Leitsatz (redaktionell)
1. Hat ein Versorgungsberechtigter Versorgungsleistungen zu Unrecht erhalten, so kann die Verwaltungsbehörde sie nach seinem Tode von den Erben durch Verwaltungsakt zurückfordern.
2. Für die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ausschließlich zuständig, ohne daß es darauf ankommt, ob die Verwaltung befugt war, die Rückforderung durch Verwaltungsakt zu regeln.
Normenkette
KOVVfG § 47 Fassung: 1960-06-27; SGG § 51
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. Oktober 1964 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
Die Kläger (Witwe und Sohn) sind die Erben des am 13. August 1959 verstorbenen Bundesbahngehilfen und Anwesensbesitzers J S. Der Erblasser bezog Grundrente und Ausgleichsrente. Infolge Erhöhung seines Arbeitseinkommens, Gewährung von Krankengeld und Hausgeld sowie Einkommens aus angefallenem landwirtschaftlichen Eigentum wurde die Ausgleichsrente neu berechnet und herabgesetzt, schließlich ihre Zahlung eingestellt. Das Versorgungsamt (VersorgA) forderte mit Bescheid vom 31. August 1959 einen nicht zustehenden Betrag von 532,- DM zurück. Der Widerspruch gegen die Rückforderung hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 4. Juli 1960).
Auf die Klage hob das Sozialgericht (SG) Hildesheim mit Urteil vom 11. Oktober 1962 die belastenden Bescheide auf. Der Rückerstattungsanspruch sei nicht Nachlaßverbindlichkeit, weil er gegenüber dem Beschädigten nicht mehr "konkretisiert" worden sei. Die Erben eines Versorgungsberechtigten stünden aber nicht in einem öffentlichen Über- und Unterordnungsverhältnis zur Versorgungsverwaltung. Ein Verwaltungsakt gegenüber den Erben sei daher unzulässig.
Im Berufungsverfahren hat der Beklagte mit Teilvergleich vom 13. Oktober 1964 die die Erben belastenden Bescheide dahin abgeändert, daß sich der Rückforderungsanspruch von 532,- DM auf 436,- DM ermäßigt, während die Kläger die Höhe der Rückforderung nicht mehr bestreiten, wohl aber noch die Berechtigung des Beklagten zur Rückforderung. Mit Urteil vom 13. Oktober 1964 hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat den Klägern die Beschränkung der Erbenhaftung auf den Nachlaß vorbehalten. Entgegen BSG 15, 14, 15 könne ein an den Beschädigten überzahlter Betrag auch nach seinem Tode von den Erben durch Verwaltungsakt zurückgefordert werden. Dieser Anspruch sei auch nach dem Erbfall noch öffentlich-rechtlicher Natur, so daß der Nachlaß mit einer öffentlich-rechtlichen Forderung belastet sei. Nach § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) träten die Erben in die Rechtsstellung des Erblassers in vermögensrechtlicher Hinsicht. Die Rechtsnatur eines Rechtsanspruchs ändere sich auch nicht, wenn dieser Anspruch kraft Gesetzes auf einen anderen Berechtigten übergehe. Der Rückforderungsanspruch sei das Spiegelbild der öffentlich-rechtlichen Versorgungsleistung. Die öffentlich-rechtliche Natur des Rückforderungsanspruchs werde noch durch § 47 Abs. 6 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) betont, weil hierin auf das Verwaltungsvollstreckungsgesetz verwiesen werde. Entgegen der Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) in BSG 15, 14 ergebe sich aus § 119 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (RAO) nicht ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, daß der Erbe zur Verwaltung in einer bürgerlich-rechtlichen Beziehung stehe. Vielmehr ändere der Erbfall nichts an der Zuordnung des Anspruchs zu den öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten. Aus § 8 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes folge, daß § 1967 BGB auf öffentliche-rechtliche Verbindlichkeiten nur entsprechende Anwendung finde. Der öffentlich-rechtliche Rückerstattungsanspruch entstehe unmittelbar kraft Gesetzes, wenn seine Voraussetzungen erfüllt seien. Er sei bereits vor dem Erbfall entstanden und daher rechtlich noch der Lebenssphäre des Beschädigten zuzurechnen. Ein Rückforderungsbescheid habe nur feststellende Wirkung. Im übrigen könne ein fehlerhafter Rentenbewilligungsbescheid aber noch nach dem Tode des Versorgungsberechtigten zurückgenommen werden (BSG 7, 105). Somit sei die Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beträge an den Erben durch Verwaltungsakt zulässig, während eine gerichtliche Bereicherungsklage keinen Erfolg haben könne. Da auch die Voraussetzungen der Rückforderung gegeben seien - der Versorgungsberechtigte habe seiner Anzeigepflicht nicht genügt und daher die Überzahlung verschuldet -, könnten die Bescheide vom 31. August 1959, 4. Januar 1960 und 4. Juli 1960 idF, die sie durch den Teilvergleich vom 13. Oktober 1964 erhalten hätten, sowie der Bescheid vom 10. Juni 1960 nicht beanstandet werden. Das angefochtene Urteil des SG sei daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger haben gegen das ihnen am 27. Januar 1965 zugestellte Urteil am 9. Februar 1965 die zugelassene Revision mit dem Antrage eingelegt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Niedersachsen vom 13. Oktober 1964 die Berufung des Beklagten vom 10. Dezember 1962 gegen das Urteil des SG Hildesheim vom 11. Oktober 1962 als unbegründet zurückzuweisen.
