A. B. wegen dessen Unfall am 17. September 1981 Leistungen, welche sie im anhängigen Verfahren von der Beklagten ersetzt verlangt, weil B. keinen Arbeitsunfall erlitten habe. Sozialgericht –SG– (Urteil vom 25. April 1983) und Landessozialgericht –LSG– (Urteil vom 4. April 1984) haben dem Begehren der Klägerin nicht entsprochen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

B., der mit seiner Verlobten zusammenwohnte, pflegte diese auf dem Rückweg von seiner Arbeitsstätte bei deren Arbeitgeberin abzuholen und mit nach Hause zu nehmen. Dabei nahm er gewöhnlich eine längere Wartezeit in Kauf, welche sich aus ihrem unterschiedlichen Arbeitsschluß ergab. Am Unfalltag wartete B. vom Eintreffen bis zur gemeinsamen Weiterfahrt zwei Stunden und zehn Minuten. Wenig später verunglückte er auf einem Streckenabschnitt, welchen er üblicherweise benutzte. Er verletzte sich erheblich.

Die Beklagte lehnte den in Höhe von 26.810,49 DM von der Klägerin geltend gemachten Ersatzanspruch ab, weil B. nach ihrer Meinung einen Arbeitsunfall erlitten habe.

In dem Urteil des SG heißt es, der Versicherungsschutz für den weiteren Weg des B. sei im Anschluß an die aus privaten Gründen erfolgte Unterbrechung wieder aufgelebt. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts –BSG– (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 12) stehe dem nicht entgegen. Danach stehe wieder unter Versicherungsschutz, wer den Weg vom Ort der Tätigkeit nach einer Unterbrechung bis zu zwei Stunden fortsetze. Dabei handele es sich jedoch nicht um eine absolute Zeitgrenze für eine versicherungsunschädliche Unterbrechung. Vielmehr seien die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, wenn die Unterbrechung des Weges länger als zwei Stunden dauere. Die beim vorliegenden Sachverhalt gegebenen – vom SG im einzelnen dargelegten – Besonderheiten hätten den Verlust des Versicherungsschutzes nach dem Ablauf von zwei Stunden ausgeschlossen.

Nach der Auffassung des LSG hat B. sich durch den Aufenthalt bei der Arbeitgeberin seiner Verlobten nicht endgültig von seinem geschützten Weg gelöst. Denn darüber, ob der Versicherungsschutz infolge einer Unterbrechung des Weges vom Ort der Tätigkeit endgültig entfalle, entschieden nicht allein die Dauer der Unterbrechung, sondern vielmehr die Besonderheiten des Einzelfalles. Hier sei der gesamte Umweg wesentlich betriebsbezogen geblieben, wobei es nicht allein darauf ankommen könne, ob ein innerer Zusammenhang mit dem eigenen Unternehmen durchgehend bestanden habe. Vielmehr sei zu berücksichtigen, daß B. als Mitglied einer Fahrgemeinschaft „eine bloße ‚Wartezeit’ verbracht” habe. Die Wartezeit sei eine sich aus dem Bestehen einer Fahrgemeinschaft ergebende Notwendigkeit gewesen, so daß das geringfügige überschreiten der Zweistundenfrist den Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht gelöst habe.

Nach der Meinung der Revision weicht das Urteil des LSG von der Rechtsprechung des BSG ab, weil danach bei einer aus privaten Gründen erfolgten mehr als zweistündigen Unterbrechung des Weges von der Arbeitsstätte der Versicherungsschutz entfalle. Auf die unterschiedliche Motivation für die Unterbrechung solle es nach dieser Rechtsprechung gerade nicht ankommen. Vielmehr gebiete der vom BSG in erster Linie herausgestellte Grundsatz der Rechtssicherheit, von der Zweistundengrenze keine Ausnahmen zuzulassen. Dies gelte auch für Fahrgemeinschaften, zumal da diese nach der Rechtsprechung des BSG aus sich heraus keinen neuen Versicherungsschutz begründeten.

Die Klägerin beantragt,

  1. die Urteile des Sozialgerichts Köln vom 24. April 1983 und des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. April 1984 aufzuheben und
  2. die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin wegen des Unfalls des Versicherten B. vom 17. September 1981 entstandenen Aufwendungen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie meint, daß es für die Frage der endgültigen Lösung vom Weg von der Arbeitsstätte auf Dauer und Art. der Unterbrechung ankomme. Das BSG habe eine endgültige Lösung wegen der Besonderheiten des Einzelfalles auch bei längeren Unterbrechungen verneint. Angesichts der Umstände des vorliegenden Falles könne das Warten nicht als eine Unterbrechung des Heimweges angesehen werden.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. B. hat am 17. September 1981 einen Arbeitsunfall erlitten.

Bei der Prüfung des geltend gemachten Ersatzanspruches ist nicht mehr von der bis zum 30. Juni 1983 geltenden Vorschrift des § 1509a der Reichsversicherungsordnung –RVO–, sondern von § 105 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – –SGB X– (Art. II § 3 Nr. 1 iVm Art. II § 21 SGB X) auszugehen (s BSG Urteil vom 13. September 1984 – 4 RJ 37/83). Danach ist jedoch wie bisher ua Voraussetzung für die Ersatzpflicht der zuständigen Krankenkasse, daß die Leistungen des Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung für Krankheiten erbracht wurden, welche nicht Folge eines Arbeitsunfalles sind. Demzufolge ist die vorliegende Klage nicht begründet, wenn B. bei seinem Unfall am 17. September 1981 gegen Arbeitsunfall versichert war. Mit Recht haben SG und LSG dies angenommen.

Nach § 550 Abs. 1 RVO besteht ua auf dem mit dem Arbeitsverhältnis iS von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO zusammenhängenden Weg von dem Ort der Tätigkeit Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Dieser Schutz ist gemäß § 550 Abs. 2 Nr. 2 RVO nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Weg abweicht, weil er mit einer anderen versicherten Person gemeinsam ein Fahrzeug benutzt. Daher gehen die Verfahrensbeteiligten zutreffend davon aus, daß der Schutz in der gesetzlichen Unfallversicherung für B. auf dem weiteren Weg über die Arbeitsstätte seiner Verlobten grundsätzlich nicht ausgeschlossen war. Die Klägerin meint allerdings, B. habe diesen Schutz wegen der Dauer des Aufenthalts an der Arbeitsstätte der Verlobten eingebüßt. Dem vermag der erkennende Senat nicht zuzustimmen.

Die Klägerin weist richtig auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSGE 54, 46, 49; BSG SozR 2200 § 550 Nr. 60) hin, wonach durch das Bestehen einer Fahrgemeinschaft kein neuartiger Versicherungsschutz – ausgenommen der erweiterte Schutz für die erforderlichen Umwege – begründet wird. Vielmehr müssen auch bei den Mitgliedern einer Fahrgemeinschaft die allgemeinen in § 550 Abs. 1 RVO festgelegten Voraussetzungen für den Versicherungsschutz gegeben sein. Hierzu gehört ua, daß eine endgültige Lösung des inneren Zusammenhanges zwischen der Tätigkeit und dem Weg von dem Ort der Tätigkeit vor dem Unfallereignis nicht eingetreten sein darf. Führt beispielsweise eine Unterbrechung des Heimweges nach Dauer und Art. zu einem solchen endgültigen Verlust des Versicherungsschutzes, lebt dieser auf dem restlichen Weg nicht wieder auf. Nach der Rechtsprechung des BSG, welche die Beteiligten zutreffend wiedergeben, führt eine Unterbrechung des Weges von oder zu dem Ort der Tätigkeit dann nicht zum endgültigen Verlust des Versicherungsschutzes, wenn die Unterbrechung des Weges bis zu zwei Stunden andauert (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 12; BSG USK 7967 und 81162). Dabei sind mehrere Unterbrechungen desselben Weges zusammenzunehmen (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 27; BSG USK 81306). Eine mehr als zwei Stunden dauernde Verschiebung des Antritts des Heimweges führt im allgemeinen zum Verlust des Versicherungsschutzes (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 42); jedoch kann auch bei einer längeren Unterbrechung zwischen dem Ende der Tätigkeit und dem Antritt des Heimweges auf diesem Wege Versicherungsschutz gegeben sein (BSG Urteile vom 15. Dezember 1981 – 2 RU 57/80 und 59/80), wenn sich dies aus den Besonderheiten des konkreten Falles ergibt (zum gesamten Fragenkomplex s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 486y ff mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Obwohl B. sich vor Antritt des restlichen Weges länger als zwei Stunden an der Arbeitsstätte seiner Verlobten aufgehalten hatte, verlor er den Versicherungsschutz nicht. Allerdings meint der Senat im Gegensatz zum SG und der Beklagten, daß sich dies nicht aus vorliegenden besonderen Umständen und der dadurch geprägten Sachlage ergibt. Er ist vielmehr der Ansicht, daß Versicherungsschutz auf dem der Weg durch das Warten des B. an der Arbeitsstätte seiner Verlobten überhaupt nicht unterbrochen wurde, so wie dies auch vom LSG am Ende seines Urteils angenommen worden ist.

Der Versicherungsschutz auf dem Weg zum oder vom Ort der Tätigkeit (§ 550 RVO) ist – nicht nur geringfügig (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 53 mwN) – unterbrochen, wenn der innere Zusammenhang zwischen der Zurücklegung des Weges und dem Arbeitsverhältnis vorübergehend verloren geht. Ein Verlust dieses Zusammenhanges ist gegeben, wenn Gründe aus dem privaten und damit unversicherten Bereich des Versicherten betriebsbezogene Gründe verdrängen (BSG aaO sowie die Urteile des Senats vom 15. Dezember 1981 – 2 RU 57/80 – und – 2 RU 59/80 = Breithaupt 1982, 569). Dies beachtet die Klägerin nicht genügend, wenn sie ohne weiteres davon ausgeht, das Warten des B. an der Arbeitsstätte seiner Verlobten habe nicht nur seinen Heimweg, sondern gleichzeitig auch den Versicherungsschutz für diesen Weg unterbrochen. Die Klägerin hätte vielmehr prüfen müssen, ob die entstandene Wartezeit betriebsbezogen oder dem privaten Lebensbereich des B. zuzurechnen war. Die Rechtsprechung des BSG hat niemals einen Zweifel daran aufkommen lassen, daß mit dem Heimweg verbundene Wartezeiten versicherungsrechtlich genauso zu behandeln sind wie das Zurücklegen des Weges selbst. Dies ist sowohl in der allgemeinen als auch insbesondere in der Schülerunfallversicherung wiederholt entschieden worden (BSGE 42, 42, 46; SozR 2200 § 550 Nrn 52 und 53; Urteil vom 14. November 1984 – 9b RU 26/84 –).

Für Fahrgemeinschaften (§ 550 Abs. 2 Nr. 2 RVO) gelten insoweit, wie oben dargelegt, keine anderen als die sich aus § 550 Abs. 1 RVO ergebenden allgemeinen rechtlichen Grundsätze. Auch insoweit teilt eine Wartezeit, welche mit dem Weg der Gemeinschaft zum oder vom Ort der Tätigkeit zusammenhängt, versicherungsrechtlich das Schicksal des Fortbewegens auf diesem Wege, dh es besteht auch insoweit Versicherungsschutz. Allein wegen der tatsächlichen Besonderheiten beim Bestehen einer Fahrgemeinschaft treten allerdings in erheblich größerem Umfang Wartezeiten auf, bei denen der Versicherungsschutz nicht unterbrochen ist, als bei einzelnen Versicherten auf dem Weg von der Arbeitsstätte. Ob auch alle Verhaltensweisen während der Wartezeit den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung genießen, muß aus Anlaß des hier zu entscheidenden Falles offenbleiben; denn der Unfall des B. hat sich nicht während der Wartezeit ereignet (s hierzu aber BSGE 42, 42; SozR 2200 § 550 Nr. 52).

Im vorliegenden Rechtsstreit steht aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG fest, daß B. auf ein Mitglied der Fahrgemeinschaft wartete und nach dessen Arbeitsende den Weg mit ihm gemeinsam und ohne Verzögerung fortsetzte. Die Wartezeit war damit von der Absicht des B. geprägt, den Heimweg für eine in § 550 Abs. 2 Nr. 2 RVO beschriebene Fahrgemeinschaft abredegemäß zu ermöglichen. Infolgedessen ist eine Unterbrechung des Weges des B. versicherungsrechtlich nicht eingetreten; denn die Wartezeit gehörte – vor allem wegen der auf tatsächlichem Gebiet liegenden Verhältnisse – mit zum Heimweg der Fahrgemeinschaft. Die Absicht, den Weg von der Arbeitsstätte – teilweise – gemeinsam zurückzulegen, prägte den Charakter der Wartezeit sowohl nach ihrer Art. als auch nach ihrer Dauer. Die Wartezeit kann daher nicht zum privaten Bereich des B. gerechnet werden.

Auch vom Ergebnis her wäre nicht hinzunehmen, daß eine derartige Wartezeit den Weg iS von § 550 RVO unterbricht und damit wegen des Zusammenrechnens mehrerer Wartezeiten insbesondere für größere Fahrgemeinschaften beim überschreiben der Zweistundengrenze zum Verlust des Versicherungsschutzes für den restlichen Weg führt.

Die vorinstanzlichen Gerichte haben nach alledem zutreffend angenommen, daß B. einen Arbeitsunfall erlitt, für welchen die Klägerin als Versicherungsträger zu leisten hat, so daß ein Ersatzanspruch gegen die Beklagte nicht besteht. Die Revision der Klägerin war zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI924015

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge