Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherungszugehörigkeit von Binnenschiffern

 

Leitsatz (redaktionell)

Ob ein Arbeitnehmer als Arbeiter oder als Angestellter anzusehen ist, hängt nicht davon ab, welche Beschäftigung er aufgrund von Befähigungsnachweisen ausüben könnte; maßgebend ist vielmehr, welche Beschäftigung er tatsächlich ausübt.

 

Orientierungssatz

Die Tätigkeit als 2. Maschinist auf einem Tonnenleger (in der Binnenschiffahrt) ist arbeiterrentenversicherungspflichtig.

 

Normenkette

RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1960-09-08

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. Juli 1964 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger während seiner Beschäftigung als zweiter Maschinist auf einem Tonnenleger angestellten- oder arbeiterrentenversicherungspflichtig war.

Der Kläger ist gelernter Schlosser und Dreher. In den Jahren 1924/25 ist er als Maschinenassistent und Heizer zur See gefahren. Später war er in anderen Berufen tätig. Nach seiner Einstellung bei dem Wasser- und Schiffahrtsamt H, der Beigeladenen zu 3), wurde er u.a. als Heizer, Dreher und Schlosser, als Maschinist auf einem Spüler und einer schwimmenden Ramme und schließlich als zweiter Maschinist auf dem Tonnenleger "E" versicherungspflichtig beschäftigt.

Im Jahre 1957 erwarb der Kläger das Befähigungszeugnis C 2 (§ 3 der Schiffsbesetzungsordnung vom 29. Juni 1931 - RGBl II 517) und bestand bald danach die Schiffsmaschinistenprüfung (M) nach der Prüfungsordnung für die Schiffsmaschinistenprüfung im Bereich der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung, die der Bundesminister für Verkehr als Allgemeine Dienstvorschrift der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung Nr. 1630 erlassen hat und die am 20. Oktober 1956 in Kraft getreten ist.

Die "E" ist während des Berufungsverfahrens Anfang Juli 1964 außer Dienst gestellt worden. Sie hatte eine Wasserverdrängung von 275 Tonnen und diente dazu, die Betonnung der Elbeschiffahrtsstraße von der Grenze des H Hafens abwärts aufrecht zu erhalten. Nach der Bordliste des Tonnenlegers "E" vom April 1958 war eine Besetzung mit

1 Schiffsführer

- Patent A 4 -,

1 Allein-Steuermann

- Patent A 3 -,

1 Ltd. Maschinist

- Patent C 3 -,

1 Wachmaschinist

- Patent C 2 und M - sowie

6 weiteren Besatzungsangehörigen

vorgeschrieben.

Nach § 2 Abs. 7 Nr. 5 des Tarifvertrags für Angestellte im nautischen und schiffsmaschinentechnischen Dienst vom 30. Januar 1958 sind Wachmaschinisten mit Patent C 2 und M auf Schiffen der Klasse 3 über 400 bis 700 PS Angestellte.

Mit dem zwischen dem Kläger und dem Wasser- und Schiffahrtsamt abgeschlossenen "Arbeitsvertrag" vom 22. November 1958 wurde er unter Einreihung in die Vergütungsgruppe VIII TO.A als Angestellter beim Wasser- und Schiffahrtsamt H "eingestellt". Fortan wurden für den Kläger nicht mehr Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung, sondern zur Angestelltenversicherung entrichtet.

Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) - die Beigeladene zu 1) - vertrat jedoch die Rechtsauffassung, daß Maschinisten auf Binnenschiffen nicht der Angestelltenversicherung, sondern der Arbeiterrentenversicherung zuzurechnen seien. Daraufhin wurden für den Kläger wieder Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter abgeführt. Der Kläger hingegen wollte in der Angestelltenversicherung bleiben. Die beklagte Betriebskrankenkasse entschied jedoch am 7. Juli 1961, daß für ihn Versicherungspflicht in der Arbeiterrentenversicherung bestehe; der Widerspruch wurde am 23. Februar 1962 zurückgewiesen.

Der Kläger hat hiergegen Klage erhoben mit dem Ziel festzustellen, daß er als zweiter Maschinist auf dem Tonnenleger "E" eine angestelltenversicherungspflichtige Beschäftigung ausübe. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der beigelassenen Landesversicherungsanstalt (LVA) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die "E" sei als Binnenschiff verwendet worden.

Der Maschinist eines Binnenschiffes sei kein Offizier des Maschinendienstes im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 7 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG).

Aus den für die Seeschiffahrt und für die Binnenschifffahrt geltenden Bestimmungen sei zu entnehmen, daß die Bezeichnung Schiffsoffizier dem Maschinisten auf einem Seefahrzeug vorbehalten sei. Der Maschinist eines Binnenschiffes bekleide aber keine dem Schiffsführer vergleichbare Stellung. Denn seine Befugnis beschränke sich nur auf einen engbegrenzten Teil des Fahrzeuges, die eigentliche Aufsicht und Leitung des Fahrzeuges liege in den Händen des Schiffsführers. Beim Kläger komme noch hinzu, daß er auf der "E" als zweiter Maschinist beschäftigt gewesen sei. Der erste Maschinist habe nach der Bordliste auf Fahrt stets an Bord sein müssen; wie durch die Aussage des Maschinenmeisters G erwiesen sei, sei die Bordliste eingehalten worden und die Weisung befolgt worden, daß der erste Maschinist nicht von dem zweiten vertreten werden dürfe.

Der Kläger habe sich auch nicht in einer dem Seemaschinisten ähnlichen Stellung befunden. Im Seemannsgesetz sei der Begriff des sonstigen Angestellten (§ 5 des Seemannsgesetzes) eingeführt worden, die den Schiffsoffizieren gleichgestellt seien, während eine entsprechende Bestimmung für die Binnenschiffahrt nicht vorhanden sei. Der Sprachgebrauch in der Binnenschiffahrt kenne keine Offiziere des Maschinendienstes, eine andere Berufsgruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 7 AVG, mit der der Maschinist eines Binnenschiffes verglichen werden könne, sei nicht ersichtlich. Ob ein Arbeitnehmer der Rentenversicherung der Angestellten oder der Arbeiter unterliege, hänge allgemein davon ab, ob der Betreffende eine überwiegend geistige Beschäftigung verrichte oder ob er als Handarbeiter überwiegend körperlich tätig sei. Auf Grund der Aussage des Maschinenmeisters G in Verbindung mit den eigenen Angaben des Klägers stehe fest, daß die Bedienung und Instandhaltung der Maschinen- und Kesselanlage den wesentlichen Inhalt seiner Tätigkeit auf der "Elbe" gebildet habe. Die Beschäftigung mit schriftlichen Arbeiten trete demgegenüber in den Hintergrund, weil diese von ihm nur bei Abwesenheit des ersten Maschinisten zu erledigen waren und der erste Maschinist auf Fahrt stets an Bord gewesen sei. Aber auch die Tätigkeit des ersten Maschinisten habe schwerlich durch die Vornahme schriftlicher Arbeiten, wie beispielsweise dem Führen des Maschinentagebuches und von Wochenberichten, ihr Gepräge erhalten. Infolgedessen könne kein Zweifel darüber bestehen, daß der Kläger überwiegend körperlich tätig gewesen sei.

Der Umstand, daß die Tätigkeit eines Maschinisten auf einer Seeschiffahrtsstraße durchschnittlich schwieriger sei und ein höheres Maß von Sorgfalt erfordere als auf einem Schiff auf einer Binnenschiffahrtsstraße, könne zu keiner anderen Frage der Beurteilung der Versicherungszugehörigkeit führen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Er trägt vor, es gehe nicht an, nur seine spezielle Tätigkeit auf dem Tonnenleger "E" rechtlich zu werten, es müsse vielmehr generell und abstrakt geklärt werden, ob die zweiten Maschinisten in der Binnenschiffahrt angestelltenversicherungspflichtig seien; anderenfalls würde es von Zufälligkeiten abhängen, ob ein Versicherter der einen oder der anderen Versicherungssparte zuzuteilen sei. Aus diesem Grunde sei allein entscheidend das Patent und die evtl. Zusatzzeugnisse, mit denen die fragliche Betätigungsart ausgeübt werde, nicht aber der spezielle Schiffstyp. Würde demnach der Kläger mit seinen Patenten auf hoher See fahren, so wäre er Angestellter; es sei nicht einzusehen, daß der gleiche Versicherte mit den gleichen Voraussetzungen und damit dem gleichen Betätigungsfeld in der Binnenschifffahrt anders beurteilt werden solle.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Hamburg vom 21. Juli 1964 aufzuheben und die Berufung der beigeladenen LVA gegen das Urteil des SG Hamburg vom 28. November 1962 zurückzuweisen.

Die Beklagte sowie die beigeladene BfA und LVA Freie und Hansestadt H beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Bundesbahn-Versicherungsanstalt haben keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Wie das LSG festgestellt hat, ist die "E" ein Fahrzeug der Binnenschiffahrt gewesen. Weiter hat der Kläger nach diesen Feststellungen als zweiter Maschinist eines Binnenschiffes keine dem Schiffsführer vergleichbare Stellung innegehabt, weil sich die Befugnisse des Maschinisten auf einen engbegrenzten Teil des Fahrzeuges beschränken; hinzu kommt dabei noch, daß der Kläger als zweiter Maschinist beschäftigt gewesen ist und daß nach der Bordliste der erste Maschinist stets anwesend war. Die Tätigkeit des Klägers bestand also im wesentlichen in der Bedienung und Instandsetzung der Maschinen und Kesselanlagen. Die Beschäftigung mit schriftlichen Arbeiten ist demgegenüber in den Hintergrund getreten, weil diese von ihm nur bei Abwesenheit des ersten Maschinisten zu erledigen waren und der erste Maschinist auf Fahrt stets an Bord gewesen ist. Da auch schon die Tätigkeit des ersten Maschinisten nicht durch die Vornahme schriftlicher Arbeiten ihr Gepräge hat, ist erst recht vom Kläger anzunehmen, daß er überwiegend körperlich tätig gewesen ist.

Wie der Senat in seinem Urteil vom 16. Dezember 1965 - SozR AVG § 3 Nr. 10 - ausgesprochen hat, gehört ein Maschinist, der auf einem Schlepper auf der Unterelbe eingesetzt ist, auch dann nicht zu den Angestellten, wenn er die für die Seefahrt erforderlichen Befähigungsnachweise besitzt. Denn er ist nicht auf einem Seefahrzeug beschäftigt und nicht Offizier des Maschinendienstes im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 7 AVG. Ein Maschinist auf einem Binnenschiff kann nach diesem Urteil auch nicht einem Seemaschinisten gleichgestellt werden, weil in der Binnenschiffahrt für Maschinisten nach dem Gesetz kein besonderer Befähigungsnachweis wie für die Seefahrt vorgesehen ist; es ist auch nicht ausschlaggebend, daß der einzige Maschinist auf den Schleppern für die Maschinenanlage verantwortlich ist, weil Verantwortlichkeit beim Umgang mit wertvollen Maschinen und Materialien allgemein von Facharbeitern gefordert wird.

Im Gegensatz zu dem am 16. Dezember 1965 entschiedenen Fall, in dem es sich um den einzigen Maschinisten des Schiffes gehandelt hat, war im vorliegenden der Kläger als zweiter Maschinist mit einer noch weniger verantwortlichen Tätigkeit betraut, weil die schwierigeren Aufgaben von dem ersten Maschinisten erledigt wurden und der Kläger nur in verschwindend geringem Umfange den ersten Maschinisten zu vertreten hatte.

Es kann auch nicht, wie der Kläger meint, darauf abgestellt werden, welche Tätigkeit der Kläger mit seinen Patenten ausüben könnte, sondern nur darauf, welche Tätigkeiten er tatsächlich ausgeübt hat. Nur in diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, wie diese Tätigkeit von der Verkehrsanschauung bewertet wird, nicht aber wie eine andere bewertet wird, die der Betreffende ausüben könnte. Die Ansicht des Klägers würde im Endergebnis dazu führen, daß jemand, der die Voraussetzung und Vorbildung für eine bestimmte Angestelltentätigkeit mit sich bringt, auch in der Zeit als angestelltenversicherungspflichtig angesehen werden müßte, in der er eine arbeiterrentenversicherungspflichtige Tätigkeit ausübt. Dies ist aber nicht der Fall.

Weil somit der Kläger nach seiner Tätigkeit auf dem Tonnenleger "E" zum Kreis der arbeiterrentenversicherungspflichtigen Personen gehört hat, muß seine Revision zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2365163

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