Leitsatz (redaktionell)
AnVNG Art 2 § 1 setzt das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses als Angestellter am 1967-12-31 und am 1968-01-01 voraus.
Während einer Arbeitslosigkeit besteht kein Angestelltenverhältnis weiter. Es ist auch nicht möglich, bei der Anwendung des AnVNG Art 2 § 1 idF des FinÄndG 1967 den Zustand der Arbeitslosigkeit einem Angestelltenverhältnis gleichzusetzen. Daher besteht kein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht, wenn der Angestellte an den Stichtagen (1967-12-31 / 1968-01-01) arbeitslos war.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 1 Fassung: 1967-12-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Mai 1970 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung (AnV) zu befreien ist (Art. 2 § 1 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG - idF des Finanzänderungsgesetzes - FinÄndG - 1967).
Der Kläger, geboren 1927, war bis 31. Mai 1967 als Angestellter beschäftigt. Seit 1. September 1960 war er wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei. Vom 1. Juni 1967 bis 30. April 1968 war er arbeitslos. Seit 1. Mai 1968 ist er wieder als Angestellter beschäftigt.
Der Kläger beantragte im Juni 1968 die Befreiung von der Versicherungspflicht wegen Bestehens einer Lebensversicherung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger habe am 31. Dezember 1967 bzw. 1. Januar 1968 in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden und falle deshalb nicht unter den betroffenen Personenkreis (Bescheid vom 23. September 1968). Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 3. Februar 1969).
Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18. September 1969), das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Berufung des Klägers zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 26. Mai 1970).
Das LSG hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt, die bis zum Inkrafttreten des FinÄndG geltende Fassung des Art. 2 § 1 AnVNG sei mit der jetzigen Vorschrift, soweit hier von Interesse, gleichlautend; deshalb bestehe kein Anlaß, die neue Vorschrift anders als die vorhergehende auszulegen.
Der Kläger sei in der beschäftigungslosen Zeit nicht Angestellter im Sinne der Befreiungsvorschrift gewesen. Die Versicherungspflicht werde daran geknüpft, daß jemand beschäftigt sei (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -). Die gesetzliche Einschränkung, daß nur solche Angestellten eine Befreiung beantragen könnten, deren Beschäftigungsverhältnis im zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des FinÄndG durch dieses Gesetz versicherungspflichtig geworden sei, verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz. Es sei sachlich vertretbar und geboten, die Ausnahmeregelung auf einen eng umgrenzten und genau bestimmbaren Personenkreis zu beschränken. Mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise sei es vereinbar, daß auf das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses bei Inkrafttreten des FinÄndG, das aufgrund der Gesetzesänderung versicherungspflichtig geworden sei, abgestellt werde.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt, die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben.
Der Kläger rügt die Verletzung des Art. 2 § 1 AnVNG. Er meint, der Gesetzgeber habe die Befreiung vorgesehen, um den früher nicht versicherungspflichtigen Angestellten ihren alten Status zu erhalten und ihnen finanzielle Doppelbelastungen zu ersparen. Der Wortlaut "vor dem 1.1.1968" bedeute, daß die Befreiungsmöglichkeit für alle jene Angestellten gegeben sei, die in ihrem letzten, vor dem 1. Januar 1968 gelegenen Angestelltenverhältnis versicherungsfrei gewesen seien. Dies treffe bei ihm zu. Bei der Auffassung der Vorinstanzen hätten Versicherte, die zufällig am Stichtag nicht in einem Arbeitsverhältnis standen, keine Befreiungsmöglichkeit, während andere, die von der Sache her keine Versicherungsfreiheit benötigten, diese Möglichkeit hätten. Eine andere Rechtsansicht führe dazu, die Vorschrift wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz als verfassungswidrig zu bezeichnen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie weist auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Februar 1969 - 1 RA 23/68 - zu Art. 2 § 1 AnVNG idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) hin. Diese Fassung des Gesetzes und die nach dem FinÄndG stimmten - soweit es hier darauf ankomme - im Wortlaut und Inhalt überein. Zwischen dem Inkrafttreten des neuen Rechts und dem Versicherungspflichtigwerden müsse ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Er fehle, wenn beim Inkrafttreten des FinÄndG keine Angestellteneigenschaft vorliege, wie beim Kläger am 1. Januar 1968.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist nicht begründet.
Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 setzt das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses als Angestellter Ende Dezember 1967 und am 1. Januar 1968 voraus.
Daß das Gesetz vom Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses als Angestellter am 1. Januar 1968 ausgeht, ergibt sich aus der Anführung des Datums 1. Januar 1968 in Art. 2 § 1 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b und in Satz 3 AnVNG. Nach Buchst. b muß die Lebensversicherung "mit Wirkung vom 1. Januar 1968 oder früher" abgeschlossen sein. Wenn auch erst später eingegangene Beschäftigungsverhältnisse hätten erfaßt werden sollen, müßte es im Gesetz noch heißen: "oder mit Wirkung vom Beginn eines später begründeten Angestelltenverhältnisses an" o.ä. (vgl. auch Abs. 2 Satz 4 und Satz 5 des Gesetzes); denn Zeiten, in denen eine Lebensversicherung, aber kein Angestelltenverhältnis bestand, sind sozialversicherungsrechtlich gleichgültig; für solche Zeiten bedarf es keiner Befreiung von der Versicherungspflicht. Die Bestimmung "mit Wirkung vom 1. Januar 1968" hätte insoweit für die Befreiung von der Versicherungspflicht keinen Sinn. Nach Satz 3 aaO erfolgt die Befreiung mit Wirkung vom 1. Januar 1968 an. Eine Befreiung hat nur für einen Zeitraum Bedeutung, in dem ein Angestelltenverhältnis besteht, wenn ohne die Befreiung Versicherungspflicht gegeben wäre. Hätte das Gesetz auch später begründete Angestelltenverhältnisse erfassen wollen, so hätte auch in Satz 3 noch gesagt werden müssen: "mit Wirkung vom 1. Januar 1968 oder vom späteren Beginn des Beschäftigungsverhältnisses an" oder "frühestens vom 1. Januar 1968 an".
Das Gesetz hat nur eine einmalige Frist für den Befreiungsantrag - bis 30. Juni 1968 - bestimmt. Bei Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses nach dem 30. Juni 1968 wäre somit auch bei der Rechtsauffassung der Revision eine Befreiung nicht möglich. Dies wäre aber ebenso "zufällig", wie es nach der Auffassung der Revision die Daten "vor dem 1.1.1968" und 1. Januar 1968 sind; denn die allgemeinen Gründe, die die Revision für ihre Auffassung im Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz anführt, können gegen jeden Stichtag vorgebracht werden.
Zu der Voraussetzung des Art. 2 § 1 Satz 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967, daß der Angestellte "vor dem 1. Januar 1968" nicht versicherungspflichtig war, hat der 1. Senat zu der bis auf die Daten gleichlautenden Vorschrift des Art. 2 § 1 AnVNG idF des RVÄndG entschieden, daß damit nicht eine irgendwann vor diesem Tag liegende Angestelltenzeit gemeint ist, die Worte "vor dem 1. Juli 1965" hätten keine andere Bedeutung, als wenn es hieße "bis zum 30. Juni 1965"; d.h. es müsse bis dahin Versicherungsfreiheit wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze bestanden haben (1 RA 23/68 vom 26.2.1969). Bei dem gleichen Wortlaut ist auch die Fassung der Vorschrift nach dem FinÄndG 1967 in diesem Sinn auszulegen. Mit den Worten "vor dem 1. Januar 1968" wird ein Zeitraum beschrieben, der an diesen Zeitpunkt heranreicht, also mit Dezember 1967 endet, nicht ein Zeitraum, der schon zu einem früheren Zeitpunkt geendet hat (vgl. auch die Regelung und die Stichtage in Abs. 2 des Art. 2 § 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967; hier ist für einen ähnlichen Sachverhalt ausdrücklich der 31. Dezember 1967 bzw. Dezember 1967 genannt).
Nach dem Wortlaut von Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG sowie Sinn und Zweck der Vorschrift sollen sich solche Angestellten befreien lassen können, in deren Angestelltenverhältnis das FinÄndG 1967 mit dem Fortfall der Versicherungsfreiheit unmittelbar eingreift. Das ist nicht der Fall, wenn im Dezember 1967 und am 1. Januar 1968 kein Angestelltenverhältnis bestanden hat. In solchen Fällen wird nicht ein "Angestellter" in seinem Angestelltenverhältnis durch das Inkrafttreten des FinÄndG 1967 betroffen. Beginnt ein Angestelltenverhältnis erst im Januar 1968 oder später, ohne daß im Dezember 1967 ein Angestelltenverhältnis bestand, so entsteht Versicherungspflicht erst "auf Grund" der Aufnahme der Beschäftigung gegen Entgelt nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG. Hat ein Angestelltenverhältnis vor Inkrafttreten des FinÄndG geendet, so berührt das neue Recht den bisherigen Angestellten in dem aufgegebenen Beschäftigungsverhältnis nicht mehr. In beiden Fällen fehlt es an dem Merkmal des Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967, daß ein versicherungsfreier Angestellter, also eine Person, die in einem Angestelltenverhältnis steht, "auf Grund" des FinÄndG 1967 versicherungspflichtig wird. In den genannten beiden Fällen führt die tatsächliche Änderung in den Verhältnissen der Person zu Versicherungspflicht. Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 bestimmt hingegen die Folgen der Änderung des Gesetzes bei unveränderten tatsächlichen Verhältnissen.
Während einer Arbeitslosigkeit besteht kein Angestelltenverhältnis weiter; denn es fehlt an einem Arbeitgeber. Es ist auch nicht möglich, bei der Anwendung des Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 den Zustand der Arbeitslosigkeit einem Angestelltenverhältnis gleichzusetzen.
Die hier vorgenommene Auslegung des Art. 2 § 1 AnVNG verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, daß die in Art. 2 § 2 Nr. 1 FinÄndG 1967 (die Neufassung des Art. 2 § 1 AnVNG) enthaltene Übergangsregelung nicht verfassungswidrig ist (BVerfG vom 14. Oktober 1970 - 1 BvR 753/68, 695/70, 696/70 in SozR Nr. 8 S. Ab 6 zu Art. 2 GG, NJW 1971, 365 bis 371).
Der Kläger stand zu den rechtserheblichen Zeiten nicht in einem Angestelltenverhältnis. Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 trifft daher für ihn nicht zu. Er hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht. Die Entscheidung des LSG ist gesetzmäßig.
Die Revision ist deshalb unbegründet und zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen