Orientierungssatz
Der aus dem früheren Versicherungsverhältnis "nachgehende" Anspruch auf Krankengeld wird durch den Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses ohne Krankengeldberechtigung nicht beeinträchtigt.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 2 Fassung: 1961-07-12
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 28.05.1963) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. Mai 1963 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger ist seit 1928 mit Unterbrechungen Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Seit dem 1. Februar 1960 war er arbeitsunfähig krank und bezog von der beklagten Ersatzkasse bis zum 31. Januar 1961 das satzungsgemäße Krankengeld. Am 25. Mai 1960 hatte der Kläger bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Rente wegen Berufsunfähigkeit beantragt. Seit der Aussteuerung - 31. Januar 1961 - führte ihn die beklagte Ersatzkasse als Mitglied der Beitragsklasse RA (Rentenantragsteller) nach § 10 a Abs. 6 ihrer Satzung.
Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall vom 12. Juli 1961 - LeistungsverbesserungsG - (BGBl I 913) erklärte sich die beklagte Ersatzkasse auf Antrag des Klägers bereit, weiterhin Krankengeld nach Maßgabe des § 183 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nF, d. h. 78 Wochen innerhalb von 3 Jahren, gerechnet vom Beginn der Arbeitsunfähigkeit (1. Februar 1960) an, zu gewähren (Schreiben vom 30. August 1961). Auf Grund der ihr vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 28. August 1961 nahm sie Wiedereinsetzen der Arbeitsunfähigkeit zum gleichen Zeitpunkt an und zahlte dem Kläger Krankengeld in Höhe von 156 DM für die Zeit vom 28. August bis 4. September 1961. Mit der Begründung, der Kläger habe als Pflichtversicherter nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO keinen Anspruch auf Barleistungen, stellte sie die Zahlung des Krankengeldes wieder ein.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe Krankengeld schon vom 1. August 1961 an, da er seit seiner Aussteuerung ununterbrochen arbeitsunfähig krank gewesen sei, und über den 4. September 1961 hinaus zu erhalten. Die Widerspruchsstelle der beklagten Ersatzkasse wies den Widerspruch - unter Verzicht auf die Rückforderung des nach Auffassung der beklagten Ersatzkasse zu Unrecht gezahlten Krankengeldes für die Zeit vom 28. August bis zum 4. September 1961 - zurück (Bescheid vom 11. Oktober 1961).
Mit der Klage beantragte der Kläger, den Ablehnungsbescheid der beklagten Ersatzkasse idF des Widerspruchsbescheides aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn Krankengeld vom 5. September 1961 an zu zahlen. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 15. Juni 1962).
Mit der Berufung erweiterte der Kläger seinen Klageantrag dahin, daß ihm Krankengeld schon vom 1. August 1961 an gewährt werden solle. Das Landessozialgericht (LSG) hob das Urteil des SG und den Ablehnungsbescheid der Beklagten auf und verurteilte die Beklagte - unter Änderung des Widerspruchsbescheides - dem Grunde nach, dem Kläger vom 29. August 1961 an Krankengeld zu zahlen; die weitergehende Berufung wurde zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 28. Mai 1963). Das LSG ging davon aus, daß § 183 RVO idF des LeistungsverbesserungsG auf die vor dem 1. August 1961 eingetretenen Versicherungsfälle Anwendung finde. Für den Wiederbeginn der Krankengeldzahlung nach dem 1. August 1961 sei jedoch § 182 Abs. 3 Satz 1 RVO zu beachten, so daß der Kläger im Hinblick auf die von ihm vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 28. August 1961 Krankengeld erst vom 29. August an wieder beanspruchen könne.
Gegen dieses Urteil hat die beklagte Ersatzkasse Revision eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie hält daran fest, daß § 183 Abs. 2 RVO idF des LeistungsverbesserungsG nicht auf vor dem 1. August 1961 eingetretene Versicherungsfälle Anwendung finde. Aus der Lohnersatzfunktion des Krankengeldes folge, daß ein Versicherter, der kein Arbeitseinkommen mehr habe, auch kein Krankengeld beanspruchen könne.
Der Kläger hat um
Zurückweisung der Revision
gebeten. Er verweist auf das Urteil des erkennenden Senats vom 25. November 1964 - 3 RK 71/64 -.
Die Revision ist nicht begründet. Zutreffend hat das LSG die beklagte Ersatzkasse für verpflichtet erachtet, dem Kläger vom 29. August 1961 an Krankengeld zu zahlen.
Wie der Senat in seinem Urteil vom 25. November 1964 - 3 RK 71/64 - (SozR RVO § 183 Nr. 10) näher dargelegt hat (mit der gleichen Revisionsklägerin wie im vorliegenden Rechtsstreit), findet § 183 Abs. 2 RVO nF auch dann auf bereits vor dem 1. August 1961 eingetretene und zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene Versicherungsfälle Anwendung, wenn an die Stelle des ursprünglichen Versicherungsverhältnisses, während dessen der Versicherungsfall eingetreten ist, ein anderes Versicherungsverhältnis ohne Krankengeldberechtigung - hier das Pflichtversicherungsverhältnis des Rentenantragstellers (§ 306 Abs. 2 i. V. m. § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO) - getreten ist. Da der Anspruch auf Krankengeld nicht davon abhängt, daß während der ganzen Dauer der Arbeitsunfähigkeit überhaupt eine Mitgliedschaft besteht, vielmehr die maßgebliche Grundlage für ihn schon damit gegeben ist, daß der Versicherungsfall - die Krankheit - während des Bestehens eines Versicherungsverhältnisses mit Krankengeldberechtigung eingetreten ist, kann die spätere Umgestaltung des Versicherungsverhältnisses des Klägers bei der beklagten Ersatzkasse den aus dem früheren Versicherungsverhältnis "nachgehenden" Anspruch auf Krankengeld nicht berühren. Wie das Bayerische LSG in seiner Entscheidung vom 28. September 1960 (Breithaupt 1961, 199) zutreffend ausgeführt hat, gilt die Beschränkung, daß krankenversicherte Rentner (oder Rentenantragsteller; § 315 a RVO) keinen Anspruch auf Krankengeld haben, nur für Versicherungsfälle, die während der Mitgliedschaft zur Rentnerkrankenversicherung eingetreten sind. Ein bereits auf Grund früherer Versicherungspflicht erworbener unbeschränkter Anspruch auf Versicherungsleistungen kann nicht durch den Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses mit begrenzter Leistungspflicht beseitigt werden. Es würde auch nicht dem Sinn der Rentnerkrankenversicherung entsprechen, wenn mit ihrem Einsetzen die Rechtsstellung der Rentner in der Krankenversicherung gemindert würde.
Der Auffassung, daß der aus dem früheren Versicherungsverhältnis nachgehende Anspruch auf Krankengeld durch den Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses ohne Krankengeldberechtigung nicht beeinträchtigt wird, steht entgegen der Auffassung der beklagten Ersatzkasse nicht entgegen, daß das Krankengeld grundsätzlich Lohnersatzfunktion hat. Wie insbesondere § 214 RVO deutlich zeigt, kennt das Gesetz aus dem früheren Versicherungsverhältnis nachgehende Ansprüche auf Krankengeld, ohne daß der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zum Wegfall von Arbeitseinkommen geführt hat. In dem hier vorliegenden Fall des Zusammentreffens von Krankengeld und späterer Zubilligung von Rente wegen Berufsunfähigkeit hat das Gesetz (§ 183 Abs. 5 RVO) dem Umstand, daß zwei Leistungen der Sozialversicherung mit der gleichen Lohnersatzfunktion - Krankengeld und Rente - für den gleichen Zeitraum gewährt werden, dadurch Rechnung getragen, daß das Krankengeld um den Betrag der für den gleichen Zeitraum gewährten Rente gekürzt wird. Damit sind die Krankenkassen vor sachlich nicht gerechtfertigter Inanspruchnahme mit nachgehenden Ansprüchen auf Krankengeld ausreichend geschützt.
Demnach ist das angefochtene Grundurteil des LSG richtig. Die Revision muß als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG
Fundstellen