Leitsatz (amtlich)
Hat eine KK eine Klage auf Feststellung gegen eine andere KK, daß bestimmte bisher bei dieser als versichert geführte Arbeitnehmer bei der klagenden KK versichert seien, zurückgenommen, so ist eine neue mit dem gleichen Feststellungsbegehren erhobene Klage bei unveränderter Sachlage unzulässig.
Leitsatz (redaktionell)
Im Verfahren nach dem SGG § 102 wird durch die Klagerücknahme der prozessuale Anspruch auf gerichtliche Entscheidung über den Klagegegenstand verbraucht, so daß der Kläger - anders als im Zivilprozeß - nicht mehr die Möglichkeit hat, wegen des gleichen Sachverhalts nochmals das Gericht anzurufen.
Normenkette
SGG § 102 S. 2 Fassung: 1958-08-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Oktober 1964 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die beigeladene Firma K & H in L unterhält ein Werk II in M, das im Jahre 1943 errichtet worden ist. Zu dieser Zeit waren die in diesem Werk beschäftigten Arbeitnehmer bei der Klägerin, der Vereinigten Innungskrankenkasse L, versichert. Seit Kriegsende sind diese Arbeitnehmer Mitglieder der Beklagten, der Allgemeinen Ortskrankenkasse M.
Im Oktober 1951 hatte die Klägerin von der Beklagten verlangt, daß diese die im Werk II beschäftigten Arbeitnehmer freigebe, damit die Beigeladene sie bei der Klägerin anmelden könne. Die Beklagte hatte dies abgelehnt.
Die Klägerin hatte gemäß § 258 der Reichsversicherungsordnung (RVO) damaliger Fassung im Mai 1953 beim Versicherungsamt der Stadt L beantragt, über die Zugehörigkeit der im Werk II beschäftigten Arbeitnehmer zur Klägerin oder zur Beklagten zu entscheiden. Dieses Verfahren war nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG) übergegangen. In der Verhandlung vor dem SG vom 14. März 1955 hatte die Klägerin die Klage zurückgenommen.
Zum 30. April 1962 meldete die Beigeladene ihre im Werk II beschäftigten Arbeitnehmer bei der Beklagten ab. Die Beklagte erklärte sich mit dieser Abmeldung nicht einverstanden und forderte Anfang Juni 1962 die Sozialversicherungsbeiträge für Mai 1962 von der Beigeladenen.
Die Klägerin hat daraufhin beim SG Klage erhoben mit dem Antrag festzustellen, daß die im Werk II beschäftigten Arbeitnehmer der Beigeladenen bei der Klägerin versichert seien.
Das SG hat wiederum die Firma K & H beigeladen und mit Urteil vom 23. Januar 1963 dem Klagantrag stattgegeben, weil das Werk II in M ein dem Gesamtunternehmen in L untergeordneter Nebenbetrieb sei, die Betriebsangehörigen des Werks II deshalb wie die im Werk L tätigen Arbeitnehmer auch bei der Klägerin zu versichern seien.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten die Klage als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die neue Klage sei mit Rücksicht auf die im Vorprozeß erfolgte Klagerücknahme unzulässig. Die Klagerücknahme habe nach § 102 Satz 2 SGG den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Dadurch habe die Klägerin nicht nur den Schutz durch die erhobene Klage verloren, sondern darüber hinaus den Rechtsbehelf der Klage über den bestimmten Streitgegenstand überhaupt.
Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor, das LSG habe zu Unrecht aus § 102 SGG gefolgert, daß eine neue Klage unzulässig sei. Dabei habe es nicht zwischen einer Leistungsklage und einer Feststellungsklage unterschieden. Wenn man den Standpunkt des LSG auch bei einer Feststellungsklage gelten ließe, werde dadurch ein Zustand, der gegen bestehende gesetzliche Vorschriften verstoße, für alle Zeiten verbindlich, solange sich an den Rechtsvorschriften nichts ändere. Im vorliegenden Falle würde sich diese Art der Erledigung in der Hauptsache zu Lasten des Arbeitgebers auswirken. Er habe in beiden Prozessen als Beigeladener den Übergang seiner Beschäftigten zur Klägerin beantragt, beide Anträge würden aber damit untergehen, ohne daß er es verhindern könnte.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 28. Oktober 1964 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Speyer vom 23. Januar 1962 zurückzuweisen.