Sie rügen mit näherer Begründung eine Verletzung des § 47 Abs. 1 Satz 1 VerwVG. Die Entscheidung des 11. Senats in BSG 15, 14 stehe der angefochtenen Entscheidung entgegen. Falls Versorgungsleistungen überhoben und dies vor dem Tode des Versorgungsberechtigten bindend festgestellt worden sei, handele es sich zwar um öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten. Hier aber seien die Verbindlichkeiten vor dem Tode noch nicht festgestellt worden. Damit entfalle die Möglichkeit, die Rückforderung gegen die Erben mit einem Verwaltungsakt geltend zu machen. Die Vorschriften des Steuerrechts könnten nicht auf das Versorgungsrecht übertragen werden. In BSG 7, 105 sei zwar ein Berichtigungsbescheid auch noch nach dem Tode des Berechtigten für zulässig gehalten worden. Diese Entscheidung habe aber die Rückforderung nicht behandelt. § 47 Abs. 1 Satz 1 VerwVG setze eine öffentlich-rechtliche Beziehung voraus; diese fehle, weil Erben zur Versorgungsverwaltung nicht in einem Unterordnungsverhältnis ständen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Die durch Zulassung statthafte Revision der Kläger (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist daher zulässig, jedoch nicht begründet.
Unstreitig ist der Beschädigte auf seine Anzeigepflicht hingewiesen worden und hat - ebenfalls unstreitig - weder die Einkommenserhöhung noch die Vermögensänderung - Erwerb des väterlichen landwirtschaftlichen Anwesens - dem VersorgA angezeigt, obgleich er die erforderliche Einsicht in seine Anzeigepflichten gehabt hat. Die Beteiligten sind sich im Teilvergleich vom 13. Oktober 1964 darüber einig geworden, daß die Höhe des nicht zustehenden Betrags und damit die Höhe des Rückforderungsanspruchs nicht 532,- DM, sondern 436,- DM beträgt. Da diese Minderung des Beschwerdewerts nach Einlegung der Berufung eingetreten ist, hat diese Änderung des Beschwerdewerts auf die Zulässigkeit der Berufung i. S. des § 149 SGG (Beschwerdewert: 500,- DM) keinen Einfluß mehr, weil mit der Rechtsmitteleinlegung die Prozeßhandlung abgeschlossen und vollendet war (BSG 8, 135; SozR SGG § 149 Nr. 9). Streitig ist allein, ob der Beklagte mit einem Verwaltungsakt oder nur im Wege der Zivilklage seine Rückforderung geltend machen kann, ob es sich also auch gegenüber den Erben um einen Anspruch des öffentlichen oder des bürgerlichen Rechts handelt.
Nach § 51 Abs. 1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung. Die Rückforderung eines nach der Behauptung des Verwaltungsträgers zu Unrecht gezahlten Betrages durch Verwaltungsakt wird auf § 47 VerwVG, also auf eine Vorschrift des öffentlichen Rechts, gestützt. Das VersorgA hat damit einen Einzelfall auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts geregelt. Die Klage mit dem Ziele, den Verwaltungsakt zu beseitigen, ist somit eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i. S. des § 51 Abs. 1 SGG, ohne daß es darauf ankommt, ob die Verwaltung befugt war, die Rückforderung durch Verwaltungsakt zu regeln. Um die Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsakts zu prüfen, sind mithin nach § 51 Abs. 1 SGG ausschließlich die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig (ebenso BSG 15, 15).
Zunächst ist zwischen dem Beschädigten und der Versorgungsverwaltung ein Versorgungsrechtsverhältnis entstanden, das dem öffentlichen Recht zuzurechnen ist. Dem öffentlichen Recht gehört auch die Rückforderung von Versorgungsleistungen gegen den Leistungsempfänger an, weil hiermit nur eine andere Seite des bestehenden Rechtsverhältnisses betroffen wird (BSG 14, 63). Es kommt mithin darauf an, ob durch den Tod des Beschädigten und durch den Übergang des Nachlasses auf die Erben sich der Charakter des Rechtsverhältnisses gewandelt hat, indem dieses nunmehr zu einem privat-rechtlichen geworden ist. Eine Änderung der schon bestehenden Rechte und Pflichten tritt durch den Tod des Rentenberechtigten nicht ein. Der 11. Senat hat zwar in BSG 15, 14 einen öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch in einem Falle verneint, in welchem der Versorgungsberechtigte für den folgenden Monat deshalb ohne Rechtsgrund die Versorgungsleistung erhalten hat, weil er noch im laufenden Monat, vor dessen Ablauf die Rente ausbezahlt wurde, gestorben ist. Es kann indes dahingestellt bleiben, ob der Auffassung des 11. Senats in BSG 15, 14 gefolgt werden kann, weil dieser Fall sachlich und auch rechtlich anders gelagert war als der vorliegende Rechtsstreit. Grundsätzlich ändert der Rechtsübergang aus Anlaß eines Erbfalles die Rechtsnatur des schon vorher entstandenen öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs nicht. Der Wegfall des bisherigen Anspruchs tritt kraft Gesetzes ein. Ein Neufeststellungsbescheid ist dazu bestimmt, einen wegen Einkommenserhöhung fehlerhaft gewordenen Bescheid der neuen Einkommenslage anzupassen. Wie bei dem Bescheid nach § 41 VerwVG entsteht der Rückforderungsanspruch kraft Gesetzes von dem Zeitpunkt an, auf den die begrenzte Rücknahme (Entziehung, Minderung) des Bescheides zurückwirkt. Die Neufeststellung ist, wie das LSG mit Recht ausgeführt hat, nur feststellender Natur, d. h. die kraft Gesetzes mit dem Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen eingetretene Minderung der Ausgleichsrente wird nachträglich bescheidmäßig festgestellt, und zwar infolge des Erbfalles gegen den Erben als Gesamtrechtsnachfolger des Beschädigten. Durch den Wechsel der Person des Verpflichteten ändert sich der öffentlich-rechtliche Charakter des Rückforderungsanspruchs nicht (ebenso BSG 7, 163; 23, 9; Urteil des erkennenden Senats vom 17. Dezember 1965 in SozR VerwVG § 47 Nr. 18). Der Rückforderungsanspruch, der hier mit 436,- DM begrenzt ist, stützt sich, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, auf § 47 Abs. 2 VerwVG. Diese Vorschrift sieht zwar nicht ausdrücklich vor, wer zu Unrecht empfangene Leistungen zu erstatten hat, aber nach der Natur der Sache kann dies nur der Rentenempfänger bzw. dessen Rechtsnachfolger sein. Die Rückerstattungsschuld ist als öffentlich-rechtliche Nachlaßverbindlichkeit auf die Erben übergegangen. Der Rechtsübergang kraft Erbfolge kann nicht anders beurteilt werden wie der Rechtsübergang im Falle der Abtretung. Hierzu hat das BSG in BSG 10, 160; 11, 60 entschieden, daß der Anspruch unverändert auch nach dem Rechtsübergang dem öffentlichen Recht zuzurechnen ist und die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über den Rechtsübergang nur entsprechend anwendbar sind. Das gleiche muß für den Übergang kraft Erbfolge gelten, so daß der gegen die Erben gerichtete Rückforderungsanspruch öffentlich-rechtlicher Art ist (ebenso BVerwG 15, 243; BGHZ vom 7. Dezember 1960 - IV ZR 142/60 - in DVBl 1961, 333; der erkennende Senat in SozR VerwVG § 47 Nr. 18). Das LSG hat mithin ohne Rechtsirrtum den öffentlich-rechtlichen Charakter des Rückforderungsanspruchs bejaht und daher mit Recht die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Sachentscheidung für zuständig gehalten (§ 51 SGG). Es hat ohne Rechtsirrtum § 47 Abs. 2 VerwVG angewandt. Die gegen das angefochtene Urteil eingelegte Revision der Kläger war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen