Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeit bei Berufswechsel. Prüfung der Berufsunfähigkeit eines blinden Telefonisten
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Begriffsbestimmungen der Berufsunfähigkeit im bisherigen und im neuen AVG weisen keine grundsätzlichen Unterschiede auf, sondern decken sich im wesentlichen.
Im Falle eines Berufswechsels ist bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit eines Versicherten je nach Lage des Einzelfalls ein Vergleich nicht nur mit der letzten, sondern auch mit einer früheren Berufstätigkeit des Versicherten grundsätzlich zulässig und geboten. Ein echter Berufswechsel liegt vor, wenn jemand den neuen Beruf schon mehrere Jahre lang und in nennenswertem Umfang ausübt, wenn es sich um eine Dauerbeschäftigung handelt, die seit mehreren Jahren die Existenzgrundlage bildet.
2. Blindheit allein steht nach den Erfahrungen des täglichen Lebens der Ausübung zB einer Verwaltungstätigkeit nicht entgegen. Für das Maß der Arbeitsfähigkeit eines blinden Telefonisten ist entscheidend, inwieweit er an seinem Arbeitsplatz auf fremde Mithilfe angewiesen ist; allgemein gültige Grundsätze über die Arbeitsfähigkeit blinder Telefonisten gibt es nicht.
Normenkette
AVG § 23 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 27 Fassung: 1934-05-17
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 16. August 1957 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger (geboren 1913) erstrebt die Gewährung einer Rente (Ruhegeld) aus der Rentenversicherung der Angestellten wegen Berufsunfähigkeit. Er leidet seit seiner Jugend an einer langsam fortschreitenden Augenkrankheit (Grüner Star) und ist heute praktisch blind. Seit 1936 war er Verwaltungsangestellter bei einer Dienststelle der Kriegsmarine und in der Angestelltenversicherung versichert. Während des Krieges war er Geschäftsführer der Kinderlandverschickung und in den Jahren 1947/48 Angestellter und Lagerist bei einer kunstgewerblichen Werkstätte. Im Jahre 1951 vermittelte ihn die Blindenfürsorge als Schwerbeschädigten zur Allgemeinen Elektrizität-Gesellschaft (AEG) - Schiffbau - in Hamburg, bei der er seither als Telefonist beschäftigt ist.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag des Klägers ab: Das Augenleiden habe in gleicher Stärke schon vor dem Eintritt in die Angestelltenversicherung bestanden; der Kläger arbeite als Telefonist nicht auf Kosten seiner Gesundheit, die Arbeit sei daher weiter zumutbar; die Arbeitsfähigkeit sei nicht um mehr als die Hälfte herabgesetzt (Bescheid vom 1.6.1956).
Das Sozialgericht Hamburg hob den Bescheid der Beklagten auf und verurteilte sie, dem Kläger das Ruhegeld vom 1. September 1955 an zu gewähren: Zur Berufsfähigkeit gehöre die Fähigkeit, einen den örtlichen Verhältnissen entsprechenden Weg zur Arbeitsstätte, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme öffentlicher Verkehrsmittel, zurückzulegen; diese Fähigkeit habe der Kläger als Blinder nicht, bei ihm bestünde Lebensgefahr, wenn er ohne Begleitung sei (Urteil vom 15. 10. 1956).
Die Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht Hamburg zurück: Der Rentenanspruch sei nach § 23 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) n.F. zu beurteilen. Der Kläger gehöre zu den Späterblindeten. Auszugehen sei von seinem ursprünglichen Beruf als Verwaltung- und kaufmännischer Angestellter, nicht von dem Beruf des Telefonisten, den der Kläger nur wegen seines schwindenden Augenlichts ergriffen habe. Ungeachtet dessen sei der Kläger für beide Berufe berufsunfähig. Er könne auch als Telefonist nicht, die Leistungshälfte eines Gesunden erreichen, wobei die durch das Schwerbeschädigtengesetz gegebenen Möglichkeiten außer Betracht zu bleiben hätten. Für einen großen Teil der Telefonistenarbeiten falle er aus; er könne keine Rufnummern nachschlagen, ankommende, nicht gleich weiterzuleitende Gespräche könne er nicht aufschreiben, das Besetztlampenfeld könne er nicht überwachen. Bei diesen Arbeitsleistungen müsse ein Arbeitskollege helfend einspringen. Diese Hilfeleistungen überschritten das zu erwartende Maß beträchtlich; der Arbeitgeber habe bisher davon abgesehen, im Zuge der Erweiterung des Selbstwählverkehrs Gebührenzähler einzubauen; käme es dazu, so würde der Kläger auch insoweit ausfallen; darüber hinaus wäre in diesem Fall eine Hilfe durch den Arbeitskollegen praktisch nicht zu erbringen. Daß er den Arbeitsplatz noch inne habe und ein Monatseinkommen von 445,-- DM brutto erreiche, beruhe in erheblichem Maße auf dem Wohlwollen des Arbeitgebers; die Arbeitskraft des Klägers würde auch schon dadurch wesentlich eingeschränkt, daß er nicht in der Lage sei, den Arbeitsplatz ohne Begleitung aufzusuchen; die Frage, inwieweit der Kläger auf Kosten seiner Gesundheit arbeite, könne auf sich beruhen, denn jedenfalls habe sich sein Gesundheitszustand seit der Aufnahme der Telefonistentätigkeit verschlechtert (Urteil vom 16.0.1957).
Das Landessozialgericht ließ die Revision zu. Die Beklagte legte gegen das ihr am 11. September 1957 zugestellte Urteil am 7. Oktober 1957 Revision ein mit dem Antrag,
unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts die Klage abzuweisen.
Sie begründete die Revision (innerhalb der bis zum 11.12.1957 verlängerten Begründungsfrist) am 28. November 1957: Das Landessozialgericht habe den Begriff der Berufsunfähigkeit im Sinne von § 23 Abs. 2 AVG n.F. verkannt. Auszugehen sei nicht von dmn ursprünglichen Beruf des Klägers als kaufmännischer oder Verwaltungsangestellter, sondern von dem Telefonistenberuf, nachdem der Kläger einen echten Berufswechsel durchgeführt und jahrelang in dem neuen Beruf wirksam Beiträge zur Angestelltenversicherung geleistet habe. In dem Telefonistenberuf wirke sich die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit des Klägers nur bei den Nebenaufgaben und nicht bei der typischen Berufstätigkeit aus. Mit welchen Aufgaben der Kläger im einzelnen betraut würde, sei eine Frage des zweckmäßigen Arbeitseinsatzes, sein Arbeitsfeld könne durch Hilfsmittel erweitert werden; deren Bereitstellung durch den Arbeitgeber sei auch zu erwarten, zumal die AEG selbst Fernsprecheinrichtungen mit Zusatzanlagen für Blinde herstelle; der Kläger sei innerhalb seines begrenzten Aufgabenbereichs eine ausreichende Arbeitskraft, die Entlohnung entspräche der des vergleichbaren Gesunden, die Rücksichtnahme auf seinen Zustand und die gelegentlichen Hilfeleistungen seien selbstverständlich, er sei für seine derzeitige Tätigkeit ausreichend ausgebildet, ihm sei daher auch zuzumuten, seinem Beruf weiter nachzugehen.
Der Kläger beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.
Da der Kläger den Rentenantrag im Jahre 1955 gestellt hat, ist bei der Prüfung der Frage, ob der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit eingetreten ist, für die Zeit bis zum 31. Dezember 1956 von § 27 AVG a.F. und - falls der Versicherungsfall bis dahin nicht eingetreten ist - für die Zeit vom 1. Januar 1957 an von § 23 AVG n.F. auszugehen (BSG. 8 S. 31/33). Das Landessozialgericht hätte demnach seiner Entscheidung § 23 AVG n.F. nicht auch für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 zugrunde legen dürfen. Hierdurch wird indessen das Ergebnis nicht eigentlich berührt; die Begriffsbestimmungen der Berufsunfähigkeit im bisherigen und im neuen Angestelltenversicherungsgesetz weisen keine grundsätzlichen Unterschiede auf, sondern decken sich im wesentlichen (BSG. a.a.O.). Nach beiden Vorschriften kommt es bei der Entscheidung des Streitfalles darauf an, ob die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Gegen die Annahme des Landessozialgerichts, diese Voraussetzungen seien beim Kläger gegeben, bestehen aber Bedenken.
Im Ergebnis zutreffend hat das Landessozialgericht bei der Prüfung der Frage, ob der Kläger berufsunfähig ist, sowohl dessen ursprünglichen Beruf als kaufmännischer und Verwaltungsangestellter, als auch den derzeitigen Beruf als Telefonist zugrunde gelegt. Auch wenn der Kläger den letztgenannten Beruf nur auf Grund besonderer Umstände, nämlich wegen seines fortschreitenden Augenleidens ergriffen hat, liegt bei ihm ein echter Berufswechsel vor. Er übt den neuen Beruf schon mehrere Jahre lang und in nennenswertem Umfang aus, es handelt sich um eine Dauerbeschäftigung, die für ihn seit 1951 die Existenzgrundlage bildet. Der neue Beruf, bei dem es sich um eine Angestelltentätigkeit im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 AVG a.F., § 3 Abs. 1 Nr. 3 AVG n.F., in Verbindung mit Abschn. B Nr. 2 der Berufsgruppenbestimmung der Angestelltenversicherung vom 8. März 1924 handelt, kann der früheren Beschäftigung des Klägers - jedenfalls nach der Stellung, die er hierin bis zuletzt eingenommen hat - auch als wirtschaftlich annähernd gleichwertig angesehen werden. Der Kläger muß sich daher auf diesen neuen Beruf verweisen lassen. Auch im Falle eines Berufswechsels ist bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit eines Versicherten je nach Lage des Einzelteils ein Vergleich nur mit der letzten, sondern auch mit einer früheren Berufstätigkeit des Versicherten grundsätzlich zulässig und geboten. Es bestellen daher keine Bedenken, die Frage der Berufsfähigkeit des Klägers nach den beiden für ihn in Betracht kommenden Berufen zu beurteilen.
Für den früheren Beruf eines kaufmännischen oder Verwaltungsangestellten hält das Landessozialgericht den Kläger nicht mehr für geeignet. Irgendwelche Gründe für diese Auffassung enthält das angefochtene Urteil nicht. Der Senat kann daher nicht nachprüfen, auf Grund welcher Erwägungen das Landessozialgericht zu seiner Auffassung gelangt ist. Sollte es - worauf die Fassung im Tatbestand seines Urteils hindeutet - der Meinung sein, schon die Blindheit allein stehe der Ausübung z.B. einer Verwaltungstätigkeit entgegen, so wäre dies mit den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht in Einklang zu bringen. Diese Erfahrungen gehen dahin, daß begabte und gut ausgebildete Blinde in den Betrieben der Verwaltung nahezu vollwertige Arbeitskräfte sein können, wenn sie auf einen geeigneten Arbeitsplatz vermittelt werden und wenn ihnen Gelegenheit geboten wird, ihre Fähigkeiten und Kenntnisse in der ihnen möglichen Form einzusetzen und weiter zu entwickeln. Heute sind Kriegs- und Zivilblinde in vielen Aufgabengebieten, namentlich bei Behörden der staatlichen und kommunalen Verwaltung und bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften erfolgreich tätig. Sie besitzen dort Fortkommens- und Aufstiegsmöglichkeiten (vgl. Bundesarbeitsbl. 1959 S. 1). Da der Kläger jahrelang Verwaltungsangestellter im öffentlichen Dienst - wenn auch unter besseren Sehverhältnissen - gewesen ist und dabei Kenntnisse und Erfahrungen im Verwaltungsdienst gesammelt hat, konnte das Landessozialgericht die Berufsfähigkeit des Klägers in einem solchen Berufe nicht ohne weiteres nur im Hinblick auf das inzwischen praktisch zur Blindheit fortentwickelte Augenleiden verneinen. Vielmehr war eine Prüfung angezeigt, ob der Kläger trotz seines Gebrechens nach seinen Kräften und Fähigkeiten für eine Tätigkeit als Verwaltungsangestellter - nach einer gewissen Einarbeitungszeit - heute noch in Betracht kommt. Hierfür kommt es - neben der allgemeinen Begabung des Klägers - insbesondere darauf an, welche Vor- und Ausbildung er besitzt (abgeschlossene Schulbildung, Prüfungen) und welche besonderen Anforderungen an die frühere Berufstätigkeit gestellt werden. Erst wenn dies geklärt ist, kann beurteilt werden, ob es dem Kläger nicht zugemutet werden kann, eine Verwaltungs- oder Bürotätigkeit (z.B. Erteilung von Auskünften) zu verrichten. Daß er seit Jahren nur noch den Telefonistenberuf ausübt, ist zwar unter dem Gesichtspunkt von Bedeutung, daß er möglicherweise seiner früheren Berufstätigkeit inzwischen entfremdet ist, so daß er hierauf nicht ohne weiteres verwiesen werden könnte. Ob dies der Fall ist, läßt sich aber erst nach näherer Prüfung der Verhältnisse beurteilen.
Bei der Prüfung, ob der Kläger als Telefonist berufsfähig ist, hat das Landessozialgericht an sich zutreffend darauf abgestellt, ob er die wesentlichen Arbeiten dieses Berufs selbständig verrichten kann. Hierfür dürfte es allerdings nicht ausschlaggebend sein, daß er als Blinder schon auf dem Wege zur Arbeitsstätte behindert ist, zumal er - wie viele andere Blinde - seiner Arbeit schon seit Jahren regelmäßig nachgeht und selbst nicht behauptet hat, daß er auf dem Weg dorthin einer besonderen Gefahr ausgesetzt ist, die ihm das Aufsuchen des Arbeitsplatzes als nicht zumutbar erscheinen läßt. Für das Maß seiner Arbeitsfähigkeit ist deshalb entscheidend, inwieweit er an seinem Arbeitsplatz auf fremde Mithilfe angewiesen ist. Es kommt darauf an, in welchem Verhältnis der Teil der Telefonistentätigkeit, die er allein erledigt, nach Umfang und Bedeutung zu demjenigen Teil steht, den er wegen seiner Blindheit nicht oder nicht ohne Hilfe anderer Personen leisten kann. Ist der Kläger auf solche Hilfen in so großem Ausmaß und bei so wesentlichen Arbeiten angewiesen, daß seine eigene Tätigkeit demgegenüber praktisch zurücktritt und keinen ausreichenden wirtschaftlichen Wert besitzt, so ist seine Arbeitsfähigkeit in diesem Beruf zu verneinen. Sie ist dagegen zu bejahen, wenn er die fremden Hilfen nur bei einzelnen Verrichtungen benötigt, die für den Arbeitsgang weniger wichtig sind und die den Arbeitsablauf im Betrieb nicht wesentlich beeinträchtigen (vgl. Urteil des 3. Senats vom 29. 1. 1959 - 3 RJ 173/55 -).
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts, die von der Revision nicht angegriffen und für das Revisionsgericht deshalb bindend sind (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), fällt der Kläger an seiner derzeitigen Arbeitsstätte für eine Anzahl von Tätigkeiten aus (Nachschlagen von Rufnummern, Aufschreiben von Gesprächen und Überwachung des Besetztlampenfeldes). Das Landessozialgericht hat hieraus auf eine überwiegende Notwendigkeit fremder Hilfeleistungen geschlossen. Dieser Schluß wird von der Beklagten mit Recht bemängelt. Das Landessozialgericht hat sich hauptsächlich von der Schilderung leiten lassen, die der Kläger im Laufe des Verfahrens über seine Arbeitsweise im Betrieb gegeben hat. Irgendeine Nachprüfung dieser Angaben in der Richtung, wie die technischen Einrichtungen am Arbeitsplatz des Klägers beschaffen sind, ob z.B. besondere Vorrichtungen zur Erleichterung seiner Tätigkeit angebracht werden können, wie sich seine Arbeit im Betrieb abspielt, in welcher Weise sich sein Gebrechen auf den Arbeitsablauf auswirkt und inwieweit hierin eine Änderung gegenüber den früheren Jahren eingetreten ist, in denen er noch berufsfähig war, etwa durch gerichtlichen Augenschein, durch Heranziehung eines Sachverständigen, durch Rückfragen beim Arbeitgeber oder durch Anhörung der Mitarbeiter des Klägers, hat das Landessozialgericht nicht vorgenommen. Es hat wichtige Beweismittel, die ihm für die Klärung des Sachverhalts zur Verfügung standen, nicht genutzt. Der Schluß, den es aus der mangelnden Befähigung des Klägers für bestimmte Arbeiten in seinem Betrieb gezogen hat, erscheint daher nicht ausreichend begründet. Seiner Verpflichtung (§ 103 SGG), den Sachverhalt in der angegebenen Richtung vollständig zu klären, war das Landessozialgericht auch nicht auf Grund des Urteils des Bundessozialgerichts (4. Senat) vom 13. Dezember 1956 (SozR. Aa 3 Nr. 4 zu § 1254 der Reichsversicherungsordnung - RVO - a.F.) enthoben, das einen andersgearteten Sachverhalt betrifft und das - nach dem vorletzten Absatz der Entscheidungsgründe - auch keine allgemein gültigen Grundsätze über die Arbeitsfähigkeit blinder Telefonisten aufstellen wollte. Diese kann immer nur nach den Umständen des einzelnen Falles beurteilt werden.
Der Telefonistenberuf gehört zu den wenigen Berufen, die dem Blinden zugänglich sind und die es ihm ermöglichen, sich durch eigene Arbeit eine Existenzgrundlage zu verschaffen. Heute sind zahlreiche blinde Telefonisten bei Behörden und in Privatbetrieben erfolgreich tätig. Der Beruf gilt als Ausbildungsberuf für Blinde und ist als solcher staatlich anerkannt (vgl. "Der blinde Telefonist", Richtlinien und Empfehlungen für die Ausbildung, Prüfung und Beschäftigung blinder Telefonisten, Sonderbeilage zur Berufskunde Nr. 8/1954). Der Bünde hat in diesem Beruf, wie sonst kaum, die Möglichkeit, das Fehlen des Augenlichts durch Mehrleistungen an Gedächtnis, Gehör und Tastsinn auszugleichen. Ob der Kläger die hierfür erforderlichen Voraussetzungen in körperlicher und geistig-seelischer Hinsicht (z.B. gesunde Atmungsorgane, einwandfreies Gehör, gutes Tastempfinden, schnelle Reaktionsfähigkeit) in genügendem Maße besitzt, ist allerdings nicht geklärt; er ist bisher nur augenfachärztlich untersucht worden. Wie die Beklagte mit Recht geltend macht, können die Arbeitsbedingungen für blinde Telefonisten durch besondere Vorrichtungen und Hilfsmittel am Arbeitsgerät erleichtert und die Leistungsfähigkeit dadurch gesteigert werden. An Stelle der optischen Signale können mit verhältnismäßig geringen Kosten Schalt- und Tastgeräte eingebaut werden (vgl. die genannten Richtlinien). Die Betriebe, in denen Blinde beschäftigt werden, stellen solche Hilfsmittel regelmäßig zur Verfügung. Unter diesem Umständen erscheint es nicht ausgeschlossen, daß die Behinderungen des Klägers an seiner derzeitigen Arbeitsstelle, wie sie das Landessozialgericht festgestellt hat, z.B. bei der Überwachung des Besetztlampenfeldes oder bei späterem Einbau von Gebührenzählern, sich durch entsprechende Vorrichtungen an der Vermittlungsanlage wenigstens teilweise beheben lassen. Wenn dem Kläger - was nicht anzunehmen ist - in seinem jetzigen Betrieb keine derartigen Hilfsmittel zur Vorfügung gestellt werden, so müßte geprüft werden, ob dies in anderen Betrieben der Fall ist. Jedenfalls bedürfen die Angaben, die der Kläger über den Umfang seiner Behinderung gemacht und die das Landessozialgericht übernommen hat, noch der Nachprüfung. Dies gilt auch für die Frage, wie der Kläger Bestellungen für Fernsprechteilnehmer, die vorübergehend abwesend sind, entgegennehmen und später weitergeben kann. Das Landessozialgericht hat zwar durch Befragen des Klägers festgestellt, er könne ankommende Gespräche nicht aufschreiben. Es hat aber nicht ermittelt, ob der Kläger etwa Kenntnisse in der Blindenschrift, Blindenkurzschrift, Blindenstenografie oder in Maschinenschrift besitzt, mit deren Hilfe er die fraglichen Aufgaben erledigen kann. Selbst beim Fehlen solcher Kenntnisse wäre noch zu prüfen, ob nicht der Kläger - z.B. an einer mittelgroßen Vermittlungsanlage - in Zusammenarbeit mit sehenden Telefonisten und bei gegenseitiger Abnahme eines Teils der Arbeit ausreichende eigene Leistungen erbringen kann. Es handelt sich dabei um Fragen, die das Gericht nicht allein aus eigenem Wissen beurteilen kann und zu deren Beantwortung Sachverständige herangezogen werden müssen. Als solche kommen vor allen die Fachkräfte des psychologischen Dienstes in den Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, wie auch die Lehrkräfte in den Blinden(bildungs)anstalten in Frage. Erst wenn in dieser Weise geklärt ist, ob der Kläger nicht nur an seiner derzeitigen Arbeitsstätte, sondern auch in anderen für ihn erreichbaren Betrieben, deren Zahl naturgemäß nicht groß sein kann, ein genügendes Maß von Arbeitsfähigkeit besitzt, kann zu der Frage seiner Berufsfähigkeit als Telefonist endgültig Stellung genommen werden.
Das angefochtene Urteil muß sonach aufgehoben und der Rechtsstreit mangels genügender tatsächlicher Feststellungen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen werden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des Landessozialgericht vorbehalten.
Fundstellen