Die Beigeladene schließt sich diesem Antrag an.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist begründet.
Während nach § 271 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) im Falle der Klagerücknahme der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen ist, erledigt nach § 102 Satz 2 SGG die Klagerücknahme den Rechtsstreit in der Hauptsache. Dies hat zur Folge, daß der prozessuale Anspruch auf gerichtliche Entscheidung über den Klagegegenstand verbraucht ist und daß der Kläger, der damit auf die weitere Verfolgung seiner Ansprüche verzichtet hat, nicht mehr die Möglichkeit hat, wegen des gleichen Sachverhalts nochmals das Gericht anzurufen. Der materielle Anspruch bleibt zwar in seinem Bestand durch die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache unberührt, jedoch ist in Zukunft für diesen Anspruch der Rechtsweg versagt, der Kläger kann ihn nicht mehr geltend machen (vgl. hierzu Peters/Sautter/Wolff, Komm. z.Sgb § 102 Anm. 4; Rohwer-Kahlmann, Sgb § 102 Anm. 18; Hoffmann/Schroeter, Sozialgerichtsgesetz § 102, Anm. 1; Mellwitz, Komm. z. Sozialgerichtsgesetz § 102, Anm. 7; Schroeder/Printzen, KOV 1955 S. 113; Fischer, Die Ortskrankenkasse 1955, S. 378; Haueisen, Wege zur Sozialversicherung 1956 S. 253 und Böhme, Berufsgenossenschaft 1961, S. 484). Durch die Klagerücknahme wird zwar die Wirkung der Rechtshängigkeit nicht aufgehoben, jedoch ist dem Kläger für immer verwehrt, ohne Änderung des Sachverhalts seine Ansprüche weiter zu verfolgen. Diese gegenüber § 271 ZPO verschiedene Wirkung erklärt sich, wie das LSG zutreffend ausführt, daraus, daß der Beklagte - anders als im Zivilprozeß - die Rücknahme der Klage nicht verhindern und so eine Entscheidung des Gerichts erzwingen kann; er muß daher auf andere Weise vor einer neuen Klage geschützt werden. Das SGG hat dies in der Form getan, daß es als Folge der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache eine neue Klage ausschließt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin macht es keinen Unterschied, daß es sich im vorliegenden Falle nicht um eine Anfechtungs- oder Leistungsklage oder eine Verbindung von beiden Klagen, sondern um eine Feststellungsklage handelt. Das Gesetz unterscheidet in § 102 SGG, was die Wirkung der Klagerücknahme betrifft, nicht zwischen den verschiedenen Klageformen. Auch ergibt sich aus der Systematik des Gesetzes nichts, das für eine unterschiedliche Behandlung spräche. Wohl kann nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG mit einer Klage jederzeit die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses bzw. die Feststellung begehrt werden, welcher Versicherungsträger zuständig ist. Ist aber eine solche Klage erhoben und darüber entschieden worden, so sind damit die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten geklärt und können nicht ohne Änderung des Sachverhalts Gegenstand einer sachlichen Entscheidung in einem neuen Verfahren sein. Nicht anders ist es aber, wenn eine Feststellungsklage zurückgenommen worden ist. Der Kläger hat sich mit dem bestehenden Zustand abgefunden und auf eine Überprüfung des Streitfalles durch das Gericht verzichtet. Er steht dabei im Ergebnis so da, als wenn über seine Klage sachlich zu seinen Ungunsten entschieden worden wäre. Eine neue Klage ist daher unzulässig (vgl. auch für die Feststellungsklage gegenüber einem bindend gewordenen Verwaltungsakt BSG vom 28. November 1961, SozR SGG § 55 Nr. 31).
Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2365089 |
MDR 1967, 788 |